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Eine unrühmliche Geschichte
Zwei Jahre EuGH-Urteil – Was ist passiert?
Zwei Jahre ist es nun her, dass der Europäische Gerichtshof sein Urteil zur Rx-Preisbindung gefällt hat. Ein Jubiläum, das den Apothekern keinerlei Anlass zum Feiern gibt. Denn obwohl nicht nur sie, sondern auch die Politik umgehend alarmiert war, ist seitdem nichts geschehen. Zwar wurde viel diskutiert, aber letztlich nichts dafür getan, dass wieder faire Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden. Vielmehr sinkt die Apothekenzahl in Deutschland beständig – und die großen EU-Versender sind auf unkontrolliertem Expansionskurs.
Am 19. Oktober 2016 entschied der Europäische Gerichtshof, dass sich EU-ausländische Versandapotheken, die Kunden in Deutschland beliefern, nicht an die in der Arzneimittelpreisverordnung geregelten Festpreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten müssen. Seitdem dürfen EU-ausländische Versandapotheken mit Boni für die Einreichung von Rezepten locken. Schon am gleichen Tag reagierten die EU-Versender. Mindestens 2,50 Euro versprechen sie seitdem den Patienten, die Europa Apotheek sogar bis zu 30 Euro pro Rezept. Dass dies kein fairer Wettbewerb zwischen deutschen Apotheken und ausländischen Versendern ist, war schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung vor zwei Jahren für jeden klar zu erkennen. Auch für die Politik. Niemand hegte Zweifel, dass der Gesetzgeber gefordert ist. Für die Standesvertretung der Apotheker stand auch schnell fest, in welcher Form dies geschehen sollte: mit einem Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Denn das hatte der EuGH im Jahr 2003 für europarechtskonform befunden.
Rx-Versandverbot – ein wiederkehrendes Politikum
Und so kam es, dass schon in den Tagen nach der Urteilsverkündung Forderungen nach dem Rx-Versandverbot laut wurden. Es ist übrigens nicht so, dass das Verbot vor dem EuGH-Urteil niemals besprochen worden war. 2009 gab es mehrere Bundesländer, die den Versandhandel über den Bundesrat verbieten lassen wollten, das Vorhaben scheiterte aber knapp. Im Bundestag war es 2008 unbedingt die FDP-Fraktion, die zwar nicht den Versand komplett, aber den Versandhandel über Pick-up-Stellen verbieten wollten. Lustiges Detail: In der Begründung des Antrages erklärte die FDP damals, dass ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich in Ordnung wäre. Die Union war übrigens damals dagegen. Union und FDP schrieben sich das Pick-up-Verbot 2009 dann in den Koalitionsvertrag – umgesetzt wurde es bekanntlich nicht. Und: Die Linken waren schon damals für ein Verbot des Rx-Versandhandels.
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Aber zurück zu den Folgen des EuGH-Urteils: Noch am Tag des Urteils war es der CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich, der sich als erster Politiker traute, das Verbot zu fordern. Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sah das genauso. Im BMG fanden damals zwei kurze Treffen mit der ABDA-Spitze statt, schon wenige Wochen später legte er einen Gesetzentwurf vor, der genau dieses Verbot wieder einführen wollte. Bekanntlich biss er sich mit diesem Vorhaben jedoch monatelang die Zähne am Koalitionspartner SPD aus. Jedenfalls die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten stellte sich von Anfang an auf den Standpunkt, dass das Rx-Versandverbot bestenfalls dann kommen sollte, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgelotet sind. In den Bundesländern sah man das übrigens von vornherein anders: Schnell stellte sich beispielsweise die NRW-SPD auf die Seite der Apotheker, auch Niedersachsens damalige SPD-Gesundheitsministerin Cornelia Rundt wollte den Rx-Versand verbieten. Noch viel intensiver waren die Bemühungen Bayerns in dieser Richtung: Der Freistaat brachte einen Antrag in die Länderkammer ein zum Rx-Versandverbot. Dieser wurde dann auch beschlossen, fand aber – wegen der oben beschriebenen Widerstände der Bundes-SPD – nie eine Mehrheit im Bundestag.
Juristische Bedenken und wachsender Zeitdruck
Die Gesundheitsexperten begründeten ihre Ablehnung von vornherein mit juristischen Bedenken. Hinzu kamen Befürchtungen, dass auch die Botendienste der Apotheker mit einem Verbot in Gefahr geraten könnten. Und: Was sollte mit den sogenannten Spezialversendern passieren, die seltene Rx-Arzneimittel herstellen und durch ganz Deutschland verschicken? Die Alternativen der SPD: Ein Beratungshonorar für Apotheker war im Gespräch. Weil man wusste, dass eine Neuregelung der Honorierung länger dauern könnte, brachte die Fraktion ein auf zwei Jahre beschränktes im Sozialrecht verankertes Rx-Boni-Verbot ins Spiel. Das wiederum fand keinen Anklang in der Union. Gröhes Referentenentwurf enthielt zwar neben dem Verbot Neuregelungen zum Botendienst und wurde nach einer ersten Kritik der anderen Ministerien einmal nachgebessert, er schaffte es aber nicht einmal ins Stadium eines Kabinettsentwurfs. Nicht nur die SPD-geführten Bundesministerien für Wirtschaft und Justiz stellten sich quer – auch das Finanzministerium, in dem seinerzeit der heutige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Staatssekretär war, meldete Bedenken an. Verfassungs- und europarechtliche Hindernisse wurden angeführt, die Gefahr einer Staatshaftung beschworen.
Im Bundestag zieht nur die Linksfraktion mit
Auch wenn es ebenso Expertenstimmen gab, die diese Probleme verneinten, wagte die Große Koalition letztlich nicht einmal den Versuch, Gröhes Gesetzentwurf weiterzuverfolgen. Nur die Linken im Bundestag machten sich stark für das Rx-Versandverbot – doch für die Union kam eine Verbündung mit der Linksfraktion in diesem Punkt nicht in Frage. Erschwerend kam hinzu, dass die Legislaturperiode ihrem Ende zuging. Es wurde argumentiert, dass ein Notifizierungsverfahren vor der EU-Kommission nötig und das Gesetz gar nicht mehr rechtzeitig vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017 umsetzbar wäre. Das Rx-Versandverbot wurde zum Thema im Koalitionsausschuss – doch bis zum Schluss fanden Union und SPD keine gemeinsame Linie. Die ABDA hingegen hielt eisern Kurs. Sie blieb dabei: Eine bessere Lösung als das Rx-Versandverbot gibt es nicht.
Im Frühjahr 2017 keimte die Hoffnung, dass das EuGH-Urteil vielleicht doch nicht unumstößlich ist: Dafür sorgten der Bundesgerichtshof sowie das Landgericht München, die eine erneute Vorlage in Luxemburg jedenfalls nicht für undenkbar halten – vorausgesetzt, es werden neue Feststellungen angeführt, die belegen, dass die Preisbindung geeignet ist, eine flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Doch auch diese Verfahren stecken fest.
Wahlkampf und die neue Große Koalition
Es folgten der Wahlkampf und die Wahlen und eine anschließende zähe Regierungsbildung. Zunächst mussten sich die Apotheker kurz vor einer Jamaika-Regierung fürchten: Union, FDP und Grüne verhandelten wochenlang, bis FDP-Chef Christian Lindner plötzlich mitten in der Nacht aufstand und ging. Insbesondere die FDP hatte einen Wahlkampf gegen die Apotheker geführt: Lindner machte sogar Werbung damit, dass er Chef der Partei sei, die sich gegen die Apothekerlobby stelle. Kurzum: Wenn es zu Jamaika gekommen wäre, hätte die Rx-Preisbindung wohl keine Zukunft mehr gehabt. Es kam aber anders und im Koalitionsvertrag mit der SPD stand das Verbot des Versands verschreibungspflichtiger Arzneimittel, verbunden mit der Formulierung, man wolle sich dafür „einsetzen“, auf einmal drin.
Wenig Hoffnung in Minister Jens Spahn
Dann wurde Jens Spahn neuer Bundesgesundheitsminister. Und heute lässt sich festhalten: Mehr als „einsetzen“ hat Spahn in dieser Angelegenheit auch nicht unternommen. Dem Minister ist wohl bewusst, was im Koalitionsvertrag steht – doch offensichtlich ist er doch mehr auf der Suche nach einem alternativen Weg. Lange umging Spahn das Thema gänzlich. In vagen Facebook-Äußerungen und ebenso vagen Interviews erklärte er, dass er Rx-Rabatte in Deutschland nicht zulassen wolle, sagte aber nicht, wie er das schaffen wolle. Bis zum Apothekertag in der vergangenen Woche in München versprach Spahn mehrfach Klarheit, von einer Lösung war die Rede. Doch die brachte der Minister nicht mit. Seine Erklärung in noch mehr vagen Interviews: Er habe sich überlegt, dass er erst einmal mit den Apothekern diskutieren wolle, anstatt fertige Konzepte vorzustellen.
EU-Versender expandieren
Und so sind es mittlerweile zwei Jahre, die die Apotheker in Deutschland mit der immer schärferen Konkurrenz aus dem Ausland leben müssen. Und in dieser Zeit stand der Markt nicht still: Die Zahl der Apotheken geht beständig zurück. Gleichzeitig haben die beiden großen EU-Versender einen Eroberungszug gestartet: Sowohl die Shop Apotheke als auch DocMorris wachsen und expandieren seit zwei Jahren unkontrolliert. Das liegt unter anderem daran, dass insbesondere DocMorris direkt nach dem Urteil eine teure, aggressive PR-Kampagne startete, in der es dem EU-Versender darum ging, Chroniker-Rezepte nach Holland zu lotsen. Andererseits übernehmen die beiden Versender schlichtweg alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Erst gestern teilte DocMorris mit, dass man die Branchengröße Medpex schlucke. Und so wundert es kaum, wenn man immer wieder von hohen zweistelligen Steigerungen der Shop Apotheke und DocMorris im OTC-Bereich liest, im Rx-Bereich sind es bei DocMorris immerhin niedrige zweistellige Steigerungen.
Die Kernfragen sind also: Wie lange schaut sich eine verantwortungsvolle Gesundheitspolitik diese Entwicklung noch mit an – wie viele EuGH-Urteils-Jubiläen müssen wir noch gehen?
2 Kommentare
Rx Versandverbot
von Conny am 19.10.2018 um 9:30 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Rx Versandhandeskonflikt
von Dr. Schweikert-Wehner am 19.10.2018 um 10:44 Uhr
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