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Glaubt man den Wahlprogrammen von CDU/CSU, SPD und FDP, sollen die Apotheken gestärkt werden, man will ihnen eine Zukunft geben. Sätze, die wir so oder ähnlich schon mehrfach gelesen haben, Formulierungen, die dehnbar sind wie Kautschuk. Was letztlich realisiert wird, bleibt die große Überraschung fürs neue Jahr. Drei Ökonomen breiten derweil ihre putzigen Ideen im AOK-Magazin aus, wie sie sich die Apothekenwelt vorstellen: drei Jahre Ausbildung zum Bachelor reichen, ein marktgerechtes Fixum sei genug, ein variabler Anteil nicht notwendig, da keine Lagerkosten anfielen oder teure Produkte vorfinanziert werden müssten. Es ist ein AOK-Weihnachtsmärchen, das drolliger nicht geht. Und die dm-Dromarktkette will bald „freiverkäufliche“ Arzneimittel online aus Tschechien liefern. Als ob das Jahr nicht schon turbulent genug war. Wir schalten mal ab, so weit es überhaupt noch geht: Frohe Weihnachten!
16. Dezember 2024
Was haben die Parteien mit den Apotheken vor? Ein Blick in die Wahlprogramme deutet auf eine Stärkung der Apotheken hin, wie immer sie ausgestaltet sein mag. Zunächst das Wahlprogramm von CDU und CSU – diese Partei wird vermutlich zumindest einen Teil der Regierung bilden. Interessant: Haus- und Facharztpraxen sollen laut Programm-Entwurf entlastet werden, indem zusätzliche Kompetenzen an andere Gesundheitsberufe übertragen werden. Das könnte auf die Apotheken zielen, gut möglich, dass hier Ähnliches gemeint ist, wie es Lauterbach vorhatte: Apotheken sollen mehr Impfungen durchführen, stärker in die Prävention eingebunden werden und möglicherweise auch in die Primärversorgung. Mein liebes Tagebuch, ähnliches hat auch die ABDA bereits angedacht, soweit sie ihr Geheimpapier zur Apothekenzukunft schon offenbart hat. Darüber hinaus findet sich im CDU/CSU-Wahlprogramm auch dieser Satz: „Mit einer Apothekenreform stärken wir die Präsenzapotheken und geben ihnen eine Zukunft.“ Mein liebes Tagebuch, daran werden wir die zukünftige Regierungspartei messen.
Ähnliches findet sich im SPD-Wahlprogramm. Hier heißt es wörtlich: „Wir stärken Apotheken als wichtige Anlaufstellen für Prävention, Therapiebegleitung und eine sichere Arzneimittelversorgung.“ Also, die nächste große Koalition aus CDU/CSU und SPD will die Apotheke stärken. Wr werden sehen, wie ernst dies gemeint ist.
17. Dezember 2024
Ob die FDP der neuen Regierung angehören wird, ist mehr als fraglich. Aber ja, was kommt, weiß keiner und „alles lässt sich ändern“, heißt ja auch die Überschrift für die FDP-Agenda. Und mit Blick auf das Verhältnis von FDP und Apotheke sah und sieht es so schlecht nicht aus. Immerhin war es diese kleine Partei, die dazu beitrug, dass Lauterbachs Apothekenreform nicht ins Kabinett kam. Im FDP-Wahlprogramm findet sich jetzt folgender Satz zu den Apotheken: „Für eine gute Versorgung mit Arzneimitteln braucht es starke Apotheken. Sie benötigen Voraussetzungen, unter denen sie wirtschaftlich arbeiten können.“ Passt, oder? Nun ja, was man da alles unter dem Wort „Voraussetzungen“ subsumieren kann, ist natürlich ein weites Feld.
18. Dezember 2024
Die Drogeriemarktkette dm möchte gerne Apotheke spielen. Ihr Chef, Christoph Werner, hatte bereits Anfang des Jahres phantasiert, dass Drogeriemärkte zukünftig auch verschreibungspflichtige Arzneimittel anbieten könnten samt Beratung, außerdem sollten sie auch impfen können. Werners Zukunftsspekulation: „Wofür es heute den ausgebildeten Apotheker braucht, kann künftig automatisiert werden“, meint er blauäugig. Vorab will dm schon mal in den Onlinehandel mit Arzneimitteln einsteigen. Wie das Handelsblatt berichtet, sollen „freiverkäufliche Arzneimittel“ ab dem kommenden Jahr über Tschechien verkauft werden. Ob damit wirklich nur die Freiverkäuflichen gemeint sind (die verkauft dm bereits in seinen Filialen) oder auch nicht-rezeptpflichtige, aber apothekenpflichtige Arzneimittel, geht aus dem Bericht nicht hervor. Mein liebes Tagebuch, dm scheint sich an den Arzneimittelmarkt heranzuwanzen und wartet geradezu darauf, dass es zu regulatorischen Lockerungen kommt. Die Drogeriekette habe noch viel Fantasie, was sie in diesem Bereich anbieten könne, heißt es beim Handelsblatt. Mein liebes Tagebuch, bis jetzt steht das Apothekengesetz felsenfest und keine politische Partei will es ändern…
19. Dezember 2024
Noch kurz vor Jahresschluss haben sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband in einem Schiedsverfahren über den Umgang mit Entlassrezepten und die Auslegung der neuen Abgaberegeln im Fall von Lieferengpässen geeinigt. Wurde auch Zeit, denn die Regelungen sollen zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Zur Frage, wie bei Entlassrezepten mit fehlerhaften Verordnungen umzugehen ist und wie Retaxgefahren vermieden werden können, konnte eine Einigung im Sinne der Apotheken errungen werden. Die wichtigste Neuerung: Eine telefonische Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt ist bei unklaren Verordnungen grundsätzlich nicht mehr nötig. Selbst wenn die ausgestellte Verordnung weitere Fehler enthält, haben die Apotheken einen Vergütungsanspruch. Lediglich bei BtM- und T-Rezepten müssen die Apotheken auch künftig genauer hinschauen – wegen potenzieller Risiken.
Kompromisse müssen die Apotheken dagegen bei den Engpassregelungen hinnehmen. Hier votierte das Bundesgesundheitsministerium für die Kassenseite. Für die Apotheken bedeutet dies, dass sie im Fall der Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels prüfen müssen, ob eines der vier nächsten preisgünstigen Arzneimittel zu haben ist. Erst wenn auch auf dieser Stufe nichts zu bekommen ist, kann in der Apotheke ein passendes alternatives Arzneimittel frei gewählt werden – mit einem Preis bis zur Höhe des verordneten. Mein liebes Tagebuch, man hätte sich hier mehr „Beinfreiheit“ für die Apotheken gewünscht.
Kurz vor Weihnachten hauen drei Gesundheitsökonomen (Gisbert W. Selke, Riccardo Roni und Livio Garattini) einen Beitrag für das AOK-Magazin „Gesundheit und Gesellschaft“ raus, mit dem sie quasi für eine neue Art des Apothekenmarkts plädieren – Apotheken auf unterstem Niveau, superlight Apos. Sie hängen ihre Phantastereien daran auf, dass nach ihrer Ansicht die Zeit reif sei, „einen EU-weit einheitlichen Regelungsrahmen für öffentliche Apotheken einzuführen“. Sie vergleichen die Regelungen in ausschließlich west- und nordeuropäischen Staaten und stellen fest: „Die Interessen der Bevölkerung an einer dauerhaft finanzierbaren Versorgung mit dem Gut Gesundheit stehen potenziell im Widerspruch zu den finanziellen Interessen der im Markt agierenden Apotheker.“ Mein liebes Tagebuch, das ist schon mal eine mehr als steile These, die sie da aufstellen. Und erst recht die Lösungen, die sie dafür parat haben, nämlich: das Pharmaziestudium verkürzen, den Apothekenmarkt liberalisieren und das Honorar für erstattungsfähige Arzneimittel auf den Fix-Beitrag reduzieren. Bei der Verkürzung des Pharmaziestudiums orientieren sie sich an skandinavischen Ländern – dort reicht eine dreijährige Bachelor-Zeit, um in Apotheken arbeiten zu dürfen. Die Autoren gehen davon aus, dass sich die Arbeit in Apotheken „zunehmend darauf verengt, Verschreibungen zu prüfen und die verschriebenen Fertigarzneimittel abzugeben“. Dennoch würden „die Standesorganisationen hartnäckig den Status der Apotheke als etwas Besonderes“ verteidigen. Überhaupt könnte nach Meinung der Gesundheitsökonomen die „Überqualifizierung für ihre Haupttätigkeiten, die sich in der Vergangenheit eingeschlichen hat“ verringert werden. Was die Regulierung von Inhaberschaft, Anzahl und Ort der Apotheken betrifft, so sollte dies „den lokalen Märkten“ überlassen werden. Apotheken seien bereits „private Wirtschaftsbetriebe“ und die Handelstätigkeit habe „Oberhand über Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege“. Die Autoren machen dies u. a. daran fest, dass Apotheken nicht nur Arzneimittel anbieten, sondern z. B. auch Anti-Aging-Produkte, Nahrungsergänzungsmittel und Homöopathika, also Produkte, die mitunter im Widerspruch zur Fachausbildung stünden. Und zum Apothekenhonorar haben sich die Ökonomen auch so ihre Gedanken gemacht, Gedanken, die ihre deutliche Unkenntnis des Apothekengeschäfts offenbaren. Das Apothekenhonorar müsse auf ein Fixum beschränkt werden, ein variabler Anteil sei nicht gerechtfertigt, da keine Lagerkosten anfielen. Teure Produkte mit größeren Beträgen seien in der Apotheke nicht vorzufinanzieren, schreiben die drei Autoren im AOK-Magazin – und damit haben sie sich, mein liebes Tagebuch, endgültig als Gesundheitsökonomen disqualifiziert. Wenn man sich über eine Branche Gedanken macht, sollte man schon wissen, wie sie arbeitet und welche Anforderungen sie zu erfüllen hat. Der AOK-Beitrag liest sich dagegen wie eine Schülerarbeit, in der sich Klein-Gisbert, -Ricardo und -Livio ihre Apothekenstruktur der Zukunft basteln, um im AOK-Magazin veröffentlicht zu werden, Ziel: alles muss einfacher und vor allem billiger werden, Arzneimittel- und Therapiesicherheit sind uns schnurz. Mein liebes Tagebuch, putziger geht es schon fast nicht. Und wenn man über Einsparungen im Gesundheitswesen nachdenkt, dann stellen wir uns auch die Frage, ob es in Deutschland rund 140 Krankenkassen geben muss, jede mit Verwaltungsapparat, der Millionen verschlingt. Da wäre Verschlankung angesagt, da schlummern Einsparpotenziale! Natürlich darf man sich überlegen und out of the box denken, wie ein Apothekensystem in Zukunft funktionieren könnte. Aber man sollte dann zuvor auch definieren, welche Sicherheiten so ein System bieten sollte.
Zur Vertiefung des Themas empfehlen wir den Kommentar von DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn zum Beitrag des AOK-Magazins.
20. Dezember 2024
Michael Kretschmer (CDU) kann in Sachsen weiterregieren, zusammen mit der SPD in einer Minderheitsregierung. Seinem Kabinett gehört weiterhin auch Petra Köpping (SPD) an, die Staatsministerin für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt bleibt und zugleich zur stellvertretenden Ministerpräsidentin aufsteigt. Mein liebes Tagebuch, die Apothekerkammer und der Apothekerverband von Sachsen sind zufrieden über dieses Ergebnis: Dass beide in ihren Ämtern bleiben, „macht mich sehr, sehr glücklich, weil wir mit beiden sehr gut zusammenarbeiten“, sagt Göran Donner, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer im Gespräch mit der DAZ. Donner weiter: „Michael Kretschmer steht uns immer zur Seite. Petra Köpping hat sich auf der Demonstration im August mit breiter Brust vor die Apotheker gestellt“ – und sich damit auch gegen Bundesgesundheitsminister Lauterbach positioniert. Mein liebes Tagebuch, klingt doch erstmal positiv und ist eine gute Ausgangsbasis. Jetzt muss nur noch die neue Bundesregierung entsprechend aufgestellt werden – und fürs Bundesgesundheitsministerium sollte eine Person aus den CDU/CSU-Reihen gefunden werden. Den bisherigen SPD-Minister für dieses Amt hatten wir lange genug.
Und jetzt, mein liebes Tagebuch, ist es Zeit, mal abzuschalten – dieses Jahr hat uns lange genug in Atem gehalten: eine Apothekenreform, die zum Glück nicht kam, Lieferengpässe, die es noch immer gibt, die Entmachtung des Apothekertags, die es eigentlich schon immer gab, und eine Abwahl der Präsidentin, die so nicht wirklich gewollt war, denn eine Nachfolgeschaft ist nicht in Sicht. Ganz zu schweigen von den nationalen und globalen Ereignissen, die die Welt unsicherer machen. Nicht zuletzt der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, der einen fassungslos zurücklässt. Mein liebes Tagebuch, der Kalender kündigt Weihnachten an, auch wenn die Stimmung angesichts aller Ereignisse nicht recht weihnachtlich werden will. Und dennoch, lasst uns ein frohes Fest feiern. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
2 Kommentare
DEM DAZ- TEAM...
von Dr.Diefenbach am 22.12.2024 um 13:23 Uhr
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Politik
von Beldowitz am 22.12.2024 um 8:31 Uhr
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