Kongolesisches Gesundheitsministerium gibt Entwarnung

Die „Krankheit X“ im Kongo ist keine neue Seuche

18.12.2024, 17:50 Uhr

Die Blutproben aus der kongolesischen Provinz Kwango sind ausgewertet: "Krankheit X" ist eine alte Bekannte. (Foto: AdobeStock/polepoletochan)

Die Blutproben aus der kongolesischen Provinz Kwango sind ausgewertet: "Krankheit X" ist eine alte Bekannte. (Foto: AdobeStock/polepoletochan)


In der Demokratischen Republik Kongo schien sich jüngst eine unbekannte, potenziell tödliche Infektionskrankheit auszubreiten. Die „Krankheit X“ erregte hohe mediale Aufmerksamkeit. Nun ist klar: Es ist kein neuer Erreger im Spiel.

Am 29. November meldete das Gesundheitsministerium der Demokratischen Republik Kongo der Weltgesundheitsorganisation WHO eine unerklärliche Häufung von Krankheitsfällen im Gesundheitsdistrikt Panzi, Provinz Kwango, im Südwesten des Landes. Wann immer der Verdacht eines Ausbruchs besteht, ist eine Alarmmeldung nach internationalem Gesundheitsrecht zwingend. In der Mitteilung bezeichnete der kongolesische Gesundheitsminister Samuel Roger Kamba Mulamba die ominöse Infektion als „Krankheit X“. Damit suggerierte er, dass es sich vermutlich um einen bislang unbekannten Erreger mit einem hohen krankmachenden Potenzial handelt [1]. Diese Nachricht sorgte umgehend für mediale Aufmerksamkeit rund um den Globus. 

31 Todesfälle innerhalb weniger Wochen

Nach Angabe des Gesundheitsministers waren in dem Gebiet innerhalb weniger Wochen 406 Menschen an einer nicht-diagnostizierbaren Infektion erkrankt und davon mindestens 31 gestorben. In früheren Berichten wurde sogar von mehr als 130 Toten gesprochen, später von mindestens 67. Nach Aussage von Dieudonné Mwamba, dem Generaldirektor des nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit, scheint der Erreger via Luft übertragbar. Die Infektion wäre also per inhalationem erfolgt.

Zum Zeitpunkt der Alarmmeldung gab es keine Informationen darüber, wann und wo genau „Krankheit X“ zuerst aufgetreten war, wie sie sich entwickelt hatte und welche Bevölkerungsgruppen am häufigsten betroffen waren. Blutproben, die man auf bislang unbekannte Erreger hätte untersuchen können, gab es nicht.  Deshalb wurde ein von WHO und kongolesischem Gesundheitsministerium zusammengestelltes Schnelleinsatzteam in die Provinz Kwango entsandt, um die Ursache der Epidemie aufzuklären und eine Maßnahmenkontrolle einzuleiten.

Jetzt bestätigt: Schwere Form der Malaria tropica

Zwischenzeitlich teilte die WHO in einem Pressestatement mit, dass „Krankheit X“ vermutlich durch mehrere bekannte Krankheitserreger ausgelöst wurde. Ein bislang unbekanntes Virus ist nicht entdeckt worden. Zehn von zwölf Blutproben wurden positiv auf Malaria getestet [2]. Auch wenn sich aus einer derartig kleinen Stichprobe keine validen Rückschlüsse ziehen lassen, ist zu vermuten, dass die Malaria in der Region eine der häufigsten Infektionskrankheiten ist. 

Jetzt bestätigte das Gesundheitsministerium in Kinshasa offiziell, dass „Krankheit X“ eine besonders schwere Form der Malaria tropica sei.

Mehr zum Thema

Epidemie im Kongo betrifft verstärkt Frauen

Mutierte Mpox-Viren lassen Fallzahlen steigen

Epidemiekurve passt nicht zu unbekanntem Erreger

Auch aus epidemiologischer und klinischer Sicht sprach von Beginn an wenig für einen durch einen bislang unbekannten Erreger verursachten Ausbruch. Die ersten Krankheitsfälle wurden Anfang Oktober beobachtet. Danach nahm die Zahl der Neuerkrankungen erst zu, dann wieder ab [1]. Diese Art Epidemiekurve passt nicht zur typischen stetigen Zunahme neuer Krankheitsfälle bei Infektionen mit einem hochvirulenten Erreger. Auch scheint der Ausbruch auf den Gesundheitsdistrikt von Panzi begrenzt gewesen zu sein. Dort wiederum waren nur neun von 30 primären Gesundheitsversorgungszentren betroffen. Ein aggressiver, über die Luft übertragener Erreger hätte sich innerhalb von sechs Wochen über den gesamten Distrikt ausgebreitet.

Kinder waren unterernährt

Nach Angaben des kongolesischen Gesundheitsministeriums waren 53 % aller Erkrankten Kleinkinder zwischen null und zwei Jahren. 71 % der Todesfälle betrafen die Altersgruppe der unter 15-Jährigen. Alle Kinder mit schweren Krankheitsverläufen waren unterernährt [1]. Dass die Kinder gegen Masern geimpft waren, scheint in Anbetracht der desolaten Situation des kongolesischen Gesundheitswesens unwahrscheinlich [3, 4]. Masern führen bei chronischer Unterernährung innerhalb kurzer Zeit zum Tod des Kindes.

Die vom medizinischen Hilfspersonal berichteten Symptome – Kopfschmerzen, Fieber, Husten, Schnupfen, Gliederschmerzen, Müdigkeit sowie Blutarmut – sind unspezifisch und können sehr unterschiedliche Ursachen haben. Fieber, Kopfschmerzen, Muskel-/Gelenkschmerzen und Blutarmut passen zu Malaria. Blutarmut ist häufig die Folge eines massiven Wurmbefalls. Fieber, Husten und Schnupfen passen zu Atemwegsinfektionen.

Sowohl die Malaria als auch virale oder bakterielle Atemwegsinfektionen nehmen einen lebensbedrohlichen Verlauf, wenn der Patient immungeschwächt ist, beispielsweise durch eine chronische Unterernährung. Bei Kleinkindern ist die Malaria tropica immer tödlich.

Kongolesisches Gesundheitssystem in schlechtem Zustand

Nach Ansicht von Experten ist die Gesundheitsversorgung in der Demokratischen Republik Kongo schlechter als in den meisten afrikanischen Ländern südlich der Sahara [3]. Statistisch kommen auf 10.000 Einwohner 0,28 Ärzte und 1,91 Krankenschwestern. Fachärzte sind nur in den großen Städten zu finden. Krankenhäuser und primäre Gesundheitszentren sind schlecht ausgestattet, häufig fehlen Geräte und/oder die notwendigen Reagenzien für die Labordiagnostik. Essenzielle Medikamente sind nur sporadisch verfügbar. Nicht verwunderlich, denn das Budget des kongolesischen Gesundheitsministeriums beträgt gerade einmal 23 US-Dollar pro Kopf und Jahr [4].

Die Provinz Kwango zählt zu den ärmsten des Landes. Rund 40 % der Kinder und der Erwachsenen sind unterernährt [3]. Die sogenannte Integrated Food Security Phase Classification, ein Maß für die Versorgung einer Bevölkerung mit Grundlebensmitteln, stieg zwischen April von Stufe 1 (= akzeptabel) auf das Krisenniveau 3 im September 2024. Schwere Mangelernährung bei Kindern ist damit quasi vorprogrammiert. Selbst eine rudimentäre Gesundheitsversorgung ist in der Provinz nicht gewährleistet: Malaria konnte nicht diagnostiziert werden, da die notwendigen Labortests fehlten. Medikamente zur Behandlung von Atemwegserkrankungen fehlten ebenfalls. Unterernährung wurde offensichtlich nicht erkannt oder nicht behandelt. Die Informationen aus den Gesundheitszentren kamen erst mit einer Verzögerung von mehreren Wochen im Gesundheitsministerium an.

Retrospektiv betrachtet ist der Ausbruch der „Krankheit X“ ein paradigmatisches Beispiel für einen seit langem bestehenden Gesundheitsnotstand in einer Bevölkerung, die seit Jahren sich selbst überlassen wird. Ursache ist ein öffentliches Gesundheitssystem, das den Namen nicht verdient: Chronische Unterernährung, mangelnder Impfschutz gegen Kinderkrankheiten, unkontrollierte Malaria, unzulängliche diagnostische Möglichkeiten sowie mangelnde Therapeutika bilden eine gefährliche Gemengelage, in der sich Erreger unkontrolliert ausbreiten.

Ein neuer, hochvirulenter Erreger hätte sich schnell verbreitet

Dr. Torsten Feldt, Bereichsleiter Tropenmedizin an der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, bestätigt das: „Dieser mutmaßliche Ausbruch hat noch einmal klargemacht, wie wichtig funktionierende Gesundheitssysteme nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die effektive Erkennung und Eindämmung von Ausbrüchen sind.“ Die nüchterne Bilanz des Tropenmediziners: Hätte es sich tatsächlich um einen Ausbruch durch einen neuen hochvirulenten Erreger gehandelt, wäre ein rasches Überspringen auf die Nachbarprovinzen – und später auf das gesamte Land wie im Fall von Mpox – die zwangsläufige Konsequenz gewesen.

Unter reisemedizinischen Aspekten ist von Urlaubsreisen in die Demokratische Republik Kongo grundsätzlich abzuraten. Die Mpox-Epidemie hat sich landesweit ausgebreitet, mit bislang 47 000 Erkrankungen in den vergangenen zwölf Monaten (s. DAZ 2024, Nr. 33, Seite 28). Auch die Sicherheitslage ist in den grenznahen Gebieten bedenklich, wo marodierende Milizen die Menschen in Angst und Schrecken versetzen.

Literatur

[1] World Health Organization. Disease Outbreak News: Undiagnosed disease – Democratic Republic of the Congo, 8. Dezember 2024, www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2024-DON546

[2] Adepoju P. Mysterious ‘Disease X’ Outbreak Might Be Malaria. What We Know. Scientific American, 11. Dezember 2024, https://www.scientificamerican.com/article/mysterious-disease-x-outbreak-might-be-malaria-what-we-know/

[3] Lateef R. Examining the Healthcare System in the Congo. The Borgen Project, 20. Januar 2021, https://borgenproject.org/healthcare-in-the-congo/

[4] Kabwama SN. Exemplars in Global Health, Essential Health Services: Democratic Republic of the Congo. Exemplars in global Health, www.exemplars.health/emerging-topics/epidemic-preparedness-and-response/essential-health-services/democratic-republic-of-the-congo?


Prof. Dr. Hermann Feldmeier


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Kommentar abgeben

 

Ich akzeptiere die allgemeinen Verhaltensregeln (Netiquette).

Ich möchte über Antworten auf diesen Kommentar per E-Mail benachrichtigt werden.

Sie müssen alle Felder ausfüllen und die allgemeinen Verhaltensregeln akzeptieren, um fortfahren zu können.