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Deutscher Apothekertag 2022
Vielfältige Anträge zur Versorgung
Ordnungspolitische Forderungen und Perspektiven für die Apotheken
Ursprünglich war vorgesehen, über die rund 30 Anträge zum Themenkomplex „Sicherstellung der Versorgung“ erst an zweiter Stelle abzustimmen. Doch die Anträge zum Leitthema des Deutschen Apothekertags (DAT) 2022 „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ rückten kurzfristig eine Stelle nach hinten. Und so begann die dreitägige Antragsdebatte mit einer facettenreichen Sammlung diverser Anträge aus Kammern und Verbänden, die zum Ziel haben, den Status quo der Arzneimittelversorgung durch die Vor-Ort-Apotheken sicherzustellen oder weiterzuentwickeln.
Gleich zu Beginn hatten die Delegierten über einen Leitantrag abzustimmen, der sich aus Anträgen des Geschäftsführenden ABDA-Vorstands, der Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie fünf einzelner Delegierter zusammensetzt. Unter dem Titel „Ordnungsrechtlicher Rahmen“ fordert die Hauptversammlung der Apothekerinnen und Apotheker den Gesetzgeber auf, sichere und verlässliche ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen für die inhabergeführten öffentlichen Apotheken in Deutschland zu gewährleisten. Hierzu gehöre auch die Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation der Apotheken, die insbesondere nicht durch Ertragsabschöpfungen im Rahmen eines GKV-Finanzierungsgesetzes gefährdet werden darf. An den bestehenden Regelungen zum Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie der freien Apothekenwahl sei zwingend festzuhalten und diese gegebenenfalls nachzuschärfen.
Darüber hinaus zielt der Antrag darauf ab, der Trivialisierung von Arzneimitteln entschieden entgegenzuwirken: Insbesondere müsse die Apothekenpflicht als wesentliches Instrument des Verbraucherschutzes aufrechterhalten bleiben. Der Gesetzgeber wird im Rahmen dieses Antrags darauf hingewiesen, die Anforderungen bei der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel im Wege des Fernabsatzes zu überprüfen. „Insbesondere in solchen Fällen, in denen diese mit telemedizinisch erstellten Verschreibungen unmittelbar oder auf digitalen Plattformen verbunden werden.“
Zudem spricht sich die Hauptversammlung der Apothekerinnen und Apotheker dafür aus, „die auf den deutschen Arzneimittelmarkt zielenden Aktivitäten der kapitalgesteuerten Großkonzerne einer kontinuierlichen rechtlichen Überprüfung zu unterziehen, um struktur- und patientenversorgungsgefährdende Entwicklungen frühzeitig wahrzunehmen und erforderliche gesetzgeberische Gegenmaßnahmen einzufordern.
Dieser Antrag wurde angenommen. Zuvor wiesen verschiedene Delegierte in Wortbeiträgen darauf hin, dass vor allem einer fortschreitenden Trivialisierung im Arzneimittelsektor entgegengewirkt werden müsse.
Arzneimittelsicherheit durch partielles Versandhandelsverbot
Genau dieses Thema ist auch Bestandteil eines Antrags der Landesapothekerkammer Hessen, der jedoch von der Hauptversammlung in einen ABDA-Ausschuss verwiesen wurde. Abseits des offiziellen Arzneimittelversandhandels existieren auch unseriöse bis kriminelle Online-Angebote. Nach den Vorstellungen der Delegierten aus Hessen sollte es daher für „kritische“ Wirkstoffe ein Versandhandelsverbot geben.
Dem Antrag nach soll der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aufgefordert werden, Fertigarzneimittel mit Arzneistoffen, die ein kritisches Risikoprofil ausweisen, aus Verbraucherschutzgründen vom Versandhandel auszunehmen. Konkret schwebt den Delegierten vor, durch Ergänzung des § 17 Abs. 2b Apothekenbetriebsordnung die Ausnahmen von Arzneimitteln im Versandhandel auszuweiten. „Aus Verbraucherschutzgründen und zum Wohle der Menschen sollten derartige Wirkstoffe nur nach direktem Arzt-Patienten-Kontakt verordnet werden dürfen“, heißt es in der Begründung.
„Das Rx-Versandhandelsverbot wäre der Königsweg gewesen“, erklärte ein Vertreter der Antragssteller bei der Diskussion hierzu. Doch dieses wurde durch die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode politisch zur Seite geräumt. Die Landesapothekerkammer Hessen sieht dennoch dringenden Handlungsbedarf, um Patienten und Verbraucher vor solchen Online-Angeboten zu schützen. Lässt sich das mit einem Versandverbot, konkret auf „kritische“ Wirkstoffe bezogen, erreichen?
In der Diskussion über diesen Antrag zweifelten einige daran, obwohl man sich in Ziel und Sache offenbar einig ist. ABDA-Justiziar Lutz Tisch merkte beispielsweise an, dass es immer problematisch sei, Beispiele zu nennen. Dies würde den Anschein erwecken, dass man das Problem für die nicht genannten Wirkstoffgruppen ausschließen könnte. Baden-Württembergs Kammerpräsident Martin Braun fragte, ob ein entsprechendes Gesetz oder eine entsprechende Verordnung nicht zu einer Inländerdiskriminierung führen könnte. Eine andere Wortmeldung wies darauf hin, dass man sich eher mit der „Wurzel des Übels“ beschäftigen müsse, nämlich mit den Fragebögen und nicht unbedingt mit dem eigentlichen Versand der Präparate. ABDA-Justiziar Tisch wies darauf hin, dass es schon einer Selbstbedienung entsprechen könnte, wenn die Hürden bei den Online-Angeboten für den Bezug von Rx-Arzneimitteln sehr niedrig sind.
Ein Vorschlag aus den Reihen der Delegierten: Man solle den Dialog mit der Ärzteschaft suchen, um effektiv gegen Geschäftsmodelle vorgehen zu können, die den heilberuflichen Patientenkontakt trivialisieren und die Arzneimitteltherapiesicherheit gefährden.
Versorgung in ländlichen Regionen
Aus der Kammer und dem Verband in Sachsen wurde den DAT-Delegierten ein Antrag vorgelegt mit der Überschrift „Flächendeckende Versorgung sichern“. Darin wird wieder der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber adressiert und aufgefordert, „unverzüglich organisatorische und finanzielle Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Arzneimittelversorgung insbesondere in ländlich geprägten Regionen aufrechtzuerhalten und damit den staatlich übertragenen Versorgungsauftrag der öffentlichen Apotheken langfristig zu sichern.“
Baden-Württembergs Kammerpräsident Martin Braun forderte von den Antragstellern eine Konkretisierung und Erklärung, was unter Aufrechterhaltung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in ländlich geprägten Regionen zu verstehen sei. Dies dürfe nämlich nicht durch unseriöse bis rechtswidrige Konstrukte, wie den DocMorris-Arzneimittelautomat in Hüffenhardt geschehen, sondern müsse ausschließlich den Vor-Ort-Apotheken übertragen werden. Anke Rüdinger vom Apothekerverein Berlin stellte die Frage, inwiefern unterschiedliche Anforderungen an die flächendeckende Versorgung je nach Lage gestellt werden: „Sollten ländlich geprägte Regionen stärker unterstützt werden, und wenn ja, weshalb?“ Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein wünschte sich konkrete Vorschläge im Antrag. Ein Delegierter der Apothekerkammer Westfalen-Lippe ging in seiner Wortmeldung einen Schritt zurück. Bevor die Hauptversammlung den Gesetzgeber adressierte, solle zunächst die ABDA aufgefordert werden, konkret zu definieren, was die Apothekerschaft unter „flächendeckender Versorgung“ versteht.
Kritische Infrastruktur
Weiter ging es mit einem Antrag der Bayerischen Landesapothekerkammer, der die Bundesregierung auffordert, die kritische Infrastruktur, zu der im Wesentlichen große Bereiche der pharmazeutischen Industrie, insbesondere aber auch die Apotheken vor Ort zählen, in Zeiten der Energie- und Rohstoffknappheit besonders zu berücksichtigen und zu unterstützen, um Versorgungs- und Lieferengpässe zu vermeiden, damit der Bevölkerung weiterhin alle lebensnotwendigen Arzneimittel zur Verfügung stehen. Kritische Rückmeldungen gab es zu dem Begriff „kritische Infrastruktur“. Dieser sei ein feststehender Ausdruck, in dem die Apotheken bisher nicht inkludiert seien, merkte ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold an. Es herrschten hohe Anforderungen. Die einfachste Möglichkeit wäre, in diesem vorliegenden Antrag diese Formulierung nicht zu verwenden. Eine weitere Wortmeldung regte an, auch die Krankenhausapotheken zu benennen. Schließlich formulierten die Absender einen Änderungsantrag, in dem es heißt: „Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert die Bundesregierung auf, die für die Arzneimittelversorgung relevanten Betriebe, zu der im Wesentlichen große Bereiche der pharmazeutischen Industrie, insbesondere aber auch die Apotheken vor Ort zählen, in Zeiten der Energie- und Rohstoffknappheit besonders zu berücksichtigen und zu unterstützen, um Versorgungs- und Lieferengpässe zu vermeiden, damit der Bevölkerung weiterhin alle lebensnotwendigen Arzneimittel zur Verfügung stehen.“ Der Änderungsantrag wurde schließlich angenommen.
Rückholung der Arzneimittelproduktion nach Europa
Bemerkenswert war der Umgang der DAT-Delegierten mit dem zweiten Leitantrag aus dem Themenkomplex „Sicherung der Versorgung“. Unter dem Titel „Re-Lokalisierung der Herstellung von Wirkstoffen und Arzneimitteln“ ging es der Apothekerkammer des Saarlandes sowie dem Landesapothekerverband und der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg darum, den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, dass die Produktion von (lebenswichtigen) Wirkstoffen und Arzneimitteln unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards wieder verstärkt in der EU stattfindet. Damit solle vor allem die Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzmaßnahmen bei der Produktion sichergestellt und gleichzeitig die Lieferfähigkeit von Arzneimitteln verbessert werden. Bei der Diskussion über den Antrag störten sich einige Delegierte über eine zu polemische Formulierung. So ist im schließlich abgelehnten Leitantrag beispielsweise die Rede vom „diktatorischen China“. Baden-Württembergs Kammerpräsident Martin Braun riet der Hauptversammlung, über die beiden Anträge, die zum Leitantrag zusammengefasst waren, einzeln abzustimmen. Dies wurde getan, und die Hauptversammlung nahm die beiden Einzelanträge an.
Eine Gruppe von fünf Delegierten thematisierte die Lieferengpässe und Kontingentierung von Arzneimitteln. Im ersten Antrag wurde folgender Vorschlag unterbreitet: Zukünftig soll es eine systematische Erfassung von Lieferengpässen durch öffentliche Apotheken geben und deren Nutzung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ermöglicht werden. Hierbei sollten die Apotheken über eine Schnittstelle ihrer Warenwirtschaftssysteme Arzneimittel, die seit mehr als zwei Wochen nicht über den pharmazeutischen Großhandel bezogen werden können, an die Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker melden, welche diese Informationen regelmäßig gesammelt an das BfArM weiterleitet. Das Meldesystem sollte so konfiguriert sein, dass es die Arbeit in der Apotheke nicht zusätzlich belastet. Dieser Antrag wurde schließlich in einen Ausschuss verwiesen, weil das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) bereits an der Thematik arbeitet.
Im zweiten Antrag wurden die pharmazeutischen Unternehmer adressiert. Diese sollen mit den Apothekerinnen und Apothekern für eine zuverlässige Versorgung der deutschen Bevölkerung mit derzeit von einer Kontingentierung betroffenen Arzneimitteln sorgen. Die Antragsteller wiesen darauf hin, dass das Problem nicht nur auf Analgetika wie Ibuprofen oder Paracetamol begrenzt sei. Gerade höherpreisige Präparate zur Behandlung seltener Erkrankungen seien immer wieder betroffen. Ein Problem für den deutschen Markt ergebe sich aus dem Umstand, dass einige Apotheken mit Großhandelserlaubnis die Ware ins europäische Ausland verkauften. Man müsse den Parallelimport einschränken oder ganz unterbinden. Der Antrag wurde ebenfalls in den Ausschuss verwiesen unter der Anmerkung, dass die Ausmaße und Ursachen des Problems gründlicher eruiert werden müssten.
Auch die Apothekerkammer Sachsen-Anhalt steuerte zwei Anträge aus dem Themenkomplex „Lieferengpässe“ bei, die beide angenommen wurden. Im ersten Antrag wird der Gesetzgeber aufgefordert, die in § 52b Arzneimittelgesetz geregelte Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer, eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung vollversorgender Arzneimittelgroßhandlungen zu gewährleisten, auch auf Krankenhausapotheken zu erweitern. Mit dem zweiten Antrag soll erreicht werden, dass eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird, damit pharmazeutische Unternehmer mit Sanktionen versehen werden können, wenn sie Lieferengpässe nicht ordnungsgemäß melden.
Verlängerung der Corona-Sonderregeln
Ein weiterer Leitantrag mit einem großen, bedeutenden Thema für die Vor-Ort-Apotheken: Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker fordert darin den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber sowie die Bundesregierung auf, einzelne Regelungen der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung über den 25. November 2022 hinaus als dauerhafte Regelungen auch außerhalb der Pandemie zu verlängern. Der Antrag, gestellt vom Geschäftsführenden ABDA-Vorstand, von der Apothekerkammer des Saarlandes, von der Landesapothekerkammer sowie dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg, wurde angenommen. Im Einzelnen gehören dazu: Den Apotheken wird bei der Auswahl der abzugebenden Arzneimittel ein größerer Entscheidungsspielraum eingeräumt. Im Rahmen des Entlassmanagements ist die Verordnung von Packungen mit dem größten Packungsgrößenkennzeichen möglich. Den Apotheken ist bei der Verwendung von Fertigarzneimitteln in parenteralen Zubereitungen die Abrechnung ihres tatsächlich vereinbarten Einkaufspreises gestattet, wenn der in der Hilfstaxe vereinbarte maßgebliche Einkaufspreis (Abrechnungspreis) beim Einkauf nicht erreicht werden kann. Im Apothekengesetz wird für eventuelle zukünftige Krisenlagen dauerhaft eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die es den zuständigen Behörden ermöglicht, Abweichungen von den Vorschriften des Apothekengesetzes zum Entlassmanagement sowie der Apothekenbetriebsordnung, zur Apothekenleitung, zum Personaleinsatz, zur Beaufsichtigung des Personals, zu den Räumlichkeiten, zur Prüfung von Ausgangsstoffen und Behältnissen, zur Qualität der Ausgangsstoffe und Behältnisse, zur Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln, zum Erwerb von Arzneimitteln durch Apotheken, zum Botendienst, zur Dokumentation und zur Dienstbereitschaft zu gestatten. Zudem spricht sich die Hauptversammlung mit diesem Antrag dafür aus, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Herstellung von Desinfektionsmitteln in Apotheken auch nach der Corona-Pandemie als Regelleistung aufrechterhalten bleibt.
Weiterentwicklung von Nacht- und Notdienst
Der Apothekerverband Westfalen-Lippe beabsichtigte, mit einem Antrag die Regelungen zum Botendienst klarzustellen, um kommerzielle Angebote für diese Apothekendienstleistung möglichst zu unterbinden. In dem von der Hauptversammlung angenommenen Antrag wird nun der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aufgefordert, in § 17 der Apothekenbetriebsordnung den Begriff „Bote der Apotheke“ durch den Begriff „Personal“ zu ersetzen. Die Antragsteller sehen im Begriff „Personal“ eine Person, die zwingend in einem weisungsgebundenen Arbeitsverhältnis zur Apotheke steht. Über diese Änderung in der Apothekenbetriebsordnung könnte und soll somit verhindert werden, dass Lieferdienste in Form von Kapitalgesellschaften auf den Markt drängen und dadurch den klassischen Botendienst der öffentlichen Apotheke schwächen.
Die Verbesserung der Rahmenbedingungen im Not- und Nachtdienst war Bestandteil in gleich fünf Anträgen. Die Absicht des ersten war die Erarbeitung einer Leitlinie der Bundesapothekerkammer, in der verbindliche Empfehlungen für die Lagerhaltung der Apotheken in Nacht- und Notdiensten gegeben werden. Eine der Antragsteller war Anke Rüdinger vom Berliner Apothekerverein. Sie erklärte: „Die Berliner Kollegen brauchen Unterstützung.“ Eine konkrete Liste sei eine solide Grundlage für einen funktionierenden Notdienst. Dieser Aussage widersprachen einige Delegierte. Eine Wortmeldung wies auf regionale und saisonale Unterschiede hin, die eine allgemeingültige Liste mit Präparaten der Bundesapothekerkammer unmöglich mache. Ein weiterer Delegierter sah die Gefahr, dass sich die Apotheker dadurch Pragmatismus und Freiheiten nehmen würden. Per Antrag zur Geschäftsordnung konnte schließlich erreicht werden, dass die Hauptversammlung zum nächsten Antrag überging.
Mit diesem Antrag der Apothekerkammer Westfalen-Lippe – ebenfalls bezogen auf Nacht- und Notdienste – sollte erreicht werden, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber den Apotheken zusätzlich zur gebotenen Verstetigung der erweiterten Austausch- und Abgabemöglichkeiten der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung und des § 17 Abs. 5a Apothekenbetriebsordnung mehr Möglichkeiten einräumt, verordnete Arzneimittel und Medizinprodukte auszutauschen, wenn diese nicht in der Apotheke vorrätig sind, wie die Abgabe eines pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittels (aut-simile) auch ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt, sofern dieser nicht erreichbar ist, sowie die Abgabe von vergleichbaren Verbandstoffen einer anderen Firma. In der anschließenden Diskussion wurde schnell die Frage nach Rechtssicherheit gestellt. Der Antrag wurde sodann in einen Ausschuss verwiesen.
Ebenfalls in den Ausschuss verwiesen wurde ein Antrag aus Westfalen-Lippe, mit dem die Apotheker den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber auffordern, den Apotheken in dringenden Fällen außerhalb der Praxisöffnungszeiten und im Notdienst die Abgabe von Dauermedikamenten an chronisch kranke Patienten ohne Vorlage einer ärztlichen Verschreibung zu ermöglichen, um eine Therapieunterbrechung zu vermeiden.
Mit einem gemeinsamen und von der Hauptversammlung angenommenen Antrag konnten die Apothekerkammer Hamburg sowie die Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz erreichen, dass der Gesetzgeber aufgefordert wird, geeignete Maßnahmen zum Schutz von notdiensthabenden Apothekerinnen und Apothekern vor bedrohlichen und belästigenden Anrufen zu ergreifen und umzusetzen.
Zukünftig könnte die Vorratshaltung bestimmter Arzneimittel der Notfalldepots zentralisiert werden. Apothekerkammer und Apothekerverband aus Schleswig-Holstein konnten mit ihrem Antrag eine knappe Mehrheit der Hauptversammlung überzeugen. Demnach wird der Gesetzgeber aufgefordert, die Verpflichtung zur Vorratshaltung bestimmter Arzneimittel in Apotheken zu überarbeiten. Die Bereitstellung von z. B. Botulismus-Antitoxin, Digitalis-Antitoxin, Diphtherie-Antitoxin und Schlangengift-Immunserum durch die Apotheken bzw. die Apothekerkammern sei nicht mehr praktikabel. Zielführender wäre eine deutschlandweit zentral koordinierte Vorratshaltung an ausgewählten Krankenhäusern der Maximalversorgung.
Kompetenz im Umgang mit Impfstoffen
Apothekerkammer und Apothekerverband Schleswig-Holstein stellten erfolgreich einen Antrag, wonach der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber und die Bundesregierung aufgefordert werden, die in der Verordnung des Bundesgesundheitsministers zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 10. März 2021, BAnz AT 11.03.2021 V2, getroffene Regelung, dass Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen Influenza mit einem inaktivierten, quadrivalenten Influenza-Impfstoff mit aktueller von der Weltgesundheitsorganisation empfohlener Antigenkombination haben, unbefristet zu verlängern.
Der Umgang mit Impfstoffen in der Apotheke wurde auch in einem Antrag der Apothekerkammer Westfalen-Lippe thematisiert. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) sind Apotheken im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs bei der Herstellung von Arzneimitteln von der Herstellungserlaubnispflicht befreit. Soweit es sich um die Herstellung von Impfstoffen handelt, greift die zugunsten der Apotheken geltende Ausnahme von der Herstellungserlaubnis nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG ausdrücklich nicht, § 13 Abs. 2a AMG. Die aktuelle gesetzliche Regelung sehen die Delegierten aus Westfalen-Lippe somit im Widerspruch zu dem Praxiserfordernis, die Herstellung von Impfstoffen in Apotheken zu ermöglichen. Es bestehe daher der Korrekturbedarf, die arzneimittelrechtliche Rechtslage an die Praxiserfordernisse anzupassen. Der Antrag wurde angenommen.
Perspektiven für die pharmazeutischen Dienstleistungen
Die Hauptversammlung sprach sich auch dafür aus, dass Patienten einen Rechtsanspruch auf ein interdisziplinäres, sektorübergreifendes Medikationsmanagement erhalten – aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Modellprojekt ARMIN. Dafür soll der Gesetzgeber die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, die es den beteiligten Professionen ermöglichen, diese Leistungen qualitativ hochwertig zu erbringen und die auch wirtschaftliche Anreize für eine entsprechende Erbringung setzen. Der Antrag wurde vom Geschäftsführenden ABDA-Vorstand gestellt.
Ein folgender Antrag der Apothekerkammer Nordrhein, der darauf abzielt, die honorierten, pharmazeutischen Dienstleistungen der Apothekenpflicht zu unterstellen, wurde in einen Ausschuss verwiesen. Dort soll die Forderung intensiver diskutiert und in die politischen Entscheidungswege eingebracht werden.
Dagegen konnten die Delegierten ihren zweiten Antrag aus diesem Themenkomplex erfolgreich in die Hauptversammlung einbringen. Unter dem Titel „Sicherstellung eines professionellen und konstruktiven interprofessionellen Dialogs zur Erfüllung des gesetzgeberischen Ziels der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL)“ sollte ursprünglich erreicht werden, dass die Ärzteschaft aufgefordert wird, federführend daran mitzuwirken, den zur Erfüllung des gesetzgeberischen Ziels der pharmazeutischen Dienstleistungen notwendigen professionellen und konstruktiven interprofessionellen Dialog sicherzustellen. Diskutiert wurde zunächst, inwiefern die von der Ärzteschaft geäußerte Ablehnung gegenüber den pharmazeutischen Dienstleistungen tatsächlich ein Problem der Ärztinnen und Ärzte an der Basis ist, oder ob es nicht eher als ein „Funktionärsproblem“ verstanden werden muss. Außerdem könne man niemanden, schon gar nicht einen ganzen Berufsstand, zum Dialog zwingen, warf Niedersachsens Kammerpräsidentin Cathrin Burs ein. Nach einer redaktionellen Änderung wurde der Antrag in seiner Formulierung abgemildert. Nun ist von einer Einladung die Rede. Außerdem wurde der Begriff „federführend“ gestrichen.
Diskussion des Rezeptur- und Defektur-Begriffs
Der Apothekerverband Westfalen-Lippe beabsichtigte, dass die Hauptversammlung den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber auffordert, für eine sinn- und zweckentsprechende Klarstellung oder Änderung der Gesetzeslage betreffend das Rezeptur- und Defekturprivileg zu sorgen. Ziel müsse es sein, die bestehenden, gravierenden Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, die durch verschiedene gerichtliche Entscheidungen offen zutage getreten sind. Als Ursache für diese Rechtsprechung nannten die Delegierten das konkurrierende Marktverhalten zwischen Herstellern von zugelassenen Fertigarzneimitteln und Herstellern von nahezu anwendungsfertigen Arzneistoffen, die durch die Apotheke z. B. nur noch umzufüllen und sodann unter dem Rezepturprivileg, d. h. ohne Zulassung nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz abzugeben sein sollten. In der Diskussion über diesen Antrag wurde darauf hingewiesen, dass der Landesapothekerverband Baden-Württemberg im Jahr 2018 bereits erfolgreich einen Antrag in den Deutschen Apothekertag einbrachte. Thomas Rochell vom Apothekerverband Westfalen-Lippe sprach sich dafür aus, den aktuellen Antrag nun in einem Ausschuss prüfen zu lassen. Die Hauptversammlung stimmte diesem Vorschlag zu.
Cannabis-Legalisierung: das Thema liegt (noch) in der Ferne
Im Hinblick auf die politisch angekündigte Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken beabsichtigte der Apothekerverband Nordrhein, dass der Gesetzgeber die legale Abgabe von Cannabis nur durch öffentliche Apotheken genehmigen solle. In der Hauptversammlung wurde dieser Antrag intensiv diskutiert. Nicht wenige Stimmen meinten, dass die angekündigte Cannabis-Legalisierung bisher überhaupt nicht konkret sei. Die Apothekerschaft solle nicht in voreiligem Gehorsam Flagge bekennen. Man befinde sich einerseits in einem heilberuflichen Zielkonflikt. Andererseits könne man nicht alternativ ein Monopol einfordern. „Genuss ist nicht unsere Baustelle“, so ein Delegierter. Über diesen Antrag sowie über einen weiteren Änderungsantrag zu diesem Thema aus Nordrhein wurde abgestimmt mit dem Ergebnis, dass man zum nächsten Antrag übergeht. Auch ein Ad-hoc-Antrag einiger Delegierter mit ähnlicher Zielsetzung im Rahmen einer möglichen Legalisierung („Sicherstellung der Versorgung der medizinischen Cannabinoid-Therapie und Erhalt der Kostenübernahme durch die GKV“) wurde per Abstimmung übergangen.
Augentropfen, Arzneimittelwerbung, Fachkräftemangel
In zwei einzelnen erfolgreichen Anträgen konnte die Apothekerkammer Berlin erreichen, dass pharmazeutische Unternehmer und Medizinproduktehersteller aufgefordert werden, für Zubereitungen zur Anwendung am Auge eine einheitliche Kennzeichnung (z. B. im Sinne eines einheitlichen Piktogramms) für die Verträglichkeit mit harten und weichen Kontaktlinsen auf der Verpackung anzubringen. Außerdem soll an einer dezidierten Stelle in die ABDA-Datenbank aufgenommen werden, ob Augentropfen mit harten und weichen Kontaktlinsen verträglich sind.
Dagegen wurde ein Antrag der Apothekerkammer Berlin abgelehnt, der den Gesetzgeber aufgefordert hätte, im Heilmittelwerbegesetz Einschränkungen für an Verbraucherinnen und Verbraucher gerichtete Werbung für Arzneimittel auf OTC-Arzneimitteln vorzusehen, soweit diese Arzneimittel zur Anwendung an Kindern vorgesehen sind. In der Diskussion wurde nicht deutlich und auch keine Beispiele genannt, was die Antragsteller unter emotionalisierter Werbegestaltung im Zusammenhang mit Arzneimitteln zur Anwendung bei Kindern konkret verstehen.
Die Apothekerkammer Nordrhein konnte per Antrag erfolgreich erwirken, dass die ABDA einen Aktionsplan Fachkräftemangel entwickeln soll.
Standespolitische Forderungen auf EU-Ebene
Und auch auf EU-Ebene wird sich die deutsche Apothekerschaft schließlich mit standespolitischen Forderungen einbringen: Der Geschäftsführende ABDA-Vorstand stellte zwei Anträge erfolgreich zur Abstimmung. Im ersten geht es um die „Novellierung der EU-Arzneimittelrichtlinie“. Demnach fordert die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker die EU-Kommission auf, bei der bevorstehenden Novellierung des EU-Arzneimittelrechts an der Rechtsform der bestehenden Richtlinie festzuhalten und diese nicht durch eine Verordnung zu ersetzen.
Die Überarbeitung der Vorschriften müsse sich an dem übergeordneten Ziel ausrichten, die flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung in Europa sicherzustellen. Hierzu gehörten insbesondere die Vermeidung von Lieferengpässen und die Stärkung der legalen Versorgungskette.
Der zweite Antrag – adressiert an das Europäische Parlament, den Deutschen Bundestag, die Bundesländer und die Bundesregierung – zielt ganz grundlegend darauf ab, Bestrebungen zur Änderung der bestehenden Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten im Gesundheitsbereich eine klare Absage zu erteilen. |
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