Foto: DAZ/Alex Schelbert

Deutscher Apothekertag 2022

„Ich hätte Ihnen diese Belastung gern erspart“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will Lasten fair verteilen

ks | Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würdigte beim Deutschen Apothekertag die Leistungen der Apotheken in der Pandemie und darüber hinaus. Sie seien zentrale Dienstleister im Gesundheitssystem, erklärte er in seinem Grußwort, für das er digital nach München zugeschaltet war. Doch er bat auch um Verständnis für die geplante Erhöhung des Kassenabschlags in den kommenden beiden Jahren – und versprach, den Apotheken in dieser Zeit neue Perspektiven zu eröffnen.

Das Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz hinderte Lauterbach vergangene Woche Mittwoch persönlich zum DAT anzureisen. Er musste den Gesetzentwurf durchs Kabinett bringen. Doch der Minister versicherte den Delegierten von der großen Leinwand aus, dass er „sehr, sehr gerne“ ge­kommen wäre. „Das können Sie mir glauben!“ Nächstes Jahr werde er auf jeden Fall dabei sein.

Wie zuvor schon ABDA-Präsidentin Gabriele Regina ­Overwiening sprach auch Lauterbach das erste gemeinsame Gespräch am Freitag vor dem DAT an. Er habe dieses als sehr gewinnbringend und ehrlich empfunden – als einen Austausch, wie auch er ihn weiter pflegen wolle.

„Fantastische Leistung“

Sodann hatte der Minister einige warme Worte für die Apothekerinnen und Apotheker im Gepäck. Es sei ihm ein besonderes Anliegen, ihnen für alles zu danken, das sie in der Pandemie geleistet haben. Dieser Beitrag werde von vielen unterschätzt – „aber ich habe ihn wahrgenommen“. Erbracht hätten die Apotheken ihn zum Teil unter Inkaufnahme wirtschaftlicher wie auch gesundheitlicher Risiken – eine „fantastische Leistung“, so Lauterbach. Er dankte für die Aufrechterhaltung der Testzentren und die Beteiligung an der Impfkampagne. Kurzum: Dass Deutschland relativ gut durch die Pandemie gekommen sei, sei auch den Apotheken zu verdanken.

Zentrale Dienstleister im Gesundheitssystem

Lauterbach betonte, er habe immer die Auffassung vertreten, dass in Apothekern bzw. Apotheken ein großes Potenzial stecke. Ihre heilberuflichen Kompetenzen müsse man nutzen, sie seien „unverzichtbar“. Gerade in Zeiten, da so manche Gesundheitsberufe rar werden, seien Apotheken als Einrichtungen wichtig. „Für mich sind Apotheken zentrale Dienstleister in unserem Gesundheitssystem, deren Aufgaben ausgedehnt werden können und müssen“, so Lauterbach. Man brauche sie auch in unterversorgten Gebieten – und das mit Leistungen, die der Versandhandel nicht erbringen könne.

Daher wolle er die Apotheken stärken – über die Arzneimittelausgabe hinaus. Er könne sich mehr Präventionsleistungen vorstellen – im kommenden Herbst und Winter setzt der Minister zunächst erneut auf ihre Impfangebote gegen ­COVID-19 und Grippe. Daher habe er auch gleich zu Beginn seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass die Grippeschutzimpfung Regelleistung der Apotheken wird und die Berechtigung für COVID-19-Impfungen verlängert wird. Zudem sieht Lauterbach großes Potenzial in weiteren pharmazeutischen Dienstleistungen. Die, die es schon gebe, seien bei den Apotheken in guter Hand. Sie seien aber nur ein Beginn.

Der Minister sprach auch Paxlovid an – für die Apotheken ein Reizthema: Man habe hier unkonventionell und schnell handeln müssen. So sei es zum Dispensierrecht für die Hausärzte gekommen. Eine weitere Ausdehnung dieses Dispensierrechts sei aber nicht sinnvoll und auch nicht vorge­sehen, betonte er. Es liege exklusiv in den Händen der Apotheker. Paxlovid sei eine Ausnahme.

Spargesetz: Lauterbach beharrt auf ­Effizienzreserven

Was das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz betrifft, so machte Lauterbach deutlich, dass dies auch für ihn ein schwieriges Gesetz sei. Es müsse ein strukturelles Defizit abgebaut werden, das er von seinem Vorgänger geerbt habe. Sein Ansatz sei, die Lasten fair zu verteilen. Es gebe zum einen Beitragserhöhungen sowie ein Darlehen und einen Zuschuss des Bundes. Aber auch Einsparungen seien nötig: Bereinigt werde bei Pflegekosten, es gebe Änderungen bei der Arzneimittelbewertung – und eben den für zwei Jahre erhöhten Kassenabschlag für Apotheken. „Ich weiß, dass das eine Mehrbelastung ist, die begründungspflichtig ist.“ Doch er bitte um Verständnis, „dass wir hier die Effizienzreserven heben müssen“. Sehr gern hätte er den Apotheken die Belastung erspart, aber er habe sie letztlich ungefähr gleich verteilen müssen.

Reaktionen auf Karl Lauterbach

Die DAZ-Redaktion hat im Anschluss an die Rede des Bundesgesundheitsministers einige Reaktionen aus dem Auditorium per Video eingefangen. Wenn Sie wissen wollen, wie die Rede bei Anke Rüdinger (Berlin), Thomas Rochell (Westfalen-Lippe) und Jens Dobbert (Brandenburg) sowie Julian Held vom BPhD ankam, schauen Sie auf DAZ.online vorbei und geben Sie den Webcode M5AX8 in die Suchmaske ein.

Kompensation durch Hochpreiser?

Zugleich versicherte Lauterbach, alles dafür zu tun, den Apotheken in dieser Zeit neue Perspektiven zu eröffnen, zum Beispiel beim Impfen und weiteren pharmazeutischen Dienstleistungen. Zudem gehe er davon aus, „dass Sie bei der Zunahme der Zahl der hochpreisigen Arzneimittel nochmals eine Entlastung hinbekommen“. Hier komme der ­ungedeckelte prozentuale Zuschlag zur Wirkung. Nun hoffe er, dass das Defizit bald beseitigt sei und man bessere Zeiten vor sich habe.

E-Rezept: Freie Apothekenwahl wird nicht ­angetastet

Zum Ende seines Grußwortes zeigte sich der Minister noch beeindruckt, wie schnell die Apotheken bereit gewesen seien, das E-Rezept voranzubringen. Ausdrücklich dankte er für ihre Unterstützung. Noch arbeite man an Möglichkeiten, die Nutzung in der Fläche zu verbessern. Grundsätzlich seien aber die Wege des E-Rezepts, wie es sie jetzt gebe, die, die er sich wünsche. Wichtig sei ihm, dass durch das E-Rezept die freie Apothekenwahl nicht angetastet werde. „Einfach da für dich“ – diesen Claim der ABDA zum E-Rezept sieht der Minister keinesfalls gefährdet.

Das Auditorium hakt nach

Im Anschluss an sein Grußwort blieb noch Zeit für einige Anmerkungen und Fragen. So machte etwa die hessische Kammerpräsidentin Ursula Funke dem Minister deutlich, dass sein Lob für die Apotheken zwar schön sei, bei den Apotheken aber keine Effizienzreserven mehr zu generieren seien. „Wir brauchen mehr Geld im System – und Sie wollen es uns wegnehmen“, hielt sie Lauterbach vor. Wenn er die Strukturen erhalten wolle, müsse er sie schützen und weiterentwickeln. Für das Statement erhielt sie reichlich Applaus.

Lauterbach hingegen versicherte: „Wir werden nichts unternehmen, von dem wir ausgehen, dass es die Apothekenversorgung gefährdet.“ Er bat erneut um Verständnis, dass man sich bemüht habe, maßvoll vorzugehen und alle Schultern gleichmäßig zu belasten. Die Alternative zu den Ein­sparungen bei den Leistungserbringern wäre ein höherer Steuerzuschuss gewesen. Doch der sei mit der FDP und unter Einhaltung der Schuldenbremse nicht möglich gewesen.

Über Entlastungen müsste der ­Wirtschaftsminister nachdenken

Die Situation in den Apotheken sei sicher schwierig – doch es gebe viele Freiberufler, für die es noch schwerer sei, sagte Lauterbach. Im Fall der Fälle werde man aber über alles nachdenken müssen – der Wirtschaftsminister sei dann ­zuständig für alle wirtschaftlichen Bereiche Entlastungsmöglichkeiten zu überdenken.

Eine Nachfrage gab es auch zu den von ihm angesprochenen Entlastungen aufgrund der Hochpreiser. Hier ergänzte Lauterbach, dass davon auszugehen sei, dass sowohl die Preise als auch das Volumen der entsprechenden Verordnungen steigen werden – man könne also von einer „stabilen und wachsenden Einnahmebasis“ sprechen. Auf eine weitere Bemerkung, ob ihm wirklich aktuelle Daten hierzu vorlägen, erklärte Lauterbach, er werde diese nochmals prüfen.

Pharmaziestudium – keine Sache des BMG?

Julian Held, Beauftragter für Gesundheitspolitik des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden, wollte von Lauterbach wissen, für wie notwendig er eine Erneuerung des Pharmaziestudiums hält. Dazu erklärte der Minister, er persönlich fände es richtig, wenn das Studium mehr auf die Versorgung ausgerichtet würde. Er sei hier geprägt durch seine Erfahrungen in den USA, wo er erlebt habe und noch immer sehe, welche Bedeutung Apotheken dort für die Versorgung hätten. Er würde sich auch in Deutschland „mehr medizinische Dienstleistungen“ von Apotheken wünschen, die auch zu honorieren wären. Mit der Vorbereitung hierauf könnte auch das Studium interessanter gemacht werden. Dann verwunderte Lauterbach mit der Aussage, nicht für die Ausbildung der Apotheker zuständig zu sein.

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Otto Quintus Russe von der Apothekerkammer Hessen ­demonstrierte mit Testkäufen, wie einfach es gelingt, verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet ohne Arzt- und Apothekerkontakt zu beziehen.

Internetblüten: Probleme bekannt

Otto Quintus Russe vom Vorstand der Apothekerkammer Hessen konfrontierte Lauterbach mit einigen Arzneimittelpackungen, die er lediglich nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens erhalten habe – darunter Tramadol oder auch EllaOne. Letzteres darf als Notfallkontrazeptivum nach deutschem Recht nicht per Versandhandel abgegeben werden. Wie gehe Lauterbach gegen solche „Blüten“ im Internet vor? Der Minister erklärte, ihm seien die „Sicherheitsprobleme durchweg bekannt“. Daran arbeite man und werde das Problem lösen. Lauterbach zufolge geschieht dies gemeinsam mit der Gematik, er ließ aber allerdings offen, wie die Gematik in solchen Fällen helfen könnte.

Gesundheitskioske kommen

Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, lud Lauterbach ein, ihm gerne mal in der Apotheke zu erklären, „wie die Preisbildung in Apotheken funktioniert“. Zudem hakte sie in Sachen Gesundheitskioske nach: Sollte man hier nicht erst einmal die Apotheken nutzen, ehe man neue, teure Strukturen aufbaue? Hier stellte der Minister klar: Die Preisbildung habe er in den vergangenen 20 Jahren genau beobachtet und teilweise als Berater seiner Amtsvorgängerin Ulla Schmidt selbst entwickelt – offenbar glaubt er nicht, hier Nachhilfe zu benötigen. Was die Gesundheits­kioske betrifft, so erklärte er, dass diese kommen werden. Sie würden nicht „gegen die Apotheken“ gemacht, sondern böten Apotheken vielmehr die Möglichkeit, anzudocken. Hier gehe es darum, Vorbeugeleistungen in Brennpunktgebieten anzubieten, Hilfe zu leisten bei der Vermittlung von Terminen und etwa zu Pflegefragen oder der Hebammenversorgung zu beraten.

Zum Abschluss zeigte sich ABDA-Präsidentin Overwiening erneut zuversichtlich, künftig gemeinsam „gute und kreative Weichen“ stellen zu können. Lauterbach habe die Apotheken an seiner Seite, wenn er ihre Kompetenzen nutzen wolle. Allerdings müsse der Minister ein Wort im Zusammenhang mit Apotheken aus seinem Wortschatz ausradieren: die „Effizienzreserven“. Diese gebe es einfach nicht. |

 

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