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Seqens nutzt alten Rhodia-Standort
Umweltfreundliches Paracetamol aus Frankreich ab 2025 – Lösung für Lieferengpässe?
Ab 2024 will das französische Unternehmen Seqens – im Probebetrieb – wieder mit einer europäischen Paracetamol-Wirkstoff-Produktion an den Start gehen. Finanzielle Starthilfe gibt es dafür vom französischen Staat, das berichtet die „Wirtschaftswoche“. Doch wird Europa so tatsächlich unabhängiger von Zulieferern aus China und Co.?
Erst kürzlich riet die europäische Arzneimittelbehörde EMA zu EU-weiten Kampagnen, um das Bewusstsein für Arzneimittel-Engpässe zu schärfen. Doch eigentlich ist das Problem bereits auf allen Ebenen bekannt. Durch Engpässe wie bei den Paracetamol- und Ibuprofen-Säften werden auch Patient:innen und Publikumsmedien immer wieder darauf aufmerksam. Wer jedoch wie gegen die Arzneimittel-Engpässe aktiv werden soll, darüber sind sich Industrie, Politik und Krankenkassen nicht einig. Wer macht den ersten Zug?
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Vergangenen Montag hat die „Wirtschaftswoche“ sich des Themas Paracetamol-Engpass angenommen. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf den Teilaspekt der Engpass-Problematik, dass Wirkstoffe mittlerweile kaum noch in Europa hergestellt werden – und somit eine Rückverlagerung der Wirkstoffherstellung nach Europa eine Lösung sein könnte. Ganz konkret soll laut der „Wirtschaftswoche“ Paracetamol künftig im großen Stil wieder in Frankreich hergestellt werden. Und zwar ab 2024 in Roussillon südlich von Lyon – an einem Standort, an dem bis 2008 schon einmal europäisches Paracetamol hergestellt wurde. Damals von dem französischen Konzern Rhodia. Ab 2024 will das französische Unternehmen Seqens dort – im Probebetrieb – wieder mit einer europäischen Paracetamol-API-Produktion an den Start gehen (API = active pharmaceutical ingredient = Wirkstoff). Allerdings mit einem komplett neuen Verfahren, das sich Seqens auch hat patentieren lassen: Es soll umweltfreundlicher sein. Der Ausstoß von Kohlendioxid soll sich um 75 Prozent reduzieren, Abwässer soll es fast keine mehr geben. 2025 soll die industrielle Produktion beginnen. Wie das neue Verfahren genau funktioniert, verrät Seqens nicht. Doch wie die „Wirtschaftswoche“ erklärt, sollen die chemischen Reaktionen bei der Herstellung im Durchfluss durch kleine Röhren stattfinden – bei einem Durchmesser im Millimeter- oder Mikrometerbereich.
Neue Umweltstandards beendeten Paracetamol-Produktion in Europa
Tatsächlich endete die Paracetamol-Produktion in Frankreich und damit in Europa 2008 aufgrund der damals neu geltenden Umweltstandards, erläutert die „Wirtschaftswoche“. Die Kosten für an die Umweltstandards angepasste Herstellungsverfahren sollen zu hoch gewesen sein. 100 Millionen Euro sollen auch jetzt die Entwicklung des Verfahrens und der Bau der Fabrik kosten. Der französische Staat wolle aber 30 Prozent davon übernehmen. Präsident Emmanuel Macron hätte dazu gerne auch finanzielle Unterstützung aus der EU. Dort gibt es aber Zweifel, ob der Bau wirklich im europäischen oder vor allem französischen Interesse geschieht. Noch steht die Baugenehmigung übrigens aus, sie soll aber eine Formsache sein.
Vielleicht zeigt der französische Fall, dass sich nicht zuerst die Industrie oder die Politik oder die Krankenkassen bewegen sollten, sondern alle gemeinsam einen Kraftakt gegen Arzneimittel-Lieferengpässe unternehmen müssen.
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Auch deutsche Expert:innen halten die Rückholung der Wirkstoffproduktion nach Europa grundsätzlich für möglich und staatliche Unterstützung für nötig, wie in der DAZ 18/2020 zu lesen war. Wichtig sei jedoch, dass man sich nicht nur auf den Teil der Wirkstoffsynthese fokussiert, sondern auch die Herstellung der Startmaterialien selbst sowie weitere notwendige Genehmigungen berücksichtigt. Denn noch viel seltener als die Wirkstoffproduktion in Europa sei die Produktion von Startmaterialien für die Wirkstoffsynthese. Es reicht also nicht, nur den Teil der zulassungsrelevanten Wirkstoffsynthese nach Europa zurückzuverlegen – es muss an weitere Teile der Wertschöpfungskette gedacht werden. Sonst mache man sich weiterhin abhängig von anderen Ländern.
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Ein Beispiel aus der DAZ 29/2022: „2015 beschloss die chinesische Regierung drastische Umweltauflagen, und die Anzahl von Spezialchemie-Produzenten für kritische Ausgangsmaterialien sank in kurzer Zeit von 5065 auf 4176 Unternehmen in China. Betroffen war unter anderem auch Anhui Bayi Chemical, ein Produzent der Synthesevorstufe Nitrochlorobenzen für Paracetamol. Infolge dieses politisch bedingten Ausfalls stieg der Weltmarktpreis für Paracetamol signifikant an“, erklärte Dr. Uwe Weidenauer in seinem Beitrag. Er hat in verschiedenen Positionen in Forschung und Entwicklung sowie als Herstellungsleiter in der Pharmaindustrie gearbeitet. Aufgrund von Skaleneffekten sollen chinesische Produzenten die globale Kostenführerschaft bei unzähligen kritischen Ausgangsmaterialien erlangt haben, wie 4-Aminophenol (Paracetamol-Synthese), Dicyandiamid (Metformin-Synthese) oder auch 6-Aminopenicillansäure zur Synthese für eine ganze Palette von Beta-Lactam-Antibiotika, unter anderem Amoxicillin.
Wenn nun also ab 2025 jährlich 10.000 Tonnen Paracetamol aus Frankreich kommen, und die Produktion so tatsächlich den europäischen Verbrauch um etwa ein Drittel decken kann, klingt das zunächst nach viel. Aber vielleicht ist es angesichts der Vielzahl an anderen benötigten Wirkstoffen und noch mehr benötigten Ausgangsmaterialien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch so oder so ist die Wirkstoffproduktion in Europa begrüßenswert, wenn dadurch höhere Umweltstandards eingehalten werden.
Den Vertrieb von dem in Frankreich hergestellten Paracetamol sollen übrigens die Unternehmen Upsa und Sanofi übernehmen.
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