Prävention

Lieferengpässe – was Patienten und Apothekerinnen laut EMA dagegen tun können

Stuttgart - 02.08.2022, 12:15 Uhr

Patient:innen sollen Ärzte und Ärztinnen sowie Apotheker:innen nicht um mehr Arzneimittel bitten, als benötigt werden. (x / Symbolfoto: Celt Studio / AdobeStock)

Patient:innen sollen Ärzte und Ärztinnen sowie Apotheker:innen nicht um mehr Arzneimittel bitten, als benötigt werden. (x / Symbolfoto: Celt Studio / AdobeStock)


Lieferengpässe sind in Apotheken ein Dauerbrenner und geraten aktuell aufgrund der Engpässe bei Fiebersäften wieder verstärkt in den Fokus. Dass sich etwas ändern muss, da sind sich eigentlich alle einig – vor allem von Politik und Pharmaindustrie wird erwartet, endlich tätig zu werden. Doch könnten auch Patient:innen und die Angehörigen der Gesundheitsberufe aktiv zur Verhinderung von Lieferengpässen beitragen? Die EMA meint ja, und gibt Empfehlungen.  

Am 15. Juli hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA einen Leitfaden veröffentlicht zur Verhinderung und Bewältigung von Engpässen bei Humanarzneimitteln. Dieser richtet sich nicht – wie man vielleicht erwarten würde – an die Industrie und Behörden, sondern an Patientenorganisationen und Organisationen der Gesundheitsberufe.

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Ursachen für Engpässe laut EMA:

  • Herstellungsprobleme, die zu Verzögerungen oder Unterbrechungen in der Produktion führen
  • Rohstoffmangel
  • Erhöhte Nachfrage nach Arzneimitteln
  • Verteilungsprobleme 
  • Arbeitsunterbrechungen
  • Naturkatastrophen

Nun weiß auch die EMA, dass Patient:innen und Angehörige der Gesundheitsberufe am Ende der Lieferkette stehen – ihre Möglichkeiten, Lieferengpässen vorzubeugen, also beschränkt sind. Dennoch sind im Leitfaden drei Schlüsselempfehlungen enthalten, die sich an beide Gruppen richten:

  • Einrichten von Beobachtungsstellen in Zusammenarbeit mit nationalen Behörden.
  • Entwickeln von Kriterien und Wegen, um Register essenzieller und kritischer Arzneimittel zu erstellen – in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden.
  • EU-weite Kampagnen, um das Bewusstsein für Engpässe zu schärfen und Informationen über aktuelle Lieferengpässe zu verbreiten – auch zu Risiken der Vorratshaltung und sicheren Verwendung von alternativen Arzneimitteln.

Dabei zieht sich die EMA selbst nicht aus der Verantwortung. Sie hat am 8. Juli eine Liste der therapeutischen Hauptgruppen veröffentlicht, die in einer Krise wichtig sind (MTG = main therapeutic groups, dahinter steht die Medicines Shortages Steering Group, MSSG). Die MTG-Liste für die Notfallversorgung, chirurgische Versorgung und Intensivbehandlung soll die Basis für zukünftige Listen bilden. Während sie selbst noch zu keinen neuen Verpflichtungen führt, sollen darauf basierende zukünftige Listen zu kritischen Arzneimitteln Meldepflichten zur Folge haben. Auf der aktuellen Liste befinden sich lediglich übergeordnete Arzneimittelgruppen wie Analgetika und Impfstoffe.

Erarbeitet wurden die Empfehlungen gemeinsam mit den Mitgliedsorganisationen der EMA, der „Patients‘ and Consumers‘ Working Party“ (PCWP) und der „Healthcare Professionals‘ Working Party“ (HCPWP). Manche der Empfehlungen wurden bereits vereinzelt in EU-Mitgliedstaaten umgesetzt, was am Ende der neuen Leitlinie nachvollzogen werden kann. 

Mehr Transparenz für Apotheker

In einem „Infosheet“ finden sich, neben den drei bereits erwähnten Punkten, auf der Seite der Organisationen der Gesundheitsberufe fünf weitere Empfehlungen:

  • Melde-, elektronische Verordnungs- und Warnsysteme sollen miteinander verbunden sein, um die Arbeitsbelastung zu minimieren und den Informationsfluss zu optimieren – wieder in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden.
  • Transparenz in der Lieferkette soll gefördert werden, und zwar damit Apotheker:innen einfacher alternative Lieferanten identifizieren können.
  • Es soll mit Gesundheitsbehörden zusammengearbeitet werden, um bei Bedarf Maßnahmen gegen die Bevorratung mit Arzneimitteln zu ergreifen.
  • Zusammen mit den Gesundheitsbehörden sollen dosissparende Leitlinien erarbeitet werden.
  • Angehörige der Gesundheitsberufe sollen außerdem ermutigt werden, Risikobewertungen für Engpässe mit hoher klinischer Bedeutung durchzuführen.

Patient:innen rät die EMA in einem extra Info-Karten-Format,

  • Ärzte und Ärztinnen sowie Apotheker:innen nicht um mehr Arzneimittel zu bitten, als benötigt werden.
  • Sie sollen ihre Ärzte und Ärztinnen nach Informationen zu alternativen Arzneimitteln fragen.
  • Zudem sollen sie selbst regelmäßig verfügbare Engpass-Kataloge zurate ziehen.

All diese Vorschläge sind nicht (bahnbrechend) neu, doch vielleicht hilft es ja, wenn sie einmal offiziell von einer europäischen Behörde kommuniziert werden. 

Erst kürzlich plädierte auch die Seite der Industrie, genauer gesagt der Branchenverband Pro Generika, für die Etablierung eines Frühwarnsystems gegen Lieferengpässe in Deutschland. Pro Generika stehe bereit, „wenn sich die Politik des Themas annehmen will“, hieß es. Vielleicht müssen die Organisationen der Patient:innen und Gesundheitsberufe also mehr Druck als bisher auf die Politik ausüben?


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Engpass forte

von Karl Friedrich Müller am 02.08.2022 um 12:19 Uhr

gibt es Engpässe wird die Situation durch das Hamsterverhalten noch verstärkt.
Kunden wie Apotheken versuchen sich ein Depot zu schaffen, das vielleicht auch mal etwas zu groß ausfällt.
Es bräuchte einen Mechanismus, der gewährleistet, dass diese Produkte möglichst breit verteilt werden.
Ist vermutlich unmöglich.

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