Hüffenhardt-Urteil im Wortlaut

Richter: DocMorris bietet nicht die gleichen Garantien wie Apotheker

Berlin - 13.05.2019, 17:50 Uhr

Nicht die Garantie, die ein echter Apotheker bietet: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe erklärt seine Rechtsauffassung in Sachen Versandhandel und Apotheken-Automat. (c / Foto: diz)

Nicht die Garantie, die ein echter Apotheker bietet: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe erklärt seine Rechtsauffassung in Sachen Versandhandel und Apotheken-Automat. (c / Foto: diz)


Die Strategie von DocMorris mit dem Hüffenhardter Arzneimittel-Automaten war klar: Vom Gericht wollten sich die Niederländer bestätigen lassen, dass es sich bei der Abgabe um eine Spielart des Versandhandels handelt und daher zugelassen ist. Die Richter des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe folgten dieser Rechtsauffassung nicht und bestätigen die behördliche Schließung des Automaten. Ihre Urteilsgründe sind ein Plädoyer für die regulierten Apothekenstrukturen. Die Versorgung über DocMorris könne gar nicht der Qualität der Vor-Ort-Apotheken entsprechen. Auch ein Rx-Versandverbot hielten die Richter für gerechtfertigt.

Anfang April hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage von DocMorris abgewiesen, mit der sich der Versender gegen das behördliche Verbot gewendet hatte, apothekenpflichtige Arzneimittel über einen Automaten in Hüffenhardt abzugeben. Zur Erinnerung: Die Niederländer hatten im Frühjahr 2017 einen Automaten in der ehemaligen Hüffenhardter Apotheke eröffnet, aus dem die Kunden Rx- und OTC-Medikamente erhalten konnten. Auch eine Video-Beratung gab es, ein „Welcome-Manager“ half den Kunden beim Bedienen des Geräts. Doch schon nach kurzer Zeit folgten die behördlichen Schließungsanweisungen des Regierungspräsidiums.

DocMorris verfolgte im darauf folgenden Gerichtsverfahren, in dem die Niederländer gegen die Schließung klagten, die Strategie, den Automaten als Versandhandel zu definieren. Womöglich ging es darum, weitere solche Automaten zu öffnen. Denn: Wenn das Gericht das Abgabegerät als einen Teil der DocMorris-Versand-Strategie gesehen hätte, wäre das ein Freibrief für weitere Automaten in Orten gewesen, die keine oder nur noch wenige Apotheken haben.

Aus dem Urteil, das DAZ.online nun im Wortlaut vorliegt, geht aber hervor, dass die Richter des Verwaltungsgerichtes dieser Ansicht in keiner Weise folgten. Um zu verdeutlichen, dass DocMorris in Hüffenhardt keinen Versandhandel betrieb, nähern sich die Richter in ihrer Begründung dem Begriff „Versandhandel“ gleich in mehrfacher Weise. Denn: Der Begriff des „Versandes“ oder des „Versandhandels“ ist gesetzlich nicht näher definiert. Bezogen auf den Wortlaut analysieren die Richter den Eintrag des Wortes „Versandhandel“ im Brockhaus-Lexikon. Und schon hier scheitert DocMorris. Denn: „Bei der von der Klägerin angebotenen Abgabe von Arzneimitteln handelt es sich ausgehend vom Wortlaut jedenfalls bereits deshalb nicht um einen Versandhandel, da dem Kunden aufgrund der geringen Zeitspanne von weniger als einer Minute zwischen Kauf und Übergabe der Arzneimittel die Möglichkeit der direkten Mitnahme der gekauften Waren gegeben wird.“

Und auch aus systematischer Sicht liegen den Richtern zufolge keine Gründe vor, der Rechtsauffassung des EU-Versenders zu folgen. Denn: Nach einer „systematischen Auslegung“ kann es hierbei nicht um einen Versand gehen, da zum Zeitpunkt des Grenzübertritts der Arzneimittel ein Endverbraucher nicht objektiv feststeht. Schließlich könnten einzelne nach Hüffenhardt gelieferte Arzneimittel auch schlichtweg nicht gekauft werden. Weiterhin gebe es bei der DocMorris-Videoberatung nicht die Möglichkeit, die Packungen vor der Abgabe ausreichend zu prüfen. Konkret geht es den Richtern dabei um eine „äußere Sichtkontrolle“, die „im Gegensatz zu einer Kontrolle durch einen Apotheker in dessen Apothekenräumen ungenügend“ ist. Insbesondere heben die Richtern auf das Verfallsdatum ab. Dieses befinde sich auf der Seite oder Rückseite der Packung und sei daher per Videosichtkontrolle nicht einsehbar.

Gericht: 3-D-Effekt bei Rezeptprüfung erforderlich

Auch was die Weiterreichung der Rezepte betrifft, sieht das Verwaltungsgericht Karlsruhe gleich mehrere Probleme hinsichtlich des Verbraucherschutzes. Denn: „Die Kontrolle der Verschreibung über den eingebauten Scanner erscheint gegenüber deren Kontrolle im Original als weniger sicher. Die Echtheit der ärztlichen Verschreibung kann mittels des Videoterminals nicht hinreichend wirksam geprüft werden.“ Man könne nicht erkennen, ob es sich um eine Kopie oder um ein Original handelt, wenn das Rezept nur auf dem Bildschirm einsehbar ist. Wichtig sei der „durch die Unterschrift entstehende ‚3-D-Effekt‘.

Vielmehr geht das Gericht in seinem Urteil davon aus, dass DocMorris in Hüffenhardt illegalerweise eine Apotheke betrieben hat. Allein schon die Außenwirkung des Namen „DocMorris“ spreche dafür: Denn die Kunden bringen diesen Namen nicht automatisch mit dem Versandhandel in Verbindung. Die Richter erinnern hier an das (ehemalige) Franchise-Netzwerk. Die DocMorris-Strategie sei darauf angelegt, als Präsenzapotheken wahrgenommen zu werden. Aber auch die „konkrete Ausgestaltung“ der Räumlichkeiten in Hüffenhardt zeigt, das DocMorris „zielgerichtet nur Kunden aus dem Einzugsbereich“ gewinnen wollte. Und weiter: „Der Anschein einer Präsenzapotheke wird noch dadurch verstärkt, dass sich das Medikament, bevor der Kunde es bezahlt, bereits für den Kunden sichtbar hinter einer Glasscheibe befindet.“ Der Versandhandel läuft den Richtern zufolge anders ab: Dort zahlt der Kunde zuerst, dann sieht er sein Produkt.

Richter: DocMorris benutzt Unionsrecht missbräuchlich

In ihren Urteilsgründen erklären die Richter aber nicht nur, warum die juristische Strategie der Niederländer, den Automaten als Versandhandel darzustellen, fehlgeschlagen ist. Sie gehen weiter und greifen gleich mehrere Punkte auf, um die es seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung in der politischen Debatte geht. Da wäre zunächst der klare Vorwurf des Verwaltungsgerichtes, dass DocMorris sehr gerne mit dem Europarecht („Unionsrecht“) argumentiert, dies aber „rechtsmissbräuchlich“ tue. Heißt konkret: Der Konzern benutzt das Europarecht, um seine Strategie zu rechtfertigen. Die Richter erklären: „Die Anwendung der Unionsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.“

Im Umkehrschluss bedeutet das für die Karlsruher Richter auch, dass sich DocMorris nur die Rechte und Möglichkeiten einer Vor-Ort-Apotheke sichern möchte – ohne aber deren Pflichten zu erledigen. Wörtlich heißt es dazu im Urteil: „Die Klägerin will dem Kunden mit ihrer in Hüffenhardt angebotenen Arzneimittelabgabe unter Konstruktion eines Versandhandels alle Vorteile einer Präsenzapotheke, insbesondere die Möglichkeit der unmittelbaren Mitnahme von Arzneimitteln nach einer persönlichen Beratung, verschaffen, ohne die hierdurch entstehenden Nachteile tragen zu müssen, die mit einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis einhergehen.“

Dass eine solche „künstliche“ Konstruktion des Versandhandels in Hüffenhardt vorliegt, wird so begründet:


Insbesondere lässt aber die durch die Klägerin als „Versendung“ bezeichnete Beförderung der Arzneimittel auf dem Förderband den Schluss zu, dass ein Versandhandel künstlich konstruiert wird. Die Arzneimittel werden durch einen Automaten aus dem Lager geholt und auf ein Förderband gelegt, das das Arzneimittel zum Kunden befördert. Nichts anderes geschieht in einer Präsenzapotheke, wenn der Apotheker das gewünschte Arzneimittel aus dem Lager anfordert. Allein aus dem Umstand, dass das Förderband nicht durch einen persönlich anwesenden Apotheker, sondern durch einen Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten bzw. Apotheker über das Internet gesteuert wird, folgt aber nicht zwangsläufig, dass es sich um einen Versandhandel handelt. Vielmehr wird ein Versandhandel vorliegend künstlich erschaffen.“

Urteil des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe


Richter: Fachkunde benötigt bei Arzneimittel-Abgabe

Und selbst wenn man akzeptierte, dass das Hüffenhardt-Modell nur eine Spielart des Versandhandels ist, dann wäre es aus Sicht der Richter immer noch ein unzulässiger Versandhandel. Denn: „Die deutschen Vorschriften zum Versandhandel müssen auch ohne deutsche Versandhandelserlaubnis eingehalten werden. Auch mit der Nennung des Herkunftslandes auf der Länderliste ist die EU-Apotheke nicht von der Einhaltung der sonstigen apotheken- und arzneimittelrechtlichen Vorschriften befreit.“ Dass DocMorris das nicht gewährleisten kann, erklären die Richter am Beispiel der BtM-Abgabe. Denn laut Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) muss der Apotheker auf der Verschreibung das Abgabedatum und das Namenszeichen des Abgebenden dauerhaft vermerken. „Das System der Klägerin kann dies nicht gewährleisten.“

Aber ist ein Eingriff in das DocMorris-Modell auch verfassungsrechtlich möglich? Die Richter kommen bei dieser Frage klar zu dem Schluss: „Der Eingriff ist jedenfalls gerechtfertigt.“ Schließlich sei die Abgabe von Arzneimitteln Apothekern vorbehalten. Denn: „Auch bei industriell hergestellten Spezialitäten wird eine besondere Fachkunde gefordert.“ Und: „Die Apotheke soll unter der Leitung des unabhängigen, eigenverantwortlichen Apothekers stehen; ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG ist aufgrund dieses der Volksgesundheit dienenden Grundsatzes gerechtfertigt.“

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat sich schließlich auch mit der Frage beschäftigt, die die Apotheker in der Diskussion rund um das Rx-Versandverbot inzwischen seit mehr als zweieinhalb Jahren beschäftigt: Sind Eingriffe in den grenzüberschreitenden Arzneimittel-Versandhandel, wie etwa ein Rx-Versandverbot, mit Blick auf die Warenverkehrsfreiheit in der EU möglich? Die Richter meinen Ja, schließlich „kann das Erfordernis, die regelmäßige Versorgung des Landes für wichtige medizinische Zwecke sicherzustellen, eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs im Rahmen von Art. 36 AEUV rechtfertigen, da dieses Ziel unter den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen fällt“. Und daher ist auch die Schließung des Automaten rechtlich einwandfrei gewesen. Denn:


Personen wie der Klägerin, die über keine Apothekenbetriebserlaubnis verfügen, darf der Besitz und der Betrieb einer Apotheke inklusive der Abgabe von Arzneimitteln zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen verwehrt werden.“

Urteil des Verwaltungsgerichtes Karslruhe


Verwaltungsgericht: Gewinnstreben der Apotheker ist gezügelt

Aber warum kann man davon ausgehen, dass die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheker „sicherer“ und somit besser für die öffentliche Gesundheit ist als durch Nicht-Apotheker? Schließlich erkennen auch die Verwaltungsrichter aus Karlsruhe an: Auch Apotheker wollen mit ihrer Apotheke Geld verdienen. Aber: „Sein privates Interesse an Gewinnerzielung wird durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt, da ein etwaiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder berufsrechtliche Regeln nicht nur den Wert seiner Investition, sondern auch seine eigene berufliche Existenz erschüttert.“ Im Gegensatz dazu haben Nicht-Apotheker keine solchen Verantwortungen. „Demnach ist festzustellen, dass sie nicht die gleichen Garantien wie Apotheker bieten.“ Und so könne ein EU-Mitgliedstaat zu dem Schluss kommen, dass die Abgabe von Arzneimitteln durch Nichtapotheker eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstelle.

Und so kommen die Richter auf das Rx-Versandverbot. Sie erinnern an das Versandhandelsurteil des EuGH aus dem Jahr 2003, aus dem klar hervorging, dass „ein nationales Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einen gerechtfertigten Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit darstellen kann“. Das liege einerseits daran, dass von Rx-Arzneimitteln eine größere Gefahr ausgehe als von OTC-Präparaten. Es müsse andererseits möglich sein, die Echtheit von Rezepten nachprüfen zu können. Ohne Kontrolle vor der Abgabe bestehe das Risiko, dass Verordnungen missbräuchlich oder fehlerhaft angewendet werden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Löschung

von Conny am 14.05.2019 um 12:28 Uhr

War klar !!!

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Kompetentes Urteil ... „April, April“ wäre wohl ... ?

von Christian Timme am 14.05.2019 um 2:35 Uhr

Ein „beruhigendes Gefühl“ ... in einem Land zu leben ... wo man es wieder versteht auch „sichtbar gemachte Intelligenz“ zu produzieren ...

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Danke

von Stefan Schwenzer am 13.05.2019 um 19:38 Uhr

Danke an die Richter für dieses klare Statement. Leider scheint es in den Regierungsparteien und Teilen der Opposition dieses Rechtsverständnis so nicht zu geben.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Danke

von Heiko Barz am 14.05.2019 um 11:59 Uhr

Ja, das ist doch unser Problem. Die politischen Protagonisten beschließen die Gesetze im Bundestag und Bundesrat und dann gibt auch noch der Bundespräsident seine Zustimmung mit rechtsbindender Unterschrift. Nur diese, dem Deutschen Volk in Verantwortung Stehenden mißachten ihre eigenen Gesetze je nach Gusto.
Es ist richtig, dass „Lobbyisten“ im Vorfeld der Rechtssprechung ihre Probleme in die Diskussionen einbringen, sogar müssen, denn die beratenden Ausschüsse müssen auch auf die ihnen unbekannten Probleme hingewiesen werden. Die Vorgaben der Politischen Grundrichtungen spiegeln nicht unbedingt das absolute Wissen wider, was in vielen Fällen aber zwingend notwendig ist. Hin und wieder sollten mit Eid versehene Politiker auch auf ihre Wähler eingehen und ihre persönlichen Meinungen prüfend hinterfragen — zum Wohle des Deutschen Volkes ——-!!!

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