DAZ.online-Faktencheck

Wie „Focus online“ mit falschen Fakten für Versandapotheken wirbt

Berlin - 13.03.2017, 17:10 Uhr

Focus online wirbt für günstige OTC-Preise im Internet, macht dabei aber einige Fehler. (Screenshot: DAZ.online)

Focus online wirbt für günstige OTC-Preise im Internet, macht dabei aber einige Fehler. (Screenshot: DAZ.online)


Inzwischen haben fast alle namhaften Tageszeitungen und Magazine die Debatte um das Rx-Versandverbot aufgegriffen. Zumeist hagelt es Kritik für die Pläne von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Das Online-Nachrichtenmagazin „Focus“ geht nun einen Schritt weiter und stellt für seine Leser explizit die vermeintlichen Vorteile des Versandhandels gegenüber der Apotheke vor Ort heraus. Wie der DAZ.online-Faktencheck zeigt, liegt das Magazin dabei an einigen Stellen falsch.

Am gestrigen Sonntag erschien auf der Internetseite des „Focus“ der Beitrag mit dem Titel „Streit um rezeptpflichtige Medikamente – Arzneien 80 Prozent günstiger: Hunderte Euro mit Versandapotheken sparen“. Der Artikel fasst kurz das EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung zusammen und geht dann dazu über, in Form eines Ratgeber-Beitrags auf die preislichen Vorteile des Versandhandels hinzuweisen. Es lohnt sich jedoch, genauer hinzuschauen und die in dem Text als „Fakten“ verpackten Inhalte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Falsch! Erst seit dem EuGH-Urteil sind Rx-Boni überhaupt erlaubt.
  • Schon die Folgen des EuGH-Urteils zur Rx-Preisbindung sind ungenau dargestellt. Der „Focus“ schreibt: „Im Oktober hat der Europäische Gerichtshof die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten für unzulässig erklärt. Das bedeutet für die Kunden, die rezeptpflichtige Medikamente bei ausländischen Internet-Apotheken bestellen: Rabatte von bis zu 30 Euro pro Rezept sind weiterhin erlaubt.“ Falsch! Von einem „weiterhin“ kann keine Rede sein. Und „erlaubt“ waren Rx-Boni aus Sicht deutscher Gerichte und des deutschen Gesetzgebers bis zum EuGH-Urteil eigentlich nie. Zwar waren DocMorris und Co. von jeher anderer Meinung, boten die Boni an und wurden deshalb verklagt. Doch alle nationalen Gerichte – bis hin zum Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes – waren überzeugt: Auch für EU-ausländische Apotheken gilt die Arzneimittelpreisverordnung. Die höchsten deutschen Richter hatten auch keinen Zweifel, dass dies europarechtskonform ist. Der Gesetzgeber stellte die Preisbindung für ausländische Versender sodann auch explizit im Arzneimittelgesetz klar. Erst der EuGH brachte die deutsche Rechtsprechung und den gesetzgeberischen Willen zum Einsturz.
Eine 'Filiale' wollte DocMorris in Saarbrücken eigentlich nie gründen.
  • Auch in der Bildunterschrift versteckt sich eine Ungenauigkeit. Das Foto zeigt eine DocMorris-Franchise-Apotheke, die noch in einem älteren grün-weißen Design beflaggt ist. Der Redakteur schreibt dazu: „Deutsche Filialen wurden der Online-Apotheke DocMorris untersagt. Rabatte im Internet gibt es immer noch.“ Richtig ist, dass das Unternehmen DocMorris, als es noch nicht zur Schweizer Kapitalgesellschaft Zur Rose gehörte, eine eigenständige Haupt-Apotheke im Saarland eröffnete, die dann aufgrund des bestehenden Fremdbesitzverbotes wieder geschlossen wurde. Diese als eine „Filiale“ der niederländischen Hauptapotheke zu bezeichnen, ist alleine aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und den Niederlanden sehr schwierig. Was es gab und in geringem Umfang noch gibt, sind Franchise-Nehmer von DocMorris – also selbstständige Apotheker, die ihre Apotheke umflaggen.

Falsche Infos über SPD-Forderungen

Falsch! Es gibt führende SPD-Politiker in mehreren Bundesländern, die für das Verbot sind. Die SPD-Bundestagsfraktion bezieht sich auch nicht auf den OTC-Preiswettbewerb.

Falsch! Laut DocMorris profitiert die niederländische Versandapotheke nicht vom niedrigeren Mehrwertsteuersatz.
  • Im anschließenden Absatz erklärt der Redakteur die Preisbindung im Arzneimittelbereich und kommt dann zum folgenden Schluss, dass die Preisregeln in Deutschland der Grund dafür sei, dass DocMorris sich im Ausland niedergelassen habe. „Zum einen kosten Arzneien dort weniger als in Deutschland, zum anderen können die Versender als Großabnehmer günstigere Rabatte durchsetzen“, heißt es in dem Beitrag. Lustigerweise dürfte DocMorris aufs Heftigste gegen diese Darstellung widersprechen. Denn das Unternehmen betont immer wieder, dass es zu den gleichen Wettbewerbsbedingungen beim deutschen Großhandel einkaufe. Ebenso beteuert DocMorris, dass es eben nicht vom niedrigeren Mehrwertsteuersatz in den Niederlanden profitiert, sondern den 19-prozentigen-Mehrwertsteuersatz in Deutschland abführe.

Fragwürdige Preis-Rechnungen und falsche ABDA-Forderungen

Fragwürdig! Wie hat der Focus den OTC-Durchschnittspreis aller Vor-Ort-Apotheken berechnet? Ist das überhaupt möglich?
  • Der Fokus des „Focus“-Beitrages verschiebt sich vom Rx-Versand auf die OTC-Preise. Denn die bei den Boni gesparten Euro könne der Verbraucher praktischerweise gleich in OTC investieren, heißt es in den Text. Ohnehin seien die OTC-Preise im Internet „wesentlich günstiger“. Ein Beispiel gefällig? „So kosten 20 Tabletten Ibuprofen bei den stationären Apotheken im Durchschnitt sieben Euro.“ Faktencheck: Bestenfalls fragwürdig. Der „Focus“ erklärt an dieser Stelle in keiner Weise, wie er zu diesem „Durchschnitt“ komme und wie er OTC-Preise in Apotheken vor Ort ermittelt hat. Zur Erinnerung: Im OTC-Bereich dürfen Apotheker die Preise selbst festlegen. Es ist nicht auszuschließen, dass es Apotheken gibt, die Ibuprofen-Packungen deutlich unter 7 Euro anbieten. Im „Focus“-Text folgen im Übrigen drei weitere OTC-Beispiele mit „Durchschnittspreisen“ aus Apotheken, bei denen nicht nachvollziehbar ist, wie die Redaktion die Preise ermittelt hat.
Falsch! Zumindest in der derzeitigen Situation hat sich die ABDA auf den Rx-Versand eingeschossen. OTC-Preise spielen keine Rolle.
  • Letztlich schießt der „Focus“ noch in Richtung Interessenvertretung der Apotheker. Im Beitrag heißt es mit Blick auf die OTC-Preise: „Vor allem wegen solcher Sonderangebote wettern die Apothekenverbände gegen den Pillenversand per Mausklick.“ Falsch! Die derzeitige Kritik der Apothekerverbände- und Kammern bezieht sich (zumindest in der Öffentlichkeit) ausschließlich auf den Versand von Rx-Arzneimitteln. Die Forderungen der ABDA in Sachen Versandhandel sind zumindest derzeit in keiner Weise mit dem OTC-Geschäft verknüpft.


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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8 Kommentare

Richtigstellung zum Artikel

von Frank Zacharias am 14.03.2017 um 16:09 Uhr

Ich habe an Focus einen Brief geschrieben, und die Fehler im Artikel einzeln benannt und richtig gestellt. Folgende Antwort gab es daraufhin.

User Service (FOCUS Online)

14. März, 14:30 CET

Sehr geehrter Herr Zacharias,

vielen Dank für Ihre E-Mail.
Eine klassische Leserbrief-Rubrik führen wir leider nicht. Sie können sich allerdings gerne über die Kommentarfunktion unter unseren Online-Artikeln an einer Diskussion beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen,
Anna-Maria Salmen

User Service
FOCUS Online | +49 89 9250-3292
www.focus.de | Apps: www.focus.de/apps | www.facebook.com/focus.de | www.twitter.com/focusonline

Die Kommentare habe ich vorher gelesen und auf bewusst verzichtet, dort alles zu korrigieren. Für einen einfachen Kommentar ist viel zuviel gerade zu rücken. Aber in der schönen neuen Online-Welt kann man Falsches behaupten ohne hinterher richtig zu stellen.

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Kommentare unter besagtem Artikel

von Semih Selbeck am 14.03.2017 um 9:39 Uhr

Sollte man sich durchlesen. Habe selbst einen verfasst in dem ich genau diese Undurchsichtigkeit der Preise angeprangert habe. Mehr als massenweise Downvotes sind da nicht zu holen. Die Medien diktieren was gedacht wird.

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Apotheker und Presse, das geht nie gut!

von Heiko Barz am 13.03.2017 um 18:59 Uhr

Da wir alle wissen, wie "Presse" funktioniert, verwundert deren Meinung nicht.
Objektiv wurde die Deutsche APOTHEKE von den "Schreibern" noch nie bewertet. War es früher in den 70er und 80er Jahren der sozialistisch geprägte Neid auf diesen gut organisierten und komplexen Berufstand ein Dorn ( eher Balken ) im Auge der Zeitungsmacher, so ist es heute die komplette Unfähigkeit,den Apotheker bewerten zu können, und dann schreibt man eben das, was die Redaktion für ihren Herausgeber zu liefern hat.
Der Begriff "Lügenpresse" ist ja nicht gerade soweit hergeholt.
Die Vertreter unserer Interessen ( Kammern und Vereine ) haben auf Nachfrage bestätigt, dass Pressekonferenzen zur Wiederherstellung wahrer Sachverhalte von diesen "Schreibern" wenig oder gar nicht frequentiert werden.
Das ist es eben, was die Meinungsfreiheit in unserem Land auch bedeutet.
Momentan gibt es einen Sachverhalt, den die Presse besonders markant hervorhebt und der ist sowas von deutlich und zeigt den Sensationshunger bei bestimmten Ebenen in diesem Fall die legale Verordnung von Cannabis in den bekannten Formen.
Das Reizthema der letzten Jahrzehnte.
Nun "haben" die wieder reichlich zu schreiben und die Apotheker werden sicher wieder nicht besonders "gut" beim Liefern abschneiden.
Ob der Vertrieb über DoMo doch wieder einfacher gehen wird?

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AW: Erdogan/AfD

von Holger am 14.03.2017 um 8:25 Uhr

Also bei aller sicher berechtigten Kritik an oberflächlich informierten und einem generellen Bias unterliegenden Journalismus. Aber wer unsere Presse als "Lügenpresse" diffamiert, auch wenn er es in Anführungszeichen setzt, stellt sich mit Erdogan und der AfD auf eine Stufe. Sorry, aber ich finde das unerträglich und widerlich.

Preisbindung für den Focus

von Jan am 13.03.2017 um 18:33 Uhr

Darf der Zeitungshändler meines Vertrauens mir eigentlich den Focus billiger verkaufen als auf dem Heft aufgedruckt oder gibt es da Beschränkungen ???

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Schön und gut...

von Carsten Simons am 13.03.2017 um 17:48 Uhr

... dass hier eine so ausführliche Richtigstellung erfolgt. Schade nur, dass diese vermutlich 99,9 % der Leser des Focus Artikels weder erreichen, noch interessieren wird. Wir haben uns zu sehr auf die Fähigkeiten unserer Standesvertreter verlassen. Wieso wird in solchen Fällen keine Richtigstellung gefordert? Wieso wird alles kleinlaut hingenommen? Würde man mit der Ärzteschaft so umspringen, wären am morgigen Tag deutschlandweit die Arztpraxen geschlossen und es würde in Berlin demonstriert. Wir verschicken Postkarten, sammeln Unterschriften, hängen düstere Plakate auf und philosophieren in Fachforen, die kein Mensch zu lesen bekommt. Unser Beruf ist wichtig und wird dringend benötigt, schade dass dies niemand zu schätzen weiß.

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AW: auf Standesvertretung verlassen

von frank ebert am 13.03.2017 um 19:34 Uhr

Ich habe mich noch nie auf unsere Standesvertretung verlassen, weil ich diese geballte Unfähigkeit noch nie ertragen konnte. Habe dafür auch genug Kritik einstecken müssen ---auch von der DAZ. PS.: sollte das Skontiurteil negativ ausfallen, dann wird es mit der "Budenschliessung " noch schneller voran gehen, von 1EURO Bonus ganz zu schweigen. -----aber es hätte ja alles schlimmer kommen können!

AW: Schön und gut

von Peiffer Susanne am 13.03.2017 um 20:25 Uhr

Genauso sehe ich es auch: all diese Bewertungen und Kommentare bleiben DAZ intern im Kollegenkreis, die Richtigstellung in der Öffentlichkeit bleibt aus.....

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