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Management

Grundkurs Apothekenmarketing

Teil 12: Sortiments- und Dienstleistungspolitik

Über den größten Teil seines Sortiments entscheidet der Apotheker nicht: Das Versorgen mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist die ethische Grundlage der Apotheke und in diesem Sinn kein kaufmännisches Kalkül. Ergänzende Dienstleistungen sowie das ­Sortiment in Sicht- und Freiwahl können frei gestaltet werden. Hier ist Marketing-Know-how gefragt.

Wenn Kunden und Patienten die Apotheke als Ort der Gesundheit wahrnehmen sollen, dann gehören zum Leistungsangebot neben den Arzneimitteln zur Heilung von Krankheiten alle ergänzenden ­Gesundheitsprodukte und Dienstleistungen. Sortiment und Dienstleistungen der Apotheke sind eine Einheit im Dienste der Gesundheit und durch vielfältige komplementäre Beziehungen untereinander verbunden. Hinter allen Produkt- und Dienstleistungsangeboten sollte immer auch ein Beratungs- und Argumentationskonzept stehen, das sämtliche Mitarbeiter der Apotheke kennen und im Dialog mit den Kunden anwenden.

Die Dimensionen für den Aufbau des Produktsortimentes der Sicht- und Freiwahl sind Sortimentsbreite und Sortimentstiefe. Aus Marketingsicht gibt es hierfür klare Regeln.

Bestimmung der Sortimentsbreite

Unter Sortimentsbreite wird die Anzahl unterschiedlicher Indikationen in der Sichtwahl bzw. die Anzahl unterschiedlicher Warengruppen in der Freiwahl verstanden. Es handelt sich um Bedarfsgruppen, die auch als „Kategorie“ oder „Category“ bezeichnet werden. Im Rahmen des Warengruppen-Managements werden die ­Indikations- bzw. Warengruppen gebildet und mit dem Ziel der ­Ertragssteigerung permanent ­optimiert.

Es wird unterschieden zwischen Kern-, Profilierungs- und saisonalen Indikationen bzw. Warengruppen. Bei den Kernindikationen bzw. -warengruppen handelt es sich um die umsatzstärksten Kategorien im relevanten regionalen Markt. Dabei sind nicht die Umsatzzahlen der Apotheke ausschlaggebend, sondern die Marktzahlen. Diese Warengruppen bzw. Indikationen ­sollten immer präsentiert werden, da hier die größte Nachfrage zu ­erwarten ist (s. Tabelle links unten).

Die umsatzstärksten Indikationsbereiche
Mio. Euro
Veränderung zum Vorjahr in %
Husten/Erkältung
1341
13,2
Schmerzmittel/Muskel/Gelenke
960
3,1
Magen/Verdauung
620
5,6
Hautmittel
486
-2,6
Herz/Kreislauf
355
3,3
Vitamine/Mineralstoffe/Nahrungsergänzungsmittel
242
0,4
Beruhigung/Schlaf
213
7,2
Tonika/Geriatrika
114
-0,8

Quelle: IMS Health 2014

Mit den saisonalen Kategorien (Grippe, Reise, Abnehmen etc.) stellt sich die Apotheke auf Jahreszeiten oder Festtage ein. Das Angebot bleibt auf diese Weise immer aktuell und attraktiv. Die Profilierungswarengruppen (z. B. Nahrungsergänzungsmittel für Diabetiker) geben der Apotheke die individuelle Note (s. Abb. 1).

Grafik: AZ, Quelle: Benatzky

Abb. 1: SortimentsbildungSortimentsbreite von Waren­gruppen (WG)

Für die Aufteilung auf die ver­fügbare Regalfläche gelten die ­folgenden Grundsätze: Die Kernindikationen bzw. -warengruppen erhalten je nach verfügbarer Regalfläche jeweils etwa gleiche Präsentationsflächen. Die Profi­lierungs- und saisonalen Kategorien sollten jedoch deutlich breiter platziert werden.

Zwischen den unterschiedlichen Sortimentsteilen bestehen vielfache Verbundeffekte, die genutzt werden sollten. Zunächst gibt es zwischen Rx, Sichtwahl und Freiwahl sowie zwischen Sichtwahl und Freiwahl einen Bedarfsverbund. Dies bedeutet, dass Sichtwahl- und auch Freiwahlprodukte ergänzend zu einem Rezept und Freiwahlartikel ergänzend zu einem Handverkauf aus der Sichtwahl empfohlen werden können.

Verbundeffekte gibt es auch in der Freiwahl. Es handelt sich dabei um den sogenannten Nachfrageverbund zwischen komplementären Warengruppen. Wenn die entsprechenden Warengruppen (z. B. Körperpflege – Mundhygiene) in unmittelbarer Nachbarschaft ange­boten werden, ergeben sich additive Kaufmöglichkeiten.

Die Apotheke ist der einzige Ort, an dem auch für den Freiwahl­bereich fachkundige, auf die ­Gesundheit bezogene Beratung geboten wird. Dieser Vorteil sollte ausgenutzt werden, um in der Freiwahl beratungsinten­sive ­Warengruppen und exklusive ­Artikel zu präsentieren. Hierfür sind Produkte mit hohem emotionalen und kognitiven Involvement geeignet. Dazu gehören z. B. alle Schönheits- und Körperpflegeprodukte sowie Tonika und diätetische Nahrungsmittel, insbesondere für Menschen mit gesundheit­lichen Problemen oder Einschränkungen. Die Zahl der potenziellen Kunden für derartige Produkte nimmt aufgrund unserer demografischen Entwicklung ständig zu.

Bestimmung der Sortimentstiefe

Unter Sortimentstiefe versteht man die Anzahl unterschiedlicher Produkte in einer Kategorie. Da die Präsentationsfläche begrenzt ist, muss aus der Vielzahl möglicher Produkte eine Auswahl getroffen werden. Die Produkte sollten so ausgewählt werden, dass mit der vorhandenen Präsentationsfläche eine möglichst hohe Marktabdeckung gewährleistet wird. Aus diesem Grunde werden die Produkte nach dem Ranking ihrer regionalen Marktbedeutung – also ihrer Marktanteile – in die Indikation bzw. Warengruppe aufgenommen. Die Sortiments­tiefe, also die Anzahl unterschiedlicher Artikel pro Warengruppe, verleiht der Apotheke Kompetenz und Profil in den ­Augen der Kunden.

Nach dieser Methode können Module mit unterschiedlichen Sortimentstiefen gebildet werden. ­Modulgröße A könnte z. B. alle Produkte bis zu einer kumulierten mittleren Marktabdeckung von etwa 50% beinhalten, Modul B alle Produkte bis zu einem kumulierten Marktanteil von 70% und Modul C alle Produkte bis zu einem kumulierten Marktanteil von 90%. Sinnvollerweise würden die Kernwarengruppen die Modulgröße A, die saisonalen Warengruppen die Modulgröße B und schließlich die Profilierungswarengruppen die Modulgröße C erhalten. Dies sind grobe Richtwerte, die je nach ­Produktanzahl variiert werden können (s. Abb. 2).

Grafik: AZ, Quelle: Benatzky

Abb. 2: Sortimentsbildung Bestimmung der Sortimentstiefe nach dem Modulsystem.

Die Rankings der Produkte nach Marktanteilen sind bei IMS Health oder Health Insight erhältlich. Vielfach werden sie auch vom Großhandel oder von den Apothekenkooperationen zur Verfügung gestellt.

Die Sortimentstiefe führt zu einem weiteren Verbundeffekt, ­welcher wiederum zusätzliche Kaufmöglichkeiten schafft. Dies ist der Auswahlverbund. Aufgrund der präsentierten Vielfalt der gleichen Warengruppe in unterschiedlichen Farben, Größen oder Qualitäten werden die Kunden angeregt, sich gleich für mehrere ­Produkte zu entscheiden.

Die Anzahl der Frontpackungen pro Produkt hängt ab von der Artikel-Rentabilität, also den Einkaufskonditionen, der Werbeunterstützung, der aktuellen Mediawerbung für das Produkt und selbstverständlich vom Platzbedarf pro Packung.

Muss-, Soll- und Kann-Dienstleistungen

Die einzigartige Kompetenz der Apotheken zeigt sich im Dienstleistungs-Angebot. Dabei denken wir vor allem an die pharma­zeutischen Dienstleistungen. Sie präsentieren die exklusive pharmazeutische Kompetenz. Mit diesen Leistungen kann jede Apotheke ihre Fähigkeiten einbringen und ihr Profil wirksam darstellen.

Dabei werden drei Typen von Dienstleistungen unterschieden, nämlich Muss-, Soll- und Kann-Dienstleistungen. Die Muss-Dienstleistungen sind der Standard für jede Apotheke. Das sind z. B. Arzneimittelberatung und Hauslieferung. Diese Dienstleistungen können eine hohe bis geringe Affinität zum Arzneimittel haben. In diesem Fall hat Arzneimittelberatung eine hohe und Mitgabe von Kalendern eine eher geringe Affinität. Soll-Dienstleistungen wie Blutdruckmessen werden meistens, aber nicht immer angeboten.

Schließlich gibt es die Gruppe der Kann-Dienstleistungen. Dabei handelt es sich um ganz besondere Leistungen, die nur aktive Apotheken anbieten, da hierzu häufig besondere Fähigkeiten erforderlich sind. Mit diesen Dienstleistungen kann die Apotheke ihr Profil darstellen und ihre Überlegenheit zeigen. Als Kann-Dienstleistung mit hoher Affinität zum Arzneimittel gilt z. B. die Chroniker-Betreuung oder das Medikationsmanagement. Ein Beispiel für eine Kann-Dienstleistung mit geringer Affinität ist eine Nordic-Walking-Gruppe (s. Abb. 3).

Grafik: AZ, Quelle: Benatzky

Abb. 3: Apotheken-Dienstleistungen Profilierungschancen unterhalb der Diagonalen

Mit Dienstleistungen mit geringer Affinität zum Arzneimittel kann die Apotheke für Aufmerksamkeit sorgen; allerdings ist hier immer eine sorgfältige rechtliche Abklärung hinsichtlich der Apothekenüblichkeit erforderlich.

Beim Angebot von Dienstleistungen sollten die folgenden Grundsätze beachtet werden:


1. Dienstleistungen eignen sich nicht für einen Preiskampf und auch nicht zur Signalisierung von Preiswürdigkeit.

2. Dienstleistungen zeigen Kompetenz und ermöglichen ein Gesundheitserlebnis in der Apotheke.

3. Dienstleistungen sind das Ergebnis der Fähigkeiten des Apothekers und seines Teams. Dies sollte durch entsprechende Zeugnisse oder Diplome wirksam in der Offizin gezeigt werden.

4. Dienstleistungen müssen werbewirksam präsentiert werden, möglichst auch optisch und als Video.

5. Bei Dienstleistungen hat der Apotheker weitgehend Gestaltungsfreiheit, hier kann er innovativ sein und sich von anderen Apotheken abgrenzen.

Durch Digitalisierung das Apothekenimage verjüngen

Digitalisierung ist ein Megatrend, der bereits viele Wirtschaftsbereiche erfasst hat und weiter an Dynamik gewinnen wird. Wir leben in einer Zeit von Big Data, des Internets der Dinge, von Cloud Computing, E-Health und Telemedizin. Sensor-Pillen können die Medikation überwachen, und immer mehr Bundesbürger achten sorgfältig auf die Daten ihrer Gesundheits-Navis. All dies ist bereits Realität. Informationen sind nahezu grenzenlos verfügbar. Das müssen auch Apotheker nutzen. Sie sollten hieraus innovative Leistungsangebote zur Medikation und Medikationsüberwachung entwickeln und proaktiv anbieten. Mit innovativen Angeboten kann die Apotheke die jungen, Internet-affinen Zielgruppen gewinnen und das Apothekenimage verjüngen. Apotheker, welche die Digitalisierung zur Kernkompetenz entwickeln, werden in Zukunft immer mehr Kunden anziehen.

Abbildung 4 zeigt beispielhaft verschiedene digitale Dienstleistungen vor dem Kauf, bei der Kaufentscheidung und nach dem Kauf.

Grafik: AZ, Quelle: Benatzky

Abb. 4: Digitalisierung Digitale Services für Apothekenkunden

Nach diesem Überblick über die Sortiments- und Dienstleistungspolitik werden wir uns in der nächsten Ausgabe mit der Preispolitik und ihrer Bedeutung für die Apotheke befassen; denn alles hat seinen Preis. |

Prof. Dr. Dieter Benatzky

Prof. Dr. Dieter Benatzky ist Leiter des Instituts für Gesundheitswirtschaft in Bad Endorf und emeritierter Professor für Marketing an der FH Rosenheim

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