Pflanzliche Arzneimittel für Kinder (Teil 1)

Obstipation bei Kindern – gibt es da auch was Pflanzliches?

Stuttgart - 30.03.2023, 17:50 Uhr

Bei einer akuten Obstipation soll laut Leitlinie insbesondere bei Kleinkindern rasch eine Therapie eingeleitet werden. (Foto: Anchalee / AdobeStock)

Bei einer akuten Obstipation soll laut Leitlinie insbesondere bei Kleinkindern rasch eine Therapie eingeleitet werden. (Foto: Anchalee / AdobeStock)


Wer etwas über die Evidenz pflanzlicher Arzneimittel erfahren möchte, findet als Apotheker:in in den Monographien des „Committee on Herbal Medicinal Products“ (HMPC) der europäischen Arzneimittelbehörde eine gute Anlaufstelle. Gerade Eltern fragen für ihre Kinder gerne mal nach einem pflanzlichen Arzneimittel, in der Hoffnung dieses könnte verträglicher sein als ein „chemischer“ Wirkstoff. Doch in der Indikation der Obstipation, kann die Apotheke selbst Flohsamen(-schalen) für (Klein-)Kinder nicht uneingeschränkt empfehlen.

Wie Apotheker:innen wissen, sind pflanzliche Arzneimittel nicht immer unbedenklich und somit auch nicht immer für Kinder geeignet. Das HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) bietet eine kürzlich aktualisierte, tabellarische Übersicht über die HMPC-Monographien und zu der Fragestellung, welche Arzneidrogen bei Kindern angewendet werden können. Die Empfehlungen beziehen sich hierbei nicht auf Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, sondern nur auf Arzneimittel. In der Serie „Pflanzliche Arzneimittel für Kinder“ nehmen wir die Empfehlungen nach Indikationen geordnet unter die Lupe, beginnend mit der Obstipation.

Bauchschmerzen und damit auch Verstopfung sind bei Kindern ein häufiges Problem. Eine medikamentöse Behandlung ist laut Leitlinie fast immer erforderlich. Für Apotheker:innen gilt dabei zu bedenken: „Kinder unter sechs Jahren sollten generell nur nach ärztlicher Abklärung der Ursachen medikamentös behandelt werden. Meist handelt es sich bei ihnen um funktionelle Störungen oder psychische Faktoren, die zu einer Zurückhaltung des Stuhls führen und dann eine Verstopfung hervorrufen“, hieß es in der DAZ 2 / 2022.

Als grundsätzlich mögliche Arzneidrogen in dieser Indikation werden vom HMPC folgende alphabetisch aufgelistet, für Kinder ist jedoch kaum eines geeignet:

  • Aloes folii succus siccatus (Curacao-Aloe, Kap-Aloe)
  • Frangulae cortex (Faulbaumrinde)
  • Lini semen (Leinsamen)
  • Plantaginis ovatae semen (Indische Flohsamen), Plantaginis ovatae seminis tegumentum (Indische Flohsamenschalen), Polypodii rhizoma (Rhizom des gewöhnlichen Farns), Psyllii semen (Flohsamen)
  • Rhamni purshianae cortex (Cascararinde), Rhei radix (Rhabarberwurzel), Ricini oleum (Natives Rizinusöl)
  • Sennae folium (Sennesblätter), Sennae fructus (Sennesfrüchte)

Sennesblätter und Sennesfrüchte sind unter 12 Jahren kontraindiziert – das Gleiche gilt für Cascararinde, Rhabarberwurzel und Faulbaumrinde. Auch das Rhizom des gewöhnlichen Farns ist aufgrund fehlender Daten nur bei Jugendlichen und Erwachsenen geeignet, die Kap-Aloe ist bei Kindern kontraindiziert. Natives Rizinusöl wird aufgrund fehlender Daten nicht unter 18 Jahren empfohlen, gilt allerdings auch bei Erwachsenen als obsolet

Flohsamen bei Kindern ab sechs Jahren geeignet, aber nicht empfohlen

Flohsamen hingegen hält das HMPC bei Kindern ab sechs Jahren für geeignet, für jüngere Kinder fehlen die Daten. Für Indische Flohsamen(-schalen) gilt das Gleiche. Leinsamen gelten hingegen aufgrund fehlender Daten erst ab dem Jugendalter als geeignet. 

Die S2k-Leitlinie „Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter“ vom April 2022 empfiehlt bei Obstipation als Mittel der ersten Wahl Polyethylenglykol (PEG, Macrogol). Für die erste Phase der Behandlung, die Indikation der „Desimpaktion“, besteht laut Leitlinie eine Zulassung für Macrogol ab dem Alter von fünf Jahren

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In der Erhaltungstherapie soll dann „eine Kombinationsbehandlung von kindzentrierter Beratung, verhaltenstherapeutischen und psychosozialen Interventionen sowie oralen Stuhlweichmachern/Laxanzien durchgeführt werden“. Im Kindesalter wird laut Leitlinie Macrogol, ein osmotisches Laxanz, bevorzugt – wegen der guten Wirkung und geringer unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Es ist in der Erhaltungstherapie ab dem Alter von sechs Monaten zugelassen. Und so empfehlen es auch internationale Leitlinien, auch wenn nach einem neueren Review für Kinder unter 24 Monate laut Studienlage kein geprüftes Dosisregime für PEG angegeben werden könne. 

Als Mittel der zweiten Wahl gilt Lactulose. Sollte auch diese Anwendung nicht möglich sein, könnten Gleitmittel wie Paraffinum subliquidum verabreicht werden (Vorsicht: Aspiration; Malabsorption fettlöslicher Vitamine). Und auch „stimulierende Laxanzien wie Sennesblätteralkaloide, Natriumpicosulfat etc. kommen grundsätzlich infrage, sollten in der Dauertherapie allerdings nicht angewendet werden, weil Langzeitdaten fehlen“, heißt es.

Was bei Kindern und Jugendlichen explizit nicht empfohlen wird

Außerdem sind laut Leitlinie „folgende Medikamente, die teilweise in der Erwachsenenmedizin üblich sind“, in der Behandlung der funktionellen Obstipation bei Kindern und Jugendlichen nicht wirksam:

Diätetische Maßnahmen mit Steigerung der Ballaststoffe und der Flüssigkeitszufuhr sollen nicht zur alleinigen Behandlung der funktionellen Obstipation eingesetzt werden. Flohsamen(-schalen) finden in der Leitlinie keine direkte Erwähnung.

Chronische Obstipation erfordert meist dauerhaft eine medikamentöse Therapie

Erschwerte Bedingungen

Insgesamt lässt sich die Frage nach einem pflanzlichen Arzneimittel gegen Obstipation bei Kindern unter sechs Jahren in der Selbstmedikation also mit einem klaren „Nein“ beantworten. Aber auch bei älteren Kindern und Jugendlichen, sollte leitliniengemäß besser zu Macrogol als zu pflanzlichen Präparaten geraten werden. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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