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Thema Verstopfung

Wenn nichts mehr geht

Pharmazeutische Beratung von Patienten mit Obstipation

Die Verdauung ist – wie Schlafen, Essen und Trinken – eine grundlegende Körperfunktion. Jede Einschränkung oder krankhafte Veränderung führt daher zu einer deutlichen Minderung der Lebensqualität. Das Symptom einer Verstopfung wird von den Betroffenen sehr unterschiedlich wahrgenommen: Die einen bemerken, dass sie weniger häufig Stuhlgang haben; den anderen quält die lange Toilettensitzung, das starke Pressen und das Gefühl der unvollständigen Entleerung. Im Beratungsgespräch gilt es, über Risiken aufzuklären und auf die unterschiedlichen Obstipationsursachen hinzuweisen. Darüber hinaus müssen in diesem Zusammenhang auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen erkannt werden. Die meisten Patienten möchten – ohne Arztbesuch – durch Selbstmedikation schnell und erfolgreich behandelt werden. | Von Tatjana Buck

Verstopfung ist der subjektive Eindruck eines Patienten, der nach Häufigkeit, Menge und Beschwerdebild unbefriedigende Stuhlentleerungen verspürt. Treten die Symptome nur vorübergehend auf, wie z. B. auf Reisen, durch fremdländische Kost, Ernährungsumstellung oder Stress, spricht man von einer akuten Obstipation.

Bei einer chronischen Obstipation hingegen dauern die Symptome seit mindestens drei Monaten an und es liegen mindestens zwei der folgenden Leitsymptome nach den sogenannten „Rom-Kriterien“ vor:

  • starkes Pressen,
  • klumpiger oder harter Stuhl,
  • subjektiv unvollständige Entleerung,
  • subjektive Obstruktion,
  • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei mehr als jeder vierten Stuhlentleerung oder
  • weniger als drei Stuhlgänge pro Woche.

Patienten mit Obstipation haben eine schlechtere Lebensqualität als Patienten ohne Obstipation. Bezüglich physischer und psychischer Aspekte ist der Grad der Einschränkung der Lebensqualität vergleichbar mit denen chronischer Erkrankungen wie z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus oder Depressionen.

Obstipationsbeschwerden nehmen bei der Beratung in der Apotheke eine besondere Stellung ein. Klagt ein Patient über Verstopfung, so gilt nicht die Stuhlhäufigkeit als Behandlungsgrundlage, es sollte vielmehr der subjektive Eindruck des Patienten im Fokus stehen.

Die chronische Obstipation ist mit einer Prävalenz von 5 bis 15 Prozent eine häufige Gesundheitsstörung. Frauen sind nahezu doppelt so häufig betroffen wie Männer. Ab 65 Jahren zeigt sich eine altersabhängige Zunahme der Prävalenz, getriggert durch die „geriatrischen I‘s“, Multimorbidität und Polymedikation.

Die geriatrischen I’s

  • intellektueller Abbau (z. B. Demenz)
  • Immobilität
  • Instabilität (z. B. Stürze)
  • Inkontinenz
  • Insomnie
  • Impairment, Einschränkung der Sinnesorgane wie Augen und Ohren
  • Immundefizite
  • iatrogene Erkrankungen (z. B. Medikationsfehler)
  • Isolation
  • Impecunity (Armut)
  • Impotenz

Exkurs: Das komplexe Zusammenspiel von Zellen des Nervensystems und der Darmmuskulatur

Obstipation ist mehr als eine Befindlichkeitsstörung. Die Motilität des Dickdarms wird maßgeblich durch die komplexen Zellsysteme des enterischen Nervensystems (ENS), der glatten Darmwandmuskulatur sowie der Cajal-Zellen (ICC) innerhalb der Darmwand gesteuert.

Das enterische Nervensystem besteht aus dem Plexus myentericus und dem Plexus submucosus. Es unterhält als „brain of the gut“ autonom mit ca. 100 Millionen plastischen Neuronen unterschiedliche Reflexschaltkreise. Intrinsische primär afferente Nervenzellen (IPAN) kodieren als sensorische Neurone mechanische Reize (z. B. Wandspannung und intraluminalen Druck) und chemische Reize (z. B. pH-Wert und Osmolarität). Sie erhalten außerdem Stimuli über den Neurotransmitter Serotonin aus enterochromaffinen Zellen. IPAN projizieren über festgelegte Transmittermuster zu ihren primären Zielzellen: den Interneuronen und Motorneuronen. Interneurone entscheiden als Kommunikationszellen des ENS über eine Reflexaktivierung oder -hemmung durch Motorneurone. Diese innervieren das Effektorsystem der Motilität des Magen-Darm-Trakts, die glatte Muskulatur. Botenstoffe wie Acetylcholin und Substanz P wirken motilitätsfördernd, Stickstoffmonoxid, Vasoaktives intestinales Peptid und Adenosintriphosphat motilitätshemmend.

Kontraktilität, Tonus und Fortleitungsgeschwindigkeit der myoelektrischen Aktivität werden durch die interstitial cells of Cajal ICC bestimmt. ICC erzeugen als Schrittmacherzellen, analog den Purkinje-Fasern am Herzen, spontane Depolarisationen, sogenannte „slow waves“. Unregelmäßige Potenzialwellen werden auf die glatte Muskulatur übertragen und ermöglichen nach Motorneuroneinfluss und Calcium-Einstrom Kontraktionen der glatten Muskulatur. Hauptzentrum der Schrittmacherzellen ist das Colon transversum.

Neurone und Muskulatur erzeugen ein für den Dickdarm charakteristisches Bewegungsmuster.

Die Hauptbewegungsform des proximalen Kolons ist eine nicht-propulsive segmentäre Peristaltik. Segmentationen entstehen durch Kontraktionen der Ringmuskulatur und Tänien, der bandförmigen Längsmuskelschicht des Dickdarms. Die autonomen Kontraktionen treten ein- bis fünfmal pro Minute über wenige Millimeter auf und ermöglichen durch Haustrierung und Pendelbewegungen eine lange Kontaktzeit des Chymus mit der Darmschleimhaut sowie eine Reservoirbildung. Für die Fermentations- und Absorptionsarbeit des Darms ist die nicht vorwärtstreibende Peristaltik von besonderer Wichtigkeit, da der Darm mit einer Länge von ca. 1,5 m und einer apikalen Oberfläche von 25 bis 30 m2 deutlich weniger Resorptionsfläche als der Dünndarm bietet.

Hauptaufgaben des distalen Kolons sind Stuhleindickung und Reservoirbildung. Durch propulsive Peristaltik mit Kontraktionen der Ring- und Längsmuskulatur wird der Chymus drei- bis viermal täglich über 20 bis 30 cm in den Mastdarm bewegt. Ziel ist die Defäkation.

Die Kolontransitzeit ist abhängig von der Nahrungszusammensetzung (z. B. Art und Menge der Ballaststoffe), aber auch von individuellen Faktoren (z. B. Ausdauersport, Medikation, Stuhlverhalten). Sie liegt durchschnittlich bei 33  Stunden bei Männern und 47 Stunden bei Frauen. Eine Kolonverweildauer von bis zu 70 Stunden ist möglich.

Die Defäkation erfolgt nach Stimulation der Dehnungsrezeptoren des Rektums. Der Füllungsreiz bewirkt eine reflektorische Relaxation des Musculus spincter ani internus und eine Kontraktion des Musculus spincter ani externus. Die Kontinenz bleibt bestehen. Nach willentlicher Erschlaffung des äußeren Schließmuskels und der Beckenbodenmuskulatur erfolgt unter Hilfe der Bauchpresse eine schmerzfreie Darmentleerung. Eine Stuhlfrequenz zwischen drei mal täglich und drei mal pro Woche gilt als normal.

Was den Darm lahmlegt

Herkömmliche Ursachen der Obstipation sind ballaststoff­arme Kost, verringerte Flüssigkeitsaufnahme und Bewegungsmangel. Eine Bestätigung durch evidenzbasierte Daten blieb bisher aus. So konnte aber gezeigt werden, dass es sich eher um begünstigende Faktoren bei Obstipationsneigung handelt als um die Ursache selbst.

Ätiologisch abzugrenzen ist die primäre von der sekundären Obstipation. Primäre Obstipationen sind häufig idiopathisch. In 50 Prozent der Fälle zeigt sich ein ungestörter Transport des Darminhalts durch den Dickdarm. Strukturelle intestinale Passagehindernisse können zu Stuhlentleerungsstörungen führen. Intestinale luminale und extra-luminale Obstruktionen durch Beckenbodensenkung, Analfissuren, Hämorrhoiden und Tumore sind möglich (30 Prozent). Reflektorisch bedingte Entleerungsstörungen, wie z. B. fehlende intestinale Wandspannung, fehlender Grundtonus oder paradoxe Anspannung des Schließmuskels, sind funktionelle Obstipationen, die durch eine Schädigung der senso-motorischen Funktion des Darms mit Funktionseinschränkung oder –verlust des enterischen Nervensystems, der glatten Muskulatur oder der Cajal-Zellen entstehen („slow transit“-Obstipation; 20 Prozent).

Ursachen sekundärer Obstipationen können organischen Ursprungs (Tab. 1) sein, aber auch durch Arzneimittel und deren Nebenwirkungen ausgelöst werden (Tab. 2).

Tab. 1: Erkrankungen, die zu sekundären Obstipationen führen können
neurologische Erkrankungen
  • Rückenmarksquerschnitt
  • Läsionen vegetativer Nerven­geflechte
  • autonome Neuropathien
  • Morbus Parkinson
  • Apoplex
  • Demenz
  • Depression
  • Multiple Sklerose
metabolische und endokrine Erkrankungen
  • Diabetes mellitus
  • Hypothyreose
  • Schwangerschaft (v. a. 3. Trimenon)
  • Zyklus (prämenopausal)
systemische Erkrankungen
  • Kollagenose
  • Amyloidase
Tab. 2: Arzneimittel, die zu sekundären Obstipationen führen können
Arzneimittelgruppe
Beispiele von Wirkstoffen
Opioide
Codein, Morphin, Oxycodon, Levo-Methadon, Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl
Anticholinergika
tricyclische Antidepressiva, (Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin)
Neuroleptika (Haloperidol, Olanzapin)
Atenolol
Nifedipin
Furosemid
Carbamazepin
Timolol
Oxybutynin
Diuretika
Furosemid
Hydrochlorothiazid
Antazida
Calciumcarbonat

Zu den neurologischen Erkrankungen zählen Läsionen der Nervengeflechte, autonome Neuropathien, Multiple Sklerose und Morbus Parkinson. Ungefähr 60 Prozent der Patienten leiden mit fortschreitendem Verlauf der Erkrankung an Verstopfung. Parkinson-spezifische Lewy-Körperchen finden sich im enterischen Nervensystem. Auch der Verlust dopaminerger Neurone kann einen Einfluss auf die Dickdarm­motilität haben. Apoplex, Demenz und Depressionen sind weitere mögliche Erkrankungen, die eine Obstipation aus­lösen können. Metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus lösen Verstopfung durch Verlust der neuronalen Kontrolle aus. Eine gute Stoffwechseleinstellung ist somit zwingend erforderlich. Bei der Hypothyreose zählt die Obstipation nicht zu den Leitsymptomen. Wohingegen die hor­monellen Veränderungen der Schwangerschaft und der Prämenopause oft mit Obstipation einhergehen.

Opioide hemmen über Interaktion mit µ-Rezeptoren peristaltische Reflexe und erhöhen den Ruhe-Sphinkter-Tonus. Die gastrointestinale Sekretion ist reduziert. So entsteht ein trockener, harter Stuhl. Anticholinergika hemmen kompetitiv Muskarin-Rezeptoren und unterdrücken die Wirkung von Acetylcholin im enterischen Nervensystem.

Bei älteren Menschen mit Polymedikation summieren sich die obstipierenden Effekte. Ziel ist die Senkung der anticholinergen Last. Diuretika begünstigen eine Verstopfung aufgrund der Wasserausscheidung und möglicher Elektrolytverschiebungen.

Was ist in der Selbstmedikation zu beachten?

Im Beratungsgespräch sind zunächst das Stuhlverhalten, die Einnahme von Arzneimitteln, Begleitsymptome und bestehende Grunderkrankungen abzuklären. Zwingend notwendig ist auch, über mögliche Änderungen der Lebens- und Essgewohnheiten oder psychische Belastungen zu sprechen.Aufgrund der vielfältigen Symptomatik ist die Abgrenzung zu einer diagnosebedürftigen Obstipation in der Selbstmedikation dringend notwendig. Zu den Grenzen zählen:

  • Säuglinge und Kleinkinder,
  • länger bestehende Obstipation,
  • Obstipation im Wechsel mit Diarrhö,
  • plötzliche Verstopfung mit Fieber, Übelkeit und Erbrechen,
  • starke abdominale Schmerzen,
  • Blut im Stuhl,
  • Kolonkarzinom (Ausschlussdiagnose bei Personen über 50 Jahren) und
  • sehr hoher Leidensdruck.

Leitliniengerechte Therapie

Ziel der Therapie ist nicht das Erreichen einer regelmäßigen Stuhlfrequenz, sondern eine Reduktion des mit der unbefriedigenden Defäkation verbundenen Beschwerdekomplexes. Die S2k-Leitlinie „Chronische Obstipation“ der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität

(DGNM) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) empfiehlt ein stufenweises Vorgehen (Abb. 1).

Abb. 1: Therapie der chronischen Obstipation nach S2k-Leitlinie Chronische Obstipation der Deutschen Gesellschaft für Neuro­gastroenterologie und Motilität (DGNM) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).

Folgende Laxanzien können therapeutisch eingesetzt werden:

  • osmotisch wirksame Laxanzien:
    Lactose,
    Lactulose,
    Lactitol,
    Macrogol,
    Magnesiumsulfat,
    Natriumsulfat;
  • antiresorptiv und hydragog wirksame Laxanzien:
    Bisacodyl,
    Natriumpicosulfat,
    Anthrachinone;
  • Gleitmittel:
    Paraffin;
  • Defäkationsauslöser:
    Glycerol,*
    Sorbitol,
    Docusat-Natrium,
    Natriumhydrogenphosphat, Natriumdihydrogenphosphat, Natriumhydrogencarbonat.

Die Basis jeder Obstipationstherapie sind Allgemeinmaßnahmen:

  • ausreichende Flüssigkeitsaufnahme:
    Eine tägliche Trinkmenge von 1,5 bis 2 Liter ist empfohlen. Eine höhere Flüssigkeitszufuhr hat keinen therapeutischen Effekt und ist klinisch nicht relevant. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Herzinsuffizienz und/oder Niereninsuffizienz, die auf eine definierte Trinkmenge achten müssen.
  • altersgerechte Bewegung:
    Für eine Verbesserung der Obstipationsbeschwerden bei körperlicher Aktivität gibt es keine Studienbelege. Es gilt, Inaktivität zu vermeiden und eine altersentsprechende Aktivität zu gestalten.
  • ballaststoffreiche Ernährung:
    Ballaststoffe können Obstipationssymptome bessern. Die empfohlene Tagesmenge liegt bei 30 g. Diese wird von 68% der Männer und 75% der Frauen nicht erreicht. Ballaststoffe können als Füll- und Quellmittel in Form von Weizenkleie, Leinsamen sowie Flohsamen und Flohsamenschalen eingenommen werden. Aufgrund störender Begleitsymptome wie Blähungen und ab­dominale Krämpfe ist die Toleranz gegenüber Ballaststoffen sehr gering.
  • Keine Unterdrückung des Stuhldrangs.

Bei unzureichender Wirkung der Allgemeinmaßnahmen oder Unverträglichkeiten der Therapie stehen konventionelle Laxanzien zur Verfügung (Tab. 3).

Tab. 3: Wirkstoffe und Präparate zur Selbstmedikation der Obstipation
Wirkstoff(e)
Präparate ­(Beispiele)
Indikation
Kontraindi­kation
Anwendung
Wirkeintritt
Beratungs­hinweise
Osmotisch wirksame Laxanzien
Macrogol 3350/4000
Movicol®, ­Dulcolax® M Balance, ­Laxofalk®
zur Anwendung bei chronischer Obstipation
Obstipation aufgrund struktureller oder funktioneller Störungen, Ileus, CED, toxisches Megakolon
Erwachsene: akut: 1 – 3 Beutel pro Tag,
Langzeittherapie: 1 – 2 Beutel pro Tag
24 – 48 h
Behandlungszeitraum bis zu zwei Wochen;
fertige Lösung bis zu 24 Stunden im Kühlschrank haltbar;
verminderte Absorption von ­Levetiracetam bei gleichzeitiger Einnahme
Lactulose
Bifiteral®, Lactulose ­Hexal®
Obstipation, die durch ballaststoffreiche Kost und andere allgemeine Maßnahmen nicht ausreichend be-einflusst werden kann
Ileus, Darmperforation
1 – 2 mal tgl. 3 – 6 g Lactulose
2 – 10 h
Bei ungenügender Dosierung tritt die Wirkung erst nach 24 – 48 h ein;
Diabetiker müssen Kohlenhydratgehalt berücksichtigen
Lactitol
Importal®
zur symptomatischen Behandlung der Obstipation, die durch schlackenreiche Kost und andere Maß-nahmen nicht beeinflusst werden kann
Ileus, künstlicher Darmausgang
zu Beginn zwei Beutel pro Tag,
Langzeittherapie: 1 – 1 ½ Beutel pro Tag
2 – 10 h
reichlich Flüssigkeit nachtrinken
Magnesiumsulfat
F.X. Passage® SL Pulver
akute und chronische Verstopfung
Ileus, eingeschränkte Nierenfunktion
10 – 20 g als iso­tone Lösung
30 min – 2 h
nur zur kurz­fristigen An­wendung
Natriumsulfat
Glaubersalz Bombastus®
zur kurzfristigen Anwendung bei Verstopfung (Obstipation) sowie zur Darmentleerung vor diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
Ileus, Kinder unter sechs Jahren
10 – 20 g als iso­tone Lösung
30 min – 2 h
nur zur kurz­fristigen An­wendung
Antiresorptiv und hydragog wirksame Laxanzien
Bisacodyl
Bekunis® Dragees, ­Dulcolax® Dragees und Suppositorien, Laxans ratiopharm® TMR
Anwendung bei Obstipation, bei Erkrankungen, die eine erleichterte Defäkation erfordern, sowie zur Darmentleerung bei diagnostischen und therapeutischen Eingriffen am Darm
Darmobstruktion, Ileus, CED, starke abdominale Beschwerden, Kinder unter zwei Jahren
oral: 1 × 5 mg am Abend
rektal: 1 × 10 mg
Oral:
Nüchtern: 6 h nach Einnahme, ansonsten 6 – 12 h
rektal:
15 – 30 min
Zur kurzfristigen Anwendung: ca. 1 Woche; keine Einnahme mit Milch, da Auflösen der Dragierschicht beschleunigt
Natriumpicosulfat
Dulcolax® NP Kinder Tropfen, Laxoberal® Tropfen, Agiolax® Pico Abführpastillen
zur Anwendung bei Obstipation sowie bei Erkrankungen, die eine erleichterte Defäkation erfordern
Darmobstruktion, Ileus, CED, starke abdominale Beschwerden, schwere Dehydration
5 – 10 mg am Abend
nüchtern: 6 h nach Einnahme, ansonsten 6 – 12 h
zur kurzfristigen Anwendung: ca. 1 Woche
Anthrachinone, z. B. Kap-Aloe, Faulbaumrinde, Sennesblätter, Sennesfrüchte, Rhabarberwurzel
Neda® Früchtewürfel, Midro® Tee, Agiolax®
zur kurzfristigen Anwendung bei Obstipation
Ileus, Atonie, CED, Kinder unter zehn Jahren, Dehydra­tion mit Wasser- und Elektrolytverlust
max. 30 mg Hydroxyanthracen-Derivat
8 – 12 h
Dauer der Anwendung: max. 2 Wochen, reichlich Flüssigkeit trinken, nach der Einnahme Abstand von 30 – 60 min zu anderen Arzneimitteln
Rizinusöl
Raffiniertes Rizinusöl Caelo
zur kurzfristigen Anwendung gegen Verstopfung
Ileus, Gallensteinleiden
10 – 30 ml
2 – 4 h
Anwendung häufig mit ab­dominalen Beschwerden verbunden
Gleitmittel
Paraffin
Obstinol®
zur kurzfristigen Anwendung bei Obstipation
Schluck- und Magenentleerungsstörungen, Ileus
10 – 45 ml
6 – 12 h
Obsolet! Gefahr der Lipidpneumonie, Störung der Resorption fettlöslicher Vitamine
Defäkationsauslöser
Glycerol
Glycilax®
zum Abführen bei Verstopfung und schmerzhafter Stuhlentleerung
Ileus
1 – 3 Zäpfchen
90 min
vor der Anwendung in der Folie kurz unter kaltes Wasser halten; Einwirkzeit mind. 1 h, Anwendungsdauer 10 Tage
Sorbitol
Microlax®
zur kurzfristigen Anwendung bei Obstipation sowie bei Erkrankungen, die eine erleichterte Defäktion erfordern.
Ileus
1 Miniklistier
5 – 20 min
bei Säuglingen und Kleinkindern unter drei Jahren Tubenhals nur bis zur Hälfte einführen
Docusat-­Natrium
Norgalax®
zur symptomatischen Behandlung von Obstipationen
intestinale Obstruktion, Ileus, Fissuren und Blutungen im Analbereich
1 Miniklistier
5 – 20 min
Natrium­hydrogenphosphat, Dinatrium­hydrogenphosphat, Natriumhydrogencarbonat
Freka Clyss® Klistiere, Lecicarbon®
bei Verstopfung (Obstipation)
Niereninsuffizienz, Darmveränderung mit verlängerter Verweildauer
1 Klistier (120 ml)
10 – 20 min
zum leichteren Einführen Verschluss und Schlauch fetten

(Quelle: Lauer-Fischer-Taxe, 09.11.2017)

1. Wahl: Macrogol, Bisacodyl, Natriumpicosulfat

Macrogol (Polyethylenglycol) bindet über polare Sauerstoffatome mit hoher Affinität das Wasser, mit dem es eingenommen wird (125 – 250 ml). Im Darm wird so das Stuhlvolumen erhöht. Die füllungsbedingte Dehnung bewirkt eine neuromuskuläre Anregung der propulsiven Kolonmotilität mit Auslösen der Defäkation. Macrogol ist in Stuhlfrequenz, Stuhlform und Erleichterung von abdominellen Schmerzen der Lactulose überlegen. Der Zusatz von Elektrolyten bei der Obstipationsbehandlung ist nicht notwendig.

Eine Begrenzung der Einnahmedauer ist laut Leitlinie nicht notwendig. PEG wird nur minimal resorbiert. Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts konnten nicht nachgewiesen werden.

Bisacodyl und Natriumpicosulfat sind Prodrugs, die durch Darmbakterien in ihre aktive Wirkform überführt werden. Diphenole erhöhen das Darmvolumen durch Hemmung der Resorption von Wasser und Natrium, vermindern die Stuhlkonsistenz durch Steigerung der Sekretion von Wasser und Kalium und wirken zusätzlich als Kontaktlaxans mit Stimulation der reflektorischen Peristaltik. Auch für Bisacodyl und Natriumpicosulfat gilt keine Beschränkung der Einnahmedauer. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch bleibt der Kalium-Spiegel konstant. Ein Kalium-Mangel kann nur bei Missbrauch mit provozierten Durchfällen nachgewiesen werden. Schwere Hypokaliämien wurden nicht beobachtet.

Wichtig ist, die Anwendung auf ein- bis zweimal pro Woche zu beschränken.

2. Wahl: Zuckerstoffe und Anthrachinone

Zucker und Zuckeralkohole sind osmotisch wirksame Laxanzien. Lactose ist schwer resorbierbar und wirkt nach fünf bis 48 Stunden bei einer Dosierung von 40 g bei Erwachsenen. Die osmotische Wirkung erfolgt nach Überschreiten der Digestionskapazität.

Lactitol ist weitgehend vergleichbar mit Lactulose (30 ml Lactulose entsprechen 20 ml Lactitol). Die Voraussetzung für die Wirkung von Lactulose ist das Fehlen einer intestinalen Dissacharidase mit der Fähigkeit zur Spaltung von Zuckermolekülen. Lactitol und Lactulose werden im Dickdarm durch Kolonbakterien zu niedermolekularen Fettsäuren abgebaut. Aus Lactulose entstehen so Milch-, Essig-, Propion- und Buttersäure sowie Gase. Neben der Erhöhung des osmotischen Drucks, kommt es durch die Säureeinwirkung zu einer pH-Wertveränderung und Reizung sensorischer Neurone mit Anregung der Peristaltik.

Nachteile der Therapie sind Blähungen, Flatulenz, Darm-geräusche und abdominale Schmerzen. Bei längerer Transitzeit geht die Wirkung der Lactulose verloren.

Anthrachinone sind ebenso wie Bisacodyl und Natriumpicosulfat antiresorptiv und hydragog wirksam. Dickdarmbakterien aktivieren Anthrachinone zu Anthronen, der eigent­lichen Wirkform.

Anthrachinone zeigen sich gegenüber Lactulose überlegen. Jedoch fehlen langfristige, systemische Untersuchungen, um eine Daueranwendung zu empfehlen.

Sonstige Laxanzien

Salinische Laxanzien wie Natrium- und Magnesiumsulfat werden wegen der Gefahr potenzieller unerwünschter Arzneimittelwirkungen nicht mehr häufig eingesetzt. Da sie bereits im Dünndarm wirken, kommt es bei ihrer Anwendung häufig zu Durchfällen. Bei Überdosierung besteht die Gefahr eines paralytischen Ileus.

Ebenfalls im Dünndarm wirkt Rizinusöl. Die freie Wirkform Rizinolsäure wird durch Lipasen gebildet. Auch hier sind Durchfälle und Magenreizungen häufige Nebenwirkungen. Rizinusöl gilt als obsolet.

Der Einsatz von Paraffinöl ist nicht mehr empfohlen. Trotz gutem Gleitmitteleffekt überwiegt die Gefahr einer Lipidpneumonie durch Aspiration.

Klysmen und Suppositorien sind vor allem bei Entleerungsstörungen von Vorteil, da sie das Rektum von Kot befreien.

Bei funktioneller Obstipation haben Probiotika einen moderaten Effekt auf Stuhlfrequenz und –konsistenz. E. coli Nissle 1917, Lactobacillus Casei Shirota und Bifidobacterium animalis zeigen positive Effekte auf die Kolontransitzeit. |

Literatur

S2k-Leitlinie Chronische Obstipation der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS): Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie, 021/019, Stand 02/2013

Neubeck M. Evidenzbasierte Selbstmedikation 2017/2018, Deutscher Apotheker Verlag, 2017

Erckenbrecht JF, Jonas S. Viszeralmedizin, Springer-Verlag, 2015

Pape HC et al. Physiologie, Thieme, 2014

Riemann JF. Gastroenterologie in Klinik und Praxis , Thieme, 2005

Schemann M. Das enterische Nervensystem, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, 2001

Rome III Diagnostic Criteria for Functional Gastrointestinal Disorders, Appendix A. http://www.romecriteria.org/assets/pdf/19_RomeIII_apA_885-898.pdf

aerzteblatt.de. Geriatrie: Anticholinerge Last als Sterberisiko. 24.06.2011. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/46382/Geriatrie-Anticholinerge-Last-als-Sterberisiko

Rossol S, Köhler U, Hinkel U. Obstipation bei Patienten mit Diabetes mellitus. Dtsch Apoth Ztg 2008;148(14):119-135

Presseinformation Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. Ballast­stoffe – kein überflüssiger Ballast. DGE aktuell 11/2008

Autorin

Tatjana Buck, studierte Pharmazie in Tübingen, 2007 Approbation, Weiterbildung in Homöopathie und Naturheilkunde sowie geriatrischer Pharmazie, ATHINA-Apothekerin und -Tutorin.

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