Laxanzien und Demenzrisiko

Langzeitgebrauch von Abführmitteln – doch besser kritisch hinterfragen?

Stuttgart - 28.03.2023, 17:50 Uhr

Vor allem, wenn Patient:innen kaum noch mobil sind, kann es zu chronischer Obstipation kommen. Abführmittel können dann helfen. (Foto: Satjawat / AdobeStock)

Vor allem, wenn Patient:innen kaum noch mobil sind, kann es zu chronischer Obstipation kommen. Abführmittel können dann helfen. (Foto: Satjawat / AdobeStock)


Abführmittel sollte man beispielsweise aufgrund des Gewöhnungseffektes nicht über Jahre hinweg einnehmen – oder? Diese Faustregel steckt noch in vielen Köpfen, gilt mittlerweile aber als überholt. Jetzt gibt es allerdings eine neue Art von Bedenken, nämlich dass der chronische Gebrauch von Laxanzien die Entstehung einer Demenz fördern könnte. Gesichert ist dieser Zusammenhang noch nicht, doch die DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) rät zur Vorsicht im Umgang mit Laxanzien.

Abführmittel wie Bisacodyl und Natriumpicosulfat genießen noch heute keinen guten Ruf, weil ihnen lange Zeit ein Gewöhnungseffekt und Elektrolytverschiebungen als Nebenwirkung nachgesagt wurden. Die aktuelle Leitlinie zur chronischen Obstipation empfiehlt die beiden Laxanzien mittlerweile aber, neben Macrogolen, sogar als Mittel der ersten Wahl – ohne Begrenzung des Einnahmezeitraums. (Zuvor sollte allerdings versucht werden, durch eine Veränderung des Lebensstils und die Zufuhr von Ballaststoffen eine Besserung zur erreichen.) Elektrolytverschiebungen im Serum sollen laut Leitlinie bei bis zu jahrzehntelanger Einnahme nicht beobachtet worden sein. Als Nebenwirkung könnten lediglich krampfartige Bauchschmerzen auftreten – bedingt durch die Wirkungsweise von Bisacodyl und Natriumpicosulfat: Die beiden Wirkstoffe stimulieren die Darmbewegungen und hemmen die Wasserresorption aus dem Darm beziehungsweise stimulieren die Sekretion. Auch bei geriatrischen Patient:innen sei mit Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaushaltes nur bei Überdosierung zu rechnen.

Können Abführmittel also ohne Einschränkungen in der Apotheke auch für den Langzeitgebrauch empfohlen werden? Wenn es nach der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) geht, besser nicht.

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Die DGN weist in einer Mitteilung vom vergangenen Freitag darauf hin, dass auch zwischen Darmflora und Hirngesundheit ein Zusammenhang besteht – und Abführmittel laut einer aktuellen Studie einen Demenz-Risikofaktor darstellen könnten. „Die Studie ist keine randomisierte-kontrollierte Studie, daher nicht beweisgebend, dass Abführmittel das Demenz-Risiko tatsächlich erhöhen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Dennoch raten wir angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht im Umgang mit Laxanzien, gerade vor dem Hintergrund, dass Demenzerkrankungen immer weiter zunehmen“, erklärt DGN-Generalsekretär und Pressesprecher Prof. Dr. Peter Berlit. Er meint, dass viele Menschen auf Abführmittel verzichten könnten, wenn sie ihre Ernährung umstellen. Eine gesunde Ernährung gelte ohnehin als wichtige Säule der Demenzprävention.

Welche Abführmittel erhöhen das Demenz-Risiko?

Die DGN bezieht sich auf eine im Februar im Journal „Neurology“ veröffentlichte Studie. Darin heißt es im Fazit: „Die regelmäßige Einnahme von Abführmitteln wurde mit einem höheren Risiko für Demenz jeglicher Ursache in Verbindung gebracht, insbesondere bei denjenigen, die mehrere Abführmittelarten oder osmotische Abführmittel verwendeten.“ Laut aktueller deutscher Leitlinie zählen beispielsweise Macrogole oder Lactulose zu den osmotischen Laxanzien und Bisacodyl oder Natriumpicosulfat zu den stimulierenden. 

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Wie die DGN erläutert, handelt es sich bei der Untersuchung um eine große prospektive, populationsbasierte Kohortenstudie, die auf Daten einer Biobank aus Großbritannien basiert. Die Proband:innen waren im Mittel 56,5 ± 8,1 Jahre alt und zu Studienbeginn (Zeitraum 2006 bis 2010) nicht an Demenz erkrankt. Ob im späteren Verlauf eine Demenz auftrat, wurde bis zum Jahr 2020 beobachtet. Berücksichtigt wurde jede Art von Demenz, also auch Alzheimer und vaskuläre Demenz.

Abführmittel erhöhen offenbar nicht das Alzheimer-Risiko

Von 502.229 auswertbaren Teilnehmer:innen nahmen 18.235 (3,6 Prozent) regelmäßig Abführmittel ein. Als „chronisch“ galt der Laxanziengebrauch bei einer „Einnahme an den meisten Tagen einer Woche in den vier Wochen vor der Studienaufnahme“, so die DGN. Schließlich erhielten in der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 9,8 Jahren 1,3 Prozent (218 Teilnehmer:innen) der Abführmittel-Gruppe eine Demenzdiagnose. In der Vergleichsgruppe waren es nur 0,4 Prozent (1.969 Teilnehmer:innen). Wie die DGN erklärt, war der Abführmittelgebrauch damit signifikant mit der Entstehung einer vaskulären Demenz assoziiert (Hazard Ratio 1,65), nicht jedoch mit der Alzheimer-Demenz (HR 1,05).

Wie die DGN weiter ausführt, scheint das Risiko für jegliche Art von Demenz sowie für die vaskuläre Demenz mit der Zahl der eingenommenen unterschiedlichen Laxanzien zu steigen. 5.800 Proband:innen hatten allerdings angegeben, nur eine Sorte Abführmittel eingenommen zu haben. In dieser Untergruppe zeigte sich, dass nur osmotisch wirksame Abführmittel signifikant mit dem allgemeinen Demenzrisiko (HR 1,64) und dem für Demenzen vaskulärer Ursache (HR 1,97) assoziiert zu sein scheinen. Laut DGN „ziehen“ osmotische Abführmittel Wasser in das Darmlumen. „Bei einem zu häufigen Gebrauch oder bei zu hohen Dosen kann es zu einem gestörten Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen“, heißt es in der Mitteilung. In der Fachinformation von beispielsweise Laxbene® (Stand September 2018) heißt es dazu: 


„Im Fall von Diarrhoe ist bei Patienten, die zu Störungen des Wasser- bzw. Elektrolyt-Haushalts neigen (z. B. ältere Patienten, Patienten mit gestörter Leber- oder Nierenfunktion oder Patienten, die Diuretika einnehmen), Vorsicht geboten und es sollte eine Kontrolle der Elektrolyte in Erwägung gezogen werden.“ 

Fachinformation von Laxbene® (Stand September 2018)


In der Fachinformation von Moviprep® (Stand November 2018), das allerdings nicht bei chronischer Obstipation indiziert ist, sondern vor endoskopischen Untersuchungen, heißt es zudem: „Es wurde in seltenen Fällen von schweren Arrhythmien einschließlich Vorhofflimmern berichtet, welche mit dem Gebrauch von ionischen osmotischen Laxanzien zur Darmvorbereitung einhergehen. Diese treten hauptsächlich bei Patienten mit bestehenden kardialen Risikofaktoren und Elektrolytstörungen auf.“

Sind Abführmittel – insbesondere osmotische – also doch kritischer zu bewerten als es aktuell der Fall ist?

Wie beeinflussen Abführmittel das Demenz-Risiko?

Laut DGN hat bereits 2018 eine Studie gezeigt, „dass osmotisch wirksame Laxanzien das Mikrobiom verändern“. Dabei sei bekannt, dass eine gestörte Darmflora wiederum die sogenannte Darm-Hirn-Achse (z. B. den Vagusnerv) stören kann. Zudem könnten Abführmittel „die Epithelbarrieren des Darms stören und den Übergang von aus dem Darmmikrobiom stammenden neurotoxischen Stoffwechselprodukten in das zentrale Nervensystem erleichtern und inflammatorische Prozesse begünstigen“. 

Sollten Abführmittel also wirklich das Demenz-Risiko erhöhen, ist noch nicht klar, wie sie dies genau tun. Sicherlich ist die Studie aber ein Anreiz für Erwachsene, Abführmittel erst einzunehmen, wenn ausreichend Bewegung, Flüssigkeitsaufnahme und Ballaststoffe nicht helfen. Im Kindesalter sollte man bei Verstopfung hingegen zügig einen Facharzt aufsuchen, um eine Chronifizierung im Erwachsenenalter zu verhindern.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
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