Nach Kölner Todesfällen

Wie gefährlich ist Lidocain?

Stuttgart - 17.10.2019, 06:59 Uhr

Rund einen Monat nach den Todesfällen durch toxisch verunreinigte Glucose aus einer Kölner Apotheke deutet vieles auf ein Versehen hin. Nun ist auch bekannt, welche Substanz zum Tod zweier Menschen geführt hatte: Lidocainhydrochlorid. ( r / Foto: Bits and Splits /stock.adobe.com)

Rund einen Monat nach den Todesfällen durch toxisch verunreinigte Glucose aus einer Kölner Apotheke deutet vieles auf ein Versehen hin. Nun ist auch bekannt, welche Substanz zum Tod zweier Menschen geführt hatte: Lidocainhydrochlorid. ( r / Foto: Bits and Splits /stock.adobe.com)


Berichte über Todesfälle

2014 warnte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA davor, viskose, zweiprozentige Lidocain-Lösungen gegen Zahnungsbeschwerden bei Babys und Kleinkindern einzusetzen. Bei Überdosierungen und durch versehentliches Verschlucken kann Lidocain laut FDA zu Krampfanfällen, schweren Hirnschäden und Herzproblemen führen. Von insgesamt 22 analysierten Zwischenfällen endeten damals sechs mit dem Tod, drei weitere wurden als lebensbedrohlich eingestuft, elf führten zur Hospitalisierung, zwei konnten ambulant behandelt werden.

Und es gibt in der Vergangenheit weitere Meldungen über Todesfälle durch Lokalanästhetika.

Methämoglobinämie durch Lokalanästhetika

In etwa genauso bekannt wie die Lidocain-Gels für den Mund dürfte in Apotheken die Marke Emla® sein. 2012 wurden in Spanien Todesfälle im Zusammenhang mit der Anwendung von Emla® Creme beschrieben, die auf eine unsachgemäße Anwendung zurückzuführen waren. Der Grund: Eine lokalanästhesierend wirkende Lidocain-Prilocain-Creme kann bei großflächiger Applikation eine toxische Methämoglobinämie verursachen, schrieb damals die DAZ 39/2012.

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Weitere Fallberichte zeigten, dass die Indikation und Dosierungsempfehlungen von Emla® Creme, insbesondere bei Kindern, nicht eingehalten wurden: Eine intensivmedizinische Behandlung der toxischen Methämoglobinämie sei in allen Fällen erforderlich gewesen. Allerdings: Die Emla® Creme enthält auf ein 1 g neben 25 mg Lidocain auch noch 25 mg Prilocain.

Met-Hb-Spiegel über 70 Prozent sind potenziell tödlich

Eine Methämoglobinämie entsteht, wenn zweiwertiges Eisen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin (Hb) zu dreiwertigem Eisen (Methämoglobin, Met-Hb) oxidiert wird. Die Methämoglobinämie kann durch (medikamentöse) Auslöser erworben werden, aber auch erblich bedingt sein.

Met-Hb kann im Gegensatz zu Hämoglobin keinen Sauerstoff binden und transportieren. Es kommt zu einer Sauerstoffunterversorgung: Bei mehr als 10 Prozent Met-Hb-Anteil kommt es zu einer bläulich-grauen Verfärbung (Zyanose) der Haut, Lippen, Schleimhäute und Akren. Bei höheren Konzentrationen sind Unruhe, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerz, Tachykardie und Atemnot zu beobachten. Met-Hb-Spiegel über 70 Prozent sind potenziell tödlich.

Weil bei Neugeborenen die Aktivität des Enzyms NADH-Cytochrom-b5-Reduktase (früher: Methämoglobin-Reduktase) noch nicht ausreichend ist, besteht für sie eine erhöhte Gefahr der Ausbildung einer Methämoglobinämie. Zudem lässt sich das Hb von Neugeborenen leichter oxidieren. 

Und es gibt weitere Risikofaktoren, die einzelne Patienten besonders empfindlich reagieren lassen könnten: „Bei Patienten mit einem Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel, vererbter oder idiopathischer Methämoglobinämie besteht ein erhöhtes Potenzial, Anzeichen einer arzneimittelinduzierten Methämoglobinämie zu entwickeln“, heißt es in der Fachinformation.

Die Methämoglobin-Bildung hängt laut Fachinformation mit der kumulativen Menge von perkutan resorbiertem Prilocain zusammen und kann sich deshalb bei verlängerter Einwirkdauer von Emla® Creme erhöhen. Die Emla® Creme soll schließlich nicht bei Neugeborenen/Säuglingen im Alter von bis zu zwölf Monaten angewendet werden, die gleichzeitig mit Methämoglobin-induzierenden Arzneimitteln behandelt werden. Außerdem auch nicht bei Neugeborenen, die vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden, da bei ihnen das Risiko besteht, erhöhte Methämoglobinspiegel zu entwickeln.

Es wird davon ausgegangen, dass die Toxizität von Lidocain und Prilocain additiv ist. Beide Wirkstoffe zeigten eine geringe orale akute Toxizität und sollen daher eine gute Sicherheitsspanne aufweisen, falls Emla® versehentlich verschluckt wird.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Versagen DAV

von Dr Mathias Keil am 20.10.2019 um 10:37 Uhr

Lieber Herr Kollege Müller,
In Ihrem Kommentar machen Sie es sich zu leicht:
Zwar sind Ihre Anmerkungen zur Rezepturberechnung durchaus nachvollziehbar allerdings ist das vermutliche Fehlverhalten in der Apotheke dadurch keinesfalls zu entschuldigen. Es wurde offensichtlich gegen elementare GMP Regel (ID-Kontrolle, Reinigung, Untermischung...) verstoßen . Das genau aufzuklären ist Sache des Staatsanwaltes und eine erweiterte Schulung und Kontrolle der Apithekenmitarbeiter scheint mir auch erforderlich zu sein. Wenn wir nicht in der Lage sind elementare GMP Regeln in der Offizin umzusetzen , dann wird die Rezeptur|Defektur wohl aus der Apotheke verschwinden. Wollen wir das?

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Versagen des DAV

von Karl Friedrich Müller am 17.10.2019 um 7:49 Uhr

Im DAP wird heute die Abfüllung und die angebliche Unwirtschaftlichkeit der Fertigprodukte behandelt.
1. warum wird eine Abfüllung nicht wie eine normale Rezeptur behandelt und vergütet? Die derzeitige Berechnung ist ein alter Zopf
2. warum müssen KK keine Gefäße vergüten? Auch das ist nicht einzusehen. Ebenso ein alter Zopf aus grauer Urzeit, als man noch Gefäße reinigte.
Man hat versäumt, den Praxisbedarf anzupassen und eine angemessene Berechnung zu fordern.
Es kann nicht Sache von Apotheken sein, in ausbeuterischer Weise Dinge herzustellen, die fertig auf dem Markt sind. Rezepturen müssen TEURER sein als Fertigprodukte

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