Nach Kölner Todesfällen

Wie gefährlich ist Lidocain?

Stuttgart - 17.10.2019, 06:59 Uhr

Rund einen Monat nach den Todesfällen durch toxisch verunreinigte Glucose aus einer Kölner Apotheke deutet vieles auf ein Versehen hin. Nun ist auch bekannt, welche Substanz zum Tod zweier Menschen geführt hatte: Lidocainhydrochlorid. ( r / Foto: Bits and Splits /stock.adobe.com)

Rund einen Monat nach den Todesfällen durch toxisch verunreinigte Glucose aus einer Kölner Apotheke deutet vieles auf ein Versehen hin. Nun ist auch bekannt, welche Substanz zum Tod zweier Menschen geführt hatte: Lidocainhydrochlorid. ( r / Foto: Bits and Splits /stock.adobe.com)


Die Rolle von Leber, Niere, Enzymen und genetischer Disposition

Was passiert nun aber, wenn man sich in einem toxischen Dosierungsbereich bewegt, und wie wahrscheinlich ist es, diesen – unbeabsichtigt – zu erreichen? Laut Fachinformation von Xylocain® kann Lidocain bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion kumulieren und so das Risiko von toxischen Wirkungen erhöhen. 

Lidocain wird hauptsächlich in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden. Eine gleichzeitige Behandlung mit Arzneimitteln, die Substrate, Inhibitoren oder Induktoren von Cytochrom-P-450 1A2 (CYP1A2) oder Cytochrom-P-450 3A4 (CYP3A4) sind, kann die Metabolisierung und damit die Plasmakonzentration von Lidocain und dessen Wirkung ebenso beeinflussen. Die gleichzeitige Behandlung von Patienten mit Xylocain 2 Prozent und Propranolol kann laut Fachinformation beispielsweise zu einem Anstieg des Lidocainplasmaspiegels um circa 30 Prozent führen.

Symptome einer Intoxikation mit Lidocain

Laut Fachinformation kann es bei einer Überdosierung zu folgenden Symptomen kommen:

  • schwere Hypotension
  • Asystolie
  • Apnoe
  • Krampfanfälle
  • Koma.

Ein tödlicher Verlauf sei nicht auszuschließen. Erste toxische Effekte auf das ZNS wurden nach intravenösen Dosierungen von 3 – 5 mg/kg und subkutanen Dosierungen von 30 – 50 mg/kg gesehen. Als Grenzdosis, unterhalb der die Anwendung als sicher gilt, wird für Lidocain bei i.m.-Injektion 4 mg/kg Körpergewicht angegeben.

Die kardiovaskuläre Toxizität gilt als die am meisten gefürchtete Komplikation bei der Anwendung als Lokalanästhetikum. Die zentralnervösen Nebenwirkungen (Unruhe, Verwirrtheit, Schwindel, Ohrensausen, Somnolenz, Bewusstlosigkeit, Krämpfe) sollen den kardialen aber grundsätzlich voraus gehen und so als Warnsignale dienen. Herzstillstände durch Intoxikation gelten als schwer reanimierbar, weil die Pharmaka aus dem Myokard nur sehr langsam ausgewaschen werden. (Toxikologie, Marquardt / Schäfer /Barth, 4. Auflage, Seite 512, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.)

Laut dem Buch „Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie“ (11. Auflage, Urban Fischer Verlag, Seite 239) gilt es bei Vergiftungen mit Lokalanästhetika primär die Vitalfunktionen zu sichern (Sauerstoffbeatmung zur Vermeidung einer Hypoxie, bei Herzstillstand externe Herzmassage). Krämpfe sollen sich durch die i.v. Injektion von Diazepam oder Thiopental unterdrücken lassen.

Welcher Dosisbereich also toxisch wirkt, kann sich von Patient zu Patient durchaus unterscheiden; (beispielsweise ist auch bei bekannter genetischer Disposition zur malignen Hyperthermie eine Anwendung von Lidocainhydrochlorid zu vermeiden; es gibt laut Fachinfo auch Hinweise, dass Lidocain möglicherweise Porphyrie begünstigende Eigenschaften besitzt). Zudem sind in seltenen Fällen auch immer allergische Reaktionen (in den schwersten Fällen ein anaphylaktischer Schock) auf ein Lokalanästhetikum vom Amidtyp möglich (Quelle: Fachinfo Xylocain® Pumpspray dental).

Im aktuellen Fall interessant ist speziell die Information, dass aufgrund der geringen Enzymaktivität bei Neugeborenen die Gefahr einer Methämoglobinämie besteht. Könnte also jemand mit Lidocain gezielt ein ungeborenes Kind schädigen wollen? 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Versagen DAV

von Dr Mathias Keil am 20.10.2019 um 10:37 Uhr

Lieber Herr Kollege Müller,
In Ihrem Kommentar machen Sie es sich zu leicht:
Zwar sind Ihre Anmerkungen zur Rezepturberechnung durchaus nachvollziehbar allerdings ist das vermutliche Fehlverhalten in der Apotheke dadurch keinesfalls zu entschuldigen. Es wurde offensichtlich gegen elementare GMP Regel (ID-Kontrolle, Reinigung, Untermischung...) verstoßen . Das genau aufzuklären ist Sache des Staatsanwaltes und eine erweiterte Schulung und Kontrolle der Apithekenmitarbeiter scheint mir auch erforderlich zu sein. Wenn wir nicht in der Lage sind elementare GMP Regeln in der Offizin umzusetzen , dann wird die Rezeptur|Defektur wohl aus der Apotheke verschwinden. Wollen wir das?

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Versagen des DAV

von Karl Friedrich Müller am 17.10.2019 um 7:49 Uhr

Im DAP wird heute die Abfüllung und die angebliche Unwirtschaftlichkeit der Fertigprodukte behandelt.
1. warum wird eine Abfüllung nicht wie eine normale Rezeptur behandelt und vergütet? Die derzeitige Berechnung ist ein alter Zopf
2. warum müssen KK keine Gefäße vergüten? Auch das ist nicht einzusehen. Ebenso ein alter Zopf aus grauer Urzeit, als man noch Gefäße reinigte.
Man hat versäumt, den Praxisbedarf anzupassen und eine angemessene Berechnung zu fordern.
Es kann nicht Sache von Apotheken sein, in ausbeuterischer Weise Dinge herzustellen, die fertig auf dem Markt sind. Rezepturen müssen TEURER sein als Fertigprodukte

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