BfR-Höchstmengenempfehlungen (Teil 1)

Nahrungsergänzungsmittel: Welche, wann und für wen? 

Stuttgart - 21.02.2018, 16:30 Uhr

Gezielt
supplementieren oder bewusst ernähren? (Foto: Ingo Bartussek / stock.adobe.com)   

Gezielt supplementieren oder bewusst ernähren? (Foto: Ingo Bartussek / stock.adobe.com)   


Es gibt die Patienten in der Apotheke, die ‚wollen‘, dass Nahrungsergänzungsmittel helfen. Sie sind der Auffassung, dass es doch etwas geben müsse, das z.B. Erkältungen zuverlässig verhindert. Dann gibt es aber auch Patienten, die fragen: „Brauche ich das wirklich?“ In beiden Fällen ist die Antwort nicht immer einfach. Zwei Wissenschaftler aus Harvard wollen im Journal JAMA dabei weiterhelfen – unter dem Motto: „What clinicians need to know.“ Und auch das BfR hilft mit neuen Höchstmengen-Empfehlungen bei der Beratung zu Nahrungsergänzungsmitteln.

Vitamine und Mineralstoffe zur Nahrungsergänzung sind ein tägliches Thema in der Apotheke. In den USA sollen laut einem aktuellen Artikel aus dem JAMA mehr als 90.000 Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt sein – dahinter steht schätzungsweise eine 30 Milliarden-Dollar-Industrie. Im Text schildern zwei Wissenschaftler aus Harvard ihre Sicht zu Nahrungsergänzungsmitteln und deren Nutzen. Sie wollen für häufige Fragen aus der Praxis zu Nährstoff-Supplementen Antworten aufzeigen.

Wie wichtig es ist, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, begründen sie unter anderem mit einer Studie aus dem Jahr 2016, die besagt, dass 52 Prozent der erwachsenen US-Bürger mindestens ein Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Zehn Prozent sollen sogar mindestens vier Präparate konsumieren.

Wer als Europäer seinen Urlaub in den USA verbringt, dem fallen dort neben den vielen Apotheken wahrscheinlich auch die vielen Filialen von Läden wie „The Vitamin Shoppe“ auf: 26.000 verschiedene Nahrungsergänzungsmittel kann man laut Homepage dort kaufen. Aber welche davon sind sinnvoll – wann und für wen? 

Keine gesetzlichen Grenzwerte?

Auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beschäftigt sich immer wieder mit Nutzen und Risiken von Nährstoffsupplementen. Gesetzliche Höchstmengenregelungen werden zwar schon lange erwartet – seit der EU-Richtlinie (2002/46/EG) zur Angleichung der Rechtsvorschriften – dennoch gibt es sie bislang weder auf EU-Ebene noch in Deutschland. Länder wie Dänemark und Frankreich haben mittlerweile nationale Regelungen getroffen. 

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Hierzulande greifen laut BfR circa 25 bis 30 Prozent der Erwachsenen regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmitteln. Aus ernährungsphysiologischer Sicht seien Nahrungsergänzungsmittel jedoch im Allgemeinen nicht notwendig, heißt es. Deshalb sieht das BfR seine Aufgabe darin, die gesunde Bevölkerung vor übermäßiger Nährstoffaufnahme zu schützen.

Anfang des neuen Jahres hat es dazu seine Höchstmengenvorschläge von 2004 aktualisiert. Sie sollen in Deutschland die Grundlage für die Schaffung von gesetzlichen Regelungen bilden. 

Die neuen Höchstmengen-Empfehlungen des BfR

Produkte, die den neuen Empfehlungen des BfR entsprechen, sind für Personen ab 15 Jahren sicher. Was die Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) insgesamt schwierig gestaltet, ist, dass sowohl ein Mangel als auch eine Überversorgung Risiken bergen.

Deshalb wurde schon in den 1990er Jahren das Konzept des sicheren Zufuhrbereichs etabliert – nach unten durch die empfohlene Tageszufuhr (RDA = Recommended Daily Allowance) und nach oben durch die tolerierbare höchste Tagesaufnahmemenge (UL = Tolerable Upper Intake Level) begrenzt. Die UL berücksichtigt dabei alle Quellen, sodass die für NEM sichere Aufnahmemenge sich aus der Differenz von UL und Nährstoffzufuhr aus der üblichen Ernährung (inklusive angereicherte Lebensmittel), ableitet. 

Nicht routinemäßig einnehmen, aber...

Nahrungsergänzungsmittel werden meist eingenommen, um „gesund“ zu bleiben. Diesem Trend möchten JoAnn E. Manson und Shari S. Bassuk im JAMA entgegnen: In den meisten randomisierten klinischen Studien zu Vitamin- und Mineralstoff-Supplementen sei kein klarer Nutzen gezeigt worden, dass damit primär oder sekundär chronischen Erkrankungen (die nicht direkt mit einem Nährstoffmangel zusammenhängen) vorgebeugt werden könnte.

Dagegen würden manche Studien sogar nahelegen, dass die Nahrungsergänzung mit Mikronährstoffen schaden kann. Nämlich dann, wenn die zugeführte Menge die empfohlenen Dosierungen überschreitet (zum Beispiel bei hohen Dosen von Beta-CarotinFolsäureVitamin E oder Selen).

Klar ist: Nahrungsergänzungsmittel sind kein Ersatz für eine gesunde und ausgeglichene Ernährung. Mikronährstoffe in der Nahrung werden vom Körper typischerweise besser aufgenommen und führten laut den JAMA-Autoren auch zu weniger Nebenwirkungen. Die Gesundheit sei viel enger mit Ernährungsgewohnheiten als mit der individuellen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln verknüpft. 

Wann sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?

Das wohl bekannteste Feld, in dem Nahrungsergänzungsmittel zum Einsatz kommen, ist die Schwangerschaft. Was kann man Schwangeren kurz und knapp empfehlen? Laut den JAMA-Autoren: Folsäure und pränatale Vitamine. 

Frauen, die schwanger werden könnten und Frauen im ersten Trimester einer Schwangerschaft sollten laut den amerikanischen Empfehlungen zwischen 0,4 und 0,8 mg Folsäure pro Tag einnehmen, um Neuralrohrdefekten vorzubeugen. Dabei sei Folsäure einer der wenigen Mikronährstoffe, die in synthetischer Form besser verfügbar sind als in der Nahrung, heißt es im JAMA. Kombinationspräparate, die unter anderem Folsäure und Vitamin D enthalten, werden als sinnvoll betrachtet.

Ob routinemäßig Eisen eingenommen werden sollte, ist laut JAMA nicht ausreichend untersucht. Schwangeren sollte aber empfohlen werden, sich eisenreich zu ernähren. Calcium könnte zwar unter Umständen das Risiko für Gestationshypertonie und Präeklampsie vermindern, jedoch brauche es dazu noch weitere Daten. Auch beim Thema hohe Vitamin-D-Dosen werden mehr Daten benötigt. 

Schwangeren empfiehlt der JAMA-Artikel ein Handout für Patienten von „The American College of Obstetricians and Gynecologists“: Alle Schwangeren sollten demnach täglich mindestens 600 µg Folsäure pro Tag einnehmen (unabhängig von der Quelle). Für die tägliche Eisen-Zufuhr werden 27 mg empfohlen.

Für alle Frauen ab 19 Jahren wird eine Calcium-Zufuhr von täglich 1000 mg angeraten. Als Quelle sollten Milchprodukte bevorzugt werden. Auch bei Vitamin D wird für Schwangere keine erhöhte Zufuhr empfohlen: Alle Frauen bräuchten 600 I.E. Vitamin D pro Tag. Wie decken sich diese Empfehlungen mit den neuen Höchtmengenangaben des BfR?

Maximal 200 µg Folsäure in NEM?

Das BfR hat für die synthetische Folsäure eine generelle UL von 800 µg festgelegt. Weil die Grenze nur für die synthetische Folsäure gilt, könne die Aufnahme von Folat über die Nahrung außer Acht gelassen werden. Da aber sowohl in angereicherten Lebensmitteln, als auch in NEM synthetische Folsäure enthalten ist, sollten in einem NEM nicht mehr als 400 µg Folsäure pro Tagesdosis enthalten sein.

Um eine eventuelle Mehrfachexposition auszuschließen, wurde für die Höchtmengenempfehlung ein Unsicherheitsfaktor von zwei angewendet, sodass ein NEM nicht mehr als 200 µg synthetische Folsäure enthalten sollte.

Diese Empfehlung gilt jedoch nur für die Allgemeinbevölkerung: Für Frauen mit Kinderwunsch und im ersten Drittel der Schwangerschaft werden 400 µg Folsäure aus NEM pro Tag empfohlen, was sich mit den amerikanischen Empfehlungen deckt.

Was sind Folat-Äquivalente?

Synthetische Folsäure ist – auf nüchternen Magen – zu fast 100% bioverfügbar. Die in Lebensmitteln natürlich vorkommenden Folat-Verbindungen (Folate) werden schlechter verwertet. Im Körper ist das Tetrahydrofolat die biologisch aktive Form. Laut DGE entspricht 1 µg Folat-Äquivalent = 1 µg Nahrungsfolat = 0,5 µg Folsäure (nüchtern) = 0,6 µg Folsäure (mit Nahrung). Formel zur Berechnung:

1 µg Folat-Äquivalent = x µg Nahrungsfolat + (1,7 * x µg Folsäure)

Ganz einig ist sich die Fachwelt bezüglich der Folsäure-Höchstmengen allerdings nicht. Eine britische Studie kam Ende Januar 2018 zu dem Schluss, dass eine Höchstmengenangabe für Folate wissenschaftlich nicht zu begründen sei. Die aktuell vorhandene Höchstmenge verhindere, dass Mehl mit Folsäure angereichert wird – was die Wissenschaftler kritisieren.

Eisen nur nach Rücksprache mit dem Arzt

Das BfR fordert, einen Warnhinweis auf eisenhaltigen NEM anzubringen, der besagt, dass Männer, postmenopausale Frauen und Schwangere Eisen nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt einnehmen sollten. 

Weil die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (efsa) auf Basis der verfügbaren Daten (zu Risiken wie kardiovaskuläre Krankheiten, Krebs und Diabetes mellitus Typ 2) für Eisen keine UL ableiten konnte, bei menstruierenden Frauen der Eisenbedarf aber erhöht ist, wurde für die weibliche Altersgruppe zwischen 14 und 50 Jahren zur Höchstmengenableitung die UL des US-amerikanischen Institute of Medicine (IOM) von 45 mg/Tag herangezogen. Als generelle Tageshöchstmenge in NEM werden vom BfR daraus 6 mg Eisen errechnet. 

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Ein Nährstoff, der im JAMA-Artikel keine Erwähnung findet, ist Iod. Dessen Supplementation ist in Deutschland aber durchaus wichtig. Um einen Höchstmengenvorschlag zu berechnen, ging das BfR davon aus, dass in 30 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel in Deutschland Jodsalz verwendet wird. Als generelle Höchstmenge für NEM werden 100 µg Iod vorgeschlagen. Für schwangere und stillende Frauen ist jedoch eine Zufuhr von 150 µg/Tag zu empfehlen, was laut BfR auch auf der Packung vermerkt werden sollte.

Was in der Beratung von Schwangeren zu Nahrungsergänzungsmitteln wichtig sein könnte, wissen Sie jetzt. 

Lesen Sie in Teil 2, welche Nahrungsergänzungsmittel bei Kindern und Erwachsenen wichtig sind.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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