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Gesundheitsministerin a.D.
Was wurde eigentlich aus… Ulla Schmidt
Sie war die am längsten amtierende Gesundheitsministerin – Apotheker hatten mit ihren Entscheidungen zu kämpfen. Als Bundestags-Vizepräsidentin engagiert sich Ulla Schmidt jetzt für geistig behinderte Menschen. DAZ.online hat nachgefragt, was die SPD-Politikerin bewegt und wie sie auf die Zusammenarbeit mit Apothekern und Pharmaindustrie zurückblickt.
Während die Bundesgesundheitsminister in der Nachkriegszeit durchschnittlich nur rund 3,5 Jahre im Amt blieben, entschied Ulla Schmidt über fast neun Jahre über das Wohl und Wehe der deutschen Gesundheitspolitik. Anders als viele ihrer Vorgänger und Nachfolger blieb sie nach dem Regierungswechsel 2009 aktiv in der Politik und überstand auch einen medialen Aufschrei der Empörung über den nur vermeintlich ordnungswidrigen Einsatz ihres Dienstwagens. DAZ.online hat bei Ulla Schmidt nachgefragt: Was bewegt die SPD-Politikerin nun in ihrer Tätigkeit als Bundestags-Vizepräsidentin und Vorsitzende der Lebenshilfe Bundesvereinigung – und was hält sie für ihren größten Erfolg in Bezug auf Apotheken.
Den Finger in die Wunde legen
„Ich habe mich schon immer für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen engagiert“, erklärt Schmidt ihre Entscheidung von 2012, sich als Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe wählen zu lassen. Die 1949 in Aachen geborene Politikerin studierte Psychologie und Lehramt. Da sie als Mitglied einer kommunistischen Studentenorganisation zunächst eine Verpflichtungserklärung auf das Grundgesetz verweigerte, konnte sie erst ab 1975 als Lehrerin für Sonderpädagogik arbeiten. Seit 1990 ist Schmidt Abgebordnete im deutschen Bundestag und will dort „immer wieder den Finger in die Wunde legen“, um die Belange geistig behinderten Menschen weiterhin mehr in den Mittelpunkt zu rücken.
„Das Recht auf Teilhabe gilt für alle Menschen, auch für die mit höchstem Hilfebedarf“, sagt die Politikerin gegenüber DAZ.online. „Die Menschen können sich einbringen und ihre Wünsche äußern“, sagt Schmidt. „Sie wissen, wer Angela Merkel ist oder der Bundespräsident – oder sie fragen, wann bekommen wir endlich mehr Geld.“ Daher will sie ihre Rechte und Möglichkeiten im politischen Prozess stärken.
Großes gesellschaftliches Vorhaben
Schmidt freut sich, dass Barrierefreiheit inzwischen nicht nur mit Rollstuhlrampen in Verbindung gebracht wird – sondern auch mit leicht verständlichen Texten oder Gebärdensprachen-Dolmetschern. Doch arbeite sie daran, dass alle Menschen weiter aufeinander zugehen. „Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen, die nicht gehörlos sind, Gebärdensprache lernen“, sagt Schmidt. Dabei ist sie zuversichtlich, dass sie dem Lebenshilfe-Bundesverband mehr Gehör verschaffen konnte. „Die Lebenshilfe ist heute ein sehr gefragter Gesprächspartner, auch als Sachverständiger bei der Beratung von Gesetzen“, sagt Schmidt.
Ein Schwerpunkt für ihre Arbeit bei dem Dachverband ist die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die zur einer gleichberechtigen Teilhabe aller Menschen führen soll. „Wir könnten viel weiter sein, das würde ich mir wünschen“, sagt die Politikerin – aber es sei ein mühsamer Prozess und ein großes gesellschaftliches Vorhaben. „Wir haben viel erreicht, wenn sie denken, dass in der BRD die Schulpflicht für Kinder mit geistiger Behinderung erst 1967 eingeführt wurde – und Kinder mit geistiger Behinderung in der DDR noch bis 1989 als nicht bildungsfähig galten.“
Geschenkt wird nichts
Beim Bundesteilhabegesetz, das Bundessozialministerin Andrea Nahles im April vorlegt hatte und welches gleich stark von vielen Verbänden kritisiert wurde, gibt es laut Schmidt noch viel Reformbedarf, damit es ein großer Fortschritt wird. „Alle sind sehr gefordert, immer wieder offen zu sein für Veränderung und zu sagen: Wir brauchen einen großen Wurf“, sagt die SPD-Politikerin. „Dafür muss man kämpfen, geschenkt wird nichts.“
Kampferfahrung konnte Schmidt im Laufe ihrer Zeit als Ministerin viel sammeln – auch in Bezug auf Apotheken.
Streit um den Erhalt von Präsenzapotheken
Zurückblickend auf ihre Arbeit mit der Apotheker-Standesvertretung sagt Schmidt, es sei immer ein konstruktiver Dialog möglich gewesen. „Wir haben uns auch mal gefetzt, das gehört dazu – aber mit den Apothekern konnten wir uns verständigen“, erklärt sie. „Da gab es andere, mit denen es schwieriger war.“ Ihrer eigenen Aussage nach konnte sie sich bei Punkten nicht durchsetzen, die bis heute aktuell sind. „Ich hätte mir gewünscht, dass Apotheken gerade in Fragen der Beratung, Arzneimitteldokumentation und Prävention viel mehr Möglichkeiten bekommen hätten“, sagt die ehemalige Gesundheitsministerin.
Als größten politischen Erfolg in Bezug auf den Apothekenmarkt sieht Schmidt den Erhalt der Präsenzapotheken. „Bei Versandapotheken haben wir strenge Regularien eingeführt“, sagt sie. „Ich glaube, dass das ein wichtiger Erfolg ist und Apotheker hierdurch weiterhin ihre Aufgaben wahrnehmen konnten.“
Existenzvernichtende Sonderopfer?
Doch Ulla Schmidt ist durchaus kräftig bei Apothekern angeeckt. So beispielsweise, als sie nach der Einführung des festen Apothekenzuschlags von 8,10 Euro eigentlich einen Anspruch auf eine Einkommensgarantie hatten. Denn anders als von den Kassen befürchtet, stieg die Zahl der verkauften Packungen nicht, sondern sank. Apotheken hätte eine Summe von 350 Millionen Euro zugestanden, die auf 37 Millionen gesenkt wurde – mit einer Anpassung des Kassenrabatts. Angesichts der Sparpläne sprach der ehemalige ABDA-Präsident Hans Günter Friese von „existenzvernichtenden Sonderopfern“ der Apotheker und bewertete Schmidts Pläne zum GKV-Modernisierungsgesetz als „Frontalangriff auf die unabhängige öffentliche Apotheke“.
„Als wir die Finanzierung umgestellt hatten und die Befürchtung nicht eingetreten ist, dass alle pleitegehen, gab es Apotheker, die sich meldeten und sagten, sie hätten mir Unrecht getan“, erklärt Schmidt nun. „Es gab einen Streit und wir haben einen Weg gefunden.“ Sie verweist darauf, dass sie als Gesundheitsminister ja nur eine Art Vermittler gewesen sei. „Jeder muss seinen Beitrag zur Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens leisten“, sagt Schmidt.
Wichtige kulturelle Errungenschaft
Ihrer Meinung nach sei die SPD immer apothekenfreundlich gewesen, da die Partei um die Wirkung der Präsenzapotheke wüsste. „Sie gibt älteren Menschen Sicherheit – und alle Menschen in Deutschland haben jederzeit Zugang zu Medikamenten“, sagt Schmidt. „Dies ist eine wichtige kulturelle Errungenschaft. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir dabei bleiben.“
Wie Ulla Schmidt die Pharma-Industrie rettete
Auch in Richtung pharmazeutischer Hersteller versuchte Schmidt, die Eigenständigkeit von Apotheken zu verteidigen: Die Politikerin verweist auch auf Vorstellungen, dass die Pharmaindustrie Zugriff auf Apotheken bekommen könnte. „Ich bin glücklich, dass wir das verhindern konnten“, sagt sie.
Doch an anderer Stelle setzte sie sich für die Interessen der Industrie ein. So stampfte Schmidt Vorschläge für Preisabschläge nach „Schröders Rotweinrunde“ wieder ein.
„Das Ziel waren Einsparungen im Gesundheitswesen“, sagt Schmidt im Rückblick. Doch es gab Protest von verschiedensten Seiten. „Die Betriebsräte haben gesagt, ihr zerstört die Basis für Beschäftigung“, erklärt die Politikerin, „denn wir sind in Deutschland ein Referenzland für Arzneimittelpreise.“
Kein Ruhestand
Deshalb habe sie einen Weg gesucht, Geld zu sparen, ohne dass es zu offiziellen Preiskürzungen kommt. „Aber wir haben Abstand davon genommen, einfach die Preise zu senken und damit das ganze Weltgeschäft zu gefährden“, sagt Schmidt. Bis heute freunden sich Gesundheitspolitiker immer wieder mit vertraulichen Preisen an – wie es auch jetzt wieder im Pharmadialog beschlossen wurde.
Ulla Schmidt setzt sich weiterhin engagiert in der Gesundheitspolitik ein. So will sie diese Woche mit einem fraktionsübergreifenden Antrag erreichen, dass umstrittene Arzneimitteltests an Demenzkranken verboten bleiben, wenn diese nicht selber von der Forschung profitieren können.
Ob sie nach dann 27 Jahren im Bundestag im nächsten Jahr ein weiteres Mal kandidieren möchte, lässt sie derzeit noch offen. Klar ist hingegen, dass sie für eine weitere Amtszeit als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe antreten wird.
3 Kommentare
Abzocke Direkt Lebensversicherung
von detlef dammer am 20.02.2017 um 12:06 Uhr
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Ulla Schmidt
von Harald Schweim am 06.07.2016 um 9:27 Uhr
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Rettung der Pharmaindustrie
von Jochen Ebel am 05.07.2016 um 7:26 Uhr
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