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Kritik an Arzneimitteltests mit Dementen
„Wir täten gut daran, die Finger davon zu lassen“
Die Bundesregierung will fremdnützige Forschung an Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zukünftig in manchen Fällen erlauben. Nach Meinung der Kirchen verletze dies die Menschenwürde. Die Vorsitzende der Lebenshilfe Ulla Schmidt sieht einen „gefährlichen Dammbruch“. Auch in der Großen Koalition gibt es erhebliche Widerstände.
Dürfen Menschen zu Forschungszwecken in Studien untersucht
werden, von denen sie selber nicht profitieren können? Auch als Lehre der Medizin-Verbrechen
im Nationalsozialismus ist dies in Deutschland bei Erwachsenen derzeit verboten,
wenn sie aufgrund geistiger Beeinträchtigungen nicht selber einwilligen können.
Im Rahmen mehrerer gleichfalls umstrittener Änderungen bei der Prüfung
ethischer Fragen klinischer Studien plant die Bundesregierung, dies über die laufende
AMG-Novelle zukünftig in bestimmten Fällen zu erlauben.
Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums solle auch bei nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen fremdnützige Forschung erlaubt werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Patienten müssten vorab über eine Patientenverfügung eingewilligt haben, dass sie später bereit sind, an Forschungsprojekten teilzunehmen. Auch sollen nur minimale Risiken und Belastungen für die Probanden hingenommen werden. Im Rahmen von klinischen Studien mit neuen Wirkstoffen sollten außer Speichel- oder Blutproben keine weiteren Eingriffe erlaubt werden, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage.
In Frage käme dies insbesondere für Patienten mit Demenz. „Klinische Studien zur Entwicklung neuer Arzneimittel können dazu beitragen die Behandlung von Demenzkranken weiter zu verbessern, dabei steht immer der Wille und der Schutz des einzelnen Menschen im Vordergrund“, erklärt das Ministerium.
Besondere ethische Verantwortung
Familienpolitiker der Union stellen sich nun geschlossen gegen die Pläne. Beim Lebensschutz dürfe man „keinen Zentimeter zurückweichen“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder laut dem „Tagesspiegel“. Gerade CDU und CSU stünden hier „in besonderer ethischer Verantwortung“, sagte der familienpolitische Sprecher der Fraktion, Marcus Weinberg, der Zeitung. Er wolle „nicht in einer Gesellschaft leben, in der an Demenzkranken Forschung betrieben wird, ohne dass diese davon einen persönlichen Nutzen haben“, stellte der CDU-Politiker klar.
Auch in der SPD sind die Pläne umstritten. Der Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut sagte dem „Tagesspiegel“, er sei in seiner Fraktion nicht der einzige, der das Vorhaben skeptisch sehe. „Wir täten gut daran, die Finger davon zu lassen.“
„Ich halte das für eine Verletzung der Menschenwürde und einen gefährlichen Dammbruch“, sagte nun die frühere Bundesgesundheitsministerin und derzeitige Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe Ulla Schmidt der „Berliner Zeitung“. Sie betonte im Interview, dass Forschung immer zulässig sei, wenn sie die Krankheitssituation des Einzelnen verbessern soll. Doch wenn sie dem einzelnen Probanden nicht direkt helfen kann, dürfe es keine Aufweichung geben. „Menschen mit geistiger Beeinträchtigung dürfen keine Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie werden“, sagte Schmidt.
Gröhes Pläne seien „brandgefährlich“
Die nötige Vorausverfügung hält Schmidt für ein „Feigenblatt“. Wenn es um klinische Studien geht, müssten die Teilnehmer entsprechend der gesetzlichen Standards sehr genau über Zweck, Inhalt und Risiken aufgeklärt werden. „Voraussetzung ist eine bewusste Entscheidung des Einzelnen für einen Test“, sagte die frühere Bundesgesundheitsministerin. „Nun soll es aber plötzlich möglich sein, dass Sie vorab in einer Patientenverfügung eine Art Generalvollmacht für Versuche an sich genehmigen. Dabei können Sie zu diesem Zeitpunkt doch noch gar nicht wissen, worum es bei den Tests einmal genau gehen wird und welche Risiken bestehen.“
Der gesetzliche Betreuer, der dem Wohl des Erkrankten verpflichtet ist, habe die normalen Dinge des Alltags zu regeln. „Aber er ist nicht dafür da, mich als Forschungsobjekt freizugeben, nur weil ich 20 Jahre vorher einmal in einer Patientenverfügung mein O.K. für Tests gegeben habe“, sagte Schmidt. „Das wäre eine klare Überschreitung seiner Kompetenz.“
Sie fürchtet, dass zukünftig die Einschränkung fallen gelassen werden könnte, dass die Vorabverfügung vorliegen muss – so dass es auch zu gruppennütziger Forschung an Menschen mit geistiger Behinderung kommen könnte. „Mit diesem Schritt wird das Ganze doch hoffähig gemacht“, erklärt die Vorsitzende der Lebenshilfe. „Was Gesundheitsminister Hermann Gröhe plant, ist daher brandgefährlich. Ich kann nur hoffen, dass sich hier die Vernunft durchsetzt und der Bundestag am Ende alles beim Alten lässt.“
Verzweckung des Menschen verstoße gegen seine Würde
In einer gemeinsamen Erklärung hatten auch die evangelische und katholische Kirche „erhebliche Bedenken“ angemeldet. Eine „besonders schutzwürdige Personengruppe“ würde „schwerwiegenden Gefahren und Missbrauchsrisiken ausgesetzt“, schrieben sie. Sie sehen die Gefahr, dass die Betroffenen „zum Nutzen anderer instrumentalisiert“ und möglicherweise „zum bloßen Objekt herabgestuft“ werden. „Dass eine derartige Verzweckung des Menschen gegen dessen Würde verstößt, steht für uns außer Zweifel“, heißt es in dem Papier.
Die Erlaubnis für fremdnützige Forschung war im Referentenentwurf nicht vorgesehen, sondern wurde mit dem Regierungsentwurf überraschend eingeführt. Die Kirchen kritisieren, dass keinerlei Begründung für diesen „Paradigmenwechsel“ angeben ist: Der Gesetzentwurf verweist nur darauf, dass die neue EU-Verordnung hier Regelungsspielraum erlaubt. Auch die Ergebnisse des Pharma-Dialogs gäben „für einen solchen Bedarf nichts her“, schreiben die Kirchen.
Der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen hatte sich in einer intern umstrittenen Entscheidung dafür ausgesprochen, dass unter strengen Bedingungen fremdnützige Forschung erlaubt werden könne. Doch er fordert, dass Ethikkommissionen prüfen müssen, ob die Anforderungen jeweils erfüllt sind. Die Bundesregierung wolle dies hingegen teilweise dem BfArM oder Paul-Ehrlich-Institut überlassen. „Wir haben dagegen votiert“, sagt Kurt Racké, Vorsitzender an der Ethik-Kommission an der Uni Bonn und Vorstand des Arbeitskreises. Auch der Bundesrat hatte diese Position vertreten.
2 Kommentare
. *Medikamententests an Heimkindern in WESTDEUTSCHLAND* . Die diesbezügliche Studie ( „Promotion“ ), der Krefelder Pharmazeutin Silvia Wagner, "Arzneimittelstudien an Heimkindern", ist abgeschlossen und steht jetzt in ihrer vollen Länge und Vollständi
von Martin MITCHELL am 11.11.2019 um 4:57 Uhr
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Medikamententests ohne Zustimmung der Teilnehmer
von Martin MITCHELL am 26.09.2016 um 3:58 Uhr
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