Schwerpunkt Schwangerschaft

Mehr Reproduktionsmedizin – mehr Zwillinge

Frauen, die Zwillinge erwarten, besonders unterstützen

Foto: sges - Fotolia.com
Zwillinge werden immer häufiger. Dies ist vor allem eine Folge der Reproduktionsmedizin, etwa durch die Implantation von mehr als einem Embryo nach In-vitro-Fertilisation oder auch durch eine Therapie mit Ovulationsinduktoren. Zwillingsschwangerschaften sind risikoreicher als Einlingsschwangerschaften, vor allem, wenn die Feten sich eine Chorionhöhle oder gar eine Fruchtblase teilen müssen. Das bedeutet eine engmaschige Kontrolle während des gesamten Schwangerschaftsverlaufs.

Einer natürlichen Geburt steht meist nichts im Wege, wenn beide Kinder gesund sind, keine Lageanomalie vorliegt und die Geburtsklinik die notwendigen Voraussetzungen bietet. Bei drei und mehr Kindern wird in aller Regel ein Kaiserschnitt durchgeführt.

Auf Zwillinge können sich hierzulande immer mehr Eltern freuen. In Deutschland ist inzwischen jedes 29. neugeborene Kind ein „Mehrlingskind“, 1991 war es nur jedes 42. Baby. Nach Informationen des Statistischen Bundesamts kam es 2011 zu insgesamt 1500 Mehrlingsgeburten, 98% davon waren Zwillinge. Grund für den prozentualen Anstieg der Mehrlingsgeburten ist im Wesentlichen die Reproduktionsmedizin (siehe Kasten). Betrachtet man nur die nicht stimulierten Zwillingsschwangerschaften, liegt ihre Rate bei 1 : 80 bis 1 : 90, betrachtet man alle Zwillingsschwangerschaften dagegen bei 1 : 50.

Wie häufig sind Zwillinge?

Die Häufigkeit von Mehrlings­geburten lässt sich nach der Hellin-Regel berechnen:

Zwillinge 1 : 85

Drillinge 1 : 852 = 1 : 1755

Vierlinge 1 : 853 = 1 : 614125

Zwei Drittel aller Zwillinge sind zwei­eiig. Sie treten familiär gehäuft auf, wobei die Disposition von der Mutter vererbt wird. Zweieiige Zwillinge entstehen durch die gleichzeitige Befruchtung von zwei Eizellen durch zwei Spermien. Genetisch sind sie sich also so ähnlich, oder unähnlich, wie Geschwister. Entsprechend können sie gleich- oder verschiedengeschlechtlich sein. Jedes Kind wächst in einer eigenen Fruchtblase und einer eigenen Chorion-Höhle heran (dichorial-diamniotisch), jeder hat seine eigene Plazenta. Wesentlich komplexer ist die Situation in der Gebärmutter bei eineiigen Zwillingen. Sie entstehen durch Teilung einer befruchteten Eizelle oder eines Embryoblasten in zwei genetisch identische Embryonalanlagen. Das Geschlecht ist deshalb immer gleich. Etwa 70% der eineiigen Zwillinge teilen sich eine Chorion-Höhle, jeder wächst jedoch in einer eignen Fruchtblase heran (monochorial-diamniotisch). Knapp 30% sind dichorial-diamnial angelegt, sprich mit zwei Chorionhöhlen und zwei Fruchtblasen. Weniger als 1% entwickeln sich monochorial-monoamniotisch: Sie müssen sich Fruchtblase und Fruchthöhle teilen – eine besonders ungünstige Ausgangssituation. Entscheidend für die Embryonalanlage ist der Zeitpunkt der Teilung:

  • in den ersten drei Tagen: dichorisch-diamniotisch
  • zwischen dem dritten und achten Tag: monochorisch-diamniotisch
  • zwischen dem achten und 13. Tag: monochorisch-monoamniotisch

Hohes Risiko für Frühgeburten

Mehrlingsschwangerschaften gehen mit einem höheren gesundheitlichen Risiko für Kind und Mutter einher als Einlingsschwangerschaften. Präeklampsien und Hochdruckerkrankungen sind doppelt so häufig. Das gilt auch für eine vorzeitige Plazentaablösung, einen vorzeitigen Blasensprung oder ein Hydramnion, also eine überdurchschnittlich hohe Menge an Fruchtwasser. Auch eine Plazentainsuffizenz mit dem Risiko einer Mangelentwicklung ist häufiger. Vermehrt beobachtet man auch eine vorgelagerte Plazenta (Placenta praevia), die zu starken Blutungen führen kann. Generell besteht eine höhere Neigung zu einer Frühgeburt. Risikofaktoren sind eine Zervixinsuffizienz, aber auch die starke Belastung und Dehnung der Gebärmutter. „Zwillingsmütter“ leiden zudem öfter an Begleitkomplikationen wir Übelkeit, Stauungsödemen, Varizen und Anämie.

Ovulationsinduktion mit Folgen

Die moderne Reproduktionsmedizin verhilft vielen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch zu Nachwuchs. Nicht selten kommt das große Glück dann gleich im Doppelpack daher. Denn die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft ist nicht nur bei der häufig durchgeführten In-vitro-Fertilisation erhöht, abhängig von der Anzahl der transferierten Embryonen und vom Lebensalter der Patientin. Bei etwa 30 bis 40% der betroffenen Frauen geht der unerfüllte Kinderwunsch auf eine Ovulationsstörung zurück. Liegt sie im hypophysär-hypothalamischen Bereich, werden Ovulationsauslöser, allen voran Clomifen, eingesetzt. Sie unterstützen die Follikelreifung durch Stimulation der endogenen Sekretion von Gonadotropinen. Und sie erhöhen die Zwillingsquote. Denn eine gefürchtete Nebenwirkung ist die Überstimulation, bei der sehr große und sehr viele Eibläschen entstehen – und, nach erfolgreicher Befruchtung, auch Mehrlingsschwangerschaften. Die Rate liegt bei 5 bis 10%. Auch unter Gonadotropinen, die nach erfolgloser Behandlung mit einem Ovulationsauslöser eingesetzt werden, ist das Risiko von Überstimulation und Mehrlingsschwangerschaft erhöht. Unter der Therapie mit Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) sind dagegen Über­stimulation und Mehrlingsschwangerschaften deutlich seltener.

Komplikation: FFT bei monochorialen Zwillingen

Eine seltene Komplikation kann bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften, bei denen sich die Kinder die Plazenta teilen, auftreten: das fetofetale Transfusionssyndrom (FFT). Der pathophysiologische Hintergrund: Die Blutkreisläufe der Kinder sind über Gefäßanastomosen miteinander verbunden. Es kommt zu einem ständigen Transfer von Blut von einem auf den anderen Zwilling. Bei einer atypischen Anastomosierung innerhalb der Plazenta entsteht ein Perfusionsungleichgewicht. Es drohen Durchblutungsstörungen und Unterversorgung. Die Folgen für den „Spender“ sind Wachstumsretardierung, Anämie, Dehydratation und Oligohydramnion, für den „Empfänger“ Ödeme und ein Hydramnion. Erkennbar sind deutliche Unterschiede im Wachstum der beiden Kinder. In der Schwangerschaftsvorsorge sind Ultraschalluntersuchungen besonders wichtig, auch um ein solches diskordantes Wachstum nicht zu übersehen. Eine Diskrepanz in der Nackentransparenz gilt als früher Hinweis auf ein FFT. Die Mortalität bei einem fetofetalen Transfusionssyndrom liegt bei 40 bis 60%. War früher die Fruchtwasserentlastung die Therapie der Wahl, wird inzwischen operativ interveniert und ein Überleben eines oder beider Feten ermöglicht. Kritisch ist die Situation bei monoamniotischen Zwillingen. Hier können sich die Nabelschnüre verfangen und zur Strangulation führen.

Überwachung in kurzen Abständen

Frauen mit einer Mehrlingsschwangerschaft sollten sich häufiger bei der Frauenärztin vorstellen. Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel sollte das Wachstum der Kinder in zwei- bis vierwöchigem Abstand kontrolliert werden. Kurze Abstände sind vor allem dann notwendig, wenn ein fetofetales Transfusionssyndrom möglich ist. Von den Ergebnissen der Untersuchungen hängen die Intensität der Überwachung und die Geburtsvorbereitung ab.

Vanishing twin – wo ist der zweite Zwilling?

Beim Ersttrimester-Screening waren es noch zwei Embryonen, vier Wochen später nur noch einer? Dann könnte es sich um ein Vanishing-twin-Syndrom handeln, das bei etwa 5% aller nicht-stimulierten Mehrlingsschwangerschaften auftritt. Ein Zwilling geht unbemerkt ab, möglicherweise aufgrund von Entwicklungs- oder Chromosomenstörungen. Der verbliebene Zwilling trägt von dem frühen Abgang seines Zwillings keinen Schaden davon. Er entwickelt sich als Einling weiter.

Vaginale Geburt? Natürlich!

Zwillingsschwangerschaften werden häufig gleichgesetzt mit einer Geburt per Kaiserschnitt. Das stimmt so nicht. Die „Twin Birth Study“ konnte bei knapp 3000 Zwillingsgeburten zeigen, dass sich Mortalität und Morbidität von Mutter und Kind bei geplanter Sectio und geplanter Vaginalgeburt nicht signifikant unterscheiden. So lag die Rate der maternalen Morbidität und Mortalität bei 7,3% gegenüber 8,5%, beim Kind bei 2,2% gegenüber 1,9%. Die höchste Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche vaginale Geburt haben Mehrgebärende unter 35 Jahren ohne oder mit Geburtseinleitung, sowie Mehrgebärende über 35 Jahren ohne Geburtseinleitung. Über 90% entbinden erfolgreich vaginal. Die schlechtesten Chancen mit einer „Erfolgsrate“ unter 50% haben Erstgebärende über 35 Jahren mit Geburts­einleitung. Ob eine natürliche Geburt bei Zwillingen abgewartet werden kann, ob die Geburt eingeleitet werden sollte oder ob es sinnvoller ist, einen Kaiserschnitt zu planen, hängt von mehreren Faktoren ab: der Gesundheit und dem Alter der Mutter, der Lage der Kinder, der Zahl der vorangegangenen Geburten und ob ein diskordantes Wachstum vorliegt. Voraussetzung für eine vaginale Entbindung bei Zwillingen ist, dass das geburtshilfliche Team in Zwillingsgeburtshilfe versiert ist und genug Routine hat, auch Komplikationen zu meistern, dass die Entbindung in diesen Fällen unverzüglich durch Kaiserschnitt beendet werden kann und eine kindermedizinische Betreuung sofort verfügbar ist. Dies ist am besten in sogenannten Perinatalzentren gewährleistet. Aber auch wenn es für die Mutter die erste Geburt ist, sie älter als 35 Jahre ist, die Wehen eingeleitet werden müssen, ist immer noch die Hälfte der vaginalen Entbindungsversuche erfolgreich. Drei- und Mehrlinge werden in der Regel per Sectio geholt.

Bei Wachstumsretardierung besser per Sectio

Auch bei einer deutlichen Wachstumsretardierung bei einem oder beiden Zwillingen ist die Gebärmutter nicht mehr der ideale Ort für die weitere Entwicklung. Unter intensiver Kontrolle wird versucht, die 34. Schwangerschaftswoche zu erreichen. Im Einzelfall wird aber auch schon vorher, nach medikamentöser Förderung der Lungen­reife, die Schwangerschaft mit einem Kaiserschnitt beendet. Idealerweise besprechen sich Frauenarzt, Kinderarzt und Geburtshelfer gemeinsam mit den Eltern, um den optimalen Entbindungszeitpunkt festzulegen, damit keine gefährliche Unterversorgung entsteht.

Stillen: jedem seine Brust?

Auch Zwillinge können voll gestillt werden, denn die Milchmenge richtet sich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Es wird also umso mehr Milch produziert, je häufiger die Babys angelegt werden. Die Kinder können einzeln gestillt werden, was in der anfänglichen „Lernphase“ sinnvoll sein kann. Später ist es aber durchaus zeitsparend, gleichzeitig zu stillen. Die AG Freie Stillgruppen empfiehlt, die Brust zumindest anfangs bei jedem Stillen zu wechseln. Dann wird die Milchbildung gleichmäßig angeregt, auch wenn eines der beiden Kinder schwächer saugt. Mit Blick auf eine symmetrische Entwicklung sollte das Kind beim Stillen abwechselnd auf seiner rechten oder linken Körperseite liegen. Im Verlauf kann es sein, dass eine bestimmte Brust von einem Kind bevorzugt wird, andere bleiben beim Wechsel. In der Praxis entscheidet, was besser funktioniert. Drei Positionen bieten sich beim gleichzeitigen Stillen an: die Parallelhaltung, beide Kinder nach außen und seitliches Stillen im Liegen. Mehr Informationen unter www.afs-stillen.de. |

Literatur

Pressemitteilung Frauenärztliche Bundesakademie FBA; FOKO 2015

Barrett J et al. A Randomized Trial of Planned Cesarean or Vaginal Delivery for Twin Pregnancy. N ENgl J Med 2013;369:1295-1305

Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie, Düsseldorf, 5. bis 7. März 2015

www.frauenaerzte-im-netz.de

Frauenarzt 2/2013

Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS), www.afs-stillen.de

Stauber M, Weyerstahl T. Gynäkologie und Geburtshilfe; Georg Thieme Verlag 2001

Autorin

Dr. Beate Fessler ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin unter anderem für die Deutsche Apotheker Zeitung.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.