Schwerpunkt Schwangerschaft

Abraten oder zustimmen?

Schwangere mit einem Selbstmedikationswunsch gut beraten

Von Armin Edalat | Schwangere stellen eine besondere Patientengruppe dar. Doch im Rahmen der Selbstmedikation können sie wie alle anderen Apothekenkunden entweder über akute Beschwerden klagen oder konkrete Präparate verlangen – auch ohne mit dem Arzt oder pharmazeutischen Personal über die bestehende Symptomatik gesprochen zu haben. Problematisch ist, dass für die meisten nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel keine explizite Zulassung oder Empfehlung für Schwangere existiert. Sollte man sie deshalb immer zum Arzt schicken? Welche Therapien gelten als sicher in der Schwangerschaft? Wo liegen die Grenzen der Selbstmedikation?

Neun Monate, 40 Wochen oder 280 Tage: Eine Schwangerschaft überdauert rein rechnerisch alle vier Jahreszeiten und begleitet die werdende Mutter in verschiedenen Lebensphasen – Berufstätigkeit und Privatleben sind im Wandel, körperliche und psychische Veränderungen treten ein. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass es während dieser langen Zeit zu Erkrankungen kommt, die eine medikamentöse Therapie erfordern. Dabei können deren Ursachen auch abseits der „anderen Umstände“ liegen.

Während die Frauen sich vor Beginn ihrer Schwangerschaft noch anhand der Packungsbeilagen und weiterer Informationen am Patientenkollektiv „Erwachsene“ orientieren konnten, finden sie nun unter „Schwangerschaft und Stillzeit“ meist unzureichende oder sehr allgemein gehaltene Angaben der Hersteller. Verunsicherungen und Ängste können entstehen, inwiefern sie die jeweiligen Arzneimittel anwenden dürfen. Welche Folgen hat die unbehandelte Erkrankung für das ungeborene Kind? Was bewirkt dagegen eine Arzneimitteltherapie? Vor allem sind vielen Menschen noch die Bilder von missgebildeten Neugeborenen infolge der „Contergan®-Katastrophe“ vor mehr als einem halben Jahrhundert präsent und verursachen Vorbehalte und Zweifel gegenüber einem sicheren Einsatz von Arzneimitteln in der Schwangerschaft. Deshalb sollte gerade im Rahmen der Selbstmedikation das pharmazeutische Personal einen wichtigen und entscheidenden Beitrag zur Aufklärung und Empfehlung von Maßnahmen bei behandlungsbedürftigen Krankheitsbildern leisten.

Auswahl von Arzneimitteln während der Schwangerschaft

Ärzte und Apotheker stehen gleichermaßen vor dem Problem, dass es bei den meisten Arzneimitteln keine Indikation für Schwangere gibt. Da häufig auch keine Evidenz in Form von Beobachtungs- geschweige denn Interventionsstudien vorhanden ist und in den Fachinformationen sogar teilweise Warnhinweise aufgeführt sind, kann der Arzneimittel­einsatz schnell zu einem Off-label-use werden. Auf den ersten Blick scheinen Ärzte durch die Möglichkeiten der Diagnostik und Verordnung verschreibungspflichtiger Präparate eine bessere Voraussetzung als das pharmazeutische Personal zu haben. Dieses darf seine Empfehlungen für OTC-Arzneimittel ausschließlich auf Grundlage der beschriebenen Symptomatik geben. Doch auch der ärztliche Handlungsspielraum ist begrenzt und erhält vor dem Hintergrund, dass nicht nur akute Beschwerden der werdenden Mutter sondern auch Grunderkrankungen, die schon vor der Schwangerschaft vorlagen, und plötzlich auftretende Komplikationen behandelt werden müssen, eine ganz andere Dimension der therapeutischen Herausforderung.

Teratogenität und andere Nebenwirkungen

Fast ausnahmslos alle Medikamente, die peroral aufgenommen werden, sind auch plazentagängig. Die größte Gefahr besteht in der teratogenen Wirkung eines Arzneistoffes auf das ungeborene Kind. Teratogenität, auch als Reproduktionstoxizität bezeichnet, ist definiert als eine meist irreversible Schädigung des Embryos durch äußere Einflüsse wie Chemikalien, Krankheitserreger oder radioaktive Strahlung. Je nach Entwicklungsperiode kann dies zum Keimtod (0. bis 15. Tag nach der Befruchtung), zur Missbildung von Organen (16. bis 60. Tag) oder der Beeinträchtigung der Organfunktion (ab 61. Tag) führen. Vor allem während der Embryogenese in der dritten bis achten Entwicklungswoche sind die sich nach und nach ausdifferenzierenden Organe besonders empfindlich gegenüber einer teratogenen Schädigung (siehe Abbildung 1).

[Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie, der klinischen Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2012]

Abb. 1: Schematische Darstellung der Entwicklungsperioden, in denen der menschliche Embryo bzw. Fetus durch Teratogene gefährdet ist. Rote Felder bezeichnen Perioden hoher Gefährdung, gelbe Felder Perioden weniger starker Empfindlichkeit.

Das Zentralnervensystem kann dagegen während der gesamten Schwangerschaft durch die genannten Noxen Schäden nehmen. Unabhängig davon existiert eine spontane Missbildungsrate, die hierzulande mit ca. 3% aller Geburten angegeben wird [1]. Die Untersuchungen zum teratogenen Potenzial von neuen Wirkstoffen sind ein zentraler und entscheidender Aspekt in der präklinischen Phase eines jeden Zulassungsverfahrens. Arzneimittel sollen beim Einsatz in ihren therapeutischen Dosierungen möglichst keine teratogenen Effekte beim Menschen aufweisen. Die bekannten Ausnahmen mit einem hohen Risiko (Thalidomid-Derivate, Retinoide, Valproinsäure oder Zytostatika) sind daher meistens nur unter strengen Auflagen für Frauen im gebärfähigen Alter verschreibungsfähig.

Teratogene Schäden äußern sich typischerweise in Form von Wachstumsstörungen, Missbildungen oder dem völligen Fehlen von Akren und Gliedmaßen, Deformationen des Gesichts, Funktionsverlusten von inneren Organen sowie Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten und Entwicklung. Darüber hinaus können auch akute und langfristige Arzneimittelnebenwirkungen beim Neugeborenen beobachtet werden. Hierzu zählen beispielsweise Opioid-Entzugserscheinungen, Maskulinisierung/Feminisierung durch Steroidhormone sowie Gehörschädigungen, Zahn- und Knochenveränderungen nach einer Therapie der Schwangeren mit ungeeigneten Antibiotika [2].

Die Ursachen für das Auftreten von Missbildungen sind in mehr als zwei Drittel aller Fälle nicht bekannt, 15% scheinen genetisch bedingt zu sein und rund 10% treten durch die vermeidbare Exposition der werdenden Mutter gegenüber Genuss- und Umweltgiften auf. Schätzungsweise einer von hundert Fällen lässt sich auf den Gebrauch von Arzneimitteln zurückführen [3]. Alkohol, Tabakrauch aber auch eine Mangel- und Fehlernährung während der Schwangerschaft stellen also bedeutend größere Risikofaktoren dar. So werden in Deutschland jährlich ca. 4000 körperlich behinderte Kinder mit einem fetalen Alkoholsyndrom (FAS) geboren. Charakteristisch sind Minderwuchs, Gesichts- und Kopf­deformationen sowie neurologische Auffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen. Bei etwa 15.000 bis 20.000 Neugeborenen äußert sich das fetale Alkoholsyndrom in geistigen Defiziten und Verhaltensstörungen, die häufig zu einer lebenslangen Unselbstständigkeit und Hilfsbedürftigkeit der Betroffenen führen [4].

Allgemeine Handlungsempfehlungen

Die Angaben auf www.embryotox.de oder in der Roten Liste können dem Therapeuten oder pharmazeutischen Personal somit nur als Hilfsmittel dienen. Im Beratungsgespräch sollten daher immer individuelle Risikofaktoren abgeklärt werden und auf die realistische Gefahr von Schäden durch Arzneimittel im Gegensatz zu anderen Einflüssen oder zur unbehandelten Erkrankung hingewiesen werden.

Embryotox und Rote Liste

In der Teratologie ist es praktisch unmöglich, eine allgemein gültige Vorhersage über die Gefährlichkeit eines Stoffes zu machen. Ein Arzneimittel, welches bekanntermaßen Missbildungen auslösen kann, muss nicht in jedem Fall teratogen wirken. Für den Contergan®-Wirkstoff Thalidomid wird die Rate beispielsweise mit 30% angegeben. Auf der anderen Seite kann für keine Arzneitherapie eine hundertprozentige Sicherheit vorhergesagt werden. Viele individuelle Einflussfaktoren sind bis heute nicht bekannt. Es muss also von Fall zu Fall eine sorgfältige Risikoanalyse durchgeführt werden. Hierfür sind Herstellerunabhängige Bewertungen einer zentralen Institution zwingend notwendig. In Deutschland ist dies seit fast 30 Jahren das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie an der Charité in Berlin mit seiner mittlerweile online und als App verfügbaren Datenbank www.embryotox.de mit 425 Wirkstoffbewertungen und 24 häufig vorkommenden Erkrankungen. Neben der Interpretation von wissenschaftlichen Studien und veröffentlichten Anwendungsbeobachtungen und Fallberichten, laufen hier auch die Anfragen und Rückmeldungen aus den Kreisen von Heilberuflern und Patienten zusammen. Dadurch wächst nach und nach ein Informationsnetzwerk, das momentan die höchste Evidenz für indikations- und wirkstoffbezogene Aussagen bei der Anwendung von Arzneimitteln während der Schwangerschaft aufbringen kann [5].

In der Roten Liste widmet sich ein Kapitel allgemeinen Hinweisen zur Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit. Außerdem werden Beratungsstellen, wie beispielsweise Embryotox, angegeben. Für das Präparateverzeichnis ist ein Chiffresystem aufgestellt, dass eine Risikobewertung anhand von elf Gruppen zulässt – von Gr. 1 („keine Hinweise auf teratogene Wirkungen“) über Gr. 5 („Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor.“) bis hin zu Gr. 11 („Es besteht das Risiko mutagener/karzinogener Wirkung“). In der Literatur wird kritisiert, dass die Chiffre-Gruppen zu unkonkret gehalten sind und bei klinischen Entscheidungen daher nur wenig weiterhelfen. Auf die Erkenntnisse aus Tiermodellen wird nicht näher eingegangen, sodass es fraglich bleibt, ob diese Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragbar sind (Beispiel „Contergan®-Katastrophe“). Auch auf mögliche Alternativen wird bei bestehenden Kontraindikationen nicht verwiesen [6].

Bei der Auswahl von OTC-Arzneimitteln für die Selbstmedikation empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  • Herausstellen des Symptoms mit dem größten Leidensdruck für die Schwangere
  • nicht-medikamentöse Maßnahmen vorziehen, die einen vergleichbaren Nutzen wie eine Arzneimitteltherapie aufbringen können
  • Monopräparate mit einem klar definierten und gut erprobten Wirkstoff sind zu bevorzugen, Kombinationspräparate und pflanzliche Extrakte mit unbekannter Zusammensetzung sollten dagegen gemieden werden
  • Dosierung nur so hoch wie nötig bzw. so niedrig wie therapeutisch möglich wählen
  • Dauer der Anwendung möglichst kurz halten und auf den Schwangerschaftszeitpunkt achten: Der Einsatz im ersten Trimenon ist meistens kritischer als in den letzten beiden Schwangerschaftsdritteln (Ausnahmen sind aber z. B. NSAR)
  • topische Applikation häufig risikoärmer als systemische
  • Bei Anzeichen von schwangerschaftsabhängigen Erkrankungen und Komplikationen sollte zu einem Arztbesuch geraten werden.

Schmerzen und Entzündungen sind auch in der Schwangerschaft behandelbar

Es wird angenommen, dass jede zweite Frau während ihrer Schwangerschaft mindestens einmal Schmerzmittel einnimmt [7]. Neben einer symptomatischen Kurztherapie – häufig mit nicht-verschreibungspflichtigen Präparaten – kann der Schmerz auch als eigenständiges Krankheitsbild vorliegen, der dann eine langfristige und mitunter kausale Behandlung mit verschreibungspflichtigen Analgetika, Antikonvulsiva oder Antidepressiva erfordert. Im Beratungsgespräch ist es daher notwendig, drei Gruppen von Schmerzpatientinnen zu unterscheiden:

Schwangere mit akuten leichten bis mittelstarken Schmerzen aufgrund von unkomplizierten Infekten, Verletzungen oder anderen klar definierbaren Ursachen, können meistens durch die Empfehlung von medikamentösen und nicht-medikamentösen Maßnahmen erfolgreich behandelt werden.

Dagegen sind Patientinnen mit chronischen Schmerzen neuropathischer oder psychosomatischer Art immer an einen Arzt zu verweisen, der eine langfristige Therapie fortführen oder neu beginnen muss.

Schließlich können plötzlich auftretende Schmerzen auch mit der bestehenden Schwangerschaft in Verbindung stehen; Komplikationen wie Präeklampsie, vorzeitiger Blasensprung, Schwangerschaftsdiabetes, Gallensteinleiden oder Thrombosen stellen die Ursachen von Kopf- oder Unterleibsschmerzen dar und müssen ärztlich abgeklärt werden. Auch das Vorliegen einer deutlich erhöhten Körpertemperatur (> 38 Grad Celsius) sollte die Schwangere zu einem Arztbesuch bewegen.

Als nicht-medikamentöse Maßnahmen haben sich bei Kopfschmerzen ausreichend viel Trinken, autogenes Training, Spaziergänge an der frischen Luft sowie je nach Empfinden Kälte- oder Wärmeanwendungen an Stirn und Nacken bewährt. Entzündungen sollten lokal mit kühlenden Umschlägen und Gels behandelt werden. Massagen und magnesiumreiche Lebensmittel oder Getränke beugen Verspannungen vor. Auch der Einsatz von Akupunktur hat sich in manchen Fällen als nützlich erwiesen.

Mittel der Wahl bei Schmerzen und Fieber sind Paracetamol während der gesamten Schwangerschaft und nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac, die zusätzlich antiphlogistisch wirken, im ersten und zweiten Trimenon. Für eine Aussage zu den übrigen NSAR reicht die Datenlage zur Nutzen-Risikobewertung bisher nicht aus. Acetylsalicylsäure (ASS) kann als Reserveanalgetikum bis zur Woche 28 eingesetzt werden. Eine „Low-dose“-Behandlung mit ASS wird sogar zur Vorbeugung von Spontanaborten und einer Präeklampsie während der gesamten Schwangerschaft von Ärzten eingesetzt. NSAR in ihren schmerztherapeutischen höheren Dosierungen hingegen sind im letzten Schwangerschaftsdrittel und kurz vor der Geburt kontraindiziert, da es zu einem vorzeitigen Verschluss des kindlichen Ductus arteriosus Botalli kommen kann und dadurch eine pulmonale Hypertonie beim Neugeborenen ausgelöst wird. Die topische Gabe von Diclofenac oder Ibuprofen in Form von Schmerzsalben oder -gels führt bei sporadischer und nicht großflächiger Anwendung in der Regel zu einer nur unwesentlichen Steigerung der Plasmaspiegel [8]. Da es jedoch schwierig abzuschätzen ist, in welchen Mengen und wie oft eine äußerliche Arzneiform tatsächlich angewendet wird, wird auch hier vom Einsatz zum Ende der Schwangerschaft hin abgeraten. Bei ASS besteht darüber hinaus ein erhöhtes Blutungsrisiko für die werdende Mutter und das ungeborene Kind – vor allem während des Geburtsvorgangs.

Einzelne Fälle von aufgetretenen Missbildungen unter der Einnahme von Analgetika werden zwar immer wieder beschrieben, doch ein kausaler Zusammenhang konnte bisher nicht nachgewiesen werden. So wurde beispielsweise für Paracetamol im Rahmen mehrerer Studien das Auftreten von asthmatischen Symptomen [9], Hodenhochstand [10] oder hyperkinetischem Verhalten [11] bei Neugeborenen beobachtet. Unklar blieb jedoch, in welchen Dosierungen und über welchen Zeitraum die Arzneimittel eingenommen wurden und ob die Diagnosen tatsächlich durch Ärzte bestätigt wurden. In einer Stellungnahme auf www.embryotox.de heißt es daher: „Eine unkritische Wiedergabe der Studien­ergebnisse zu Paracetamol selbst in medizinischen Fachzeitschriften hat zu einer teilweise völlig überzogenen Risikowahrnehmung geführt, die Schwangere nach bereits erfolgter Einnahme erheblich verunsichern – und zu Fehlentscheidungen bei behandlungsbedürftigen Schmerzen führen kann. Insbesondere im 3. Trimenon gibt es bei leichten und mittelstarken Schmerzen keine medikamentöse Alternative zu Paracetamol“ [12].

Alternativmedizin kann problematisch sein

Foto: Pixelot - Fotolia.com

Die Therapie mit alternativmedizinischen Präparaten, die häufig mit „gut verträglich“ und „ohne Nebenwirkungen“ beworben werden, muss stets kritisch betrachtet werden. Wenn eine Wirksamkeit bisher nicht nachgewiesen werden konnte, stellt sich die Frage, ob der Einsatz bei gegebener Indikation überhaupt sinnvoll ist und welche Alternativen mit besserem Nutzen-Risiko-Verhältnis existieren. Außerdem kann allein schon die Zusammensetzung an Wirk- und Hilfsstoffen die Anwendung bei Schwangeren problematisch machen: Urtinkturen und niedrige homöopathische Potenzen (D1 bis D6) beinhalten nach wie vor „substanzielle Spuren“, die je nach verwendeter Menge pharmakologisch aktiv sein können und als Inhaltsstoffe in allopathischen Präparaten zu einer Kontraindikation bei Schwangeren führen würden. Bei den Hilfsstoffen ist beispielsweise auf die Gesamtmenge an Ethanol in alkoholischen Lösungen zu achten, die im Laufe der Therapie – meist stündlich und über mehrere Tage – eingenommen werden soll.

Hoher Leidensdruck durch Husten und Schnupfen

Erkältungsbeschwerden sind in den Wintermonaten die häufigste Ursache für konkrete Präparatewünsche von Apothekenkunden. Kein Wunder – versprechen doch viele Kombinationspräparate alle Symptome auf einmal zu bekämpfen. Doch gerade bei Schwangeren ist es wichtig, im Beratungsgespräch das Hauptsymptom mit dem größten Leidensdruck herauszustellen und mithilfe der Selbstmedikation oder anderen Maßnahmen zu therapieren. Zu Beginn einer Erkältung empfiehlt es sich, durch Inhalation von angenehm heißem Wasserdampf, reichliche Flüssigkeitszufuhr in Form von Saftschorlen oder Tees sowie durch körperliche Schonung das allgemeine Wohlbefinden zu erhalten und Krankheitserreger am Eindringen zu hindern. Hierzu eignen sich auch Gurgellösungen, die mit Urtinkturen aus Kamille oder Salbei angesetzt werden. Glieder- und Kopfschmerzen können mit Paracetamol, Ibuprofen oder nicht-medikamentösen Methoden behandelt werden.

Hustenanfälle werden von Schwangeren häufig als sehr beeinträchtigend und schmerzhaft empfunden. Als Hustenlöser der ersten Wahl gelten die Wirkstoffe Bromhexin und sein Metabolit Ambroxol sowie Acetylcystein. Ambroxol in Form von Lutschpastillen kann sogar einen lindernden Effekt auf Halsschmerzen haben. Falls dagegen ein trockener Reizhusten gestillt werden soll, steht Dextromethorphan zur Verfügung – es darf von Schwangeren jedoch nicht im ersten Trimenon und nicht kurz vor der Geburt wegen der atemdepressiven Wirkung auf das Neugeborene eingenommen werden.

Bei der Therapie einer akuten Bronchitis spielen pflanzliche Extraktpräparate eine große Rolle. Da es sich jedoch um Mischungen aus zahlreichen und zum Teil unbekannten Inhaltsstoffen handelt, ist die Beurteilung über eine sichere Anwendung in der Schwangerschaft äußerst schwierig. Thymian als Teedroge oder Gewürz sowie in Form von Zubereitungen ohne Alkohol wird von Embryotox immerhin mit „akzeptabel“ bewertet.

Schnupfen lässt sich durch den Einsatz von hypertonen Salzlösungen in Form von Sprays oder Nasenduschen behandeln. Auch der Einsatz von Xylometazolin- oder Oxymetazolin-haltigen Schnupfensprays oder -tropfen ist bei kurzzeitiger und nicht exzessiver Anwendung in der Schwangerschaft erlaubt.

Damit nichts auf den Magen schlägt

Gastrointestinale Beschwerden spielen während der Schwangerschaft eine äußerst herausragende Rolle. Aufgrund der körperlichen, hormonellen und psychischen Veränderungen kommt es bei fast allen Frauen zu Symptomen wie Ab- oder Zunahme des Appetitgefühls, Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen, Refluxkrankheit, Verstopfungen oder Durchfällen. Leichte Beschwerden lassen sich meistens durch nicht-medikamentöse Maßnahmen wie eine Ernährungsumstellung effektiv lindern. Doch es existieren auch geeignete Arzneimittel, mit denen sich der Leidensdruck für die betroffenen Frauen senken lässt.

Eine regelmäßige Übelkeit (vor allem in den Morgenstunden nach dem Aufstehen) tritt häufig im ersten Trimenon auf und verbessert sich im weiteren Verlauf der Schwangerschaft. Doch die Einschränkung der Lebensqualität darf nicht unterschätzt werden und wird von den Betroffenen höchst unterschiedlich wahrgenommen – die persönliche Schwelle zum Erbrechen ist sehr individuell und dabei nicht als Maß zu nehmen.

Das Auftreten von Erbrechen birgt darüber hinaus die Gefahr von Gewichtsverlust, Mangelernährung und Elektrolytverlusten. Im schlimmsten Fall entsteht eine Hyperemesis gravidarum, die einer ärztlichen Behandlung in der Klinik bedarf. Wenn Komplikationen sowie psychsomatische oder endokrine Ursachen ausgeschlossen werden können, lässt sich durch Umstellung der Lebensgewohnheiten eine Verbesserung des Krankheitsbildes anstreben. Hierzu gehören die Vermeidung bekannter Auslöser, die Aufnahme vieler kleinerer Mahlzeiten über den Tag verteilt und das Essen von beispielsweise Knäckebrot vor dem morgendlichen Aufstehen. Die Anwendung von Akupressur konnte in einer placebokontrollierten Studie als erfolgreich bewertet werden. Auch der Einsatz von ausreichend hoch dosiertem Vitamin B6 (Pyridoxin, 60 mg täglich) und Ingwer in Form von rohen Wurzelstücken, Tees oder Kapseln (im Rahmen eines Off-­label-use) stellen Möglichkeiten dar [13]. Mittel der Wahl unter den Arzneistoffen sind die H1-Antihistaminika. Manche altbewährte (verschreibungspflichtige) Präparate sind jedoch vom deutschen Markt verschwunden (Meclozin) oder im Fall von Doxylamin nicht bei Schwangerschaftsübelkeit sondern als Schlafmittel zugelassen. Dimenhydrinat und Diphenhydramin haben eine vergleichbare Wirkung, sind aber im letzten Schwangerschaftsdrittel nur unter Einschränkungen anwendbar.

Bei einer Refluxkrankheit, die meistens aus saurem Aufstoßen und einem brennenden Gefühl in der Speiseröhre besteht, können neben nicht-medikamentösen Maßnahmen, wie der Verzicht auf scharfe, fettige oder große Mahlzeiten, auch kurzfristig eine große Auswahl von Arzneimitteln eingesetzt werden. Mittel der Wahl stellen Schichtgitterant­azida (Magaldrat oder Hydrotalcit), Aluminium-Saccharose-Sulfat (Sucralfat) und Mischungen aus Calcium- und Magnesiumcarbonat mit und ohne Alginat dar. Weiterhin stehen das H2-Antihistaminikum Ranitidin und der Protonenpumpeninhibitor Omeprazol als mögliche Alternativen bereit.

Harter oder weicher Stuhlgang sind meist die Folge der körperlichen Veränderungen und möglicher Ernährungsumstellungen während der Schwangerschaft.

Obstipation ist die erschwerte und seltene Darmentleerung – ein Symptom, das fast die Hälfte aller Schwangeren betrifft. Die Ursache ist meistens eine hormonell bedingte Relaxation der glatten Darmmuskulatur. Ballaststoffreiche Lebensmittel, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme sowie körperliche Bewegung sind den Betroffenen anzuraten.

Quellende Laxanzien wie indische Flohsamenschalen, schwer resorbierbare Lactulose oder osmotisch wirksames Macrogol sind bei stärkeren Beschwerden Mittel der Wahl. Kurzzeitig können sogar Bisacodyl und Natriumpicosulfat angewendet werden. Für eine rasche Darmentleerung eignen sich Klistiere.

Durchfall

zählt nicht zu den typischen Schwangerschaftsbeschwerden und kann der Hinweis auf eine bestehende Infektion sein. Daher sollte der Schwangeren neben der Einnahme von oralen Rehydratationslösungen auch ein Arzt­besuch empfohlen werden.

Literaturtipp

Sicher therapieren und beraten

Seit mittlerweile einem halben Jahrhundert sind die Risiken bei der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln im Zusammenhang mit Ungeborenen und Säuglingen gerade in Deutschland besonders präsent. Allerdings ist es nicht immer der generelle Verzicht auf Arzneimittel, sondern gerade das fundierte Wissen um Unbedenklichkeiten, was eine fachkundige Betreuung ausmacht. Mittlerweile in achter Auflage liefert dieses Standardwerk allen Ärzten und Apothekern, die schwangere und stillende Patientinnen kompetent unterstützen wollen, aber auch Hebammen das dazu notwendige Fachwissen:

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Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit

Ein Leitfaden für Ärzte und Apotheker

Klaus Friese, Klaus Mörike, Gerd Neumann, Adolf Windorfer und Jürgen Kleinebrecht (Begr.)

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Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2016

Hilfe bei Allergien und Infektionen

Laut www.embryotox.de sind mittlerweile rund 20% der Schwangeren von einer Allergie betroffen. Meistens besteht diese überschießende Immunreaktion bereits vor der Schwangerschaft, doch es kann durchaus infolgedessen zu einer Veränderung der Symptomatik kommen – die Neigung zu einem anaphylaktischen Schock ist eventuell erhöht, und Heuschnupfen verstärkt sich häufig durch hormonelle Einflüsse (Rhinopathia gravidarum). Da als Ursachen der Allergie neben Umweltfaktoren auch eine genetische Veranlagung infrage kommt, sollten Frauen mit bekannter Allergie in der Schwangerschaft die Exposition gegenüber Allergenen meiden und ihre Neugeborenen mindestens sechs Monate lang stillen – dies kann die Wahrscheinlichkeit einer Allergieentstehung bei den Kindern verringern. Falls unmittelbar vor der Schwangerschaft eine Hyposensibilisierung begonnen wurde, kann diese auch meistens während der Schwangerschaft fortgeführt werden. Zur Behandlung der Beschwerden steht eine vielseitige Auswahl von OTC-Arzneimitteln auch für Schwangere zur Verfügung. Mittel der Wahl sind die systemischen Antihistaminika der zweiten Generation Cetirizin und Loratadin. Auch die Anwendung der topischen Zubereitungen von Azelastin und Levocabastin als Augentropfen oder Nasenspray wird mit „akzeptabel“ bewertet. Mehr Erfahrungen in der äußerlichen Anwendung liegen für den Mastzellstabilisator Cromoglicinsäure und das Glucocorticoid Budesonid vor. Letzteres unterliegt jedoch der Verschreibungspflicht. Nicht-verschreibungspflichtige Alternativen mit Beclometason sind eine zweite Wahl.

Beim Auftreten von Lippenherpes kann mit Aciclovir-Cremes äußerlich behandelt werden, auch pflanzliche Präparate mit einem Extrakt aus Melissenblättern oder das Auftragen von austrocknenden Zinkpasten oder Pflaster-­Patches in der Nacht stellen eine Möglichkeit dar. Falls es sich um einen Herpes genitalis handeln sollte, muss unbedingt Rücksprache mit dem behandelnden Arzt gehalten werden, ansonsten droht während der Geburt eine Infektion des Säuglings mit den Folgen von lebensgefährlichen Nervenschädigungen. Auch außerhalb der Schwangerschaft gehören vaginale Pilzinfektionen zu den häufigsten behandlungspflichtigen Erkrankungen der Frau. In der Schwangerschaft besteht jedoch ein zusätzliches Risiko, dass sich aufgrund des veränderten Hormonspiegels vermehrte Infektionen auf der Vaginalschleimhaut ausbreiten können. Hierzu zählen neben Candidosen auch bakterielle (Chlamydien), virale (Herpes simplex) oder parasitäre Erreger (Trichomonas vaginalis). Da hierdurch auch eine Gesundheitsgefahr für das ungeborene Kind bis hin zu Spontanaborten und Geburtskomplikationen entstehen können, sollten diese Erkrankungen unbedingt ärztlich abgeklärt werden. Bei der Diagnose einer Candidose stehen die nicht-verschreibungspflichtigen und sicheren Wirkstoffe Clotrimazol, Miconazol und als zweite Wahl Nystatin als Kombinationspräparate aus Vaginalzäpfchen und -cremes den Schwangeren zur Verfügung. Auch für die Schwangere gilt, dass beim erstmaligen Auftreten eine ärztliche Diagnose gestellt werden sollte und die Patientin dabei über das Vorgehen bei einer wiederkehrenden Infektion instruiert wird.

Fazit

Die Selbstmedikation während der Schwangerschaft mit bewährten OTC-Arzneimitteln ist möglich und nicht unbedingt risikoreicher als sonst – vorausgesetzt, es werden die allgemeinen Handlungsempfehlungen bei der Auswahl und Anwendung beachtet und umgesetzt.

Wichtig ist, dass die werdenden Mütter stets kritisch mit ihren Beschwerden umgehen und die Arzneimittel konkret und kurzfristig einsetzen. Es wird empfohlen, dass alle auftretenden Beschwerden und eingenommenen Medikamente von der Schwangeren notiert und beim jeweils nächsten Kontrolltermin gemeinsam mit dem Arzt besprochen werden. So kann der Schwangerschaftsverlauf wesentlich genauer nachvollzogen und beurteilt werden.

Vor dem Hintergrund der eintretenden Veränderungen sollten sich die Frauen daher auch grundlegend mit ihrem bisherigen Lebensstil auseinandersetzen – dies betrifft Ernährungsgewohnheiten, körperliche Bewegung und andere gesundheitsfördernde Maßnahmen, die zu einer Krankheitsprävention und der normalen Entwicklung des Kindes beitragen. |

Literatur

[1] Rügheimer E, Pasch T. Vorbereitung des Patienten zu Anästhesie und Operation: Risikoerfassung, optimierende Therapie Prämedikation. 3. Internationales Erlanger Anästhesie-Symposion 2. bis 5. Juli 1986, Springer, 1988

[2] Mutschler E et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen: Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 10. Auflage, 2012

[3] Start ins Leben – Einflüsse aus der Umwelt auf Säuglinge, ungeborene Kinder und die Fruchtbarkeit. Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit (APUG) im Umweltbundesamt, www.bfr.bund.de/cm/350/start_ins_leben.pdf

[4] Alkohol in Schwangerschaft und die Folgen für das Kind. Informationen des FASD Deutschland e.V., www.faskinder.de/02_folgen/folgen.htm

[5] Schaefer C. Arzneimittelprojekt Embryotox: Sicherheit für Mutter und Kind. Deutsches Ärzteblatt 2013;110(21):A1048, www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=139421

[6] Schaefer C. Arzneimitteltherapie: Off-label-use von Medikamenten in der Schwangerschaft. Frauenarzt 2007;48(1)20-25, www.embryotox.de/fileadmin/files/offlabeluse.pdf

[7] Bonifer R. Analgetika in der Schwangerschaft und Stillphase: Was ist bei den verschiedenen Analgetikaklassen zu bedenken? Ars Medici 2011;21:918-919 , www.rosenfluh.ch/media/arsmedici/2011/21/Analgetika_in_der_Schwangerschaft_und_Stillphase.pdf

[8] Schmid S, Hoffmann C, Müller-Goymann CC. Unter die Haut: Wie kommen topische NSAR im schmerzenden Gewebe an? DAZ 2013;35:52-XX, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2013/daz-35-2013/unter-die-haut

[9] Paracetamol in der Schwangerschaft erhöht Asthmarisiko. Pharm Ztg online vom 10. Febraur 2016, DOI: 10.1093/ije/dyv366, www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=62006

[10] Blasius H. Paracetamol in der Schwangerschaft: Testosteron-Senkung bei männlichen Nachkommen. DAZ online vom 26. Mai 2015, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2015/05/26/Testosteron-Senkung-bei-mannlichen-Nachkommen

[11] Katzemich S. Kausalität nicht nachgewiesen: ADHS durch Paracetamol? DAZ online vom 30. April 2014, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2014/04/30/adhs-durch-paracetamol

[12] Paracetamoleinnahme in der Schwangerschaft doch riskant? Informationen von Embryotox vom März 2014, www.embryotox.de/aktuelles.html#c6942

[13] Bühling KJ, Bohnet HG. Nause und (Hyper-)Emesis gravidarum: Ursachen und Therapie der Schwangerschaftsübelkeit. Frauenarzt 2006;47(12):1110-1113, www.frauenarzt.de/1/2006PDF/06-12-pdf/2006-12-buehling.pdf

Autor

Dr. rer. nat. Armin Edalat, 2010 Approbation als Apotheker, Studium der Pharmazie und Promotion im Bereich Pharmakologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Münster. Seit 2014 Filialleiter der Schönbuch Apotheke Holzgerlingen.

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