Sildenafil und Co.

OTC-Switch von PDE-5-Inhibitoren als Maßnahme gegen den illegalen Handel?

22.06.2022, 12:15 Uhr

Ein Vorstoß für einen OTC-Switch von Sildenafil scheiterte vor kurzem in Deutschland. (Foto: IMAGO / Jürgen Ritter)

Ein Vorstoß für einen OTC-Switch von Sildenafil scheiterte vor kurzem in Deutschland. (Foto: IMAGO / Jürgen Ritter)


Phosphodiesterase-5-(PDE-5)-Inhibitoren, das Mittel der Wahl bei erektiler Dysfunktion, sind im illegalen (Online-)Handel mit Arzneimitteln stark vertreten, obwohl diese Arzneimittel mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht sind. Kein Wirkstoff, eine falsche Dosierung oder gar ein anderer Wirkstoff – alles kommt vor und stellt eine echte Gefahr für die Patientensicherheit dar. Könnte durch einen OTC-Switch und somit einen leichteren Zugang zu PDE-5-Inhibitoren ein Rückgang an Arzneimittelfälschungen erzielt werden?  

Sildenafilcitrat (Viagra®) wurde 1998 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für die Bedarfsbehandlung der erektilen Dysfunktion zugelassen. Es war der erste PDE-5-Hemmer, der für diese Indikation auf den Markt kam, was einen erheblichen Fortschritt in der Therapie dieser Erkrankung bedeutete.

In Deutschland benötigen Patienten nach wie vor ein Rezept, um einen PDE-5-Inhibitor zu erhalten (Rx). Ein Vorstoß für einen Switch von Sildenafil scheiterte vor kurzem. Aufgrund der „peinlichen Natur“ von Erektionsstörungen kann der Besuch eines Arztes für einige Patienten eine psychische Hürde darstellen. Insgesamt werden etwa 70 Prozent der betroffenen Patienten nicht behandelt [1]. Fehlender Zugang zu Ärzten und das mangelnde Verständnis für die Ursachen wie zum Beispiel Diabetes oder metabolisches Syndrom stellen weitere Probleme dar. Infolgedessen versuchen etwa 6 Millionen Verbraucher europaweit, das legale Gesundheitssystem zu umgehen, um auch ohne Arztbesuch und Rezept Viagra und Co. zu erhalten [2]. Die Versuchung, diese Produkte rezeptfrei und anonym online zu kaufen, ist groß. In zwei großen Umfragen gaben 23 bis 32 Prozent der Anwender von PDE-5-Hemmern an, noch nie mit medizinischem Fachpersonal in Kontakt gekommen zu sein [3]. Viele Patienten nehmen die Arzneimittel ein, ohne zu wissen, dass es sich bei den online verkauften Präparaten um Fälschungen oder illegale Produkte handeln kann.

Arzneimittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion gehören weltweit zu den am häufigsten gefälschten Arzneimitteln. Bei den sichergestellten Fälschungen waren PDE-5-Hemmer die am häufigsten gefälschte Produktklasse in Europa [4].


Im Jahr 2009 beschlagnahmten die britischen Behörden 2.383 Proben von gefälschtem Viagra und leiteten sie zur Analyse an die Labors von Pfizer weiter. Die Konzentration des Wirkstoffs Sildenafil reichte von 0 bis 200 % der angegebenen Stärke, und nur 10 % der Proben enthielten einen Wirkstoff, der weniger als 10 % der auf der Verpackung angegebenen Stärke betrug.“ [3]

Chiang J, Yafi FA, Dorsey PJ, Hellstrom WJG. The dangers of sexual enhancement supplements and counterfeit drugs to "treat" erectile dysfunction


Im Jahr 2018 fand eine weitere Runde der jährlich stattfindenden Operation PANGEA statt, bei der Strafverfolgungsbehörden weltweit gegen den illegalen Handel mit gefälschten Arzneimitteln zusammenarbeiten. Die Behörden beschlagnahmten rund 100.000 Tabletten, Kapseln und Ampullen, von denen etwa 80 Prozent zur Behandlung von ED (erektiler Dysfunktion) bestimmt waren. Bei diesen illegal gehandelten Arzneimitteln gibt es sehr viele Sicherheitsbedenken. Oft enthalten sie den falschen Wirkstoff oder eine falsche Dosierung. Weder Identität noch Reinheit der häufig aus Indien oder China stammenden gefälschten Arzneimittel werden überprüft.

Trotz dieser Tatsachen nimmt der illegale Online-Vertrieb kontinuierlich zu [5]. Laut Schätzungen der WHO liegt die Fälschungsquote bei allen im Internet zum Verkauf stehenden Arzneimitteln inzwischen bei 50 Prozent [6]. Gefälschte Arzneimittel sind für Kriminelle extrem gewinnbringend. Einigen Berechnungen zufolge ist der Handel mit gefälschten Arzneimitteln sogar lukrativer als der Schmuggel von Betäubungsmitteln (BTM). Durch gefälschte Arzneimittel ist die Sicherheit vieler Patienten gefährdet.

PDE-5-InhibitoreiillegaleOnline-Apotheken 

Wenn ein Patient sich dazu entschlossen hat, PDE-5-Hemmer ohne Rezept online zu bestellen, ist das Verfahren schnell und unkompliziert. Es gibt zwei Arten von (illegalen) Online-Apotheken, die PDE-5-Hemmer (und etliche andere Rx-Arzneimittel) anbieten: 

  • Einerseits geben sich diese Anbieter als legale Online-Apotheken aus, einige von ihnen sind sogar auf Arzneimittel gegen erektile Dysfunktion und Impotenz spezialisiert. Sie werben mit Attributen wie „qualitativ hochwertige Arzneimittel“, 24/7-Verfügbarkeit und anonymer, schneller Versand innerhalb desselben Tages. Die Produktinformationen dieser Arzneimittel enthalten in vielen Fällen keine Liste von Kontraindikationen, Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen, was bei dieser Klasse von Arzneimitteln nicht unterschätzt werden sollte. Die Bestellung dieser Arzneimittel ist trotzdem äußerst leicht. Nach der Auswahl des gewünschten Arzneimittels in der gewünschten Menge müssen die Verbraucher lediglich ihre Adresse und Zahlungsmethode angeben. Obwohl darauf hingewiesen wird, dass diese Arzneimittel nur nach ärztlicher Konsultation eingenommen werden sollten und rezeptpflichtig sind, ist die Bestellung ohne Rezept möglich.

Die European Alliance for Access to Safe Medicines (EAASM), eine paneuropäische Initiative für Patientensicherheit [...], untersuchte die allgemeine Sicherheit von Online-Apotheken. Von mehr als 100 identifizierten und bewerteten Online-Apotheken hatten 93,8 % keinen namentlich genannten, überprüfbaren Apotheker; 90,3 % benötigten kein Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel; 84,5 % hatten keinen physischen Standort; [...]“ 

[5] Jackson G, Arver S, Banks I, Stecher VJ.  Counterfeit phosphodiesterase type 5 inhibitors possignificansafety risks


  • Auf der anderen Seite gibt es Online-Apotheken, bei denen der Patient während des Bestellvorgangs mehrere Fragen zu eventuellen Komorbiditäten und Begleitmedikation beantworten muss. Auf der Grundlage dieser Antworten stellt ein Arzt ein elektronisches Rezept für das gewünschte Arzneimittel aus. In beiden Fällen müssen die Patienten keinen „echten“ Arzt aufzusuchen und können die gewünschten Arzneimittel ohne Rezept einfach selbst bestellen. Für den Verbraucher sehen beide Arten von Online-Apotheken legal und vertrauenswürdig aus. [7]

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Ziel eines OTC-Switches von PDE-5-Inhibitoren ist unter anderem, die illegalen Aktivitäten im Vertrieb einzudämmen und mehr Patienten auf eine sichere Art zu behandeln. Nun stellt sich die Frage, ob in den Ländern, in denen Sildenafil bereits rezeptfrei ist, Veränderungen in den Daten zur Pharmakovigilanz zu beobachten sind. Eine Beobachtungsstudie im Vereinigten Königreich ergab, dass Sildenafil nach der Umstellung von Rx auf OTC tatsächlich mit einer höheren Anzahl von Arzt- oder Apothekerbesuchen verbunden war [8]. In Neuseeland wird von einem Rückgang der illegalen Bestellungen von Sildenafil berichtet. In der Zeit von 2012 bis 2014 stieg die Anzahl der konfiszierten Pakete mit dem illegal importierten Wirkstoff auf ca. 3.750. Seit dem Switch 2014 geht diese Zahl kontinuierlich zurück [9].

Fazit 

Somit lässt sich zusammenfassend sagen: Ein OTC-Switch von Sildenafil und verwandten Substanzen kann den illegalen Handel nicht unterbinden oder verhindern, dass Patienten gefälschte Arzneimittel kaufen. Ein niederschwelliger Zugang zu sicheren PDE-5-Hemmern kann aber dazu beitragen, dass sich mehr Patienten behandeln lassen, und durch Aufklärung über die Ursachen von erektilen Dysfunktion an Ärzte verwiesen werden.

Referenzen
1. Kubin M, Wagner G., Fugl-Meyer AR. Epidemiology of erectile dysfunction. Int J Impot Res. 2003
Feb;15(1):63-71.

2. Schnetzler G, Banks I, Kirby M, Zou K, Symonds T, ORIGINAL RESEARCH-ED PHARMACOTHERAPY:
Characteristics, Behaviors, and Attitudes of Men Bypassing the Healthcare System When Obtaining
Phosphodiesterase Type 5 Inhibitors (DOI:  https://doi.org/10.1111/j.1743-6109.2009.01674.x)

3. Chiang J, Yafi FA, Dorsey PJ, Hellstrom WJG. The dangers of sexual enhancement supplements and counterfeit drugs to "treat" erectile dysfunction. Transl Androl Urol. 2017, 1:12–9. doi:10.21037/tau.2016.10.04.

4. Jackson G, Arver S, Banks I, Stecher VJ. Counterfeit phosphodiesterase type 5 inhibitors pose significant safety risks. Int J Clin Pract. 2010, 4:497–504. doi:10.1111/j.1742-1241.2009.02328.x. 

5. Bundeskriminalamt.    Internationale    Aktionswoche    gegen    illegalen    Handel    mit Arzneimitteln im Internet – Operation PANGEA XI [. International Action Week against the illicit trade of medicines on the Internet - Operation PANGEA XI]. 2018.

6. Clark F, Lancet. 2015; 386:1327-8. Rise in online pharmacies sees counterfeit drugs go global  DOI:
https://doi.org/10.1016/S0140-6736(15)00394-3

7. Voltz, A., Stippler, A., Maus, A., Haas, B., & Eckstein, N. (09. 08 2018). "The price you pay".
DAZ(32)

8. Lee LJ, Maguire TA, Maculaitis MC et al. Increasing access to erectile dysfunction treatment via pharmacies to improve healthcare provider visits and quality of life: Results from a prospective
real-world observational study in the United Kingdom. Int J Clin Pract. 2021 Apr;75(4):e13849

9.  Tröbitscher, N. (11. 01 2018). apotheke-adhoc.de. Abgerufen am 17.05.2022 von
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/internationales/neuseeland-paradies-fuer-
apotheker-otc-switch-verschreibungspflicht-sildenafil-pille-trimethoprim/


Nora Krogull, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V.
redaktion@daz.online


Prof. Dr. Niels Eckstein, Hochschule Kaiserslautern
redaktion@daz.online


Dr. Elmar Kroth, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V.
redaktion@daz.online


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