Vor- und Nachteile von Viagra ohne Rezept

Erektionsstörung kann Vorbote eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls sein

Stuttgart - 19.01.2022, 09:15 Uhr

Die Entscheidung über die Entlassung aus der Rezeptpflicht stellt bei Sildenafil eine schwierige Abwägung dar. (b/Foto: Pratiwi / AdobeStock)

Die Entscheidung über die Entlassung aus der Rezeptpflicht stellt bei Sildenafil eine schwierige Abwägung dar. (b/Foto: Pratiwi / AdobeStock)


Prof. Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, bezeichnet die Entdeckung von Sildenafil als Potenzmittel als „Geschenk des Himmels“. So sei ins Bewusstsein gerückt worden, dass der Zustand der Penisgefäße einen Herzinfarkt voraussagen kann, auch Zuckererkrankungen würden seitdem viel früher diagnostiziert. Würde Sildenafil rezeptfrei werden, worüber am 25. Januar diskutiert werden soll, müssten Apotheker:innen also häufig an die Arztpraxis verweisen und einiges an Aufklärungsarbeit leisten.  

Erektionsstörungen beim Mann sind nicht nur, aber vor allem ein Problem im Alter. Apotheker:innen sollten sich bewusst machen – werden sie etwa nach entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln gefragt –, dass die meisten Erektionsstörungen eine organische Ursache haben wie Gefäßleiden und Diabetes Mellitus. Hier muss die Apotheke also schon heute beratend tätig werden. Diese Beratung würde umso wichtiger werden, sollte es Sildenafil in Deutschland bald ohne Rezept geben. 

In manchen Ländern gibt es Sildenafil bereits ohne Rezept, in Deutschland steht für den 25. Januar „Sildenafil 50mg“ auf der Tagesordnung des Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht – es soll über die „Entlassung aus der Verschreibungspflicht zur oralen Anwendung“ diskutiert werden. Prof. Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, sieht Vor- und Nachteile einer solchen Entlassung aus der Verschreibungspflicht.

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Das größte Pro wäre in seinen Augen, dass dem Schwarzmarkt im Internet der Boden entzogen würde. „Wir haben vor einigen Jahren eine Studie gemacht, da haben wir 22 Produkte, die man im Internet frei bestellen kann, untersucht und festgestellt, dass bei über 80 Prozent nicht das drin war, was angegeben war. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe, da war die Dosis viermal so hoch.“ Wenn man das regelmäßig einnehme, habe man ein sehr hohes Risiko für Herzschädigungen. Zudem stellten die Wissenschaftler Verunreinigungen etwa mit Schwermetallen fest. Vom Schwarzmarkt mit gefälschten Markenprodukten zu unterscheiden seien Online-Angebote von Ärzten, bei denen der Interessent zunächst einen medizinischen Fragebogen ausfüllt und dann gegebenenfalls Viagra oder ein anderes Mittel verschrieben und aus dem Ausland zugeschickt bekommt. Dabei kann man laut Sommer im Regelfall zumindest davon ausgehen, dass man das Originalprodukt erhält. Der Preis ist allerdings nicht ohne: Vier der blauen Viagra-Rautentabletten können ungefähr 60 Euro kosten.

Wird die Grunderkrankung nicht behandelt, verschlimmert sich die Erektionsschwäche

Sommer, der 2005 als erster Arzt zum Professor für Männergesundheit berufen wurde, sieht auch einige Nachteile, falls Sildenafil künftig rezeptfrei sein sollte. „Eine Erektionsstörung ist, wenn sie gefäßbedingt ist, Vorbote eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Wir erkennen das bei der Untersuchung der Blutgefäße ungefähr acht Jahre vorher. Und da hat man dann eben noch Zeit, entsprechend gegenzusteuern. Kommt es aber erst gar nicht zum Arztbesuch, fällt das weg.“ Werde die Grunderkrankung nicht behandelt, verschlimmere sich die Erektionsschwäche immer weiter. „Da können Nerven geschädigt sein, die Infrastruktur des Penis, die Blutgefäße, die zum Penis führen – es gibt viele Ursachen, und deshalb dauert es auch bis zu drei Stunden, das herauszufinden. Wenn das aber nicht geschieht, verschlimmert sich das Leiden immer weiter. Und man braucht deshalb eine immer höhere Dosis, um doch noch eine Erektion zu erreichen. Bis irgendwann auch die höchste nicht mehr reicht. Wenn man aber dann erst zum Arzt geht, ist es für eine Heilung oft zu spät.“

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Ein weiteres Risiko: Der Patient habe möglicherweise keinen Überblick darüber, welche Medikamente mit Sildenafil nicht verträglich sind. Wenn Nitrate gemeinsam mit Sildenafil eingenommen würden, könne ein zum Tod führender sogenannter hypotoner Schock die Folge sein. Hier könnte natürlich die Apotheke beraten. Doch wie eine DAZ-Umfrage zeigt, sind auch die Apotheker:innen zwiegespalten und sich nicht einig, ob eine Entlassung aus der Rezeptpflicht eine gute Idee wäre. Die Entscheidung über die Entlassung aus der Rezeptpflicht stellt also eine schwierige Abwägung dar. „Ich würde dazu raten, sich beide Seiten anzuhören“, sagt Sommer. „Die Pharmaseite, die die Freigabe befürwortet, aber eben auch die unabhängigen Wissenschaftler.“

Insgesamt sei die Entdeckung von Sildenafil als Potenzmittel durch den US-Konzern Pfizer „ein Geschenk des Himmels“ gewesen, sagt Sommer. Zum einen deshalb, weil das Thema Erektionsschwäche infolge der umfangreichen Berichterstattung in den Medien aus der Tabuzone herausgekommen sei. Und zum zweiten, weil dies eine Serie von wissenschaftlichen Untersuchungen zur Folge gehabt habe. „Da hat sich dann eben erst gezeigt, dass der Zustand der Penisgefäße einen Herzinfarkt voraussagen kann. Auch Zuckererkrankungen werden seitdem viel früher diagnostiziert.“ Noch in den 80er Jahren herrschte dagegen die Ansicht vor, dass 90 Prozent der Erektionsstörungen psychisch bedingt seien. „Heute ist Stand der Wissenschaft, dass es genau umgekehrt ist: 80 bis 90 Prozent haben körperliche Ursachen, und dann kommt die Versagensangst vielleicht noch obendrauf.“


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