OECD-Bericht zu Arzneimittelmüll

Arzneimittel-Abfall: Logistik und Bewusstsein müssen stimmen

Berlin - 11.05.2022, 12:15 Uhr

Landen bestimmte Arzneimittel in der Natur, können sie schlimmstenfalls ganze Ökosysteme zusammenbrechen lassen oder multiresistente Erreger hervorbringen. Wie ist mit diesem Müll umzugehen? (Foto: Mihail / AdobeStock)

Landen bestimmte Arzneimittel in der Natur, können sie schlimmstenfalls ganze Ökosysteme zusammenbrechen lassen oder multiresistente Erreger hervorbringen. Wie ist mit diesem Müll umzugehen? (Foto: Mihail / AdobeStock)


Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Arzneimittel im Müll landet, liegt bei bis zu 50 Prozent. Aber wie gehen wir mit diesem Abfall um? Dazu veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am Dienstag einen Bericht. Die Veröffentlichung unterstreicht, wie groß das Problem ist. Sie offenbart aber auch Lösungen aus OECD-Mitgliedstaaten, die sich zu bewähren scheinen.

Arzneimittel sind nicht nur beim Menschen wirksam, sondern auch bei anderen Lebewesen. Schon in geringen Dosen beeinflussen Antibiotika, Hormone und Antipsychotika, wie sich Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen verhalten und fortpflanzen. Landen bestimmte Arzneimittel in der Natur, können sie schlimmstenfalls ganze Ökosysteme zusammenbrechen lassen oder multiresistente Erreger hervorbringen.

38 Länder sind Teil der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris. Menschen, die in diesen 38 Ländern wohnen, verbrauchen immer mehr Arzneimittel. In den letzten 20 Jahren verdoppelte sich die Menge an Mitteln, die gegen Bluthochdruck, Depressionen oder Diabetes verordnet wurden.

Je mehr Arzneimittel verschrieben werden, umso stärker wächst die Sorge, dass zunehmend Wirkstoffe in der Natur landen. Der Umweltökonom Frithjof Laubinger promoviert bei der OECD über eben diese Problematik. Für ihn wäre die Lösung Nummer eins, weniger Arzneimittel anwenden und produzieren zu müssen. Das ginge mit präventiver Medizin, präziseren Arzneimittel-Verpackungsgrößen und besseren Verteilungsmöglichkeiten für Arzneimittel vor dem Verfall.

Lösung Nummer zwei ist für ihn, einen konsequenten Plan zur Arzneimittelentsorgung zu entwickeln. Denn bis zu 50 Prozent der Arzneimittel landen im Müll. In Frankreich beispielsweise sind es pro Einwohner jährlich 260 Gramm Arzneimittel, die in der Tonne landen.

Bei diesen Mengen ist ein gutes Arzneimittel-Abfall-Management unabdingbar. Wie dieses aussehen kann, war Gegenstand des OECD-Berichtes „Management of Pharmaceutical Household Waste“, den Laubinger am gestrigen Dienstag in einem Webinar vorstellte.

Zwei Faktoren entscheiden demnach darüber, ob Arzneimittel fachgerecht entsorgt werden: Erstens: Die Infrastruktur muss vorhanden sein. Zweitens: Die Bevölkerung muss wissen, wie sie Arzneimittel entsorgen muss.

Richtig wegwerfen: Apotheker erklären am besten

Was Menschen über die Arzneimittelentsorgung wissen, konnte beim OECD-Webinar Terry Drover erklären. Als Generaldirektorin der Gemeinnützigen Organisation „Health Product Stewardship Association“ ist es ihr Job, die Einwohner Kanadas zu einem bewussteren Umgang mit Arzneimitteln zu schulen.

Mehr zum Thema

Betäubungsmittel richtig, sicher und umweltbewusst entsorgen

Vernichten leicht gemacht

Zum Thema Abfall fand sie heraus: Immerhin 62 Prozent der Kanadier wussten, wie sie verschreibungspflichtige Arzneimittel zu entsorgen haben. Aber flüssige Arzneiformen und OTC-Arzneimittel landeten häufig in der Toilette und damit im Wasserkreislauf. „Die Leute denken, dass diese Mittel weniger schädlich sind“, kommentierte Drover.

Dabei sind einige OTC-Arzneimittel wie Diclofenac nachweislich tödlich für bestimmte Tierarten. Antibiotika, die über Säfte in der Toilette landen, können nicht von jeder Kläranlage entfernt werden. Viele Wirkstoffe oder deren Abbauprodukte landen so im Grundwasser.

Drover und ihr Team fanden auch heraus, dass die meisten Patienten, die Arzneimittel korrekt entsorgten, vorher in der Apotheke informiert wurden. Die Kanadierin konzipierte anhand dieses Wissens eine Awareness-Kampagne. Sie erstellte Informationen für Pharmazeut:innen und Flyer, die Patienten in der Apotheke mitnehmen konnten. Sie ging an die Universitäten und erklärte schon Studierenden die Rolle der Entsorgung von Arzneimitteln. Auch auf Facebook, Twitter und Instagram erhöhte sie das Bewusstsein der Bevölkerung. 

Ihr Tipp: Die Ansprache muss so simpel wie möglich sein. „Selbst Ärzte, mit denen wir sprachen, verstanden oft nicht, warum bestimmte Wirkstoffe diese und jene Ökosysteme bedrohen“, sagte sie im OECD-Webinar. „Was jeder verstand, war der Appell: Wir müssen dafür sorgen, dass unser Wasser sauber bleibt.“

Flickenteppich der Abfall-Infrastruktur

Auch Frithjof Laubinger betont: Patienten sollten möglichst einen Ort haben, an dem sie alte Arzneimittel abgeben können. Gibt es verschiedene Anlaufstellen, wird es oft zu kompliziert.

Aber wie Arzneimittel entsorgt werden, wird nicht nur in den einzelnen OECD-Ländern unterschiedlich gehandhabt. Auch in Deutschland kann das Vorgehen von Kommune zu Kommune variieren. Vielerorts in Deutschland wird der Restmüll vollständig verbrannt, weshalb Arzneimittel hier zu entsorgen sind. Aber in manchen Kommunen wird der Restmüll mit verschiedenen Verfahren ökologisch aufbereitet, wobei Arzneimittel nicht restlos vernichtet werden.

Hier nehmen oftmals Apotheken die Altarzneimittel entgegen. Welcher Bezirk wie mit Müll umgeht, findet sich auf der Website arzneimittelentsorgung.de.

Unter allen OECD-Staaten ist in Frankreich, Schweden, Spanien und Portugal die Quote an korrekt entsorgten Arzneimitteln am höchsten. In allen diesen Ländern verpflichtet das Gesetz die Arzneimittelhersteller zu einer „erweiterten Verantwortung“, will heißen: Sie müssen die Arzneimittelentsorgung koordinieren und finanzieren.

Laubinger leitet daraus ab, dass es am effektivsten ist, wenn die Verursacher des Mülls – nämlich die Hersteller – dafür Rechnung tragen müssen. Auch müsse das Bewusstsein der Bevölkerung verbessert werden, wie sie Medikamente korrekt entsorgen. Sein Resümee: Apotheker:innen sollten insbesondere bei den Wirkstoffen zur Entsorgung informieren, die besonders umweltschädigend sind. Und wenn sie beraten, sollten die Instruktionen so einfach wie möglich sein.



Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.