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Pharmazie-Professor Thorsten Lehr
Corona-Arzneimittel – Impfungen sind der bessere Weg
Am 23. November ist bei der EMA der Zulassungsantrag zu Molnupiravir eingegangen. Nach den Corona-Impfstoffen rücken damit Arzneimittel gegen COVID-19 immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Expert:innen beurteilen die Studien über die Arzneimittel durchaus positiv. Darunter auch Pharmazie-Professor Thorsten Lehr. Eine „Kehrtwende für die Pandemie“ sieht er aber nicht kommen.
Noch während des laufenden Rolling-Review-Verfahrens zu Molnupiravir in Lagrevio hatte die EMA am 22. November Empfehlungen zur Anwendung des oralen COVID-19-Arzneimittels bekannt gegeben, also noch vor Zulassung in der EU. Am 23.11. kam dann die Meldung, dass bei der EMA der Zulassungsantrag zu Molnupiravir eingegangen ist. „Lagevrio, das von Merck Sharp & Dohme in Zusammenarbeit mit Ridgeback Biotherapeutics entwickelt wird, ist für die Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen bestimmt“, teilte die EMA mit. Es handelt sich um ein orales antivirales Arzneimittel, das als falscher Baustein in die RNA von SARS-CoV-2 eingebaut wird. Dadurch beeinträchtigt es die Fähigkeit des Virus zur Vermehrung. Es wird erwartet, dass dadurch weniger Patient:innen mit COVID-19 ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Die EMA könne nun voraussichtlich innerhalb weniger Wochen eine Stellungnahme abgeben, wenn die vorgelegten Daten ausreichend belastbar und vollständig sind, hieß es.
„Impfung ist der billigere und definitiv viel bessere und effizientere Weg“
Arzneimittel wie gegen COVID-19 „sind eine Säule in der Coronavirus-Bekämpfung“, sagte Pharmazie-Professor Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist gut, dass wir endlich diese Mittel haben.“ Doch eine Kehrtwende für die Pandemie sieht der Wissenschaftler aus Saarbrücken in ihnen noch nicht. „Die Impfung ist der billigere und definitiv viel bessere und effizientere Weg.“
Bereits Anfang 2021 hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für 400 Millionen Euro 200.000 Dosen Antikörper-Medikamente gekauft. Diese wurden aber nur selten eingesetzt. „Ein besonderer Einfluss war im vergangenen Jahr nicht zu erkennen“, so Lehr. Für die vierte Welle spielten sie – wenn überhaupt – bislang nur eine untergeordnete oder zusätzliche Rolle.
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Jüngst gab die EU für zwei Antikörper-Präparate grünes Licht: Ronapreve des Schweizer Pharmaunternehmens Roche und Regkirona des Herstellers Celltrion aus Südkorea binden bei Infizierten das Spike-Protein von SARS-CoV-2 an sich, sodass der Erreger nicht in die Körperzellen eindringen kann. Damit soll dessen Ausbreitung verhindert und die Viruslast möglichst niedrig gehalten werden. Beide müssen als Infusion verabreicht werden – meistens im Krankenhaus. Seit Kurzem wird die Behandlung nach Angaben des Münchner Universitätsklinikums rechts der Isar dort auch ambulant angeboten. Doch wer sich impfen lässt, braucht diese Arzneimittel sehr wahrscheinlich nicht: „Diese Antikörper funktionieren im Grunde wie diejenigen, die sich nach einer Impfung oder Infektion bilden – nur dass sie von einer Pharmafirma produziert werden und nicht vom eigenen Körper. Der Antikörper hat absolut die gleiche Wirkung“, so Lehr. „Die Medikamente haben eine ganz gute Schutzwirkung, aber mit einer Wirksamkeit von etwa 75 Prozent gegen schwere Verläufe liegen sie noch unter der Wirksamkeit von mRNA-Impfungen – vor allem nach einer Booster-Impfung“, sagte Lehr. Zudem müsse sich erst noch beweisen, wie effektiv die Medikamente in der Realität seien. Denn Ergebnisse aus klinischen Studien seien in der Regel nicht eins zu eins übertragbar, die Wirksamkeit möglicherweise niedriger.
Dennoch ist es gut, dass es sie gibt. Zumindest für Erkrankte mit einem Risiko für einen schweren Verlauf – die aber noch keine oder wenige Symptome haben. „Wenn sie zu spät eingesetzt werden, wirken die Mittel deutlich schlechter“, erklärt Lehr. Auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte Ende September gesagt, dass eine Verabreichung der Antikörper „fast immer schon zu spät“ sei. Denn bei einem durchschnittlichen Patienten habe sich das Virus bereits zu Symptombeginn im Körper stark vermehrt.
Bei Ronapreve, dem Antikörper-Cocktail aus Casirivimab und Imdevimab, zeigen Studien: Die Gefahr für Risiko-Patienten, nach einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu kommen oder gar zu sterben, ist um 70 Prozent reduziert. Zudem soll sich bei frisch Infizierten die Viruslast um 90 Prozent verringern und die Gefahr, überhaupt Symptome zu entwickeln, um etwa die Hälfte.
Regkirona mit dem Antikörper Regdanvimab zeigt bei Patienten mit milden bis moderaten Symptomen, dass sie schneller genesen und seltener einen schwereren Verlauf haben. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA verweist etwa auf eine Studie, nach der rund drei Prozent der behandelten Patienten in Kliniken eingewiesen werden mussten, Sauerstoff bekamen oder sogar starben. Bei den Patienten, die das Mittel nicht bekommen hatten, waren es gut elf Prozent.
Zehn Präparate auf verschiedenen Stufen im Zulassungsverfahren
Weltweit wird nach Angaben des US-Biotech-Branchenverbands Bio an mehr als 600 Medikamenten gegen COVID-19 geforscht. Die meisten davon seien ursprünglich gegen andere Krankheiten entwickelt worden, heißt es vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland. Zehn Präparate befinden sich bei der EMA auf verschiedenen Stufen im Zulassungsverfahren.
Bis vor Kurzem war das einzige in der EU zugelassene Medikament das antivirale Mittel Remdesivir des US-Konzerns Gilead (Handelsnamen Veklury). Anders als Ronapreve und Regkirona wird das ursprüngliche Anti-Ebola-Mittel nicht bei milden Infektionen verabreicht, sondern bei Corona-Patienten mit Lungenentzündung, die zusätzlich Sauerstoff (aber noch keine invasive Beatmung) brauchen. Mittlerweile schätzen Experten etwa der Weltgesundheitsorganisation WHO oder des Gemeinsamen Bundesausschusses den Nutzen des Medikaments als eher überschaubar ein.
Daneben kommen in Deutschland weitere Mittel zum Einsatz, die nicht das Coronavirus direkt ins Visier nehmen, sondern Komplikationen, die der Erreger auslöst. Das entzündungshemmende Dexamethason zum Beispiel soll bei invasiv beatmeten Patienten auf der Intensivstation eine überschießende Immunreaktion bremsen.
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Auch Medikamente wie Baricitinib (Eli Lilly), Anakinra (Sobi) oder Tocilizumab (Roche), die sich im EMA-Zulassungsverfahren befinden, zielen auf die Folgen einer Viruserkrankung ab. Vor allem bei schweren Verläufen werden diese Mittel verabreicht. „Das Immunsystem zu früh herunterzuregulieren, ist auch gefährlich, denn dann gäbe es keine körpereigene Abwehr mehr gegen SARS-CoV-2“, sagt Lehr.
Daneben gibt es zwei antivirale Medikamente, die eine „ganz ordentliche Wirksamkeit gezeigt haben“, so Lehr. Also Präparate, die direkt den Vermehrungszyklus der Viren unterbrechen sollen: Bei Molnupiravir (MSD/Merck), das ursprünglich gegen Grippe entwickelt wurde, zeigte sich in der sogenannten Phase-III-Studie eine Halbierung der Zahl von COVID-Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.
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Viele Arzneimittel zeigen erst nach der Zulassung Probleme
Und wie steht es um die Nebenwirkungen? Über die Antikörper-Präparate sagt Lehr: „Die Substanzen sind relativ sicher.“ Es könne zwar Irritation an der Einstichstelle der Infusion geben, aber nennenswerte Nebenwirkungen seien bisher nicht bekannt. Damit sind diese Mittel Ausnahmen – bei den anderen Medikamenten könnten durchaus unerwünschte Folgeerscheinungen auftreten. „Ein Medikament, das keine Nebenwirkungen hat, gibt es nicht – und das wirkt auch nicht.“
Studien zu den Medikamenten vor ihrer Zulassung haben meist eine Größe zwischen 1.000 und 2.000 Patienten. Zum Vergleich: Beim Impfstoff von Biontech nahmen insgesamt 43.000 Probanden an der wichtigen Phase-III-Studie teil, bei Moderna waren es rund 30.000. Die Medikamente sind also vor der Zulassung bei viel weniger Menschen getestet worden, als es bei den Impfstoffen der Fall war.
Hinzu kommt: Die Impfstoffe wurden seit ihrer Zulassung zum Jahreswechsel 2020/2021 millionenfach verabreicht und dabei parallel weiter überwacht. Dabei wurden auch seltene Nebenwirkungen erkannt – und die neuen Erkenntnisse bei der Anwendung der Impfstoffe berücksichtigt. Bei den Arzneimitteln ist es noch ein langer Weg, bis das Nebenwirkungsprofil ähnlich gut untersucht ist. „Es gibt viele Medikamente, die erst nach der Zulassung Probleme gezeigt haben.“ Daher werden auch sie langfristig kontrolliert.
Und damit nicht genug: Wer tatsächlich schwerst erkrankt, erhält unzählige weitere Medikamente. Anfang November machte in sozialen Medien ein Foto aus Großbritannien die Runde mit Dutzenden Präparaten, die benötigt werden, um einen COVID-Patienten für einen Tag auf der Intensivstation zu versorgen. Darunter sind Schmerz- und Narkosemittel sowie Mittel für die künstliche Ernährung oder die Stabilisierung des Kreislaufs beatmeter COVID-Patienten. Und auch diese Medikamente haben alle Nebenwirkungen.
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„Abgesehen von den Kosten: Das möchte niemand gerne nehmen, wenn es nicht sein muss“, sagt Lehr. Prävention sei immer besser als die Behandlung. „Die Wirksamkeit der Therapien wird höchstwahrscheinlich nicht so gut sein wie das, was wir mit einer vollständigen und geboosterten Impf-Immunität erreichen können.“
1 Kommentar
Impfen der billigere Weg?
von Thomas Eper am 25.11.2021 um 14:15 Uhr
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