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Interview mit ABDA-Präsidentin Overwiening
„Der Gestaltungsspielraum einer einzelnen Person ist begrenzt“
Seit mehr als zehn Monaten steht Gabriele Regina Overwiening aus Westfalen-Lippe jetzt an der Spitze der ABDA. Die DAZ sprach mit ihr über Transparenz, Nachwuchssorgen, die Apothekenvergütung, Plattformen und Präqualifizierungs-Irrsinn. Bemerkenswert: Bei den pharmazeutischen Dienstleistungen, deren Einführung für das kommende Jahr angekündigt ist, soll es offenbar eine Art Kontrahierungszwang geben. Welche Dienstleistungen die Apotheken dann nach den Vorstellungen der ABDA konkret erbringen müssen, bleibt allerdings weiterhin geheim. Warum – das verrät Overwiening im DAZ-Interview.
DAZ: Frau Overwiening, Sie sind die erste Frau an der Spitze der ABDA. Wie oft werden Sie gefragt, wie sich das mit der Familie vereinbaren lässt?
Overwiening: Das kommt leider häufig vor. In manchen Köpfen ist es auch heute noch etwas Besonderes, als Frau solch ein Amt zu bekleiden. Dabei ist doch unser Berufsstand zu etwa 75 Prozent weiblich – und dennoch machen meist die Männer die Standespolitik. Das spiegelt sich auch auf Ebene der Mitgliedsorganisationen wider: Nur bei jeweils vier von 17 Kammern beziehungsweise Verbänden besetzen Frauen die Spitzenposition. Hier haben wir noch viel nachzuholen.
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Selbstbewusst in die Zukunft
Mittlerweile sind Sie bereits mehr als zehn Monate im Amt. Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie tatsächlich als ABDA-Präsidentin? Können Sie Ihre Agenda, mit der Sie angetreten sind, ausreichend umsetzen?
Der Gestaltungsspielraum einer einzelnen Person ist begrenzt. Wir sind als Organisation konsequent demokratisch aufgestellt. Und das bedeutet, dass das allermeiste in Gremien erarbeitet werden muss. Entscheidungsbefugnisse, die ausschließlich bei mir liegen, sind in der Satzung kaum vorgesehen. Meine Aufgabe ist es, den Geschäftsführenden Vorstand und damit letztlich auch die Mitgliederversammlung davon zu überzeugen, sich für einen gemeinsamen Weg zu entscheiden. Ich habe den Eindruck, dass wir es geschafft haben, trotz des eingeschränkten persönlichen Kontakts – in Corona-Zeiten haben wir uns zumeist auf den digitalen Austausch beschränkt – viele gemeinsame Positionen zu finden, die alle konsequent mittragen.
Ich möchte, dass wir eine wichtige Säule in der Versorgung bleiben und weiterhin als die Experten für Arzneimittel wahrgenommen werden. Aufbruch bedeutet für mich nicht, alles abzureißen, was bisher war.“
Eines Ihrer erklärten Ziele ist es, mehr Transparenz zu schaffen. Der ABDA-Katalog zu den honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen ist allerdings noch immer geheim. Wann erfahren die Apotheker:innen endlich, auf welche Dienstleistungen sie sich konkret vorbereiten müssen? Kommen sie überhaupt wie geplant zum Jahreswechsel?
Aufgegeben haben wir den Start im Januar 2022 noch nicht. Bisher konnten wir aber noch keine Einigung mit dem GKV-Spitzenverband erzielen. Deswegen läuft jetzt das Verfahren zur Anrufung der Schiedsstelle. Es ist ja nicht so, dass die Krankenkassen die pharmazeutischen Dienstleistungen vollständig ablehnen, es geht eher um Verhandlungsstrategien. Was wir von Apothekerseite wollen, ist weitgehend bekannt: Es betrifft vor allem AMTS, Ädhärenz und Prävention. Wir haben den Forderungskatalog im Detail nicht veröffentlicht, weil es bei Schiedsverfahren immer auch darum geht, Störfeuer von außen zu vermeiden. Es wäre taktisch unklug, wenn einzelne Dienstleistungen von Teilen der Apothekerschaft öffentlich kontrovers diskutiert würden; das wäre Wasser auf die Mühlen der Kassen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen sehr darum, das nicht als mangelnde Transparenz zu verstehen. Wir kämpfen darum, für den Berufsstand gute und tragfähige Dienstleistungen zu etablieren.
„Digitale Angebote eröffnen neue Möglichkeiten“
Bisher lautete die Prämisse, dass alle Apotheken alle dieser Dienstleistungen erbringen können müssen. Bleibt es dabei? Und wird es so etwas wie einen Kontrahierungszwang für die einzelne Apotheke geben?
Wenn die Versicherten Anspruch darauf haben, sollte eine Leistung natürlich auch flächendeckend zur Verfügung stehen.
Für Kolleginnen und Kollegen, die ohnehin schon mit existenziellen Personalsorgen zu kämpfen haben, könnte das schwierig werden …
Das ist der nächste Punkt auf der Agenda. Wir müssen das Personalproblem entschlossen angehen, und zwar auf allen Ebenen.
Hat die ABDA schon einen Plan, wie das gelingen kann? Jedes Jahr verabschieden die Delegierten beim Apothekertag einen entsprechenden Antrag, bisher ist aber nicht viel passiert.
Grundsätzlich muss die Nachwuchsgewinnung in den einzelnen Bundesländern erfolgen. Das kann nicht allein auf ABDA-Ebene geschehen. Wir können die Länder aber sehr wohl unterstützen. Allerdings können auch die pharmazeutischen Dienstleistungen selbst für junge Approbierte die Arbeit in einer öffentlichen Apotheke wieder attraktiver machen. Und auch die Digitalisierung kann dazu ihren Beitrag leisten. Digitale Angebote eröffnen neue Möglichkeiten, wie wir aus den Apotheken mit den Menschen in Kontakt treten können. Das bietet jungen Menschen mehr Vielfalt in der Berufsausübung. Insgesamt müssen wir die Apotheke als heilberufliche Institution stärken, damit wieder mehr Absolventen in die Offizin gehen. Diesbezüglich erhoffe ich einen kräftigen Schub durch die Ergebnisse der Arzneimittelinitiative in Sachsen und Thüringen (ARMIN). Allein über steigende Gehälter wird die Nachwuchsgewinnung jedenfalls nicht gelingen.
Wann dürfen wir denn mit der Veröffentlichung der ARMIN-Ergebnisse rechnen? Das Projekt wird gern als Argument pro AMTS in den Apotheken herangezogen, aber etwas Handfestes liegt bisher ja noch gar nicht vor.
Erste Ergebnisse liegen intern bereits vor, sind aber noch nicht freigegeben. Sie werden im Laufe des Jahres 2022 veröffentlicht werden. Ich kann verraten, dass ich mir davon viel Rückenwind erhoffe, wenn es darum geht, die Apotheker:innen als Heilberufler zu stärken.
Die pharmazeutischen Dienstleistungen sollen perspektivisch ein zweites finanzielles Standbein für die Apotheken werden. Aber was ist mit dem packungsbezogenen Honorar? Ist da eine Verbesserung in Sicht? Immerhin hat sich die AG Honorierung, an der Sie ja auch beteiligt waren, nach fast zehn Jahren aufgelöst, ohne konkrete Vorschläge präsentieren zu können, wie man die Apothekenvergütung weiterentwickeln könnte.
Dass unsere Vergütung viel zu lange nicht angepasst worden ist, steht außer Frage. Mit diesem Thema wird sich jetzt der DAV intensiv beschäftigen und die Ergebnisse in die ABDA tragen.
Ein Punkt, den Sie sich bei Amtsantritt auf die Fahnen geschrieben haben, ist, der Trivialisierung von Arzneimitteln entgegenzuwirken. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Plattform-Konzepte, mit denen die Anbieter derzeit um die Apotheken werben?
Ich sehe die Angebote sehr kritisch, bei denen es um Kooperationen von Telemedizinanbietern und Apothekenplattformen beziehungsweise Arzneimittelversendern geht. Teilweise werden hier gezielt die Verschreibungspflicht und andere Verbraucherschutznormen unterlaufen. Da bekommt der Verbraucher praktisch jedes Medikament, wenn er nur einen Fragebogen richtig ausfüllt. Das ist eine maximale Trivialisierung nicht nur des Arzneimittels, sondern auch der ärztlichen Tätigkeit.
„Die Geschlossenheit innerhalb der Apothekerschaft ist für mich nach wie vor ein hohes Ziel“
Sucht die ABDA diesbezüglich denn aktiv den Schulterschluss mit den Ärzten, die ja gleichermaßen betroffen sind von solchen Konstrukten?
Wir sind zu diesem Thema in guten und intensiven Gesprächen mit der Ärzteschaft. Dort muss ankommen, wie solche Kooperationen auch die ärztliche Diagnose- und Therapiehoheit umschiffen. Wir werden uns am Ende gemeinsam dagegen stemmen, da bin ich sicher.
Was wir in der Pandemie alles in kürzester Zeit umgesetzt haben, zeigt doch, dass die Apotheken fähig sind, sich schnell und sicher auf neue Prozesse einzustellen. Wir können auch E-Rezept!“
Gemeinsam mit der Ärzteschaft Geschlossenheit zu demonstrieren, ist ein erstrebenswertes Ziel. Angetreten sind Sie damals aber insbesondere mit dem Wunsch, die Apothekerschaft intern wieder zu einen. Wie gut hat das Ihrer Einschätzung nach bisher geklappt? Die Interessen der einzelnen Apotheker:innen driften ja zum Teil doch deutlich auseinander.
Die Geschlossenheit innerhalb der Apothekerschaft ist für mich nach wie vor ein hohes Ziel. Wir sind ein sehr kleiner Berufsstand und je geschlossener wir auftreten, desto besser werden wir unsere Interessen nach außen vertreten können. Ich besuche derzeit viele Kammerversammlungen und Mitgliederversammlungen der Verbände und bekomme dort überwiegend positives Feedback. Viele haben Lust auf den Aufbruch, der sowieso kommen wird, und glauben fest an den Berufsstand. Gleichzeitig gilt es natürlich, das Gute zu bewahren: Ich möchte, dass wir eine wichtige Säule in der Versorgung bleiben und weiterhin als die Experten für Arzneimittel wahrgenommen werden. Aufbruch bedeutet für mich nicht, alles abzureißen, was bisher war. Ich will unser Fundament halten und sehen, wie wir uns darauf basierend weiterentwickeln können. Es ist wie mit den Ärztinnen und Ärzten: Wir sollten weniger auf das Trennende und mehr auf die Gemeinsamkeiten schauen, denn davon gibt es eine ganze Menge.
Eines haben wohl tatsächlich alle Apotheker:innen gemeinsam: den Wunsch nach Entbürokratisierung. Leider läuft die Entwicklung derzeit in eine andere Richtung. Inzwischen brauchen die Betriebe sogar eine Präqualifizierung, um Trink- und Sondennahrung zulasten der GKV abgeben zu dürfen. Was tut die ABDA gegen diesen Irrsinn?
Die ABDA wird sich dafür einsetzen, dass die Präqualifizierungsstellen möglichst serviceorientiert arbeiten. Die Präqualifizierung als solche loszuwerden, ist allerdings schwierig. Da sehe ich kaum Angriffspunkte. Viele Regelungen sind ja Vertragsgegenstand zwischen Kassen und DAV. Wir werden aber bald noch einmal abfragen, wo genau die Kolleginnen und Kollegen die Probleme sehen bezüglich der Bürokratie, und an welchen Stellen sie gern Entlastung hätten. Rein ordnungspolitisch gibt es gar nicht so viele bürokratische Pflichten, abgesehen von der BtM- und T-Rezept-Dokumentation und den Dokumentationen nach dem Transfusionsgesetz. Aber da können wir ja fast schon froh sein, dass wir diese Pflichten übernehmen dürfen, denn das ist ein Alleinstellungsmerkmal für die Apotheken und grenzt uns und unsere Aufgaben gegenüber Dritten ab.
„Wir sollten den Fokus aber stärker auf die Möglichkeiten als auf die Risiken legen“
Wie ist eigentlich der Stand bei der ABDA-Strukturanalyse? Wann ist da mit Ergebnissen zu rechnen?
Die Agentur, die wir mit der Analyse beauftragt haben, hat im Sommer ihre ‚Befunde‘ vorgestellt. Jetzt arbeitet sie quasi an ‚Therapievorschlägen‘. Wir streben an, im März mit einem Konvent in die Mitgliederversammlung gehen zu können. Es geht konkret um die Weiterentwicklung der ABDA, die Verbesserungsvorschläge werden aber nicht die Mitgliedsorganisationen selbst betreffen. Kammern und Verbände wurden einbezogen, um Anregungen einzureichen. Und ich verspreche, alles dafür zu tun, dass so viele Vorschläge wie möglich tatsächlich umgesetzt werden.
Die Standesvertretung betont immer wieder, die Apotheken seien „E-Rezept-ready“. Auch wenn die nötige Erstausstattung mittlerweile in den allermeisten Betrieben einsatzbereit sein dürfte, fühlen sich viele nicht gewappnet für den Fall, dass eine technische Komponente wie der Konnektor oder die SMC-B-Karte ausfällt. Ersatz zu beschaffen, dürfte Wochen dauern, in denen die betroffene Apotheke im Ernstfall nicht an der Versorgung teilnehmen kann. Was tut die ABDA, um hier vorzubeugen?
Noch läuft ja die Testphase in Berlin-Brandenburg, in der es darum geht, solche Probleme zu identifizieren. Klar ist: Die zentrale Stelle für das E-Rezept und alle seine Implikationen ist die Gematik. Dort bringt sich der DAV als Gesellschafter ein und adressiert solche Probleme. Wir sollten uns aber grundsätzlich eher mit den Chancen beschäftigen, die mit der Digitalisierung und konkret dem E-Rezept einhergehen. Natürlich macht Neues auch immer irgendwie Angst. Wir sollten den Fokus aber stärker auf die Möglichkeiten als auf die Risiken legen. Was wir in der Pandemie alles in kürzester Zeit umgesetzt haben, zeigt doch, dass die Apotheken fähig sind, sich schnell und sicher auf neue Prozesse einzustellen. Wir können auch E-Rezept!
Stichwort Leistungen in der Pandemie: Was bleibt davon auf politischer Ebene hängen? Sowas hat ja manch ein Politiker auch schnell mal wieder vergessen, ganz besonders, wenn die Wahlen vorbei sind.
Wir sind sehr optimistisch, dass die Beinfreiheit bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die uns die Politik im Zuge der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung eingeräumt hat, beibehalten wird. Die Bereitschaft, uns diesen Handlungsspielraum beim Auftreten von Lieferengpässen weiterhin zu gewähren, ist groß. Zudem erleben wir in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion, dass die Apotheke als eigener Pfeiler der Versorgung im Gesundheitswesen wahrgenommen wird. Zuvor hat man uns meist als Logistiker gesehen, dieses Bild hat sich in der Pandemie gewandelt.
Frau Overwiening, vielen Dank für das Gespräch!
9 Kommentare
Demokratische ABDA
von Georg Dribusch am 12.11.2021 um 18:17 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Welche Aufgabe?
von Reinhard Rodiger am 12.11.2021 um 11:33 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Welche Aufgabe
von Karl Friedrich Müller am 12.11.2021 um 12:11 Uhr
AW: Welche Aufgabe
von Reinhard Rodiger am 12.11.2021 um 14:25 Uhr
Geschlossenheit des Berufsstandes
von Karl Friedrich Müller am 12.11.2021 um 11:19 Uhr
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von Anita Peter am 12.11.2021 um 8:16 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: .
von Karl Friedrich Müller am 12.11.2021 um 9:22 Uhr
AW: .
von Anita Peter am 12.11.2021 um 9:50 Uhr
AW: .
von Karl Friedrich Müller am 12.11.2021 um 11:01 Uhr
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