Kein TiO2 in Lebensmitteln ab 2022

EMA: So wichtig ist Titandioxid für Arzneimittel

Stuttgart - 13.10.2021, 12:15 Uhr

Auf der Grundlage einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Analyse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Verwendung von Titandioxid in Arzneimitteln, soll Titandioxid bis auf Weiteres als Zusatzstoff erlaubt bleiben. (c / Foto: Tatyana A. – tataks / AdobeStock)

Auf der Grundlage einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Analyse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Verwendung von Titandioxid in Arzneimitteln, soll Titandioxid bis auf Weiteres als Zusatzstoff erlaubt bleiben. (c / Foto: Tatyana A. – tataks / AdobeStock)


Vergangenen Freitag haben die EU-Mitgliedstaaten dem Vorschlag der Europäischen Kommission zugestimmt, die Verwendung von Titandioxid (E171) als Zusatzstoff in Lebensmitteln ab 2022 zu verbieten. Noch kann zwar Einspruch erhoben werden, dennoch ist dies eine weitreichende Entscheidung, die auch die Arzneimittelindustrie nicht kaltlässt. Warum TiO2 dort vorerst jedoch nicht verschwinden muss, erklärt die EMA in einem aktuellen Statement.

Es ist so weit, wenn der Rat oder das Europäische Parlament bis Ende des Jahres keinen Einspruch mehr erheben, beginnt Anfang 2022 eine sechsmonatige Auslaufphase, nach der ein vollständiges Verbot für Titandioxid in Lebensmitteln gelten wird. Denn die EU-Mitgliedstaaten haben vergangenen Freitag dem Vorschlag der Europäischen Kommission zugestimmt, die Verwendung von Titandioxid (E171) als Zusatzstoff in Lebensmitteln ab 2022 zu verbieten. Man handle damit auf der Grundlage solider wissenschaftlicher Erkenntnisse, so Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA war zuvor zu dem Schluss gekommen, dass Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr als sicher angesehen werden kann – insbesondere hinsichtlich einer möglichen Genotoxizität, die jedoch nicht nachgewiesen, sondern nur nicht entkräftet werden konnte. Eine akute Gesundheitsgefahr besteht also nicht. Die DAZ hat darüber berichtet. Dass sich dennoch auch die Pharmaindustrie mit dem Thema auseinandersetzen muss, zeichnete sich schon 2019 ab. Was bedeutet nun das Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln für die Arzneimittelherstellung?

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In den FAQ äußert sich die Europäische Kommission neben Lebensmitteln auch zu Arzneimitteln, die E171 enthalten: Auf der Grundlage einer ebenfalls am vergangenen Freitag veröffentlichten Analyse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Verwendung von Titandioxid in Arzneimitteln, soll Titandioxid bis auf Weiteres als Zusatzstoff erlaubt bleiben – um seine Verwendung in Arzneimitteln als Farbstoff zu ermöglichen. Einer der Gründe für diese Entscheidung sei die Vermeidung von Engpässen. Man müsse zunächst geeignete Alternativen untersuchen und prüfen, um negative Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel auszuschließen. Unbegrenzt Zeit lassen darf sich die Industrie nun aber nicht, denn die Situation soll in drei Jahren durch die EMA und die Europäische Kommission neu bewertet werden.

Calciumcarbonat, Talkum und Stärke – keine echten Alternativen

Wie die EMA in ihrer Analyse weiter ausführt, wird Titandioxid extensiv in der Arzneimittelherstellung genutzt: Laut den EU-Handelsverbänden enthalten etwa 91.000 Humanarzneimittel und 800 Tierarzneimittel in der EU Titandioxid. Das betrifft so gut wie alle oralen Arzneiformen: Tabletten, Weichkapseln, Hartkapseln, Granulate/Pulver für orale Lösungen oder Suspensionen, orale Pasten oder Gele – aber auch in kutanen, inhalativen (Kapselhüllen), oromukosalen, sublingualen, transdermalen und vaginalen Arzneiformen kann Titandioxid enthalten sein. Essenzielle Arzneimittel wie Antidiabetika oder Antibiotika seien betroffen. 

Dieser weit verbreitete Einsatz ist offenbar damit zu begründen, dass bislang kein einziges Material identifiziert worden sei, das über die gleiche Kombination an Eigenschaften verfügt:

  • Opazität (Lichtundurchlässigkeit)
  • Kontrastverstärkung
  • TiO2 ist inert
  • UV-Schutz
  • Oberflächenbeschaffenheit des finalen Produkts

Gerade dort, wo Titandioxid für mehr als eine dieser Funktionen benötigt wird, sei ein Ersatz schwierig. Calciumcarbonat, Talkum und Stärke seien zwar mögliche Alternativen, diese sollen aber Nachteile mit sich bringen: 

  • keine ausreichend dünnen Filmüberzüge
  • Probleme in der Lieferkette
  • Verunreinigungsrisiko

Jedes betroffene Arzneimittel müsse zudem individuell hinsichtlich Alternativen, Neuformulierung, Auflösungs- und Stabilitätsdaten sowie potenziell Bioäquivalenz untersucht werden. All das müsse dann durch die zuständigen Zulassungsbehörden nochmals bewertet werden.

Wenn, dann müsste Titandioxid weltweit verboten werden

Außerdem befürchtet die EMA, dass Europa am Ende die einzige Region weltweit sein könnte, in der Titandioxid in Arzneimitteln nicht mehr verwendet werden darf. Die Industrie müsste also neue Formulierungen speziell für die EU entwickeln. Schließlich könne man jetzt auch noch keinen Zeitplan vorgeben, in dem eine schrittweise Abschaffung von Titandioxid in allen oder auch nur bestimmten Arzneimitteln machbar wäre. Eine Neuformulierung könne Jahre dauern. Lieferengpässe und Marktrücknahmen wären damit vorprogrammiert.

Es ist also eine Frage der Zeit. Aus rein technischer Sicht, erklärt die EMA, sollte ein (jeweils individueller) Ersatz von Titandioxid möglich sein.

Ist die Tablettenfarbe wirklich wichtig?

Da Titandioxid hauptsächlich als Lichtschutz und Farbstoff verwendet wird, könnte man sich fragen, ob es nicht doch verzichtbar wäre, wenn man dafür Abstriche bei der Optik eines Arzneimittels macht. Doch die EMA erklärt, dass die Produktfarbe wichtig für die Unterscheidung verschiedener Stärken und auch wichtig für die Akzeptanz durch die Patient:innen sei. Auch der Licht-/UV-Schutz sei wichtig, weil er zu einer längeren Haltbarkeit und weniger Lagerbeschränkungen beitrage, was eine einfachere Handhabung und Lagerung ermögliche.

Es sei historisch bedingt, dass Titandioxid neben seinen anderen Qualitäten vor allem als Farbstoff wahrgenommen wird. Denn Farbstoffe, die in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 aufgeführt sind, dürften in Arzneimitteln ohne weitere Begründung zum Einsatz kommen. Dies habe dazu geführt, dass Titandioxid in den Antragsunterlagen für das Inverkehrbringen in der Regel als Farbstoff bezeichnet wird. 

Titandioxid findet sich auch im Europäischen Arzneibuch wieder und gilt als geeigneter Hilfsstoff für Arzneimittel.

Was bringt die Zukunft für Hilfs- und Zusatzstoffe?

Wie die Nachrichtenagentur dpa vergangenen Freitag berichtete, sprach die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, die sich schon seit längerem für das Titandioxid-Verbot in Lebensmitteln eingesetzt hatte, von einem „Schritt in die richtige Richtung“ angesichts der jüngsten Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten. Allerdings sieht sie die Akte Lebensmittelzusatzstoffe damit noch nicht als geschlossen an: Nun solle die EU „die weiteren mehr als 300 in Europa zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe“ überprüfen und reduzieren, sagte Sprecher Andreas Winkler. Im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes müssten alle umstrittenen Zusatzstoffe verboten werden, meint er. 

Arzneimittel dürften angesichts der geringeren Vielfalt an Hilfsstoffen von solchen Vorhaben zwar weniger betroffen sein, allerdings bleibt die Frage, wie ganz grundsätzlich Nanomaterialien bei oraler Aufnahme zu bewerten sind. Denn wie die DAZ bereits berichtete, bestehen laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) insbesondere Unsicherheiten beim molekularen Mechanismus potenziell toxischer Wirkungen von Titandioxid. Welchen Einfluss Größe und Beschaffenheit der (Nano-)Partikel haben, sei unklar. Während das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) seine „Fragen und Antworten“ zu Titandioxid erst im Mai aktualisiert hat, stammen die „Fragen und Antworten zur Nanotechnologie“ noch von 2012. Risiken, die Nanomaterialien laut BfR bergen können, sind besondere (physikalisch-chemische) Eigenschaften, wie große reaktionsfreudige Oberflächen, und das Verhalten im Körper, z.B. eine lange Verweildauer und die Überwindung natürlicher biologischer Barrieren. 

Im August dieses Jahres hatte das ARD-Magazin „Plusminus“, um dem Anteil an Titandioxid-Nanopartikeln auf die Spur zu kommen, verschiedene Produkte an ein Labor geschickt. In dem Fernsehbeitrag hieß es, dass am Universitätsspital in Zürich schon lange an Titandioxid geforscht werde. Im Interview sprach Professor Gerhard Rogler, der Direktor der Klinik für Gastroenterologie in Zürich, sodann vor allem von Titandioxid in Form von Nanopartikeln: Dadurch könnten im Darm chronische Entzündungen und in der Folge durchaus auch Krebsvorstufen ausgelöst werden. Rogler erklärte, so „Plusminus“, dass der Farbstoff schon längst hätte verboten werden müssen – nicht nur in Lebensmitteln. 

Hinsichtlich der Auswirkungen von Nanopartikeln scheint (nicht nur bei Titandioxid) also noch viel Forschungsbedarf zu bestehen. Wäre am Ende vorherrschend die Nano-Partikel-Größe und weniger der eigentliche Stoff das Problem, sollte sich die EMA in Zukunft wohl grundsätzlich mit Nanopartikeln auseinandersetzen – im aktuellen EMA-Bericht zu Titandioxid wird auf die Nano-Problematik jedenfalls nicht eingegangen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Titandioxid in Medikamenten

von Joachim Maurice Mielert am 18.10.2021 um 8:51 Uhr

Es bedarf keiner erweiterten Expertise, um zu verstehen, dass chronisch Erkrankte, die ein restliches Leben lang Medikamente einnehmen müssen, Anspruch auf Patientensicherheit reklamieren. So haben wir in den letzten Wochen mindestens von drei führenden Herstellern Statements erhalten und die Fachaufsicht mit dem Thema beschäftigt. Endlich kommt Bewegung in die Sache. Es ist schon halbwegs "irre", einem Parkinson- oder MS- Patienten, dessen neurodegenerative Erkrankung mutmasslich im Darm den Ursprung hat, mit einem Hilfs- oder Füllstoff zu "füttern", der mit den Darmbakterien eine unheilvolle Allianz eingeht und vom menschlichen Organismus nur schwer verstoffwechselt werden kann. Natürlich sind Lieferketten zu berücksichtigen! Wenn es aber brennt, dann kommt die Feuerwehr sofort! Niemand käme auf die Idee, zu argumentieren, dass man die Feuerwehr nicht losschickt, damit die Garage im Feuerwehrhaus nicht leer steht!

Titandioxid muss aus der Versorgungskette genommen werden, und zwar jetzt ubd sofort und alternativlos! Es müssen administrative Barrieren überwunden werden und notfalls muss bei der EMA oder anderen Instanzen in Sonderschichten gearbeitet werden. Die Groteske, Titandioxid aus der Lebensmittelproduktion aus vernünftigen Gründen zu verbannen, es aber für erkrankte Menschen in den Arzneimitteln zu belassen, ist zur Chefsache zu erklären!

J.M.Mielert
DOPANET Wissen & Kommunikation

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Wenn man...

von Günter am 14.10.2021 um 10:43 Uhr

... Inhaltsstoffe in ein Produkt tut, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein, und als Begründung anführt, dass dies optische Gründe hat und der Konsument so besser annimmt, dann ist das für mich "krank".

Und falls jemandem dieser Begriff nicht gefällt, dann möge er ihn durch "bescheuert", "blöd", "unverantwortlich" oder gleichwertiges ersetzen.

Ab 2022 wird es zumindest in Lebensmitteln verboten.
Da können die "ganz schlauen" auch nichts dagegen tun.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Farbstoff in Arzneimitteln???

von Günter am 13.10.2021 um 19:05 Uhr

Sorry, aber da hab ich kein Verständnis. Ich "esse" Arzneimittel ja nicht, weil sie so gut aussehen oder so gut schmecken, sondern weil es notwendig ist.
Wenn der Überzug vor UV-Strahlung oder anderen äußerlichen Einwirkungen schützen soll, dann bitte in einen lichtundurchlässigen Blister damit und Ende.
Warum muss überall dieser Schrott hinein?
Mikroplastik in Zahnpasta und Waschmittel, Farbstoff in Arzneimittel, das ist für mich dasselbe "kranke Verbrechen"!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Farbstoff in Arzneimitteln

von Bernd Küsgens am 14.10.2021 um 9:46 Uhr

Bitte sich zunächst schlau machen ehe man von
"krankem Verbrechen" spricht.

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