ARD-Magazin „Plusminus“

Sollte Titandioxid neben Lebensmitteln auch aus Arzneimitteln verschwinden?

Stuttgart - 17.08.2021, 07:00 Uhr

Um dem Anteil an Titandioxid-Nanopartikeln auf die Spur zu kommen, hat „Plusminus“ verschiedene Produkte an ein Labor geschickt. (Screenshot: Plusminus)

Um dem Anteil an Titandioxid-Nanopartikeln auf die Spur zu kommen, hat „Plusminus“ verschiedene Produkte an ein Labor geschickt. (Screenshot: Plusminus)


Es ist keine einfache Debatte, die ungefähr seit 2019 öffentlich über das toxische Potenzial von Titandioxid geführt wird. Ein Weißpigment, das – wenn es nach einer Empfehlung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit geht – alsbald aus Lebensmitteln verschwinden sollte. Im ARD-Magazin „Plusminus“ wurde nun auch die Rolle von Titandioxid in Arzneimitteln in den Fokus genommen. Gerd Glaeske kam zu Wort, außerdem war von einer Titandioxid-Lobby die Rede. So oder so: Die Pharmaindustrie muss sich mit dem Problem nun auseinandersetzen.

„Würden Sie etwas zu sich nehmen wollen, in dem ein Stoff steckt, der möglicherweise Krebs auslöst oder Ihren Darm schädigt?“, so wird ein Beitrag des ARD-Magazins „Plusminus“ vom 4. August anmoderiert. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) halte die Verwendung von Titandioxid in Lebensmitteln für nicht mehr sicher heißt es weiter – und das, obwohl der Hilfsstoff seit Jahrzehnten eingesetzt wird.

Aus einer im anschließenden Beitrag gezeigten Umfrage unter Passanten lässt sich ableiten, dass in der Durchschnittsbevölkerung dennoch kaum jemand etwas mit dem Begriff Titandioxid anfangen kann – anders dürfte das bei Apotheker:innen sein, die schon im Studium lernen, wie weit verbreitet der Stoff auch in Arzneimitteln zum Einsatz kommt.

Hier steckt Titandioxid drin

  • in Lebensmitteln als Farbpigment E 171 z. B. in Kaugummis, Dragees und Bonbons mit hellen glänzenden oder glatten Überzügen; auch in Schokolade, Keksen, Käse und hellen Saucen und Nahrungsergänzungsmitteln, wie Magnesium- oder Calciumtabletten
  • in Kosmetika als CI 77891 z. B. in Zahncremes und vielen Kosmetika; in Sonnenschutzmitteln als mineralischer Lichtschutzfilter
  • als Weißpigment PW6 in Ölfarben, Wandfarben, Lacken
  • außerdem in  Kunststoffen, Textilien, Photokatalysatoren

(Quelle: DAZ 7/2020)

Schon im Mai dieses Jahres war auch die DAZ der Frage nachgegangen, wie gefährlich orales Titandioxid ist. Anlass war wie erwähnt, dass die EFSA mögliche gesundheitliche Risiken von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff neu bewertet und das Ergebnis am 6. Mai 2021 veröffentlicht hatte. Bei der Sichtung von fast 12.000 Publikationen habe der Verdacht auf Genotoxizität bei oraler Aufnahme nicht entkräftet werden können, hieß es. Expertinnen und Experten der EFSA kamen also zu dem Schluss, dass die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr länger als sicher angesehen werden kann. Eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI) gibt es derzeit nicht. Das berichtete damals auch das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung). Die Schilderungen des BfR zu Titandioxid klangen dabei nicht unbedingt nach einer gefährlichen Substanz. Allerdings sollte ja der Verdacht der Genotoxizität entkräftet werden und das war und ist bislang offenbar nicht möglich.

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Tatsächlich hatte die DAZ bereits im September 2019 über die Diskussionen rund um Titandioxid berichtet. Damals ging es jedoch noch vor allem um dessen inhalative Aufnahme – und eher um den Bereich der Chemie-Industrie als den der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Doch schon damals zeigte sich, dass auch die Pharmaindustrie sich mit dem Thema auseinandersetzt. So bot das Nachrichteportal PharmTech.com beispielsweise schon im Juli 2019 ein Seminar mit dem Titel „Science or Hype? Navigating the Questions about Titanium Dioxide Safety“ an.

Für die breite Masse war die Diskussion damals allerdings kaum wahrzunehmen. Das hat sich nun spätestens mit dem „Plusminus“-Bericht geändert, die Diskussion ist in den Publikumsmedien angekommen.

Welche Rolle spielen Nanopartikel?

So erklärte „Plusminus“ im Beitrag weiter, dass am Universitätsspital in Zürich schon lange an Titandioxid geforscht werde. Im Interview spricht Professor Gerhard Rogler, der Direktor der Klinik für Gastroenterologie in Zürich, sodann vor allem von Titandioxid in Form von Nanopartikeln. Dadurch könnten im Darm chronische Entzündungen und in der Folge durchaus auch Krebsvorstufen ausgelöst werden. Rogler meint, so „Plusminus“, dass der Farbstoff schon längst hätte verboten werden müssen – nicht nur in Lebensmitteln.

Wie die DAZ berichtete bestehen bei der Toxizität von Titandioxid laut EFSA insbesondere Unsicherheiten beim molekularen Mechanismus. Welchen Einfluss Größe und Beschaffenheit der (Nano-)Partikel haben, sei unklar. Die EFSA beschäftigt sich also auch mit der Rolle von Nanopartikeln. Die niederländische Behörde für Lebensmittel- und Konsumgütersicherheit soll 2019 zudem auf die Bedeutung der Untersuchung immuntoxikologischer Wirkungen zusätzlich zu möglichen reproduktionstoxikologischen Wirkungen hingewiesen haben.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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