ACE2 und COVID-19

Diabetes und Corona: Ein Henne-Ei-Problem?

Stuttgart - 10.07.2020, 17:50 Uhr

Die Diabetes-Medikation muss bei einer (COVID-19-) Infektion angepasst werden. (s / Foto: IndiaPix / stock.adobe.com)

Die Diabetes-Medikation muss bei einer (COVID-19-) Infektion angepasst werden. 
(s / Foto: IndiaPix / stock.adobe.com)


Zerstört SARS-CoV-2 endokrine Pankreas-Zellen? Welche Rolle spielt ACE2?

Auch in einer gemeinsamen Pressekonferenz der DDG und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) wurde am 30. Juni betont, dass noch sehr viele Fragen offen sind – also nicht geklärt sei, ob COVID-19 einen Diabetes auch verursachen könnte. Die Frage an sich sei aber wichtig, klinische Studien stünden noch aus. In der zugehörigen Pressemitteilung wird betont, dass auch unabhängig von einer Infektion mit dem Coronavirus die DDG ein Diabetes-Screening per HbA1c-Bestimmung bei allen klinischen, aber auch ambulanten Patienten über 50 Jahren empfiehlt: 


Denn den rund sieben Millionen diagnostizierten Diabetespatienten stehen etwa 1,3 Millionen Menschen gegenüber, die von ihrer Diabeteserkrankung noch nichts wissen.“ 

DDG


Was war also zuerst da? Der Diabetes oder SARS-CoV-2? Laut einem Artikel vom 24. Juni auf der News-Seite von „Nature“ deutet immer mehr darauf hin, dass das Coronavirus tatsächlich Diabetes auslösen könnte. Neben Fallberichten wird dort auf eine experimentelle Studie verwiesen, die in „Cell Stem Cell“ erschienen ist: „A Human Pluripotent Stem Cell-based Platform to Study SARS-CoV-2 Tropism and Model Virus Infection in Human Cells and Organoids“. Wie in dem Brief aus dem NEJM, und in anderen Studien zu Bluthochdruck-Arzneimitteln und COVID-19, rückt auch in dieser Studie das Enzym ACE2 in den Fokus.  

ACE2-exprimierende Endothel-Zellen, Makrophagen und kortikale Neuronen – kaum oder nicht infiziert

Das Journal selbst hat die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen so zusammengefasst: Die Autoren Yang et al. zeigen, dass von humanen pluripotenten Stammzellen abgeleitete Zellen (hPSC-derived) und Organoide wertvolle Modelle darstellen, um den „Tropismus“ (Fähigkeit eines Virus in Gewebe/Zellen einzudringen und sich dort zu vermehren) von SARS-CoV-2 zu untersuchen. Sie kommen zu dem Schluss, dass hPSC-abgeleitete endokrine Zellen der Bauchspeicheldrüse und humane adulte Hepatozyten- und Cholangiozyten-Organoide gegenüber einer SARS-CoV-2-Infektion empfänglich sind. Konkret geht es auch um humane alpha- und beta-Zellen des Pankreas (Langerhans-Insel-Zellen). 

Insgesamt haben die Forscher nach eigenen Angaben nicht nur eine Bibliothek aus hPSC-abgeleiteten Zellen/Organoiden des endokrinen Pankreas und der Leber erstellt, die jetzt zu weiteren Forschungszwecken genutzt werden könnten – sie haben auch Endothelzellen, Kardiomyozyten, Makrophagen, Mikroglia, kortikale Neuronen und dopaminerge Neuronen untersucht und in die Bibliothek aufgenommen. Allerdings zeigten ACE2-exprimierende Endothel-Zellen, Makrophagen und kortikale Neuronen laut den Forschern nur kaum oder gar keine Empfänglichkeit gegenüber SARS-CoV-2. Sie stellen in der Folge die Hypothese auf, dass neben ACE2 weitere Faktoren den Eintritt des Virus in die Zelle beeinflussen (beispielsweise TMPRSS2, siehe Kasten auf Seite 1). 

Die nicht-lineare Beziehung zwischen ACE2 und der Permissivität gegenüber einer SARS-CoV2-Infektion unterstreiche in der Forschung die Bedeutung, hPSC-abgeleitete Zellen zu verwenden – gegenüber ACE2-überexprimierenden Zellen.

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Die Empfänglichkeit der hPSC-abgeleiteten Leber- und Pankreas-Zellen gegenüber SARS-CoV-2 wurde laut den Forschern schließlich anhand adulter primärer menschlicher Inselzellen, adulter Leber- und Cholangiozyten-Organoiden und anhand eines humanisierten Mausmodells weiter validiert. 

Zudem konnte in den hPSC-abgeleiteten endokrinen Pankreas-Zellen und Leber-Organoiden eine Hochregulation der Chemokin-Expression beobachtet werden, die mit den Profilen von Geweben übereinstimme, die nach der Autopsie von COVID-19-Patienten gewonnen wurden. Auch solche allgemeinen Entzüdungsprozesse könnten also – neben einer möglichen Zerstörung der endokrinen Pankreas-Zellen durch SARS-CoV-2 – zum Neuauftreten oder zu einer Verschlechterung von Diabetes führen. 

Paul Zimmet, Diabetes-Direktor von der Monash University in Melbourne (Australien), wird von „Nature“ zur Einschätzung der Situation so zitiert: „Diabetes ist schon eine Pandemie an sich, genauso wie COVID-19.“ Die beiden Pandemien könnten nun aufeinanderprallen. 

Jedenfalls in Deutschland dürfte die Diskussion rund um Diabetes und COVID-19 die „Enttäuschung über eine ‘Light’-Version der Diabetesstrategie“, wie sie kürzlich als Antrag beschlossen wurde, noch unterstreichen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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