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Was tun gegen Engpässe in Pandemiezeiten
AKNR: Großhandel soll Präsenzapotheken bevorzugen!
Die Corona-Pandemie verschärft die Lieferengpässe bei Arzneimitteln bereits jetzt spürbar. Besonders deutlich wird das derzeit bei Paracetamol – doch in den Apotheken zeigen sich schon bei den nächsten Wirkstoffen die Folgen von Hamsterkäufen. Die Apothekerkammer Nordrhein fordert nun das Bundesgesundheitsministerium auf, den Großhandel anzuweisen, Präsenzapotheken bevorzugt zu beliefern. Bestellungen von Versandapotheken sollen nachrangig bedient werden, solche von ausländischen Versendern gar nicht. Wäre ein solches Vorgehen rechtlich möglich?
In Zeiten der Krise hamstern die Menschen offensichtlich gerne – und ohne Rücksicht auf andere. Das freut jene, die damit ein Geschäft machen. Seitens der großen Versender frohlockte man in letzter Zeit ganz unverblümt über die Zuwächse, die ihnen die Corona-Pandemie derzeit beschert.
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Doch wenn an einer Stelle viel vorgehalten und verkauft wird, fehlt es an der anderen. Diese Ungleichverteilung blieb auch dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nicht verborgen. Vergangenen Freitag erließ es daher erstmals eine weitgehende Anordnung, wonach pharmazeutische Großhändler und pharmazeutische Unternehmer ihre Arzneimittellieferungen kontingentieren sollen: Apotheken und Großhandel sollen so viel lagern, wie es rechtlich vorgesehen ist – aber die Bestellmengen sollten nicht über die des Vorjahres hinausgehen. Überdies hat am heutigen Dienstag Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Apotheken, Großhandel und Hersteller gebeten, paracetamolhaltige Arzneimittel nur in der für den akuten Bedarfsfall nötigen Menge abzugeben. Apotheken und Ärzte sollen zudem therapeutische Alternativen prüfen.
BMG steuert Engpass entgegen
Spahn: Paracetamol nur noch für den „akuten Behandlungsfall“
Corona-Krise
BfArM ordnet Kontingentierung von Arzneimitteln an
Weitere Maßnahmen nötig
Thomas Preis, Chef des Apothekerverbandes Nordrhein, hat bereits ein Versandverbot für alle Arzneimittel während der Coronakrise gefordert. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) ist ebenfalls überzeugt, dass weitere Maßnahmen zugunsten der Vor-Ort-Apotheken nötig sind, um eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen – ihre Ideen gehen aber in eine etwas andere Richtung.
Gegenüber DAZ.online begrüßt die Kammer die Aufforderung Spahns, Paracetamol nur im akuten und alternativlosen Behandlungsfall abzugeben. Auch der Minister gehe in seinem Brief davon aus, dass es Aufgabe der Apotheken sei, in der pharmazeutischen Beratung Alternativen zu erwägen und zu prüfen, ob ein paracetamolhaltiges Arzneimittel alternativlos ist und – sollte dies der Fall sein – welche Menge des Präparats abzugeben ist. Die AKNR ist jedoch überzeugt, dass eine derartige Abwägung ausschließlich durch die Apotheke vor Ort unter Berücksichtigung der vollständigen Medikation des Patienten erfolgen kann. „Insbesondere Versandapotheken sind hierzu nicht in der Lage“, so die Kammer.
Auch an Heimbewohner denken!
Die Kammer gibt ferner zu bedenken, dass die Risikogruppen für Corona-Infektionen – Alte und Vorerkrankte – überdurchschnittlich häufig in entsprechenden Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen untergebracht sind. Und deren Versorgung ist den Präsenzapotheken vorbehalten (§ 12a ApoG). Die versorgenden Apotheken hätten gerade hier ein Problem, wenn sich Lieferprobleme ausweiten: Bei Patienten mit Multimedikation ist es vergleichsweise schwierig, Wirkstoffe zu substituieren. Weiterhin weist die AKNR darauf hin, dass Apotheken, die Nacht- und Notdienste leisten, ausreichend bevorratet werden müssen, da in diesen Situationen ein Substituieren kaum möglich ist.
Und daraus kann die Kammer nur eine Schlussfolgerung ziehen:
Um sicherzustellen, dass die bedarfsgerechte Versorgung gerade von Alten und Kranken sowie Patienten, bei denen keine Alternative in der Medikation besteht, gewährleistet wird, sind Präsenzapotheken bevorzugt zu beliefern. Demgegenüber ist der pharmazeutische Großhandel aufzufordern, Bestellungen von Versandapotheken nachrangig zu bearbeiten sowie Bestellungen von ausländischen Versandapotheken nicht mehr zu beliefern. Um die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland zu gewährleisten, zumindest für die Patienten, für die eine andere Behandlungsalternative nicht möglich ist, muss zwingend der Abfluss von Arzneimitteln ins Ausland, gleich auf welchem Wege, verhindert werden.“
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass im Ausland ansässige Versandapotheken nicht der Kontrolle der zuständigen Behörden unterliegen, sodass die ausgesprochenen Maßnahmen auf sie keine Anwendung finden. Damit, so die AKNR, bestehe nicht nur das Risiko, dass weiterhin uneingeschränkt Arzneimittel abgegeben werden, sondern dort auch zurückgehalten oder sogar nur noch mit erheblichen Preisaufschlägen angeboten werden.
Großhandel muss Bestellungen abstufen
Die AKNR fordert daher das Bundesgesundheitsministerium auf, „den pharmazeutischen Großhandel unverzüglich anzuweisen, Bestellungen von Paracetamol und anderen zentralen Wirkstoffen, die bereits jetzt kontingentiert werden, gestuft vorzunehmen und insoweit die Anweisung zu geben, Präsenzapotheken bevorzugt zu beliefern, da nur dort sichergestellt werden kann, dass die durch das BMG geforderte bedarfsgerechte pharmazeutische Beratung insbesondere für Risikopatienten vorgenommen wird.“
Und wie ist die Rechtslage?
DAZ.online hat bei Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas nachgefragt, ob diese Forderung, den Versandhandel in der Lieferkette nach hinten zu rücken, rechtlich möglich wäre. Er sieht dafür durchaus Spielraum. Grundsätzlich sei es Aufgabe der pharmazeutischen Unternehmen und der Arzneimittelgroßhandlungen sicherzustellen, dass ausreichend Arzneimittel für die Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen, erklärt der Anwalt unter Verweis auf § 52b Arzneimittelgesetz. Stelle der Gesetzgeber aber fest, dass diese Aufgabe nicht mehr gewährleistet ist, könne er durch entsprechende Maßnahmen, sowohl auf Ebene der pharmazeutischen Großhändler als auch der Apotheken, Vorgaben machen, wer Arzneimittel bekommt und wer nicht.
So könne er für den Großhandel in Zeiten der Pandemie derartige Vorgaben in der Arzneimittel-Handelsverordnung verankern. Für Apotheken könne die Apothekenbetriebsordnung dahingehend ergänzt werden, dass während einer Pandemie bestimmte Arzneimittel nicht im Wege des Versandhandels vertrieben werden können – so wie dies jetzt bereits für bestimmte Arzneimittel in § 17 Abs. 2b ApBetrO vorgesehen ist. Die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen im Arzneimittel- und im Apothekengesetz (§ 54 AMG, § 24 ApoG) für diese würden ohne weiteres die Ergänzung der jeweiligen Verordnungen ermöglichen, meint Douglas.
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass Versandapotheken nur teilweise versorgen können. Hier hebt Douglas auf die von der AKNR angesprochene Heimversorgung hervor: „Es ist Aufgabe des Gesetzgebers sicherzustellen, dass gerade für diese Patienten ausreichend Medikamente zur Verfügung stehen und es nicht zu Fehlallokationen kommt, wenn diese überhaupt nicht kurzfristig verfügbar sind.“ Zudem könnten Versandapotheken mittelfristig, da sie auf externe Logistiker angewiesen sind, die Einhaltung der Lieferfristen nicht mehr gewährleisten.
Douglas: EU-Versender können „ohne weiteres“ ausgeschlossen werden
Der Anwalt ist überzeugt, dass im Ausland ansässige Versandapotheken „rechtlich ohne weiteres von der Belieferung ausgeschlossen“ werden können. Denn sie seien nicht Teil des Systems, dem die bedarfsgerechte Belieferung obliegt. Auch der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 bereits festgestellt, dass diese aufgrund ihres eingeschränkten Leistungsangebots keine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherstellen könnten. Zudem bestehe für die deutschen Behörden keine Möglichkeit, bei ausländischen Versandapotheken zu überprüfen, ob verfügbare Arzneimittel tatsächlich auch bedarfsgerecht eingesetzt werden. Da in Deutschland der Versandhandel jeweils aus einer Präsenzapotheke heraus erfolge, die der Überwachung durch die zuständige Behörde obliege, könnte demgegenüber dort noch geprüft werden, ob Arzneimittel zurückgehalten werden oder nicht.
Nicht zuletzt weist Douglas auf die neuen Möglichkeiten des BfArM hin, die das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz mit sich bringen soll. Dieses ist zwar noch nicht in Kraft getreten. Doch es wird der Bundesbehörde ermöglichen, im Fall eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses eines Arzneimittels, geeignete Maßnahmen zu dessen Abwendung oder Abmilderung zu ergreifen – insbesondere wird sie Anordnungen gegenüber pharmazeutischen Unternehmern und Arzneimittelgroßhandlungen ergreifen können. In diesem Rahmen, so Douglas, werde das BfArM beispielsweise auch anordnen können, dass der Großhandel an bestimmte Apotheken nicht liefern darf und andere Apotheken bevorzugt beliefert werden.
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