Arzneimittel-Engpässe durch SARS-CoV-2?

Indien stoppt Arzneimittel-Export - welche Arzneimittel könnten knapp werden?

Stuttgart - 04.03.2020, 16:30 Uhr

Indien stoppt die Ausfuhr von 26 Wirkstoffen und Arzneimitteln, man will damit die Versorgung der Menschen im eigenen Land sichern. Grund sind Engpässe seitens China bei der Wirkstofflieferung – unter anderem Antibiotika und Paracetamol – durch die SARS-CoV2-Epidemie. (b / Foto. Ritesh Shukla / picture alliance) 

Indien stoppt die Ausfuhr von 26 Wirkstoffen und Arzneimitteln, man will damit die Versorgung der Menschen im eigenen Land sichern. Grund sind Engpässe seitens China bei der Wirkstofflieferung – unter anderem Antibiotika und Paracetamol – durch die SARS-CoV2-Epidemie. (b / Foto. Ritesh Shukla / picture alliance) 


Indien versorgt Millionen von Menschen mit kostengünstigen Generika – nicht nur im eigenen Land. Indien exportiert weltweit. Allerdings: Indien ist dabei abhängig von China, von wo es 70 Prozent seiner Wirkstoffe bezieht – dort ist die Produktion günstiger. Die SARS-CoV-2-Epidemie wirkt sich schon jetzt auf die Arzneimittelversorgung aus: Indien stoppt Arzneimittel-Exporte für 26 Arzneistoffe, darunter auch Paracetamol, Antibiotika wie Erythromycin, Clindamycin, Metronidazol und das Virostatikum Aciclovir. Das BfArM bleibt für Deutschland unbesorgt.

Arzneimittel-Engpässen durch SARS-CoV-2: Intuitiv dürfte man zuerst an China denken, schließlich ist es ein wichtiges Produktionsland für Arzneistoffe und weltweit am stärksten von COVID-19 betroffen. China ist dem Volumen nach der weltweit führende Hersteller und Exporteur von APIs (API, active pharmaceutical ingredient). Allerdings sollte man bei Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln aufgrund der Corona-Epidemie auch Indien auf dem Schirm haben, denn Indien bezieht 70 Prozent seiner Wirkstoffe aus China und die Vereinigten Staaten laut dem Branchenmagazin Fierce Pharma 40 Prozent ihrer Generika wiederum aus Indien. Und: ohne Wirkstoff, kein Arzneimittel. Nun hat Indien den Arzneimittel-Export von 26 Wirkstoffen und Arzneimitteln gestoppt. Mit dabei auch wichtige Antibiotika, Virustatika und Paracetamol. Die indische Regierung spricht hingegen nicht von „stoppen“ (halt), sondern von „einschränken“ (restrict).

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass keine von der FDA zugelassenen Impfstoffe, Gentherapien oder Blutprodukte in China hergestellt werden.

Exportverbot für 26 Wirkstoffe und Arzneimittel aus Indien

Nach Informationen von Fierce Pharma – Coronavirus spurs India to restrict exports of 2 dozen drugs – gab die indische Generaldirektion für Außenhandel am Dienstag (3. März 2020) bekannt, dass sie bis auf weiteres die Ausfuhr von 26 Wirkstoffen und Formulierungen einschränkt. Großartig erklärt hat sich Indien zu diesem Schritt wohl nicht. Auf Fierce Pharma ist zu lesen: „Die Regierung gab keine weitere Erklärung ab“, jedoch habe sich Dinesh Dua, der Vorsitzende der indischen Exportförderungsbehörde für Arzneimittel, gegenüber Reuters geäußert, dass es ungeachtet des jetzt ausgesprochenen Exportverbotes in den kommenden Monaten bei einigen dieser Arzneimittel zu einem Mangel kommen könne. Er rechnet damit, dass die „Engpässe akut“ werden, wenn die durch das Coronovirus-bedingten Produktions- und Lieferunterbrechungen andauerten.

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Bereits Ende Februar veröffentlichte der Lancet, eine der renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften, einen Beitrag dazu: Indian pharma threatened by COVID-19 shutdowns in China. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Indien besorgt, die pharmazeutische Lieferkette aus China stehe durch den dortigen Arbeitskräftemangel aufgrund von Quarantäneregelungen unter erheblichem Druck, las man im Lancet. Zusätzlich behinderten Reisebeschränkungen den Transport- und Logistikapparat. Verschärft werde die Situation aber auch durch einige Arzneistoffhändler, die einen „künstlichen Mangel“ erzeugten, indem sie – in Erwartung der epidemiebdingten Verknappung – Wirkstoffe horteten, erklärte der Vorsitzende der Federation of Pharma Entrepreneurs (FOPE), einem indischen Verband Pharmazeutischer Unternehmer, gegenüber dem Lancet. Bedenken wurden damals vor allem hinsichtlich der Herstellung von Statinen und einigen Antibiotika geäußert. Auch über Preiserhöhungen für diese Stoffe wurde bereits berichtet. Jüngst gab Sandoz, eine Generikasparte von Novartis, bekannt, die Preise für knapp 20 Antiinfektiva „einzufrieren“, deren Ausgangsstoffe in China produziert werden und die aufgrund der anhaltenden Corona-Epidemie bald knapp werden könnten. 

Welche Arzneimittel könnten knapp werden?

Einem Schreiben der indischen Regierung zufolge, wird Indien folgende Wirkstoffe und Arzneimittel mit sofortiger Wirkung einschränken:

Wirkstoffe und Arzneimittel mit Exportstopp aus Indien

  • Aciclovir und Zubereitungen aus Aciclovir
  • Chloramphenicol und Zubereitungen aus Chloramphenicol
  • Clindamycin und Zubereitungen aus Clindamycin
  • Erythromycin und Zubereitungen aus Erythromycin
  • Metronidazol und Zubereitungen aus Metronidazol
  • Neomycin und Zubereitungen aus Neomycin
  • Ornidazol und Zubereitungen aus Ornidazol
  • Paracetamol und Zubereitungen aus Paracetamol
  • Progesteron und Zubereitungen aus Progesteron
  • Tinidazol und Zubereitungen aus Tinidazol
  • Vitamin B1 (Thiamin) und Zubereitungen aus Vitamin B1
  • Vitamin B6 (Pyridoxin) und Zubereitungen aus Vitamin B6
  • Vitamin B12 (Cobalamin) und Zubereitungen aus Vitamin B12

Exportverbot: Indien sichert seine eigene Arzneimittelversorgung

Bevor nun Indien die Arzneimittel ausgehen, beugt das Land mit Arzneimittel-Export-Stopps also vor. Einer Mitteilung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ist zu entnehmen: Indien wolle mit der nun erklärten Ausfuhr-Einschränkung sicherstellen, dass wichtige Medikamente, wie Paracetamol, in ausreichender Menge für den eigenen Markt zur Verfügung stehen. Auch Deutschland sei als größter Abnehmer indischer Generika in der EU von den Exportbeschränkungen betroffen, erklärt die dpa.

Großteil der Wirkstoffe in Europa kommt aus Indien und China

Dass es Deutschland durchaus betreffen könnte, Hinweise dafür liefern Zahlen, die ProGenerika DAZ.online auf Anfrage zur Verfügung gestellt hat: So schätzt eine von Progenerika beauftragte und von Roland Berger durchgeführte Studie (2018) zum Thema Antibiotika-Produktion, dass rund 80 Prozent der Antibiotika-Wirkstoffe aus China stammen. Laut der britischen Zulassungsbehörde, so Progenerika, werden 70 Prozent aller Wirkstoffe, die in Europa in der Versorgung sind, außerhalb von Europa produziert – ein Großteil davon in Indien und China.

Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht man aktuell „keine Hinweise auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung aufgrund des Coronavirus“, erklärt ein Sprecher der Behörde auf Nachfrage von DAZ.online. Er nahm dabei Bezug auf den Jour Fixe. Hier gebe es mit Blick auf die chinesische Provinz Hubei aktuell keine Hinweise auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung.

Kurzfristig keine eingeschränkte Arzneimittelversorgung für Deutschland

Das BfArM steht eigenen Angaben zufolge in einem kontinuierlichen Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), den Gesundheitsbehörden der Bundesländer, der European Medicines Agency (EMA), den pharmazeutischen Unternehmen und weiteren pharmazeutischen Berufsgruppen hinsichtlich der Entwicklung der Ausbreitung des Coronavirus. In diesen Austausch flössen alle aktuell vorliegenden Informationen und Daten mit dem Ziel ein, mögliche Auswirkungen und Effekte im Hinblick auf Lieferverzögerungen oder Lieferengpässe von Arzneimitteln engmaschig zu beobachten und zu bewerten, so das BfArM am heutigen Mittwoch.

Jour fixe beschäftigt sich mit Engpässen durch Corona-Epidemie

So habe der beim BfArM angesiedelte „Jour fixe Lieferengpässe“, etwa mit Blick auf die chinesische Provinz Hubei, „aktuell keine Hinweise auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung aufgrund des Coronavirus“ ergeben. „Zwar werden dort auch Wirkstoffe für den deutschen Arzneimittelmarkt hergestellt. Für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland sind diese jedoch nicht marktrelevant, da die gleichen Wirkstoffe auch in anderen Wirkstoffherstellorten produziert werden, oder es stehen noch größere Wirkstoffkontingente zur Verfügung“, war dem BfArM weiter zu entlocken.

Die Behörde betont, dass die bislang beim BfArM gemeldeten Lieferengpässe nicht im Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen.

Bereits im Februar hatte das BfArM erklärt, dass insgesamt elf Wirkstoffe der Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe (ohne Impfstoffe) aus der Provinz Hubei stammten – wobei dies nicht bedeuten müsse, dass dort der alleinige Herstellort liege. Um welche Wirkstoffe es sich handelt, gab das BfArM nicht bekannt. Vermutlich auch, um Panik und „Arzneimittel-Hamsterkäufe“ zu vermeiden.

Kurzfristig kein Engpass - und langfristig?

Wer genau liest, erkennt in der BfArM-Formulierung, dass die Arzneimittelbehörde lediglich von einer „kurzfristigen“ Einschränkung der Arzneimittelversorgung spricht. Langfristige Prognosen mögen schwierig sein, da bislang auch unklar ist, welche Schwere die SARS-CoV-2-Epidemie, vor allem in welchem Zeitraum, noch an den Tag legt, wann die Wirkstoffproduktion in China wieder in vollem Umfang aufgenommen wird und ob auch Indien noch vermehrt Produktionsausfälle wegen Quarantäne und Reisebeschränkungen beklagen muss.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Medizinische Versorgung. BRD.

von Ernst am 07.03.2020 um 16:06 Uhr

Ein Land wie die BRD.mit den größten Hersteller ,läßt sich die Zügel aus der Hand nehmen,kann nicht dazu beitragen die eigenen Bevölkerung Medizinisch zu versorgen,in Abhängigkeit zu Drittländern so in die Enge treiben.
Armes ,,Deutschland,, !

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verlogen

von norbert brand am 05.03.2020 um 7:51 Uhr

die Beschwichtigungs- und Stillhaltetaktik von offizieller Seite grenzt schon an Chuzpe. Bereits OHNE Corona bestanden Lieferengpässe ohne Ende. Man muß kein Seuchenexperte oder Virologe sein, um zu dem Schluß zu kommen, daß wir MIT Corona auf Lieferengpässe nie dagewesenen Ausmaßes zwangsweise zusteuern!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: verlogen

von helga volpert am 05.03.2020 um 9:43 Uhr

Warum so harmlos formuliert? Seit Jahrzehnten hockt die politische Breitarschkaste im Bundestag und pflegt Ihre monetären Pfründe ohne dafür irgendeine Leistung zu bringen. Seien wir doch ehrlich. Deutschland ist dank Kohl und Mutti zu einer Bananenrepublik verkommen, die nicht mehr selbst für sich sorgen kann und auf Länder wie China und Indien und deren bekannten Umgang mit Menschenrechten und Umweltverständnis, angewiesen ist. Mahlzeit und Ende der Durchsage.

Indischer Export-Stop

von Roland Mückschel am 04.03.2020 um 16:57 Uhr

Ist ganz einfach.
Spahn wird ein Gesetz einbringen das
genau dieses Indien verbietet.
Den Spahn könnte ich knuddeln.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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