Zeitungsbericht

Handelsblatt: Apothekenreform könnte zur zweiten PKW-Maut werden

Berlin - 16.07.2019, 11:30 Uhr

Droht der Bundesrepublik eine weitere Blamage in Europa? Das „Handelsblatt“ berichtet, dass die EU-Kommission bereits Widerspruch angekündigt hat und dass eine Abstimmung nach dem Kabinettsbeschluss ansteht. (c / Foto: imago images / J. Jeske)

Droht der Bundesrepublik eine weitere Blamage in Europa? Das „Handelsblatt“ berichtet, dass die EU-Kommission bereits Widerspruch angekündigt hat und dass eine Abstimmung nach dem Kabinettsbeschluss ansteht. (c / Foto: imago images / J. Jeske)


Am morgigen Mittwoch soll das Bundeskabinett die vom Bundesgesundheitsministerium eingebrachte Apothekenreform beschließen. In den vergangenen Wochen hatte insbesondere das Bundesjustizministerium wegen des geplanten Rx-Boni-Verbots im Sozialgesetzbuch V europarechtliche Bedenken formuliert. Das „Handelsblatt“ prophezeit nun, dass der Reform „ein ähnliches Schicksal wie der PKW-Maut“ drohe. Die Zeitung bezieht sich auf Kontakte im Justizministerium und berichtet, dass nach dem Kabinettsbeschluss eine Abstimmung auf EU-Ebene ansteht.

Das Bundeskabinett beschäftigt sich am morgigen Mittwoch gleich mit zwei Vorhaben für den Apothekenmarkt. Zum einen mit dem vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) eingebrachten Apotheken-Stärkungsgesetz, mit dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Versandhandelskonflikt reagieren will – unter anderem, indem er ein Rx-Boni-Verbot für alle Marktteilnehmer (nur für den GKV-Bereich) im SGB V etablieren will. Zweitens soll eine Sammelverordnung beschlossen werden, in der es einerseits um die Erhöhung des Apothekenhonorars in den Bereichen BtM-Abgaben und Notdienste geht und andererseits um Änderungen an der Apothekenbetriebsordnung (Botendienste und Temperaturkontrollen).

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Doch der Weg des Gesetzentwurfes bis ins Kabinett war kein einfacher: Zunächst protestierte das Bundeswirtschaftsministerium, dann das Bundesjustizministerium. Beide Ministerien hatten europarechtliche Bedenken angeführt. In der Berliner Gesundheitspolitik wurde zeitweise sogar darüber spekuliert, ob Spahn sein Gesetz ganz fallen lässt. Worum es den Ministerien genau ging, wurde nie bekannt. Dem Vernehmen nach soll es aber um das von Spahn geplante Rx-Boni-Verbot gehen: Das BMG hofft, dass das Verbot im Sozialrecht europarechtlich weniger angreifbar ist als im Arzneimittelgesetz. Das Justizministerium soll bis zuletzt darauf hingewiesen haben, dass es nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung und mit Blick auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik egal sei, in welchem Gesetz das Rx-Boni-Verbot für EU-Versender stehe.

Doch Spahn ließ sich nicht beirren. Ganz im Gegenteil: Er verschärfte seine geplante Apothekenreform sogar, indem er seinen ursprünglich geplanten Boni-Deckel aufgab und das oben genannte komplette Rx-Boni-Verbot in die Entwürfe schrieb. Das „Handelsblatt“ berichtet nun mit Bezug auf „Ministeriumskreise“, dass das Justizministerium seine Bedenken „nicht fallen gelassen“ habe. So wie der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schon mehrfach zuvor anmerkte, soll nun auch das Justizministerium erklärt haben, dass es alleine in Spahns Verantwortung liege, das Gesetz ins Kabinett einzubringen.

Wann kommt die EU-Abstimmung?

Laut „Handelsblatt“ haben sich die Ministerien nun darauf geeinigt, das Vorhaben mit der EU-Kommission abzustimmen. Heißt konkret: Nach dem Kabinettsbeschluss und vor der parlamentarischen Besprechung wird das BMG das Gesetz an die EU-Kommission schicken, um es rechtlich bewerten zu lassen. Der Branchendienst Apotheke Adhoc hatte zuvor berichtet, dass das BMG diese Abstimmung bereits vor der Kabinettsbefassung durchgeführt habe.

Welche dieser beiden Versionen stimmt, wird sich wohl erst später zeigen. Aus Unionskreisen gab es gegenüber DAZ.online skeptische Reaktionen zur EU-Abstimmung. Schließlich wolle man die Regelung zur Gleichpreisigkeit mit Absicht im SGB V regeln, damit ein EU-Notifizierungsverfahren nicht notwendig werde. Laut „Handelsblatt“ soll sich die EU-Kommission aber schon während der Erarbeitung des Gesetzentwurfes ans BMG gewandt haben, um rechtliche Bedenken auszudrücken.

Aus Sicht des „Handelsblatts“ droht Spahn im weiteren Gesetzgebungsverfahren nun eine Niederlage. Wörtlich heißt es im Bericht: „Nach dem Debakel um die Pkw-Maut, bei der sich die CSU hoffnungslos verrannte, droht Deutschland mit dem Apothekengesetz eine erneute europarechtliche Blamage.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Subsidiaritätsprinzip !?

von ratatosk am 16.07.2019 um 18:45 Uhr

Da die EU ihre eignen Prinzipien nicht ernst nimmt, auch wenn es durch Verträge - leider eine Lachnummer - geschützt ist, wird sich selbst zerstören. Leider gehen eben die Interessen des Großkapitlals vor. Sehr bedauerlich für die wichtige europäische Idee und deren Werte. Aber so ist es nicht mehr schade um dieses undemokratische Gebilde, davon lenkt der schwachsinnig durchgeführte Brexit zur Zeit ab. Eine neue Struktur wird sich finden.

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Wait and see ..

von Reinhard Herzog am 16.07.2019 um 12:58 Uhr

Da wird meiner Meinung nach morgen gar nichts mehr ins Bundeskabinett eingebracht.

Da steht die Nachfolge unserer "Flinten-Uschi" auf dem Tableau, und Jens Spahn darf schon mal mit Macron von einer Weltraum-Armee und einem europäischen Flugzeugträger träumen.
Think big. Ist doch viel erfrischender, als sich mit einem AMG § 78 Abs. 4 Spiegelstrich Heb-mich-hoch auseinanderzusetzen.

Und dann ist erst mal Schicht im Schacht in Berlin, sprich Sommerpause.

Und eine Annette Widmann-Mauz wird dann im Herbst das Ganze noch mal neu starten. Wenn sie nicht als eine der am kürzesten agierenden Minister*innen in die Geschichte eingeht, weil die GroKo platzt. Was aber gar nicht mal so sicher ist ...

Also - ich denke, da ist wirklich alles offen! Sogar ein Rx-VV könnte wiederauferstehen.

Meine Gedanken dazu. Wait and see ...

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AW: Von „wait and see“ ... bis „don’t wait and do it now“ ...

von Christian Timme am 16.07.2019 um 16:33 Uhr

Die Ruhe von R. Herzog weil noch nicht in mir ... zu weit ist der Weg zurück, zu viele „unserer Protagonisten“ haben sich „festgelegt“ und können ohne Gesichtsverlust nicht mehr zurück. Aus welchen Gründen auch immer... Auch die zukünftige Gesundheitspolitik hat eine „eigene Vergangenheit“. Kompromisse gehen immer ... Lösungen sind mit „Schmerzen“ verbunden ... und auch viele Kompromisse ... sind noch keine (schmerzfreie) Lösung. Was bleibt ist die „skalierbare Ohnmacht“ ... und an diesem „Stellrädchen“ drehen immer die ...

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von Anita Peter am 16.07.2019 um 12:05 Uhr

Und da fragt sich noch jemand warum die Briten aus dieser EU raus wollen.
RXFAM sind KEINE normale Ware. Bei normaler Ware kann durch Werbemaßnahmen und / oder Preisaktionen der Abverkauf gesteigert werden. Dies ist bei RXFAM nicht möglich. Aber der EU geht es nur um die Wegbereitung für das Großkapital. Ekelhaft!

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