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Versandhandelskonflikt
Was sind die Probleme einer Strukturkomponente im Apothekenhonorar?
Im Versandhandelskonflikt verschiebt sich die Debatte derzeit auf einen Nebenschauplatz: das Apothekenhonorar. Abseits von der eigentlichen Frage, wie man mit der Rx-Preisbindung und Rx-Boni umgehen will, haben die Apotheker im ABDA-Gesamtvorstand am gestrigen Donnerstag lange über die Umstellung des Honorars hin zu einer Bevorteilung von kleineren (Land-)Apotheken gesprochen. DAZ.online stellt die bislang diskutierten Strukturkomponenten im Apothekenhonorar vor und zeigt, dass eine solche Diskussion auch Gefahren mit sich bringt.
Die 34 Chefs der Apothekerkammern und –verbände haben zum Ausgang der gestrigen Sitzung des ABDA-Gesamtvorstandes Stillschweigen vereinbart. Trotzdem spricht sich so langsam herum, über welche Umstrukturierungen im Apothekenmarkt die Apotheker geredet haben. Und immer wieder hört man: Es ging ums Geld, genauer gesagt um neue Honorarkomponenten. Unter anderem soll die ABDA mit dem BMG über eine Aufstockung des Nacht- und Notdienstfonds, neue Honorare für pharmazeutische Dienstleistungen sowie sogenannte Strukturkomponenten verhandeln.
Welches Modell sich durchsetzt und wie die Apotheker diese neuen Honorare abrechnen könnten, scheint noch nicht geklärt zu sein. Am leichtesten wäre sicherlich eine simple Aufstockung des Nacht- und Notdienstfonds zu erreichen, weil es dazu bereits etablierte Strukturen gibt. Die neue Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen wäre nicht so einfach: Schließlich müssten erst die Leistungen definiert werden, um die es überhaupt geht. Dann müsste sichergestellt werden, dass auch alle Apotheke diese Leistung anbieten können, um nicht einige zu benachteiligen.
ABDA und BMG sprechen über strukturbezogene Apothekenvergütung
Dem Vernehmen nach nahm aber die dritte Honorar-Idee am gestrigen Mittwoch den meisten Platz ein, die strukturbezogenen Zahlungen. Zur Erklärung: Die Grundidee hinter solchen Strukturmodellen ist es, solche Apotheken zu identifizieren, die besonders hilfsbedürftig und gleichzeitig auf lokaler Ebene wichtig für die Versorgung sind und genau diese Apotheken mit Extra-Zahlungen gezielt zu unterstützen. Aber auch hier liegt der Teufel im Detail, es gibt viele verschiedene Modelle der strukturorientierten Vergütung. Diese Modelle wurden bislang öffentlich diskutiert:
- Heinz-Uwe Dettling, Cosima Bauer und Uew May haben in ihrem Buch zum Apothekenhonorar einen staatlichen, also mit Steuermitteln finanzierten Unterstützungsfonds für Solitärapotheken (ohne weitere Apotheken im Umkreis von fünf Kilometern) vorgeschlagen, aus dem „Infrastruktur-Boni“ für Abgaben in der Apotheke vor Ort gezahlt werden. Damit sollten Krankenkassen oder Patienten für die Inanspruchnahme der Beratung honoriert werden, sodass Patienten wiederum in der Apotheke Preise bezahlen könnten, mit denen auch die Beratung zu OTC-Arzneimitteln finanziert werden kann.
- Der DAZ-Honorarexperte Thomas Müller-Bohn hat fondsfinanzierte
Honorierungsformen vorgeschlagen. Wie es Müller-Bohn in DAZ Nr. 17 und im Buch „Neue Wege zur Apothekenhonorierung“
vorgeschlagen hat, zahlen die Krankenkassen an einen Fonds, der wiederum mit
den Apotheken abrechnet. Dies sichert die Gleichpreisigkeit der Arzneimittel und
ermöglicht dennoch differenzierte Honorierungen für Apotheken, ohne dabei
Fehlanreize zu setzen. So kann eine Strukturkomponente finanziert werden. In
der einfachsten Form kann dies ein einheitlicher Sicherstellungsbetrag für alle
Apotheken sein. Bei differenzierten Formen kann ein bestimmter Betrag für eine
bestimmte Region festgesetzt werden. Als weitere Verfeinerung kann der
Festzuschlag pro Arzneimittel von der Versorgungsform abhängig gemacht werden.
Modelle vom BVDVA, einer Kammer und den Honorar-Gutachtern
- Auch die Gutachter der Agentur 2HM haben in
ihrem Honorargutachten einen solchen Strukturfonds gefordert. Laut Gutachten
soll dieser jährlich mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden, um etwa 2300
Apotheken zu helfen, die einen Gewinn von weniger als 99.000 Euro haben.
Allerdings raten die Gutachter an, genau zu prüfen, welche Apotheke in Frage
kommt, weil eine Schließung nicht unbedingt mit einem Versorgungsverlust
einhergehe. Ziel sei es, dass die unterstützten Apotheker mit den Fondszuschüssen
die „Lücke zur Vergütung eines angestellten approbierten Apothekers“ schließen
können. Ein solcher Fonds hätte laut 2HM den Vorteil, dass man den Apothekern
gezielt und nicht per Gießkannenprinzip, also über das gesamte Fixhonorar,
helfe. Die Gutachter rechnen nämlich vor, dass eine pauschale Erhöhung des
Fixums Mehrkosten in Milliardenhöhe erzeugen würde und das sei „ineffizient“.
Finanziert werden soll der 2HM-Fonds ähnlich wie der Nacht- und Notdienstfonds,
nämlich durch einen Aufschlag aufs Fixhonorar von 14 Cent pro Packung.
- Ein weiterer spannender Vorschlag kam im
vergangenen Jahr von Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Kammer
Westfalen-Lippe. Ihre Idee: Ein Teil des Fixums – Overwiening nannte 50 Cent
als „exemplarische“ Summe – solle abgezogen und durch einen Fonds umverteilt
werden. Wie viel die einzelne Apotheke erhält, solle aber an gewisse Parameter
gebunden sein, zum Beispiel Rezepturen, Fortbildungszertifikate,
Inkontinenzversorgung oder ein bestimmtes BtM-Aufkommen. Diese Parameter
könnten in Euro-Punkte umgerechnet werden. So könnte die Apotheke stärker für
ihren Beitrag zur flächendeckenden Versorgung vergütet werden. In diesem
Fall würden also insbesondere die Apotheken profitieren, die ihren Kunden „besondere“
Angebote machen – eine regionale Komponente war in Overwienings Vorschlag
bislang nicht enthalten.
- Einzigartig ist das dänische System zum Schutz
der Landapotheken. Um Apotheken in abgelegenen Regionen zu erhalten, bekommen
Besitzer solcher Standorte regelmäßige Kompensationszahlungen. Das
Kompensationssystem funktioniert solidarisch: Apotheker mit einem großen Umsatz
zahlen in einen Fonds ein. Alle Apotheken, die eine vom Gesundheitsministerium
festgelegte Umsatzgrenze unterschreiten, haben Recht auf die
Ausgleichszahlungen aus dem Fonds. Derzeit liegt die Höhe dieser Abgabe für
große Apotheken bei 3,6 Prozent des Umsatzes.
- Denkbar wäre auch ein Modell, ähnlich wie es in
Großbritannien praktiziert wird. Dort gab es schon immer ein sehr
differenziertes Honorarsystem mit einer ganzen Gebührenordnung für Apotheker.
Die Apotheker haben in dieser Gebührenordnung mehrere Leistungen und
Pauschalen, die sie beim Gesundheitsdienst NHS abrechnen können. Dazu gehören
auch Extra-Zahlungen, die sich an der Menge der abgegebenen Packungen orientieren.
So erhielten die Apotheker bislang „practice payments“: Je nach der Menge
dispensierter Packungen pro Jahr sind das Zahlungen, die für die Bereithaltung
und die Pflege der Apothekenräume ausgezahlt wurden. Diese Zahlungen wurden mit
den Honorarkürzungen 2016 aber teilweise gestrichen. Allerdings gibt es einen
kleinen Schutz für Landapotheken: Apotheken mit einem Abstand von mindestens
1,6 Kilometer zum nächsten Wettbewerber, die unter einer bestimmten
Umsatzgrenze liegen, erhalten vom NHS Extra-Zahlungen.
- Auch der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) und die Grünen-Bundestagsfraktion haben sich immer wieder für einen „Strukturfonds“ ausgesprochen. Dem BVDVA geht es aber vielmehr um eine Ausweitung des Nacht- und Notdienstfonds: So sollen die Apotheker pro Packung 16 Cent aus ihrem Fixhonorar abkoppeln und in den Fonds abführen. Das Fondsvolumen würde sich somit verdoppeln und die Notdienstpauschale läge dann bei etwa 560 Euro.
Einige Probleme bei der Umsetzung
Ganz egal, für welches Modell oder für welche Neuschöpfung sich das BMG gemeinsam mit der ABDA entscheidet – ganz problemlos sind solche Strukturkomponenten sicherlich nicht. Schon seit Jahren werden solche Honorarmodelle auch in der ABDA diskutiert, allerdings stößt man immer wieder auf die gleichen Fragen und Probleme. Die wären:
Welche Apotheke ist überhaupt förderungsbedürftig? Es ist nicht ganz einfach, zu definieren, welche Apotheke durch einen Fonds oder pauschale Strukturzuschläge unterstützt werden könnte. Geht es nach Umsatz wie in Dänemark? Nach dem Abstand zur nächsten Apotheke wie von Dettling vorgeschlagen? Oder nach der Menge der abgegebenen Packungen? In jedem Fall dürfte die Stimmung im Apothekerlager durch eine solche Diskussion auf die Probe gestellt werden. Neiddebatten und Unruhe drohen.
Was ist eine „kleine Apotheke“ oder eine „Landapotheke“? Eng mit der ersten Frage verbunden ist auch die Diskussion über die Bedeutung der Apotheken für die regionale Infrastruktur. Ist jede Apotheke in einem Ort mit weniger als 3000 Einwohnern auch gleich hilfsbedürftig? Und: Gibt es nicht auch in manchen Stadtvierteln Apotheken, die unbedingt erhalten werden sollten? Viele Stadtapotheker weisen beispielsweise darauf hin, dass das Apothekensterben insbesondere in Stadtrandlagen und in Problemvierteln zuschlägt – hier gibt es am wenigsten Kaufkraft und auch nicht so viele Ärzte wie im Stadtzentrum. Aber gerade Problemvierteln brauchen eine niedrigschwellige Gesundheitsberatung durch den Apotheker.
Ist das der Einstieg in die Bedarfsplanung? Diskutiert wird – wie eigentlich bei allen „Plan B“-Lösungen – über die juristische Machbarkeit der Strukturkomponenten. Denn: Seit Jahrzehnten ist in Deutschland die Bedarfsplanung im Apothekenbereich verboten. Unterstützt man nun gezielt durch eine staatliche Maßnahme einzelne Apotheken in bestimmten Regionen, wäre das nichts anderes als ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit, meinen Kritiker der Strukturkomponenten. Dies gilt erst recht dann, wenn man die Auszahlung der Extra-Honorare beispielsweise an den Abstand zur nächsten Apotheke knüpft.
Warum sollten falsch geführte Unternehmen subventioniert werden? Die oben beschriebene Neiddebatte könnte sich auch schnell darauf ausweiten, dass hinterfragt wird, ob die wirtschaftliche Not einer hilfsbedürftigen Apotheke nicht auch in einigen wenigen Fällen damit zusammenhängt, dass der Betrieb schlecht, also unwirtschaftlich geleitet wird. Weder die Apotheker noch die Politik werden sich gerne vorwerfen lassen, dass für die Versorgungsqualität gedachte Gelder in Betrieben verschwinden, die ohnehin nicht mehr zu retten gewesen wären.
Die Krankenkassen. Noch diskutieren die ABDA und das BMG über mögliche neue Honorarkomponenten. Spätestens wenn der dann gefundene Kompromiss im Parlament landet, wird sich auch die Kassen-Lobby dazu äußern. Und wenn die Krankenkassen eines verhindern wollen, dann sind es neue, pauschale Vergütungszuschläge für Apotheker. Derzeit haben die Kassen einen guten Blick über ihre Ausgaben für die Apotheker: Steigt die Packungszahl, steigen auch die Ausgaben für das Apothekenhonorar. Für jedes eingereichte Rezept gibt es ein ausgezahltes Honorar. Bei regionalen Komponenten werden die Kassen versuchen, den Kreis der in Frage kommenden Apotheken so klein wie möglich zu halten. Noch vehementer werden sie versuchen, Extra-Honorare für neue Leistungen zu verhindern. Denn sie hätten überhaupt keine Kontrolle darüber, ob die abgerechneten Leistungen auch wirklich angeboten wurden. Das wiederum hätte neue bürokratische Kontrollmechanismen und Vorgaben für die Apotheker zur Folge. Und bei Nicht-Einhaltung dieser droht den Pharmazeuten was? Richtig, eine Retaxation.
Ganz unabhängig von der Diskussion um die künftige Ausgestaltung des Apothekenhonorar ist aber die eigentliche Ursprungsfrage weiterhin ungelöst: Wie geht es weiter mit der Rx-Preisbindung? Neue Honorare für vielleicht sogar noch zu entwickelnde Dienstleistungen oder Struktur-Zahlungen helfen den Apothekern wenig, wenn die Rx-Preisbindung auch nur teilweise aufgehoben wird. Deswegen ist viel wichtiger, mit welchen Lösungen das BMG und die ABDA im eigentlichen Versandhandelskonflikt aufwarten.
4 Kommentare
Fremd-Verwaltung und -Zerstörung in beliebiger Zeitverzögerung ...
von Christian Timme am 10.11.2018 um 11:33 Uhr
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Also
von Peter am 09.11.2018 um 14:17 Uhr
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Einführung von sozialistischen Verhältnissen? -die sind doch eigentlich obsolet!
von Jan-Uwe Kreuschner am 09.11.2018 um 10:05 Uhr
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zu kompliziert und ungerecht
von Karl Friedrich Müller am 09.11.2018 um 8:37 Uhr
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