Stationäre Läden in der Innenstadt

Wenn Online-Händler offline fremdgehen

Stuttgart - 04.10.2018, 07:00 Uhr

In den USA betreibt Amazon seit einiger Zeit Buchläden vor Ort. Viele alteingesessene Buchhändler konnten zuvor der Konkurrenz durch den Online-Riesen nicht standhalten. ( r / Foto: imago)

In den USA betreibt Amazon seit einiger Zeit Buchläden vor Ort. Viele alteingesessene Buchhändler konnten zuvor der Konkurrenz durch den Online-Riesen nicht standhalten. ( r / Foto: imago)


Während der Vor-Ort-Handel versucht, Konzepte zu entwickeln, um der Übermacht der Online-Riesen etwas entgegenzusetzen, ist bei originären Online-Händlern bereits seit längerem ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Sie eröffnen Läden in den Innenstädten, wie zuletzt Zalando und Notebooksbilliger.de oder in der Schweiz die Versandapotheke Zur Rose. Welche Ziele verfolgen sie damit?

Lange, lange Schlangen wartender Menschen: Dieses Bild bot sich denjenigen, die am vorletzten Samstag in der Stuttgarter Innenstadt unweit des Hauptbahnhofs unterwegs waren. Was war los? Was auf den ersten Blick aussah wie der Launch des neuen iPhones oder der Verkaufsstart begehrter Konzertkarten, war „nur“ die Eröffnung der fünften Filiale von notebooksbilliger.de, einem Online-Versandhändler für Notebooks, Smartphones, Tablets, PCs, Displays und Unterhaltungselektronik. Mit Zalando eröffnete Ende Juli ein weiterer Online-Händler einen Beauty-Store in Berlin. Damit wolle das Unternehmen nicht nur stationär Flagge zeigen, sondern auch stärker in Kontakt zu Kunden treten, berichtete die Lebensmittelzeitung.

Dass es originäre Online-Händler in die Innenstädte zieht, ist kein neues Phänomen. Aber ist das nicht paradox, wo doch der stationäre Handel sich abmüht, der Konkurrenz aus dem Netz etwas entgegenzusetzen? So versucht zum Beispiel die Online-Plattform Ebay den lokalen Handel mit dem Online-Handel über sogenannte lokale Online-Marktplätze zu verknüpfen. Und im Apothekenmarkt scheinen Apps, Bestellplattformen und andere Konzepte, die die Apotheke vor Ort konkurrenzfähig und damit zukunftsfest machen sollen, derzeit fast wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Beispiele gibt es viele: Der Großhändler Noweda und der Burda-Verlag haben kürzlich Details ihres „Zukunftspakts Apotheke“ vorgestellt, der auch Online-Angebote wie ein Bestellplattform beinhaltet. Die ABDA hat angekündigt, eine standeseigene Lösung für das E-Rezept zu erarbeiten. Und zwei Player haben sich bereits zusammengetan: Noventi und das Apothekenrechenzentrum Darmstadt haben mitgeteilt, dass ein Kooperationsvertrag abgeschlossen wurde, um die Smartphone-Apps Callmyapo (Noventi) und Apojet (ARZ) zu vereinheitlichen.

Der Löwenanteil des Umsatzes wird offline gemacht

Doch trotz zunehmender Digitalisierung und stetig wachsender Umsätze im Online-Handel  – sie lagen 2017 bei 53,6 Milliarden Euro, im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 9,7 Prozent (Quelle: HDE Online-Monitor) – wird immer noch der Löwenanteil des Geldes offline ausgegeben. Laut dem Digital-Commerce-Magazin „e-tailment“ 85 bis 90 Prozent. Der Anteil der Käufe, die online vorbereitet und offline getätigt werden, ist offenbar deutlich höher als umgekehrt.

Welches Ziel verfolgen die Online-Händler? 

Und vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass es auch die „reinen“ Onliner in diesen Bereich drängt. Einer Studie des EHI Retail Institute e. V. (EHI) haben 57 Prozent der 1.000 umsatzstärksten Onlineshops auch stationäre Läden. Darunter, neben den bereits genannten Zalando und notebooksbilliger.de, Amazon, Misterspex.de, About.you.de oder Home24.de. Auch Ebay betrieb 2013 einen Pop-up Store in Berlin, in dem übrigens via Paypal bezahlt werden konnte. 

Das allen gemeinsame Motiv ist wohl Umsatzsteigerung. Denn laut „e-etailment“  belegen Studien, dass Omnichannel-Kunden mehr Umsatz generieren als rein stationäre oder reine Online-Kunden. Die Strategien und Konzepte unterscheiden sich je nach Unternehmen und reichen von Präsenz zeigen bis Retouren vermeiden. Zudem bedeuten viele Verkaufsstellen erhöhte Sichtbarkeit, Bekanntheitsgrad und Glaubwürdigkeit sowie eine größere Chance auf Impulskäufe, schreibt „e-tailment“. Und auch Onlineriesen wie Amazon, deren Bekanntheitsgrad man nicht mehr steigern müsse, erscheine ein stationärer Auftritt aus Marketingsicht lohnenswert, heißt es weiter. Die Unternehmen hätten regelrecht Fans, die die Marke auch offline erleben wollten. Und ganz ohne direkten Eigennutz scheint das für die Unternehmen wohl auch nicht: Sie können so ihre Kunden im Laden kennenlernen und ihre Daten verfeinern. 

Verschiedene Strategien

Und je nach Strategie unterscheiden sich die Ladenkonzepte, zum Teil sogar bei ein und demselben Händler. So betreibt zum Beispiel Zalando Outlets, in denen Restposten und Auslaufware angeboten werden, aber eben auch besagten Beauty-Store mit hochwertiger Kosmetik. Versender, die Waren mit hohem Retourenanteil anbieten, wie Möbel oder Mode, betreiben sogenannte Showrooms – Home24 inzwischen sieben. Zwar lässt sich heutzutage mittels Augmented-Reality simulieren wie das neue Sofa im eigenen Wohnzimmer aussehen wird – Ikea bietet das zum Beispiel an, aber Probesitzen geht halt doch nur offline. Dasselbe gilt fürs Anprobieren oder wie sich ein Stoff tatsächlich anfühlt.

Große Lagerflächen wie bei klassischen Möbelhäusern oder Großmärkten, die jedes Model in allen möglichen Farb- und Größenkombination an Lager haben, braucht es dafür nicht. So verfügt beispielsweise der im August in Frankfurt eröffnete Home24-Showroom über 450m2 im Gegensatz zu oft mehreren 10.000m2 der klassischen Möbelhäuser, die dann aber auch nicht inmitten der Innenstädte, sondern auf der grünen Wiese stehen und nur mit dem Auto erreichbar sind. In den Showrooms finden sich von allen Produktvarianten Muster, dazu wird in nettem Ambiente ausführlich beraten. Der Kunde bestellt dann im Laden – nach Anprobe und Beratung – und bekommt seine Bestellung zeitnah nach Hause geliefert. Sozusagen das Beste aus allen Welten.

Zudem nutzen Händler die Läden und Showrooms als dezentrale Warenlager. Das ermöglicht einen schnellen Versand von Schnelldrehern im städtischen Raum oder Click-and-collect-Modelle und raubt dem stationären Handel somit einen großen Vorteil gegenüber dem reinen Versandhandel.

Auch Versandapotheken suchen die Nähe zum Patienten

Und auch im Apothekenmarkt suchen reine Versender die Nähe zu den Patienten. Bereits vor Jahren versuchte DocMorris im Saarland eine Filiale zu eröffnen – mit der Rückendeckung des damaligen saarländischen Gesundheits- und Justizministers und heutigen unparteiischen G-BA-Vorsitzenden Josef Hecken. Allerdings machte das 2009 vom EuGH für europarechtskonfom erklärte Fremd- und Mehrbesitzverbot DocMorris einen Strich durch seine Expansionspläne. Die Etablierung von inhabergeführten DocMorris-Apotheken, die zudem als Pick-up-Stellen fungierten, lief, damals noch unter der Ägide der Celesio, nicht wie geplant: Statt der angekündigten 500 Franchise-Apotheken, waren es am Ende nur 150. Später wurde die Marke DocMorris an Zur Rose verkauft; die DocMorris-Apotheken verblieben bei Celesio, verschwanden aber nach einem kurzen Versuch der Umbenennung in Lloyds nach und nach.

Doch auch die Versandapotheke Zur Rose, die selbst in der Schweiz durch Kooperation mit der Supermarktkette Migros auf Präsenz setzt, gibt nicht auf, die Marke DocMorris vor Ort zu etablieren: Der bislang letzte Versuch bestand darin, einen Arzneimittelabgabe-Automaten mit Videoberatung in der baden-württembergischen Gemeinde Hüffenhardt aufzustellen und als Spielart des Versandhandels zu verkaufen – einer Interpretation, der die Gerichte bislang nicht folgten. Es ist aber davon auszugehen, dass hier noch nicht das letzte Wort von DocMorris beziehungsweise dessen Mutterkonzern Zur Rose gesprochen ist. Die niederländische Versandapotheke hat auf jeden Fall schon einmal Berufung eingelegt.

Und auch das Label „Zur Rose“ ist in Deutschland präsent. Zwar steckt dahinter eine inhabergeführte Apotheke mit Versandhandel, alles andere erlaubt das Gesetz nicht. Die Schweizer waren aber mit ihrer Zur Rose Pharma GmbH, einem Logistikdienstleister, auch involviert. Die Zusammenarbeit sollte aber Mitte 2018 eingestellt werden, heiß es Ende vergangenen Jahres.

Mehr zum Thema

Eine gute Nachricht für die Innenstädte?

Für die Innenstädte scheint das Offline-Geschäft der Onliner zunächst eine ganz gute Nachricht zu sein, resümiert „e-tailment“. Weniger Leerstand bedeute eine größere Attraktivität für kauffreudige Kunden, heißt es. Das ganz große Aber lautet jedoch: Der Druck auf die etablierten Händler könnte durch die effizienten, technisch aufgerüsteten Läden der Onliner sogar noch steigen. Der etablierte Innenstadthandel konkurriere künftig gleich auf zwei Feldern mit den im E-Commerce gewachsenen Playern: virtuell und real, schreibt das Magazin. 

Und wie schwer der sich bereits jetzt tut, zeigt der Blick in die Innenstädte mit dem beklagten Leerstand. Denn der resultiert sicher zu großen Teilen daraus, dass Einzelhändler der Konkurrenz aus dem Netz in Kombination mit hohen Mieten nicht mehr gewachsen waren. Konzerne wie Amazon jucken Mietpreise vermutlich wenig. Leerstand mag durch Vor-Ort-Läden der Online-Riesen verhindert werden, aber zur Erhaltung der Vielfalt in den Innenstädten – zumindest dort, wo sie noch vorhanden ist – trägt das sicher nicht bei.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.