Juraprofessor im Welt-Interview

Valsartan: Welche Rechte haben Patienten?

Stuttgart - 14.08.2018, 14:00 Uhr

Was können Patieten tun, die jahrelang kontaminiertes Valsartan genommen haben? (Foto: j/ picture alliance/Fabian Sommer/dpa)

Was können Patieten tun, die jahrelang kontaminiertes Valsartan genommen haben? (Foto: j/ picture alliance/Fabian Sommer/dpa)


Apotheker sehen sich derzeit häufig mit erbosten Patienten konfrontiert, die ihr Geld für ihre aufgrund der Verunreinigung mit NDMA zurückgerufenen Valsartan-Präparate zurückfordern. Zudem drohen viele Betroffene, auch in Kommentaren auf DAZ.online, mit juristischen Schritten, weil sie jahrelang kontaminierte Tabletten eingenommen haben. Laut dem Juraprofessor Burkhard Sträter sind die Erfolgsaussichten aber begrenzt, wie er in der Samstagsausgabe der „Welt“ erklärt. 

900.000 Patienten scheinen in Deutschland von den Verunreinigungen mit dem Kanzerogen NDMA betroffen zu sein. Auch in der Apotheke schlagen die Betroffenen nun mit der Frage auf, welche rechtlichen Möglichkeiten sie haben, zum Beispiel für den Fall, dass sie an Krebs erkranken, und ob sie ihr Geld beziehungsweise ihre Zuzahlung zurückbekommen. Fragen, die in der öffentlichen Diskussion und Kommunikation bislang noch nicht groß thematisiert wurden. In der Welt-Ausgabe vom vergangenen Samstag hat sich nun der auf Arzneimittel-und Gesundheitsrecht spezialisierte Anwalt Professor Burkhard Sträter im Interview dazu geäußert.

Seiner Ansicht nach dürfte es für die betroffenen Patienten schwierig werden, Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Das liege daran, dass es den Betroffenen schwerfallen wird, eine eventuell später auftretende Krebserkrankung auf das NDMA in den zurückgerufenen Valsartan-Tabletten zurückzuführen, wie er erklärt. Schließlich liege der Erkrankung meist ein multifaktorielles Geschehen zugrunde.

Im Falle von Valsartan werde die Sache noch komplexer, da der Patient im Zweifel gar nicht nachweisen könne, welches Präparat er in welchem Zeitraum genommen hat. Die Rabattverträge, die alle zwei Jahre wechselten, erschwerten die Spurensuche. In der Zeit von 2012 bis 2018 habe der Patient vermutlich die Präparate von drei Herstellern eingenommen. Der Experte wird auch gefragt, ob man dann nicht einfach alle drei Hersteller für eine mögliche Krebserkrankung verantwortlich machen könne, schließlich schreibe das Gesetz doch Beweiserleichterung für Patienten vor.

Sträter: Der Patient ist der Dumme

Das sei grundsätzlich richtig, antwortet Sträter. Aber die Regelung sei kompliziert und ließe viel Spielraum für Interpretationen. Das führe erwartungsgemäß zu endlosen Auseinandersetzungen vor Gericht, die kosteten Zeit und Geld – beides habe der Patient unter Umständen nicht. Somit sei der Patient am Ende der Dumme. Sträter fordert in diesem Zusammenhang eine Abschaffung der Rabattverträge und der damit verbundenen Zwangssubstitution. Denn dieses System bedeute eine „unüberschaubare Rotation von Arzneien und Herstellern“, die es bei Problemen den Behörden schwer mache, den eigentlich Verantwortlichen zu identifizieren und gegen ihn Maßnahmen zu erlassen. In der Folge müsse sich der Patient allein auf die Suche machen – mit sehr begrenzten Erfolgsaussichten, wie Sträter sagt.

In Europa hätten Patienten im Vergleich zu den USA in solchen Fällen das Nachsehen, erklärt er. Das Rechtssystem funktioniere in den Staaten anders – spezialisierte Kanzleien erwirken mit Sammelklagen gegen die Pharmaindustrie Millionenvergleiche. Die Haftungssummen seien gigantisch, wobei die Kanzleien oft über die Hälfte der eingeklagten Summe einbehielten. Verhältnisse, die sich Sträter für Deutschland nicht wünscht.

Warum gibt es kein Geld zurück?

Auch zu der Frage, warum Patienten ihre Zuzahlung nicht zurückbekämen äußert er sich, schließlich sei das ja bei anderen Produktrückrufen der Fall. Der Jurist erklärt, dass das daran liegt, dass mit dem Patienten kein klassischer Kaufvertrag abgeschlossen wird. In Deutschland herrsche bei der GKV das Sachleistungsprinzip. Den wahren Preis erfahre der Patient nicht. Weil er das Arzneimittel nicht direkt bezahlt habe, sondern nur indirekt über seine Beiträge, habe er keine rechtliche Handhabe, etwas zurückzubekommen.

Weniger eindeutig fällt Sträters Antwort im Bezug auf Privatversicherte aus, die ja in Vorleistung gehen. Hier verweist er darauf, dass diese Versicherten ohnehin oft das Original verschreiben bekämen. Und – unabhängig von der Versicherungsform – hätten sich Kassen bei der Erstattung im Fall Valsartan sehr kulant gezeigt. Dafür haben sie Sträters Ansicht nach guten Grund: Jedes formelle Verfahren wäre viel teurer und zeitaufwendiger. Er räumt aber ein, dass das für die Patienten ein schwacher Trost sei. Auf die Tatsache, dass auf Ebene der Patienten nicht zurückgerufen wurde, sondern nur die nicht-abverkauften Packungen, geht er nicht ein.

Versorgungssicherheit und Produktqualität nur mit Rückkehr nach Europa

Eine Rückkehr zu mehr Versorgungssicherheit und Produktqualität sieht der Jurist nur, wenn erhebliche Teile der Arzneimittelproduktion nach Europa zurückverlagert werden. Dort könne man Qualität leichter gewährleisten als in Fernost. Er stellt auch die Kostenersparnis infrage, die man sich von der Herstellung in Billigländern verspricht. Sie trete nicht ein, wenn man gleichzeitig die mangelnde Qualität und die dadurch verursachten Schäden mit einberechne. Das Kernproblem seien seiner Meinung nach die Rabattverträge, die die Hersteller zur Billigproduktion zwängen. Sträter schlägt vor, die Kassen zu verpflichten, dass bei den Ausschreibungen sichergestellt werden muss, dass 50 Prozent der Präparate aus der EU kommen.

Was die Aufsicht angeht, sieht er die Mitgliedstaaten in der Pflicht, abgesehen von der Kontrolle der Wirkstoffe, die zum großen Teil von einer „Behörde des Europarats“ in Straßburg, dem EDQM, geleitet werde. Allerdings gehöre die Überwachungspraxis harmonisiert und intensiviert. So müsse beispielsweise gewährleistet werden, dass nur aus inspizierten Betrieben nach Europa exportiert wird. Derzeit werde bei hoher Nachfrage aus Europa aus dem lokalen Markt in Indien exportiert. Das gelte es zu verhindern, denn das könne zu handfesten Qualitätsproblemen führen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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6 Kommentare

Valsartan - jetzt Aktionsgruppe gegründet!

von Hans-Martin Scheil am 06.09.2018 um 7:11 Uhr

Zum Thema Valsartan haben wir jetzt für Betroffene und Interessenten eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Valsartan-Skandal" eingerichtet. Hier der Link: https://www.facebook.com/groups/242178453170238/

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Rechte der Patienten

von Heiko Barz am 16.08.2018 um 11:03 Uhr

Unabhängig des Generika-Valsartan Skandals sollte einmal die Frage diskutiert werden, welche und in welchem Umfang allgemeine Lebensmittel mit NDMA oder NDEA grundsätzlich belastet sind. Wie sollte man in dieser Hinsicht finanzielle Regresse bewerten?
Unbeachtet dessen ist die Forderung nach Abschaffung der Rabatt-und Import sowie Reimport AM aus den bekannten Gründen sofort einzuleiten.
Ich glaube AOK-Hermann würde Amok laufen, aber für das Patientenvolk wäre ein unfassbarer Missstand zum Wohle derer beendet.
Bis aber diese Erkenntnis in die Gehirne der Verantwortlichen gelangt ist hat es nun schon mal 15 Jahre gedauert. Wir haben diese Umstände schon in status nascendi angemahnt wurden aber leider von uneinsichtigen Politikern (Grüne, SPD und auch damals schon FDP) sowie kapitalistisch geprägten KKassen-Verantwortlichen als Bremsklötze der dynamischen Arzneimittelpreisentwicklung abgewertet.

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NDMA-Skandal

von Martim am 15.08.2018 um 20:32 Uhr

Warum macht Herr Sträter den NDMA-Betroffenen so wenig Mut? Die erfolgreiche Klagewelle gegen VW im Dieselskandal zeigt, dass Geschädigte ihr Recht durchaus durchsetzen können. Von unseren Politikern wünsche ich mir, dass sie eine Kennzeichnungpflicht erlassen, woher die jeweiligen Arzneimittel stammen. Daraus würde sich schnell ein Wettbewerbsvorteil für Hersteller ergeben, die innerhalb der EU produzieren.

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@Bernd Küsgens

von Kritiker am 15.08.2018 um 10:46 Uhr

Bitte?

Ich mache/machte keine Werbung für die von Ihnen genannte oder eine andere Versandapotheke.

Weder arbeite/arbeitete ich für Versandapotheken bzw lokale Apotheken noch bin ich Inhaber.

Einziger persönlicher Kontakt zur Branche stellt sporadisches Jogging mit der Inhaberin einer lokalen Apotheke dar.

Als Konsequenz aus meinen Recherchen zum Zustand des deutschen Gesundheitswesens werde ich nicht mehr in Versandapotheken einkaufen und ich werde bei passenden Gelegenheiten auf die Notwendigkeit der Unterstützung lokaler Apotheken hinweisen.

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persönliche Konsequenz

von Kritiker am 14.08.2018 um 15:10 Uhr

Als Veganer war ich bisher gegenüber Generika prinzipiell positiv eingestellt.

Nach dem, was sich die Generikabranche an mangelnder Sorgfalt leistete und da der Valsartan Skandal lediglich die Spitze des Eisbergs darstellen könnte, fasse ich keine Generika mehr an und rate prinzipiell von Generika ab.

Bin weder selbst vom Valsartan Skandal betroffen noch sind meines Wissens Menschen in meinem Umfeld betroffen. Außer ca 3 - 5 Dolormin extra monatlich nehme ich keine Medikamente ein. Als Veganer substituiere ich B12 via Injektionen aus der Apotheke und andere Substanzen als Produke seriöser Marken wie Vegetology und Pure Encapsulations. Einige generische Blutdrucksenker etc einnehmende ältere Menschen stellte ich gemeinsam mit ihren Ärzten auf die Originalpräparate um.

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AW: persönliche Konsequenz

von Bernd Küsgens am 15.08.2018 um 8:54 Uhr

Wenn Sie Veganer sind und fast allen nicht mehr trauen, warum machen Sie für die Fa. MEDPEX Reklame? Oder sind Sie Angestellter dieses Versenders?

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