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Evidenz in der Komplementärmedizin

Heterogene Datenlage erschwert die Bewertung ergänzender Behandlungsmethoden bei Krebs

jb | Unter Komplementärmedizin versteht man diagnostische und therapeutische Verfahren, die ergänzend zur Schulmedizin eingesetzt werden, z. B. in der Onko­logie. Für einige Methoden ist die Wirksamkeit tatsächlich gut belegt, anderes nützt nichts oder schadet unter Umständen sogar.
Foto: DAZ/gg

Prof. Dr. Christoph Ritter

Der Wunsch, die Therapie selbstbestimmt zu unterstützen, sei bei onkologischen Patienten stark ausgeprägt, erläuterte Prof. Dr. Christoph Ritter aus Greifswald. So wendet fast die Hälfte der Krebspatienten in Deutschland mindestens ein komplementärmedizinisches Verfahren an. Dazu zählen alle therapeutischen Verfahren, die ergänzend zur konventionellen Therapie eingesetzt werden, um behandlungs­bedingte Beschwerden zu lindern, die Lebensqualität zu erhöhen oder sogar die Überlebenszeit zu verlängern. Anders als die Alternativmedizin wird die Komplementärmedizin ergänzend zu konventionellen Therapien eingesetzt, nicht anstatt. Die integrative Medizin nutzt komplementärmedizinische Verfahren als Ergänzung, um in einem ganzheitlichen, evidenzbasierten Ansatz zu therapieren, erläutert Ritter.

Für vieles gibt es keine Daten

Da die Datenlage sehr heterogen ist, wurde eine S3-Leitlinie erstellt, in der die Verfahren verschiedenen Bereichen zugeteilt werden: medizinische Systeme (z. B. Akupunktur, anthroposophische Medizin, Homöopathie, Naturheilverfahren), Mind-Body-Verfahren (z. B. Meditation, Yoga), manipulative Körpertherapien (z. B. manuelle Therapien, Hyperthermie, Sport) und biologische Therapien (z. B. Vitamine, Spurenelemente, Phytotherapeutika). Nach der üblichen Leitlinien-Systematik wird bewertet, wie die Verfahren auf Symptome onkologischer Therapien wirken (z. B. Fatigue, Mukositis, Übelkeit, menopausale Symptome). Insgesamt wurden 133 Therapiemaßnahmen im Hinblick auf 31 Symptome betrachtet, 44 Verfahren wurden dabei berücksichtigt. Dabei ergaben sich zwei „Soll“- und fünf „Sollte“-Empfehlungen, 51 „Kann“- und eine „Kann-nicht“- sowie zwölf „Sollte-nicht“- und neun „Soll-nicht“-Empfehlungen. Für die meisten Maßnahmen (53) gibt es aber keine ausreichenden Daten für eine Empfehlung. So sollen z. B. Sport und Bewegung gegen Fatigue und zur Steigerung der Lebensqualität eingesetzt werden. Vitamin E hingegen soll explizit nicht genommen werden, da es z. B. weder die Lebensqualität bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren während einer Radiotherapie erhöht noch die postmenopausalen Symptome bei Brustkrebspatientinnen lindert, und möglicherweise schadet es durch die antioxidative Wirkung sogar. Auch Bioenergiefeldtherapie (Handauflegen) nützt der Leitlinie zufolge nichts. Im Bereich der Phytotherapie wird von Aloe-vera-haltigen Zubereitungen zur Vorbeugung einer Dermatitis oder Soja-Isoflavonen gegen postmenopausale Symptome während einer Brustkrebstherapie abgeraten („soll nicht“). „Kann“-Empfehlungen gibt es hingegen unter anderem für Ginseng-Extrakte bei Fatigue oder Cimicifuga-racemosa-Extrakte bei postmenopausalen Symptomen. Ritter ging auf mögliche Wechselwirkungen komplementärmedizinischer Verfahren aus dem Bereich der Phytotherapie ein. Bei pflanzlichen Zubereitungen sind Wechselwirkungen viel schwerer zu bewerten als bei chemisch definierten Wirkstoffen, weil man die aktive Substanz oft gar nicht kenne, geschweige denn wie viel davon vorhanden ist, zudem wisse man oft nichts über die Bioverfügbarkeit und welche Konzentrationen im Blut klinisch wirksam sind. Ritter stellte einen Algorithmus vor, mit dem Wechselwirkungen von Phytotherapeutika mit konventionellen onkologischen Therapien abgeschätzt werden können. Einbezogen in die Bewertung einer pflanzlichen Zubereitung werden Interaktionsstudien, klinische Studien, Fallberichte und In-vitro-Experimente mit einem onkologischen Arzneimittel oder alternativ mit einem bestimmten Enzym oder Transportersystem. Existiert nichts von alledem, lässt sich keine Aussage zur Wahrscheinlichkeit relevanter Wechselwirkungen treffen. Mit dieser Abschätzung lassen sich Kombinationen von Phytopharmaka und Onkologika in verschiedene Risikokategorien einteilen. So muss man z. B. bei der Gabe von Johanniskraut-Extrakten bei vielen Wirkstoffen mit einer Wechselwirkung rechnen. Und auch bei der Einnahme von Ginseng-Extrakten ist mit vielen Substanzen eine Wechselwirkung möglich, darunter Ciclosporin, Docetaxel, Tamoxifen oder Irinotecan. Unkritisch ist hingegen der Antikörper Bevacizumab. Da das Interaktionspotenzial vom Gehalt der wechselwirkenden Inhaltsstoffe der pflanzlichen Zubereitung abhängt und außerdem die Produktvariabilität berücksichtigt werden muss, wünschte sich Ritter eine höhere Standardisierung der Untersuchungen zum Wechselwirkungspotenzial pflanzlicher Zubereitungen, denn die Variabilität ist aktuell hoch. |

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