Pandemie Spezial

Schutzfaktor Blutgruppe 0?

Genvarianten haben Einfluss auf den COVID-19-Verlauf

cel | Wer erkrankt schwer an COVID-19, bei wem verläuft eine SARS-CoV-2-Infektion eher mild? Ein ­Kieler Forschungsteam konnte in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen zeigen, dass Menschen mit Blutgruppe A im Vergleich mit denen mit Blutgruppe 0 ein um 50% höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben. Interessantes entdeckten sie auch zu Interleukin 6 und ACE2.
Foto: Evgeniy Kalinovskiy – stock.adobe.com

Etwa 43% der Bevölkerung sind Träger der Blutgruppe A. Sie scheinen prädisponiert für schwerere COVID-19-Verläufe zu sein – im Gegensatz zu den etwa 41% der Bevölkerung, die Träger der Blutgruppe 0 sind.

Es gibt schon länger die Vermutung, dass neben anderen Risikofaktoren wie Alter, Vorerkrankungen oder Adipositas, auch die Blutgruppe eine Rolle dabei spielt, ob Infizierte schwer oder weniger schwer an COVID-19 erkranken. Schon vor einigen Wochen hatten chinesische Wissenschaftler auf Assoziationen hingewiesen, nach denen Menschen mit Blutgruppe A schwerer an COVID-19 erkranken als solche mit Blutgruppe 0 (s. DAZ 2020, Nr. 14, S. 38). Diese Beobachtung wird nun durch die erste weltweit angelegte genetische Studie zu Risikogenen untermauert, die soeben im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht worden ist. Kieler Wissenschaftler um Professor Dr. David Ellinghaus und Frauke Degenhardt haben hierzu gemeinsam mit Forschern aus Norwegen das Genom von 1980 Blutproben von intensivpflichtig an COVID-19 erkrankten Patienten mit Atemversagen analysiert. Die Proben stammten aus spanischen und italienischen Corona-Epizentren (Mailand, Monza, Madrid, San Sebastian und Barcelona – 835 aus Italien, 775 aus Spanien). Die Kontrollgruppe bildeten 2205 zufällig ausgewählte Männer und Frauen, die dem Studienbericht zufolge keinen Corona-Nachweis hatten. Aus jeder Blutprobe wurde die DNA isoliert und bei jeder einzelnen DNA-Probe wurden wiederum etwa 8,5 Millionen Einzel-Nukleo­tid-Polymorphismen (SNPs) untersucht, das heißt, mit SNP-Arrays (Biochips) vermessen. Anschließend wurde eine Metaanalyse der spanischen und italienischen Fall-Kontroll-Panels durchgeführt.

Chromosom 3 und 9 im Fokus

Zwei Genorte fielen den Kieler Wissenschaftlern auf, die sie hochsignifikant mit einer höheren Sterblichkeit bei COVID-19 in Verbindung bringen konnten:

  • rs11385942 auf Chromosom 3p21.31 und
  • rs657152 auf Chromosom 9q34.

Interessant ist, dass von sechs Genen auf Chromosom 3p21.31 eines – SLC6A20 – für den Natrium-/Aminosäure-(Prolin)Transporter 1 (SIT1) kodiert. Dieser interagiert mit dem Angiotensin Converting Enzym 2 (ACE2), dem Oberflächenrezeptor, der SARS-CoV-2 als Eintrittspforte in die Zelle dient. Wer diese sechs Gen-Anlagen besitzt, soll nach den Ergebnissen dieser Genomanalyse einem um 100% erhöhten Risiko ausgesetzt sein, schwer an COVID-19 zu erkranken. Besonders viele Patienten, die an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten, wiesen diese genetische Konstellation auf.

Auf dem zweiten Chromosom 9q34 war das Signal durch SNPs am AB0-Blutgruppen-Lokus zu finden. Die Auswertung nach Blutgruppen ergab, dass Patienten mit Blutgruppe A ein um 50 Prozent höheres Risiko für schwere Verläufe (OR: 1,45, 95-Prozent-KI: 1,20 bis 1,75, p = 1,48x10-4) hatten als Patienten mit Blutgruppe 0 (OR: 0,65, 95-Prozent-KI: 0,53 bis 0,79, p = 1,06 x 10-5).

Interleukin 6 und Fettleibigkeit

Wichtig ist den Wissenschaftlern eine weitere Beobachtung: Der „Haupt“-SNP rs657152 am AB0-Locus der Studie wurde in früheren genomweiten Analysen mit erhöhten Interleukin-6 (IL6)-Spiegeln bei Fettleibigkeit im Kindesalter in Verbindung gebracht. Das lasse eine hypothetische Verbindung zum festgestellten Zusammenhang von erhöhtem IL-6 mit dem Schweregrad und der Mortalität von COVID-19 zu. Interleukin 6 spielt insbesondere bei einer schweren Komplikation von COVID-19, dem Zytokinsturm in späteren Phasen der Erkrankung, eine wesentliche Rolle (s. a. DAZ 2020, Nr. 25, S. 34).

In einer Pressemitteilung der Universität Kiel betonen die an der Studie beteiligten Forscher, dass sie mit dem Chromosom 3 und dem AB0-Blutgruppen-Lokus echte Ursachen für den schweren Verlauf von COVID-19 beschreiben. Sie sind überzeugt davon, dass die Ergebnisse eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen schaffen, die an den gefundenen Kandidatengenen ansetzen können. Eine klinische Studie, in der etwa ein Medikament getestet wird, habe erwiesenermaßen doppelt so häufig Erfolg, wenn eine genetische Evidenz für das Therapieziel bereits vorliegt, so die Einschätzung. Auch könnten die Resultate zu einer verbesserten Risikoabschätzung für die mögliche Zahl schwer Erkrankter in der Bevölkerung beitragen. |

Literatur

Ellinghaus D et al. Genomwide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure NEJM Online-Publikation von 17. Juni 2020 DOI: 10.1056/NEJMoa2020283

COVID-19: Weltweit erste große genetische Studie zu Risikogenen, Pressemitteilung der Universität Kiel vom 10. Juni 2020

 

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