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Zahngesundheit
Vom Loch im Zahn zum Leck im Gefäß
Können Kariesbakterien Hirnblutungen verursachen?
Ausgangspunkt „small vessel disease“
Sogenannte kleine Gefäßerkrankungen des Gehirns (engl. small vessel diseases, SVD) gelten inzwischen als wichtige Indikatoren für intrazerebrale Gefäßläsionen und Funktionsstörungen. Hierzu gehören unter anderem
- lakunäre Infarkte, die aufgrund von Embolien in kleinen arteriellen Hirngefäßen entstehen, als Mikroinfarkte nur sehr kleine Hirnareale betreffen und zu Beginn keine oder nur geringe Symptome verursachen,
- tiefe zerebrale Mikroblutungen (engl. cerebral microbleeds, CMB), die bei älteren Menschen nicht selten vorkommen, bei einer kranialen Magnetresonanztomografie manchmal als Zufallsbefund entdeckt werden und mit einer Reihe neurologischer Erkrankungen assoziiert sind, vor allem mit hämorrhagischen Schlaganfällen, spontanen intrazerebralen Blutungen und Morbus Alzheimer.
Zwar wurden als wichtige Risikofaktoren für CMB fortgeschrittenes Alter, männliches Geschlecht, langjährige Hypertonie sowie chronische Nierenkrankheiten identifiziert, dennoch fiel auf, dass immer wieder Personen intrazerebrale Hämorrhagien erlitten, die nicht oder wenig in dieses Profil passten.
Kollagen-bindendes Protein Cnm schädigt Gefäße
Als ein weiterer möglicher Faktor im CMB-Pathomechanismus steht seit einigen Jahren das Kollagen-bindende Protein Cnm im Fokus. Man vermutet, dass dieses Protein auf mehreren Wegen gefäßschädigend wirkt bzw. lokale Hirnblutungen fördert:
- Durch seine Adhäsion an (auch bei Atherosklerose) freigelegtes Kollagen verursacht Cnm an den Wänden der kleinen Hirngefäße lokale Entzündungen, wofür auch erhöhte Spiegel inflammatorischer Marker wie Fibrinogen oder C-reaktives Protein sprechen.
- Eine erhöhte Freisetzung von Enzymen wie der proinflammatorischen Myeloperoxidase fördert die Schädigung des Gefäßendothels.
- Durch seine Affinität zu Kollagen hemmt Cnm die Adhäsion von Thrombozyten an Kollagenfasern und dadurch eine etwaige primäre Hämostase (Blutstillung).
Streptokokken-Nachweis in betroffenen Hirnarealen
Inzwischen weiß man, dass verschiedene Serotypen des „Karieskeims“ Streptococcus mutans (s. Kasten) das cnm-Gen tragen, welches das kollagenbindende Protein auf der Bakterienoberfläche kodiert. So zeigte Serotyp f in vitro eine deutliche Affinität zu Endothelzellen humaner Koronararterien, während sich Serotyp k bislang nur in hämorrhagisch geschädigten Hirnarealen nachweisen ließ, jedoch nie in der kontralateralen Hemisphäre. Man geht davon aus, dass das cnm-Gen in etwa 15 Prozent aller S.-mutans-Stämme präsent ist. Ins Gehirn gelangen die Bakterien über den Blutkreislauf. Eintrittspforte sind kleine Blutgefäße in der Pulpahöhle („Zahnnerv“), die durch eine progrediente Karies freigelegt werden.
Karies: Mundhöhle, süß-sauer
Die Karies (lat. caries = Fäulnis) ist eine pathogenetisch komplexe Erkrankung. Sie beruht auf dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren, u. a. einer zuckerreichen Ernährung, der Speichelzusammensetzung, des pH-Wertes in der Mundhöhle, der lokalen Immunabwehr und der Konzentration von Fluor-Ionen.
Von essenzieller Bedeutung hierbei ist die Wirkung säurebildender Bakterien. Diese sind Bestandteil der sogenannten Plaque auf der Oberfläche von Zähnen und Implantaten. Hierbei handelt es sich um einen aus mehreren Schichten aufgebauten Biofilm, der hauptsächlich aus Eiweißen, Kohlenhydraten, Phosphaten und Mikroorganismen besteht. Pathogene Keime sind zum einen Vertreter der heterogenen Familie Lactobacillaceae, zum anderen Streptokokken, vor allem Streptococcus mutans.
Diese Bakterien können alle fermentierbaren Kohlenhydrate, vor allem Saccharose, zur Säurebildung verwenden. Die am häufigsten erzeugte Säure ist die besonders aggressive Milchsäure; daneben entstehen auch Essigsäure, Propionsäure und Ameisensäure. Durch den hierdurch bewirkten pH-Abfall des Speichels werden Kaliumphosphate (Hydroxylapatit) aus dem Zahnschmelz gelöst.
Wird dieser Prozess nicht gestoppt, führt diese Demineralisation zur Bildung einer kariösen Läsion, die nach innen fortschreiten und das Dentin (knochenähnliche Zahnsubstanz) sowie das Pulpencavum befallen kann. Die Pulpa (Zahnmark) reicht von der Zahnkrone bis zur Spitze der Zahnwurzeln und besteht aus Bindegewebe mit Blut- und Lymphgefäßen sowie Nervenfasern (daher umgangssprachlich auch „Nerv“ genannt).
Aktuelle Studienergebnisse aus den USA stützen die Hypothese, dass die Cnm-bedingte Collagen-Bindung auch für die lokale Kolonisierung und Kariogenität von Streptococcus mutans in der Mundhöhle einen wichtigen Faktor darstellt.
Forcierte Hirnblutung im Mausmodell
Bereits vor einigen Jahren wurde in einer japanischen Studie nachgewiesen, dass die Infektion mit Streptococcus mutans Serotyp k und somit die Expression von Cnm einen potenziellen Risikofaktor für einen hämorrhagischen Schlaganfall darstellt. Hierzu wurden die Streptokokken von betroffenen Patienten isoliert und auf Mäuse übertragen, bei denen anschließend an einer Hirnarterie photochemisch eine Endothelläsion erzeugt wurde. Zwei das cnm-Gen tragende S.-mutans-Stämme verursachten darauf eine ausgeprägte Hämorrhagie, während bei den Mäusen, die mit einem Standardstamm der Streptokokken infiziert waren, keine manifeste Hirnblutung zu sehen war.
Ein Teil desselben Forscherteams hatte in einer anderen Studie anhand von Speichelproben festgestellt, dass 51 von 139 Studienteilnehmern Träger von Cnm-positiven Streptokokken waren (36,7%) und bei 43 Personen zerebrale Mikroblutungen nachweisbar waren (30,9%); hier war das CMB-Risiko für die Cnm-positive Gruppe 14,4-fach erhöht.
Karies? Nein, danke!
Kariesbakterien im Mund lassen sich nicht vermeiden, wohl aber Karies. Die richtige Zahnpflege ist für die Zahngesundheit das A und O. Lesen Sie dazu folgende Beiträge:
- Auf den Zahn gefühlt – Was Zahnmediziner zur Zahnpflege empfehlen“ in DAZ 2016, Nr. 27, S. 46 und
- „Zeigt her eure Zähne – Was sich in Sachen Zahnpflege empfehlen lässt“ in DAZ 2015, Nr. 37, S. 54.
Patienten mit Hirnblutung häufiger Cnm-positiv
In einer aktuellen – abermals in Japan durchgeführten – Beobachtungsstudie wurden Patienten mit akutem Schlaganfall untersucht (Alter durchschnittlich 70 Jahre). Bei 51 von 99 Patienten konnte Streptococcus mutans nachgewiesen werden, und bei elf dieser Patienten war S. mutans Cnm-positiv. Die Letzteren verteilten sich sehr unregelmäßig auf die beiden hauptsächlichen Schlaganfallgruppen:
- Sechs Patienten mit Cnm-positivem S. mutans zählten zu den 27 Patienten, deren Schlaganfall durch eine Hirnblutung ausgelöst worden war,
- während nur vier Patienten mit Cnm-positivem S. mutans unter den 67 Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall waren.
An den Fällen mit intrazerebraler Blutung hatten die Träger Cnm-positiver Streptokokken also einen deutlich höheren Anteil. Bezüglich der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren bestanden zwischen den Patienten mit und ohne Cnm keine signifikanten Unterschiede.
Weiterhin stellte sich heraus, dass bei den Patienten mit hämorrhagischem Schlaganfall die Anzahl tiefer zerebraler Mikroblutungen (CMB) signifikant höher war, wenn sie Träger des Cnm-positiven Streptococcus mutans waren. So zeigten sich
- bei Cnm-positiven Patienten zwischen drei und 13 CMB,
- bei Cnm-negativen Patienten maximal vier CMB.
Limitationen der Studie
In einer Stellungnahme bezeichnet das Deutsche Ärzteblatt die Argumentation als schlüssig, bemängelt aber die geringe Fallzahl (wie auch die Autoren selbst) und schlägt vor, zu untersuchen, ob eine Beseitigung von Cnm-positiven S. mutans (immerhin sind zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung betroffen) das Risiko von Hirnblutungen senkt. Die japanischen Forscher räumen als weitere Limitationen ein, dass keinerlei Aussage zum Intervall zwischen der Infektion mit Cnm-positiven S. mutans und dem Auftreten zerebraler Mikroblutungen erfolgte und dass die publizierten Studiendaten nur aus einer einzigen ethnischen Gruppe stammen. Dennoch, so die abschließende Formulierung, könnten die kollagenbindenden Cnm-Proteine von Streptococcus mutans mit der Entstehung tiefer zerebraler Mikroblutungen und intrazerebraler Hämorrhagien im Zusammenhang stehen. |
Literatur
Tonomura S, et al. Intracerebral hemorrhage and deep microbleeds associated with cnm-positive Streptococcus mutans; a hospital cohort study. Scientific Reports 2016;6: Article number 20074
Miyatani F, et al. Relationship between Cnm-positive Streptococcus mutans and cerebral microbleeds in humans. Oral Dis 2015;21(7):886-893
Nakano K, et al. The collagen-binding protein of Streptococcus mutans is involved in haemorrhagic stroke. Nature Comm 2011;2:485
Miller JH, et al. The Collagen Binding Protein Cnm Contributes to Oral Colonization and Cariogenicity of Streptococcus mutans OMZ175. Infect Immun 2015;83:2001-2010
Studie: Kariesbakterien könnten Hirnblutungen fördern; www.aerzteblatt.de, News vom 17.2.2016
Allais G. Karies – die biologischen Faktoren. Bayerisches Zahnärzteblatt 2008;45(5):50-58
Lesen Sie hierzu auch:
Schlechter Atem: Wie man Mundgeruch vorbeugen und behandeln kann
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