- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 12/2014
- Neue Chance für die ...
Defektur
Neue Chance für die Herstellung
Analyse zur Wirtschaftlichkeit der Defektur
Im Jahr 2000 wurden als durchschnittliche Herstellungszeit für eine Rezeptur 24,5 Minuten ermittelt [1]. Mit dem heutigen Gehalt von 18,17 € pro Stunde (inklusive Lohnnebenkosten) für eine PTA im dritten bis fünften Berufsjahr ergibt dies als reine Arbeitskosten 7,42 €. Unter der optimistischen Annahme, dass die ApBetrO-Novelle von 2012 die Arbeitszeit um nur 5 Minuten verlängert hat, betragen die Arbeitskosten 8,93 €, also weit mehr als der Arbeitspreis von 5 € für eine typische Salbenrezeptur [2]. Dabei wird unterstellt, dass der 90%ige Aufschlag auf den Substanzpreis die Prüfung der Ausgangsstoffe und weitere Kosten der Herstellung finanzieren muss. Die Einzelherstellung ist daher schon lange ein Verlustgeschäft, und der Verlust ist durch die jüngste ApBetrO-Novelle erneut gestiegen.
Das Problem mit den Prüfungen …
Wirtschaftlich aussichtsreichere Alternativen sind Herstellungstätigkeiten, die ganz oder teilweise in kleinen Chargen zusammengefasst werden (Defektur oder „verlängerte“ Rezeptur). Doch nach Inkrafttreten der ApBetrO von 2012 wurde zunächst kontrovers diskutiert, welche Anforderungen an die Prüfung von Defekturen zu stellen sind. Eine vollwertige Gehaltsbestimmung bei allen Defekturen wäre nicht finanzierbar [3]. Denn abgesehen von Ausnahmen in einigen spezialisierten Apotheken dominieren Kleinstchargen von weniger als zehn Packungen halbfester Zubereitungen – und gerade um diese Fälle geht es bei dem Versuch, regelmäßig vorkommende Rezepturen standardisierter herzustellen. Neben der geringen Chargengröße wären die Darreichungsformen ein weiteres großes Problem, denn aus halbfesten Zubereitungen können die Arzneistoffe nur mit großem Aufwand quantitativ extrahiert werden. Vermutlich wären die Fehlerquoten dabei viel größer als die Herstellungs- und die Analysenfehler.
… und die Lösung
Abhilfe verspricht eine risikobasierte Gestaltung der Defekturprüfung auf der Grundlage der Europarat-Resolution CM/ResAP(2011)1. Eine Synthese aus den Stufenmodellen der Anlage J des DAC/NRF und der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands zur Bewertung des Defekturrisikos ergibt, dass bei Herstellungen mit geringerem Risiko praktikable Prüfmethoden mit relativ geringem Aufwand eingesetzt werden können [4].
Gerade für die praktisch relevanten Fälle, die als Ersatz für typische Einzelherstellungen dienen können, ergeben sich bei dieser Einstufung geringe Risiken. Die Produktion von topisch applizierten Dermatika, jährliche Produktionsmengen von bis zu 15 kg, „Lösen und Mischen“ als typische Herstellungsschritte und die Abgabe nahezu ausschließlich in der herstellenden Apotheke führen zu geringen Risikostufen. Deshalb ergibt auch die Verarbeitung von hoch wirksamen Stoffen nur ein niedriges Gesamtrisiko, und zur Prüfung können vergleichsweise einfache Bestimmungen z.B. des pH-Wertes, der Partikelgrößen, der Dichte, der Spreitbarkeit oder des Wasseraufnahmevermögens als Surrogatparameter ausreichen [4].
Als zeitsparende Prüfmethode bietet sich die Nahinfrarotspektroskopie an, bei der jedoch die Kosten für das Gerät deutlich ins Gewicht fallen. Ein NIR-Spektrometer vereinfacht und verkürzt aber auch die Prüfung der Ausgangsstoffe. Außerdem ermöglicht es in vielen Fällen, Defekturen mit mittlerem Risiko mit angemessenem Aufwand zu prüfen. Maßgeblich für die Anschaffung eines solchen Gerätes kann daher einerseits die Herstellung von Defekturarzneimitteln mit mittlerem Risiko oder andererseits die Häufigkeit von Prüfvorgängen in der Apotheke – auch bei nur geringem Risiko der Defekturarzneimittel – sein.
Rezeptur oder Defektur herstellen?
Wie ist nun die Wirtschaftlichkeit der Defektur vor dem Hintergrund der risikoabhängigen Prüfungen zu beurteilen? Im Apothekenalltag stellt sich vordergründig die Frage, ob eine bestimmte regelmäßig wiederkehrende Verordnung einzeln oder chargenweise hergestellt werden soll. Falls der Aufwand für die defekturbedingten Zusatzaufgaben einschließlich der Prüfung geringer als der Aufwand für eine erneute Rezeptur ist, wäre die Defektur schon bei nur zwei Packungen vorteilhaft gegenüber der Einzelherstellung [3]. Damit erscheinen viele Defekturen zumindest ab drei Packungen vorteilhaft, aber nur im Vergleich zur Rezeptur, nur bei gegebener Herstellungsausstattung und nur bei sehr einfachen Prüfmethoden.
Teilkostenrechnung für Defekturen
Da die Rezeptur zweifellos ein Verlustgeschäft ist, bietet nur die Defektur eine Chance auf positive Deckungsbeiträge in der Herstellung. Daher stellt sich die Frage, wann die Defektur die Teilkosten der Herstellung deckt, also die Kosten, die durch die jeweilige Herstellung – und nicht allgemein durch die gesamte Herstellungstätigkeit – verursacht werden. Auf der Kostenseite stehen dabei die Zeiten für die Defekturherstellung (tDH) und die Defekturprüfung (tDP) sowie die anteilige Prüfungszeit für die Ausgangsstoffe (tSP), jeweils multipliziert mit einem Lohnsatz von 0,30 € pro Minute (18 € pro Stunde, siehe oben), plus die anteiligen Kosten für zusätzliche Prüfgeräte (K), die über die bereits vorhandene Ausstattung hinausgehen.
Die anteilige Zeit für die Prüfung der Ausgangsstoffe einer Defektur ergibt sich aus der Zeit für die Prüfung eines einzelnen Stoffes, multipliziert mit der Zahl der Defekturbestandteile und dividiert durch die Zahl der Defekturchargen, die aus einer Charge des Stoffes hergestellt werden. Sie hängt daher sehr stark von den organisatorischen Bedingungen ab.
Den Teilkosten stehen als Rohertrag (also als Erlös nach Abzug der Substanzkosten) der Arbeitspreis von 5 € und der 90%ige Aufschlag auf den Einkaufspreis der Rezeptursubstanzen (EK) für n Rezepturen (n = Chargengröße) gegenüber. Die Teilkosten werden demnach gedeckt, wenn folgende Bedingung erfüllt ist:
(0,9 EK + 5 €) ∙ n > (tDH + tDP + tSP) ∙ 0,30 €/min + K
Wird die Ungleichung durch den ersten Klammerausdruck dividiert, ergibt sich eine Bedingung für die Mindestgröße n der Defekturchargen. Zwei Rechenbeispiele sollen dies verdeutlichen:
- Wenn die Defekturherstellung 90 Minuten und die Defekturprüfung sowie die anteilige Prüfung für die Ausgangsstoffe jeweils 60 Minuten dauern, keine Zusatzausstattung besteht und der Einkaufspreis der Substanzen mindestens 8,45 € beträgt, deckt bereits eine Defektur mit 5 Packungen ihre Teilkosten. Beträgt der Einkaufspreis der Substanzen nur 4,45 €, müssen dafür mindestens 7 Packungen in einer Charge hergestellt werden.
- Dieselbe Konstellation ergibt sich, wenn die anteilige Prüfungszeit der Ausgangsstoffe auf 30 Minuten und die Defekturprüfungszeit auf 10 Minuten sinken, aber anteilige Kosten für zusätzliche Prüfgeräte in Höhe von 24 € pro Defekturcharge hinzukommen. In beiden Fällen werden die Teilkosten mit 63 € kalkuliert.
Hintergründe zur Berechnung
Das erste Rechenbeispiel mit jeweils 60 Minuten für die Defektur- und die Ausgangsstoffprüfung orientiert sich an einfachen Prüfungen, die mit der üblicherweise vorhandenen Prüfausstattung durchführbar sind. Die zur Prüfung der Ausgangsstoffe genutzten Geräte können dabei auch für die Defekturprüfung eingesetzt werden. Nach dem risikoabhängigen Prüfkonzept erscheinen solche Defekturprüfungen bei niedrigem Risiko für viele relevante Defekturarzneimittel realistisch. Dabei schließen alle Zeitangaben die Arbeitsvorbereitung und -nachbereitung, die Dokumentation und die Reinigung der Geräte ein.
Für das zweite Rechenbeispiel wird eine aufwendigere Prüfausstattung angenommen, die sowohl die Prüfung der Ausgangsstoffe als auch der Defekturen deutlich verkürzt. Einen realistischen Hintergrund für diese Annahmen bildet die NIR-Spektroskopie, die schnell durchführbar und gemäß dem Konzept der risikoabhängigen Prüfungen für sehr viele Defekturarzneimittel einsetzbar ist.
Für größere Chargen ändern sich die Prüfungszeiten meist nur geringfügig, aber die Herstellungszeiten nehmen zu, weil sie auch das Abfüllen in die Abgabebehälter und deren Beschriftung umfassen. Außerdem beruhen alle Ergebnisse wesentlich auf den geringen Arbeitskosten. Denn hier wird ein knapp bemessenes PTA-Gehalt angesetzt. Diese innerbetriebliche Kalkulation ist nicht mit einer Vollkostenkalkulation bei einer Handwerkerrechnung zu vergleichen.
Von der Teilkosten- zur Vollkostenrechnung
Wenn unter den Bedingungen des obigen Beispiels eine Charge mit 5 Packungen hergestellt wird und der Einkaufspreis der Substanzen pro Packung 10 € beträgt, erbringt die Charge einen Rohertrag von 70 €, bei 63 € Teilkosten also einen Deckungsbeitrag von 7 €. Wenn in derselben Zeit 7 Packungen hergestellt werden können, steigt der Deckungsbeitrag der Charge auf 35 €. Dies zeigt das Potenzial der Defektur.
Ein solches positives Ergebnis bei der Teilkostenrechnung bedeutet, dass zusätzliche Defekturen, nicht nur (relativ) wirtschaftlicher als Rezepturen sind, sondern sogar (absolut) keinen Verlust für die Apotheke erbringen. Vielmehr trägt der entstehende Deckungsbeitrag zur Deckung der Fixkosten bei. Zu den Fixkosten gehören zunächst die allgemeinen Kosten von Defekturen (z.B. Erstellung von Herstellungs- und Prüfanweisungen, Aufbau und Pflege der Defekturdokumentation und -organisation), zumal die im Rechenbeispiel unterstellte schnelle Arbeit nur bei guter Organisation gelingen kann. Weitere Fixkosten sind die allgemeinen Kosten der gesamten Herstellungstätigkeit (z.B. Geräte und Software, Organisation der Plausibilitätsprüfungen und der Rezepturdokumentation).
Erst wenn die Herstellung einen Ertrag liefert, der alle diese herstellungsbezogenen Kosten übersteigt, trägt die Herstellung zur Deckung der Fixkosten der Apotheke (z.B. Miete, Heizung, Fahrzeug) bei. Dies dürfte kaum eine Apotheke erreichen. Daher bleibt die Herstellungstätigkeit in ihrer Gesamtheit für die meisten Apotheken weiterhin ein Verlustgeschäft, aber im Gegensatz zu Rezepturen verringern zusätzliche Defekturen unter den obigen Bedingungen den Verlust.
Welche Geräte lohnen sich?
Zu klären ist noch, wann die Anschaffung einer aufwendigeren Prüfausstattung wirtschaftlich sinnvoll ist. Falls das infrage stehende Gerät nur zur Prüfung einer bestimmten Art von Defekturen dienen kann und sonst nicht zu verwenden ist, liegt diese Hürde sehr hoch. Denn dann müssen die Kosten für das Gerät allein auf die betreffenden Defekturen umgelegt werden. Doch erfreulicherweise bietet das Konzept der risikoabhängigen Defekturprüfung so viel Gestaltungsspielraum, dass meistens ein anderes Prüfverfahren als Alternative möglich sein sollte. Je vielfältiger die Geräte eingesetzt werden können, umso niedriger liegt die Hürde zur Anschaffung.
Die wirtschaftliche Bedingung für die Investition in ein zusätzliches Gerät zur Prüfung (oder zur Herstellung) ist, dass die Anschaffungskosten geringer als die eingesparten Arbeitskosten sein müssen. Dies lässt sich chargen- oder zeitabhängig kalkulieren. Für die zeitabhängige Kalkulation liegen meist die besseren Ausgangsdaten vor. Außerdem sind die Ergebnisse anschaulicher. Für diese Rechnung werden die Anschaffungskosten des Gerätes durch die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer (vorzugsweise in Monaten) dividiert. Für eine vorsichtige Kalkulation erscheint eine Nutzungsdauer von 60 Monaten für viele Geräte angemessen. Die so ermittelten monatlichen Kosten müssen geringer sein als die pro Monat eingesparten Arbeitskosten. Bei Gerätekosten von 250 € pro Monat (realistisch für ein NIR-Spektrometer) müssten bei 20 Nutzungen pro Monat jeweils etwa 42 Minuten PTA-Arbeitszeit eingespart werden oder bei 30 Nutzungen jeweils etwa 28 Minuten. Eine so hohe Nutzungsfrequenz erscheint nur realistisch, wenn ein Gerät sowohl Ausgangsstoffe als auch Defekturarzneimittel prüfen kann. Bei der eingesparten Arbeitszeit müssen auch vor- und nachbereitende Tätigkeiten berücksichtigt werden. Viel niedriger sind die Hürden bei Geräten in anderen Preisklassen, z.B. Refraktometer oder Schmelzpunktbestimmer. Bei Anschaffungskosten von 1000 € ergeben sich monatliche Kosten von 16,67 €. Ein solches Gerät lohnt sich schon, wenn es bei 10 Nutzungen pro Monat jeweils 5,5 Minuten einspart.
Fazit
- Die Wahl der angemessenen Geräteausstattung wird wesentlich durch wirtschaftliche Kriterien beeinflusst. Doch die Entscheidung für die Defektur war nach der „alten“ ApBetrO klar und ist es nach der „neuen“ ApBetrO in Verbindung mit einer risikoabhängigen Prüfung wieder.
- Erprobte Herstellungsabläufe und standardisierte Produkte sind pharmazeutisch überzeugende Argumente für regelmäßig wiederkehrende Verordnungen und die Herstellung als Defektur. Wirtschaftlich bleibt die Defektur auch unter den neuen Bedingungen vorteilhaft gegenüber Rezepturen, weil die risikoabhängigen Prüfungen meist in akzeptabler Zeit durchführbar sind.
- Defekturen setzen jedoch voraus, dass genügend gleiche Verordnungen in kurzer Zeit eingehen. Apotheker sollten daher bei Ärzten für die Qualitätsvorteile standardisierter Zubereitungen werben. Dass die Plausibilität bei erprobten Rezepturen geklärt ist, kann dabei ein wichtiges Argument sein.
Literatur
[1] Müller-Bohn T. Wirtschaftlichkeit der Eigenherstellung von Arzneimitteln in öffentlichen Apotheken. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2005.
[2] Müller-Bohn T. Verluste begrenzen. Dtsch Apoth Ztg 2013;153:4504–4510.
[3] Müller-Bohn T. Wann lohnt sich eine Defektur? Dtsch Apoth Ztg 2012;152:2360–2363.
[4] Ziegler AS. Defektur – Risikobasiertes Stufenmodell und apothekengerechte Prüfmethoden. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2014.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.