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Das Jahr nach den Taler-Entscheidungen
Beim 2. Gesundheitsrechtstag der Wettbewerbszentrale, der am 25. November in Bad Homburg stattfand, standen die Taler-Entscheidungen des BGH erneut auf dem Programm. Die Karlsruher Richter hatten im Herbst letzten Jahres einen ganzen Schwung von Urteilen zu in Apotheken ausgegebenen Talern und Boni gesprochen. Dabei hatten sie einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung für die Fälle bejaht, in denen dem Kunden gekoppelt an den Erwerb eines Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die diesen wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Diese Vorteilsgewährung ist wettbewerbsrechtlich unzulässig, weil sie geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Für Gutscheine, Taler oder Boni bis zu einem Euro lehnte der BGH eine spürbare Beeinträchtigung ab, für Gutscheine über fünf Euro bejahte er eine solche. Doch schnell war klar: Hier wurde rein wettbewerbsrechtlich argumentiert. Die geringfügigen Nachlässe, die gegen die Vorschriften des arzneimittelrechtlichen Preisbindungsrechts verstoßen, können auch von Aufsichtsbehörden und/oder Berufsvertretungen verwaltungs- bzw. berufsordnungsrechtlich verfolgt werden. Denn nicht alles, was wettbewerbsrechtlich erlaubt ist, muss auch arzneimittelrechtlich zulässig sein (siehe AZ 2010, Nr. 37).
Und so kam es in der Folge tatsächlich dazu, dass Zivil- und Verwaltungsgerichte zu unterschiedlichen Entscheidungen kamen. Miller kritisierte, dass es trotz der vom BGH nun vorgegebenen Grenzwerte zu "nicht sachgerechten" Lösungen kam, die seiner Meinung nach Folge der Überschneidungen von "verwaltungsrechtlichen Vorschriften in wettbewerbsrechtlichen Vorschriften und wettbewerbsrechtliche Vorschriften im verwaltungsrechtlichen" Bereich sind. Die Zivilgerichte seien, so Miller, den Vorgaben des BGH gefolgt. Das Landgericht Magdeburg habe beispielsweise eine spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung in einem Fall bejaht, in dem es um die Gewährung eines Gutscheines im Wert von drei Euro für die Einlösung eines Rezeptes ging – es handle sich dabei schon fast um ein Prozent des Monatseinkommens eines Empfängers von ALG II-Leistungen, so die Argumentation des Magdeburger Gerichts.
Verwaltungsgerichte entscheiden anders
Die Verwaltungsgerichte allerdings folgten nach Meinung des Rechtsanwalts undifferenziert der Entscheidung des BGH und argumentieren teilweise zweifelhaft. Bis auf ein Gericht sahen sie durchweg jede Vergünstigung als einen Verstoß gegen arzneimittelpreisrechtliche Vorschriften an und verlangten dafür auch keinen Nachweis einer wettbewerbsrechtlich spürbaren Beeinträchtigung. Das Ver waltungsgericht Magdeburg begründete dies mit den unterschiedlichen Zielrichtungen von Heilmittelwerberecht und öffentlich-rechtlichen Preisbindungsvorschriften.
Die Darlegung einer spürbaren Beeinträchtigung oder einer konkreten Existenzgefährdung anderer Apotheken sei bei der Prüfung eines Verstoßes gegen öffentlich-rechtliche Preisbindungsvorschriften nicht erforderlich, bestätigte auch das Verwaltungsgericht Osnabrück. Die abstrakte Gefahr, dass es durch Nachahmung und damit verbundenen Umsatzeinbußen anderer Apotheker zu einer Beeinträchtigung der flächendeckenden und gleichmäßigen Arzneimittelversorgung kommen könnte, reiche als Rechtfertigung für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten aus, entschied das Gericht (DAZ 2011, Nr. 14, S. 19).
Ein Oberverwaltungsgericht beurteilte dies jedoch anders. In einem Fall, in dem ein Apotheker einen Bonus von 1,50 Euro für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel versprach, das auf einem einzulösenden Rezept verschrieben wurde, hatte das Verwaltungsgericht Lüneburg das Vorgehen untersagt. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht gab der Beschwerde des Apothekers daraufhin statt (siehe hierzu DAZ 2011, Nr. 29, S. 64). Dabei stützte sich das Gericht nicht auf einen "Bagatellvorbehalt" für öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Arzneimittelpreisbindung, sondern argumentierte mit einem Entschließungsermessen der Behörde: Im Rahmen dieser zu treffenden Ermessensentscheidung müssten sich die gesetzlichen Wertungen des Wettbewerbs- und Heilmittelwerberechts zumindest widerspiegeln, so das Gericht. Fragwürdig sei es zudem, einer Aufsichtsbehörde das Recht zuzusprechen, aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften etwas durchzusetzen, was ein konkurrierender Marktteilnehmer zivil- bzw. wettbewerbsrechtlich erfolglos verlangen würde. Denn wie könnte eine für konkurrierende Apotheken "nicht spürbare" Werbemaßnahme geeignet sein, die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu beeinträchtigen?
Einzelfallbetrachtung maßgeblich
Maßgeblich sei bei einer Abwägung stets eine Einzelfallbetrachtung, so das niedersächsische Oberverwaltungsgericht: Je näher ein Kundenbindungssystem einem stets unzulässigen Barrabatt gleichkomme, desto niedriger müsse der zulässige Wert der Werbeabgabe angesetzt werden. Die Spürbarkeitsschwelle müsse bei einem Einkaufsgutschein, der einen konkreten Geldbetrag nennt, niedriger angesetzt werden als bei einem Punkte-Sammel-System. Eine sächliche Werbegabe stelle dagegen eher eine geringwertige Kleinigkeit dar. Weiteres Indiz für eine spürbare Beeinträchtigung sei es, wenn die Auswirkungen eines Kundenbindungssystems den lokalen Bereich verlassen und auf eine landes- bzw. bundesweite Kundengewinnung abzielen, argumentierte das Gericht. Die Aktivitäten solch großflächig agierender Versandapotheken könnten größere faktische Auswirkungen haben als die kleinerer Präsenzapotheken.
Keine konkrete Gefährdung der Versorgung
Die dogmatischen und ergebnisorientiert getroffenen Entscheidungen der Gerichte überzeugen den Rechtsanwalt jedoch nicht. "Ziel der Arzneimittelpreisverordnung ist es, die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen", so Miller. Dies bedeute jedoch im Umkehrschluss, dass ein Verstoß gegen die Verordnung diese flächendeckende Versorgung gefährde. In keinem der Verfahren sei eine solche Gefährdung jedoch auch nur ansatzweise konkret belegt worden. Laut Miller wäre dies auch gar nicht möglich: Wettbewerbsmechanismen sind komplex und eine Werbemaßnahme könnte nicht zur Existenzgefährdung einer Apotheke führen. Wäre dies der Fall, wäre die flächendeckende Versorgung hierzulande angesichts der von den holländischen Versandapotheken gewährten Boni bereits zusammengebrochen, gab Miller diesbezüglich zu bedenken.
AMPreisV und aus ländische Apotheken
Eine Entscheidung über die Frage, ob auch für ausländische Versandapotheken die Arzneimittelpreisverordnung gilt, steht indes noch aus. Während das Bundessozialgericht entschieden hatte, dass die Arzneimittelpreisvorschriften wegen des völkerrechtlichen "Territorialprinzips" nicht auf außerhalb Deutschlands befindliche Arzneimittel anwendbar sind, hielt der BGH das deutsche Arzneimittelpreisrecht durchaus auch im Ausland für anwendbar. Regelungen mit Wirkung im Ausland sind ihm zufolge nach dem "Marktortprinzip" zulässig, wenn sie einen hinreichenden Bezug zum eigenen Souveränitätsbereich aufweisen. Es gelte daher das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen der Verbraucher beeinträchtigt werden. Beim Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher in Deutschland gelte deshalb das deutsche Preisrecht, so die Begründung des BGH.
Miller spricht sich für die Ansicht des BGH aus. Der jetzige Zustand war so nicht vorgesehen, so der Anwalt, derzeit "wird er aber praktiziert". Apotheker müssen sich seiner Meinung nach in jedem Fall dem Wettbewerb stellen – inzwischen "können Apotheker doch auch damit leben, dass apothekenpflichtige Arzneimittel aus der Erstattungspflicht genommen wurden, obwohl es zunächst einen großen Aufschrei gab", gab der Anwalt zu bedenken.
Ob ausländische Apotheken sich zukünftig an das deutsche Arzneimittelpreisrecht halten müssen, wird der im September 2010 angerufene Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe im kommenden Jahr klären. Mit einem Termin zur mündlichen Verhandlung ist laut Geschäftsstelle des BGH nicht vor März 2012 zu rechnen – die endgültige Entscheidung lässt daher noch auf sich warten.
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