Gesundheitspolitik

BGH: Weitgehendes Aus für Boni und Rabatte

Die Frage der Bindung ausländischer Versandapotheken an die AMPreisV weiterhin offen

Karlsruhe/Berlin (ks). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 9. September seine lang erwarteten Urteile zur Zulässigkeit von Apotheken-Bonussystemen verkündet. Danach stellt die Gewährung von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung dar. In einem der insgesamt sechs Verfahren hatte der BGH zudem über die Frage zu entscheiden, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt. Er will diese Frage – anders als zuvor das Bundessozialgericht – bejahen. Nun hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe das letzte Wort.

Die Apotheken, die in den verschiedenen Verfahren auf Unterlassung in Anspruch genommen wurden, hatten ihren Kunden beim Kauf von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach unterschiedlichen Systemen Boni gewährt. Dabei handelte es sich um Preisnachlässe, die Rückerstattung der Praxisgebühr, Einkaufsgutscheine und/oder Prämien. Die "Engel"- und die "Douglas"-Taler standen ebenso zur Entscheidung wie die von der Europa Apotheek Venlo versprochenen Boni für die Rezepteinlösung. Die Kläger – in drei Fällen war dies die Wettbewerbszentrale, in den anderen Mitbewerber – sahen darin Verstöße gegen die im Arzneimittelrecht enthaltenen Preisbindungsvorschriften sowie gegen das im Heilmittelwerberecht geregelte Verbot von Werbegaben (§ 7 HWG).

Nach unterschiedlichen Urteilen in den Vorinstanzen – die allerdings überwiegend den Klägern Recht gaben – hat nun der BGH in der Revision zu entscheiden gehabt. Die schriftlichen Urteilsgründe lagen bis Redaktionsschluss der AZ nicht vor. In der Pressemeldung des BGH heißt es jedoch, dass der I. Zivilsenat einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung nicht nur dann als gegeben ansieht, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt. Er habe einen Verstoß vielmehr auch dann bejaht, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen.

Die insoweit einschlägigen Bestimmungen des Arzneimittelrechts seien neben § 7 HWG anwendbar, so die Richter. Denn diese Vorschrift solle den Verbraucher vor unsachlichen Beeinflussungen schützen und verfolge daher einen anderen Zweck als die arzneimittelrechtliche Preisregelung, die insbesondere die im öffentlichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen solle. Die hier relevanten Bestimmungen der § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, § 1 Abs. 1 und 4, § 3 AMPreisV stellten auch Marktverhaltensregelungen i. S. des § 4 Nr. 11 UWG dar, weil sie dazu bestimmt seien, den (Preis-)Wettbewerb unter den Apotheken zu regeln. Zumindest wettbewerbsrechtlich lässt der BGH die Tür für geringfügige Boni und Rabatte noch einen Spalt offen: Das beanstandete Verhalten der Apotheker sei nämlich nur dann geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn keine nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG zulässige Werbegabe vorliege. Der BGH hat eine Werbegabe im Wert von einem Euro noch als wettbewerbsrechtlich zulässig angesehen, bei einer Werbegabe im Wert von 5 Euro dagegen eine spürbare – und damit wettbewerbsrechtlich relevante – Beeinträchtigung bejaht. Unabhängig davon dürfte es sich aber auch bei geringfügigen Nachlässen um einen Verstoß gegen Vorschriften des arzneimittelrechtlichen Preisbindungsrechts handeln, der von Aufsichtsbehörden und/oder Berufsvertretungen verwaltungs- bzw. berufsordnungsrechtlich sanktioniert werden kann: Nicht alles, was wettbewerbsrechtlich erlaubt ist, muss auch arzneimittelrechtlich zulässig sein (so wie nicht jeder Verstoß gegen das Arzneimittelrecht zugleich auch ein Wettbewerbsverstoß sein muss). Hier darf man auf die genauen Ausführungen in den Urteilsgründen des BGH gespannt sein.

Besonders spannend war (und ist) auch das anhängige Verfahren gegen die Europa Apotheek Venlo. Hier ging es neben dem Bonussystem um die grundsätzliche Frage, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für ausländische Versandapotheken gilt, die Verbraucher in Deutschland beliefern. Der 1. Zivilsenat des BGH möchte diese Frage bejahen, sieht sich hieran aber durch eine Entscheidung des 1. Senats des Bundessozialgerichts gehindert. Letzterer hatte in einem anderen Zusammenhang in einem Urteil festgestellt, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht für ausländische Versandapotheken – im konkreten Fall DocMorris – nicht gilt. Nun hat der BGH diese uneinheitlich beantwortete Frage dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorgelegt. Dieses Gremium kommt zum Einsatz, wenn einer der obersten Gerichtshöfe von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofes abweichen will.

Optimismus bei ABDA und Europa Apotheek

ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf freut sich über die Entscheidung, den Gemeinsamen Senat anzurufen. Damit setze der BGH ein Zeichen für den Verbraucherschutz und für mehr Rechtssicherheit bei der Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung. "Der Gemeinsame Senat kann die Auswüchse bei ausländischen Versandapotheken wieder abstellen und das Urteil des Bundessozialgerichts relativieren", gibt sich Wolf zuversichtlich.

Optimistisch ist aber auch die Gegenseite: Klaus Gritschneder von der Europa Apotheek hofft ebenfalls, dass der Gemeinsame Senat die grundsätzliche Frage am Ende "im Sinne des Verbrauchers beantwortet – also mit Nein" . Er ist überzeugt, dass dies den Wettbewerb unter den Apotheken weiterhin stärken würde.

Enttäuschung beim BVDVA

Derweil wirbt die holländische Apotheke weiter mit ihrem bekannte Bonusmodell – zum Ärger des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA), denn für seine Mitgliedsapotheken bleiben Boni tabu: "Die erneute Verschiebung einer Klärung dieser Rechtsfrage ist für deutsche Versandapotheken unerträglich. Wir fordern Chancengleichheit für deutsche Apotheker", erklärte der BVDVA-Vorsitzende Christian Buse. Solange der Gesetzgeber keine Entscheidung treffe, würde "die Ungleichbehandlung deutscher, mittelständischer Versandapotheken zugunsten multinationaler Konzerne zementiert". Die Niederlande seien die Nutznießer einer verfehlten deutschen Gesundheitspolitik, ärgert sich Buse. Auch der Europäische Verband der Versandapotheken (EAMSP) hat kein Verständnis für die Rechtsauffassung des BGH und sieht jetzt die Politik gefordert. Sie müsse den Wettbewerb stärken und den Apothekenmarkt zum Vorteil des Verbrauchers offener gestalten. Entwicklungen aus einem Markt heraus ließen sich schließlich nur selten auf "Stopp" stellen.

Begrüßt wurden die Urteile dagegen von der Wettbewerbszentrale. Der BGH habe klargestellt, dass die Apothekenpreisbindung nicht durch werthaltige Bonussysteme unterlaufen werden könne. "Ein sich gegenseitig überbietender Preiswettbewerb über die Höhe der Rabatt- und Bonusvergünstigungen für verschreibungspflichtige Medikamente wird in Apotheken damit auch künftig an der geringen Wertgrenze scheitern", sagte Reiner Münker, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Wettbewerbszentrale in einer ersten Einschätzung. "Rabattschlachten in Apotheken wird es daher wohl nicht geben".

Geltung der AMPreisV für ausländische Versandapotheken:
Wie geht es weiter?


(cr). Weil der Bundesgerichtshof von der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts abweichen möchte, muss jetzt der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes abschließend darüber entscheiden, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für ausländische Versandapotheken gilt, die Arzneimittel nach Deutschland liefern. Das Verfahren ist im "Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG)" geregelt. Der Gemeinsame Senat in Karlsruhe setzt sich aus den Präsidenten der obersten Gerichtshöfe, also Bundesgerichtshof (BGH), Bundessozialgericht (BSG), Bundesarbeitsgericht (BAG), Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und Bundesfinanzhof (BFH), sowie den Vorsitzenden Richtern und je einem weiteren Richter der beteiligten Senate (BGH und BSG) zusammen. Den Vorsitz führt der, wie es im Gesetz heißt, "lebensälteste Präsident der nichtbeteiligten obersten Gerichtshöfe".

Der Gemeinsame Senat entscheidet ausschließlich über Rechtsfragen. Hierzu müssen jetzt BGH und BSG dem Gemeinsamen Senat ihre jeweiligen Rechtspositionen begründen. Auch die Senate der anderen obersten Gerichte haben die Möglichkeit, zur Rechtsfrage Stellung zu nehmen.

Eine Besonderheit regelt § 14 RsprEinhG: Danach wird das Verfahren eingestellt, wenn sich der Senat des obersten Gerichtshofs, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll (hier: BSG), innerhalb eines Monats durch Beschluss der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats (hier: BGH) anschließt. Die Monatsfrist beginnt mit dem Eingang des Vorlagebeschlusses beim obersten Gerichtshof. Sie kann vom Vorsitzenden des Gemeinsamen Senats verlängert werden. Man darf gespannt sein, ob das BSG diesen Weg gehen wird.

Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats ist für alle obersten Gerichtshöfe – und damit auch für den BGH im anhängigen "Europa Apotheek"-Verfahren – bindend. Allerdings kann seine Rechtsauffassung – im Rahmen der anhängigen "Ursprungsverfahren" – ggf. noch vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof angegriffen werden.

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