- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Was Apothekerinnen ...
Humaninsulin versus Insulinanaloga
Was Apothekerinnen aktuell über Insulin wissen sollten
Der Marktrückzug einiger Präparate von Sanofi und Novo Nordisk macht den Insulin-Markt noch unübersichtlicher, als er ohnehin schon ist. Kritisiert wird öffentlich vor allem, dass es bald kaum noch Humaninsuline im Handel geben wird. Die Hintergründe und einen tabellarischen Überblick über Alternativen finden Sie hier.
Für Insulin-pflichtige Menschen mit Diabetes gab es zuletzt eher beunruhigende Nachrichten. So berichtete etwa das „Handelsblatt“, dass als letzter großer Anbieter von Humaninsulinen in Deutschland nur noch das Unternehmen Eli Lilly übrigbleibe – nachdem Sanofi bereits 2023 und vor Kurzem auch Novo Nordisk die Marktrücknahme zahlreicher Insuline angekündigt hatten. Diabetologen in Deutschland erwarten laut dem „Handelsblatt“-Bericht nun, dass Eli Lilly die wegfallenden Insulin-Mengen von Novo Nordisk künftig nicht auffangen kann [1].
Mehr zum Thema
Übersicht über sukzessive Marktrücknahme
Das Ende der Humaninsuline in Deutschland?
Nach Bekanntgabe des Produktionsstopps
Insuman-Patient:innen umstellen – aber worauf?
Im Juni 2023 hatten die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in einer Stellungnahme die „Einstellung von Produktion und Vertrieb sämtlicher Humaninsuline durch Sanofi“ bereits deutlich kritisiert: Der Anteil von Humaninsulinen an allen Insulinverordnungen betrage zwar „nur noch gut 20%“, hieß es. Doch dieser Rückgang in der Verordnung von Humaninsulinen sei „Ausdruck eines geschickten Marketings“. Die Tatsache, dass aus der Produktion von Sanofi nur noch Insulinanaloga verfügbar bleiben, sahen AkdÄ und DEGAM kritisch: Diese hätten gegenüber Humaninsulinen keinen „Vorteil hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte“ – was sich auch in der Erstattungsfähigkeit von Insulinanaloga widerspiegele [2].
„Unnötige Beunruhigung der Patienten“
Angesichts dieser Stellungnahme verwundert es nicht allzu sehr, dass anlässlich der angekündigten Marktrücknahme von Novo Nordisk Andreas Klinge, Diabetologe und Vorstandsmitglied der AkdÄ, dem „Handelsblatt“ nun sagte: „Dass Novo Nordisk als zweiter der drei großen Hersteller Humaninsuline vom Markt nimmt, läutet das Ende der Humaninsuline in Deutschland ein.“ Das sei problematisch, da einige Diabetologen in Deutschland Humaninsuline für die Standardtherapie halten und nur aus medizinischen Gründen davon abweichen.
„Ich bedauere es sehr, dass Novo Nordisk überhaupt keine Humaninsuline mehr herstellt. Das ist ein Vertrauensverlust und eine unnötige Beunruhigung der Patienten, die auf dieses Insulin eingestellt sind“, sagte auch Andreas Fritsche, Professor für Diabetologie an der Universität Tübingen und Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), dem „Handelsblatt“.
Marktrücknahme mit Behörden abgestimmt, aber …
Sowohl Novo Nordisk als auch Sanofi stellen den Rückzug aus dem Humaninsulin-Geschäft positiver dar: Therapieumstellungen seien zwar gerade bei Insulinen immer eine Herausforderung – es sei aber auch eine Möglichkeit zur Verbesserung der Therapie. Zudem wolle man mit der Marktrücknahme die Lieferketten stärken. Das geschieht offenbar auch in Abstimmung mit nationalen und europäischen Behörden.
Lieferengpass bei NovoRapid PumpCart
Umstellung auf ein anderes Insulin bei Insulinpumpentherapie
Hohe Nachfrage nach Appetitzüglern
Novo Nordisk baut Produktionskapazitäten massiv aus
Zudem wolle Novo Nordisk in vielen Ländern der Welt weiterhin Humaninsulin anbieten. Doch die Darreichungsform soll verändert werden: Von Pens wird auf Fläschchen umgestellt. „Das bedeutet wahrscheinlich, dass sie vorrangig ihre Blockbuster-GLP-1-Medikamente in die Pens füllen wollen, im Gegensatz zu den weniger lukrativen Humaninsulinen“, kommentierten die „Ärzte ohne Grenzen“ dieses Vorhaben gegenüber dem „Handelsblatt“. Da Pens bei Patienten deutlich beliebter sind als Spritzen, dürfte der Gebrauch von Humaninsulin auch in solchen Ländern künftig weiter zurückgehen [1].
Sind Humaninsuline wirklich besser als Insulinanaloga?
In der aktuellen S3-Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes werden die verschiedenen Insulinarten in Humaninsuline und Insulinanaloga unterteilt. Dabei zählen zur
- Gruppe der Humaninsuline:
- Normalinsuline und
- Humaninsuline mit Verzögerungsprinzip (Insulin-Isophan, „Neutral-Protamin-Hagedorn“ = NPH) – sie sind mit dem menschlichen Insulin chemisch identisch.
- Zur Gruppe der Insulinanaloga zählen sowohl
- kurzwirksame Insulinanaloga (Lispro/Ultra rapid Lispro, Aspart/Faster-Aspart, Glulisin) als auch
- langwirksame Insulinanaloga (Glargin, Detemir, Degludec). Diese sind dem menschlichen Insulin ähnlich, enthalten aber gezielt veränderte Aminosäuresequenzen.
Insulinanaloga werden in der Leitlinie den Humaninsulinen gegenüber nicht als unterlegen dargestellt – vielmehr werden auch Vorteile benannt: So sollen Insulinanaloga der physiologischen Insulinfreisetzung näherkommen als Humaninsuline. Insgesamt spricht die Leitlinie aber eine gleichwertige Empfehlung für beide Insulinarten aus [3]:
„Zur Therapie von Menschen mit Typ-1-Diabetes sollen Humaninsuline (Normalinsulin oder Humaninsuline mit Verzögerungsprinzip) oder Insulinanaloga (kurzwirksame oder langwirksame) eingesetzt werden.“
In der aktuellen Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) zum Typ-2-Diabetes wird zudem nicht explizit zwischen Humaninsulinen und Insulinanaloga unterschieden – sondern nur in kurzwirksame und langwirksame Insulinarten. Es wird dazu geraten, die Insulinart individuell der Lebenssituation anzupassen. Allerdings wird auch darauf verwiesen, dass die verschiedenen langwirksamen Insuline von den Mitgliedern der Leitliniengruppe unterschiedlich bewertet werden.
Humaninsulin versus Analoginsulin
„DEGAM und AkdÄ sehen keinen Vorteil langwirksamer Analoginsuline gegenüber NPH-Insulin“, heißt es. NPH-Insulin zur Nacht entspreche am ehesten der physiologischen Insulinwirkung. DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft e. V.) und DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V.) bevorzugen dagegen langwirksame Analoginsuline gegenüber NPH. Die Begründungen der verschiedenen Positionen werden im Anhang zur Leitlinie so gegenübergestellt [4]:
Vorteile von Analoginsulinen | Vorteile von NPH-Insulin zur Nacht |
---|---|
flaches Wirkprofil, tageszeitlich flexible Injektion, stabileres Glukoseprofil, geringeres Hypoglykämierisiko NPH-Suspension muss geschwenkt werden | lange Erfahrung sehr geringes Hypoglykämie-Risiko am Tag, insbesondere wenn HbA1c-Ziel nicht zu niedrig gewählt kaum Gewichtszunahme |
Dass die Frage „Humaninsulin oder Insulinanaloga?“ keine – anlässlich der Marktrücknahmen – neu aufgetretene ist, zeigt ein Artikel des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von 2006 [5]. Verschärft wird sie nun aber durch die neue Marktsituation.
Langzeitinsuline Lantus und Toujeo
Verursacht Insulin glargin bereits nach Minuten Hypoglykämien?
Welche Langzeitinsuline seltener Hypoglykämien auslösen
NPH-Insulin oder Insulin-Analoga?
Folgender tabellarischer Überblick (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) an noch verfügbaren Alternativen kann deshalb im Beratungsalltag für ein wenig Erleichterung sorgen [6,7]. Dabei fällt auf, dass nicht nur Humaninsuline vom Markt verschwinden – beispielsweise auch für das Insulinanalogon Insulin detemir gibt es künftig kein direktes Alternativpräparat.
Überblick an noch verfügbaren Alternativen
Letztlich muss sich die gewählte Insulinart und das Insulinschema bzw. die individuelle Dosierung immer an der Lebenssituation der Patient:innen orientieren [4]. Sie bedarf also einer engen Überwachung durch die betreuenden Ärzt:innen, vor allem bei einem Präparate-Wechsel (an Dosisanpassung denken, insbesondere bei nur ähnlichen Alternativen!). Die Tabelle kann dabei lediglich unterstützen [6,7]:
Langwirksame Insulinanaloga von Novo Nordisk, die außer Handel gehen | Wirkstoff | direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff) | ähnliche Alternativen |
Levemir® keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2026 | Insulin detemir | keine | Insulin glargin: Lantus® und Toujeo® von Sanofi, Abasaglar® von Lilly und Semglee® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd. Insulin degludec: Tresiba® von NovoNordisk |
Kurzwirksame Insulinanaloga von Novo Nordisk, die außer Handel gehen | Wirkstoff | direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff) | ähnliche Alternativen |
Fiasp® PumpCart® für Insulinpumpen keine weitere Verfügbarkeit ab 2027 | Insulin aspart | Fiasp® Durchstechflasche bleibt verfügbar (Angaben der Pumpenhersteller beachten!) | Insulin aspart: NovoRapid® PumpCart® von NovoNordisk außerdem verschiedene Alternativen in Pen-Form (Fiasp® und NovoRapid® von NovoNordisk, Insulin aspart Sanofi® sowie Kirsty® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd.) Zudem gibt es verschiedene Präparate mit Insulin glulisin und Insulin lispro von Sanofi und Lilly |
Vor Fehldosierungen bei Umstellung wird gewarnt
Lieferverzögerungen bei Insulin Tresiba
Langwirksame Humaninsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen | Langwirksame Humaninsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind | Wirkstoff | direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff) | ähnliche Alternativen |
Protaphane® keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2026 | Insuman® Basal | Basalinsulin NPH = „Neutral-Protamin-Hagedorn“, Insulin-Isophan | Huminsulin® Basal und Berlinsulin® H Basal von Lilly Zudem wird Humulin® Basal von Lilly und Insulatard® von Novo Nordsik von verschiedenen Importfirmen gelistet | langwirksame Insulinanaloga wie Insulin glargin: Lantus® und Toujeo® von Sanofi, Abasaglar® von Lilly und Semglee® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd. Insulin degludec: Tresiba® von NovoNordisk |
Kurzwirksame Humaninsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen | Kurzwirksame Humaninsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind | Wirkstoff | direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff) | ähnliche Alternativen |
Actrapid® keine weitere Verfügbarkeit aller Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2027 | Insuman® Rapid | Normalinsulin | Huminsulin® Normal und Berlinsulin® H Normal von Lilly Zudem wird Humulin® Normal von Lilly und auch Insuman® Rapid von verschiedenen Importfirmen gelistet | Kurzwirksame Insulinanaloga wie glulisin, aspart oder lispro für Insuman® Infusat Durchstechflaschen von Sanofi für Insulinpumpen (Normalinsulin) war 2023 bis Juni 2025 ein Engpass verkündet worden
|
Information der AMK
Durchstechflasche Insuman Infusat: Engpass bis Juni 2025
Mischinsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen | Mischinsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind | Wirkstoff | direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff laut Lauer-Taxe® Stand 15.10.2024) | ähnliche Alternativen |
Actraphane® 30 keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2027 | - | 30% Normalinsulin, 70% NPH | Huminsulin® Profil III und Berlinsulin® H 30/70 von Lilly
Zudem wird Humulin Profil III von Lilly und Mixtard® 30 von Novo Nordisk noch von verschiedenen Importfirmen gelistet
| Aspart und Aspart-Isophan: NovoMix® 30 von NovoNordisk |
Actraphane® 50 keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (Penfill®) ab 2027 | Insuman® Comb 50 | 50% Normalinsulin, 50% NPH | keine, Insuman® Comb 50 wird aber noch von wenigen Importfirmen gelistet außerdem Normalinsulin-/NPH-Mischungen mit anderem Verhältnis | 50% Lispro und 50% NPH: Humalog® Mix50™ und Liprolog® Mix50™ von Lilly |
Insuman® Comb 25 | 25% Normalinsulin, 75% NPH | keine, Insuman® Comb 25 wird aber noch von verschiedenen Importfirmen gelistet außerdem Normalinsulin-/NPH-Mischungen mit anderem Verhältnis | 25% Lispro und 75% NPH: Humalog® Mix25™ und Liprolog® Mix25™ von Lilly |
Neue Wege in der Therapie des Typ-1-Diabetes
Von automatischen Insulin-Dosiersystemen und DIY-Apps
Zahlreiche innovative Insuline befinden sich in der Entwicklung
Gute Aussichten für Diabetiker
Literatur
[1] Rauffmann T. Novo Nordisk stellt Verkauf von Humaninsulinen ein. Handelsblatt 12.10.2024, www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/diabetes-novo-nordisk-stellt-verkauf-von-humaninsulinen-ein-01/100074751.html
[2] Gemeinsame Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und der DEGAM zur Einstellung von Produktion und Vertrieb sämtlicher Humaninsuline durch Sanofi. 2. Juni 2023, www.degam.de/files/inhalt/pdf/positionspapiere_stellungnahmen/positionspapier_neues_verzeichnis/2023_sn_insuline_sanofi.pdf
[3] S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. Stand:02.09.2023, gültig bis: 01.09.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/057-013
[4] S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes, Stand:15.05.2023, gültig bis: 14.05.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-001
[5] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Humaninsulin oder Insulinanaloga? Fragen und Antworten zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. 28.07.2006, www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_11082.html#:~:text=Obwohl%20das%20erste%20kurzwirksame%20Analoginsulin,f%C3%BCr%20eine%20%C3%9Cberlegenheit%20der%20Insulinanaloga.
[6] Diabetesinformationsportal des Deutschen Zentrums für Diabetesorschung, des Deutschen Diabetes-Zentrums und von Hemholtz Munich, 28.09.2023, www.diabinfo.de/fachkreise/diabetesberaterinnen-und-berater/behandlung/insuline-auf-einen-blick.html
[7] Lauer-Taxe® Stand 15.10.2024
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.