Arzneimittelmarkt 2030

Glänzende Aussichten für Big Pharma

Stuttgart - 02.08.2024, 10:45 Uhr

Vor allem die beliebten und wirtschaftlich erfolgreichen Helfer zur Gewichtsreduktion tragen zum künftigen Wachstum des Arzneimittelmarktes bei. (Foto: IMAGO / Levine-Roberts)

Vor allem die beliebten und wirtschaftlich erfolgreichen Helfer zur Gewichtsreduktion tragen zum künftigen Wachstum des Arzneimittelmarktes bei. (Foto: IMAGO / Levine-Roberts)


Dem globalen Pharmamarkt steht in den kommenden Jahren ein starkes Wachstum bevor. Die Umsätze mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dürften bis zum Jahr 2030 Rekordzuwächse verzeichnen, so die Einschätzung des britischen Analysehauses Evaluate. Wesentliche Treiber werden neben Arzneimitteln gegen Entzündungserkrankungen vor allem die neuen Adipositas-Produkte sein. Damit dürften auch die Hersteller Novo Nordisk und Eli Lilly die Spitze im globalen Ranking der umsatzstärksten Unternehmen einnehmen.

Das britische Analysehaus Evaluate nennt seinen aktuellen Bericht zur Entwicklung der Pharmamärkte „Growth Boost“, also Wachstums-Booster. Die Überschrift des Reports gibt damit die Richtung vor, die im globalen Pharmageschäft bis zum Jahr 2030 zu erwarten ist: Das jährliche welt­weite Umsatzwachstum bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dürfte demnach auf fast 7,7 Prozent steigen. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als für 2023 prognostiziert und deutlich mehr als die durchschnittliche Wachstumsrate seit dem Jahr 2000. Unter dem Strich dürfte der Gesamtumsatz mit Arzneimitteln laut Evaluate im Jahr 2030 rund 1,7 Billionen US-Dollar erreichen (siehe Abbildung 1).

Es sind die bekannten Volksleiden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die der Pharmaindustrie weiter gute Geschäfte ermöglichen werden. Es sind vor allem aber die zuletzt äußerst beliebten und wirtschaftlich erfolgreichen Helfer zur Gewichtsreduktion, die nach Einschätzung der Analysten eine zunehmend dominante Rolle einnehmen. GLP-1-Agonisten und verwandte Inkretine sollten dazu beitragen, dass die Umsätze mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bis 2030 ein Rekordwachstum verzeichnen.

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Abb. 1: Das Analysehaus Evaluate rechnet mit einem weltweiten Umsatzwachstum bei verschreibungspflichtigen Arznei­mitteln auf mehr als 1,7 Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2030. [Evaluate]

Erhebliche Patentrisiken

Allerdings muss sich die Pharma­industrie in den nächsten Jahren auch an andere Realitäten anpassen: Inflation und Zinssätze bleiben hartnäckiger als erwartet, die politische Unsicherheit hält an, und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz werden die Arbeitsabläufe in Forschung und Entwicklung verändern. Dazukommen dürfte ein Aufschwung bei Fusionen und Übernahmen.

Darüber hinaus stehen Patentabläufe wichtiger und umsatzstarker Arzneimittel bevor. Die stärksten Einbrüche im Volumen von 100 Milliarden Dollar beziehungsweise 6,6 Prozent des Gesamtumsatzes dürften dabei in etwa vier Jahren erreicht werden: 2027 und 2028 werden laut Evaluate die Produkte Keytruda (Pembrolizumab) von Merck/MSD, Opdivo (Nivolumab) von Bristol-Myers Squibb (BMS), der Blutgerinnungshemmer Eliquis (Apixaban) von BMS/Pfizer, das Brustkrebsmedikament Ibrance (Palbociclib) von Pfizer und das Diabetesmedikament Trulicity (Dulaglutid) von Eli Lilly ihren Schutz verlieren. Mit diesen Arzneimitteln wurden allein im vergangenen Jahr zusammen fast 58 Milliarden Dollar umgesetzt.

Top-Arzneimittel für 2030

Nichtsdestotrotz sehen die Analysten für Big Pharma glänzende Aussichten. Sie verweisen darauf, dass mehr als eine Milliarde Menschen weltweit – darunter 50 Prozent aller Erwachsenen in den USA – als fettleibig eingestuft werden. Damit öffne sich für die Pharmaindustrie ein gigantischer Markt, zumal die Behandlungsmöglichkeiten nicht nur bei der Gewichtsreduzierung helfen, sondern auch das Risiko von Folgeerkrankungen wie Herz-, Leber- und Nierenerkrankungen senken.

Laut Evaluate dürften bis 2030 fünf Arzneimittel zur Behandlung von Stoffwechselkrankheiten zusammen mehr als 100 Milliarden Dollar einnehmen und damit die Rangliste der weltweit zehn wichtigsten Arzneimittel dominieren (siehe Abb. 2). Dazu zählen Ozempic (Semaglutid) des Pharmakonzerns Novo Nordisk und Mounjaro (Tirzepatid) von Eli Lilly zur Behandlung von Diabetes, die Analoga Wegovy und Zepbound zur Behandlung von Adipositas sowie die Nachfolgekombination Cagrisema (Semaglutid und Cagrilintid) von Novo Nordisk.

Abb. 2: Der Erfolg der GLP-1-Agonisten wird Novo Nordisk und Eli Lilly nach Einschätzung des britischen Analysehauses Evaluate an die Spitze der weltweit größten Pharmakonzerne katapultieren. [Evaluate]

Wegovy und Zepbound sind erst der Anfang

Trotz der bisherigen Erfolge steckt der Markt für Adipositas-Therapien noch in den Kinderschuhen und dürfte in den kommenden Jahren eine starke Dynamik entfalten. So weisen die Evaluate-Analysten darauf hin, dass Wegovy und Zepbound 2023 zusammen wohl weniger als 5 Milliarden US-Dollar umgesetzt haben – ein Bruchteil der 130 Milliarden US-Dollar, die der gesamte GLP-1-Markt bis 2030 erreichen könnte. Allein der Umsatz des Spitzenreiters Wegovy dürfte sich in den nächsten fünf Jahren verdreifachen. Damit sollte auch der Kampf um Marktanteile gerade erst begonnen haben. Anzunehmen ist, dass sich bis zum Ende des Jahrzehnts mehr als zwei Unternehmen gegenüberstehen werden. Evaluate geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren andere große Pharmakonzerne wie AstraZeneca in den „Abnehm-Goldrausch“ einkaufen und Investoren fleißig Schecks für innovative Unternehmen der nächsten Generation ausstellen.

Dupixent und Skyrizi auf Platz 2 und 6

Unter den Arzneimittel-Top-Ten des Jahres 2030 werden aber auch andere „große Medikamente für große Krankheiten“ zu finden sein, beispielsweise im Bereich der autoinflammatorischen Leiden. So sollte der monoklonale Antikörper Dupixent (Dupilumab) von Sanofi/Regeneron 2030 noch über 22 Milliarden Dollar Erlös einfahren und damit Rang zwei einnehmen. Immerhin sammle das Produkt derzeit Zulassungen für andere Krankheiten wie Asthma, Ekzeme und eosinophile Ösophagitis ein. Hinzu komme eine erwartete Zulassung für chronisch obstruktive Lungenerkrankungen. Unter dem Strich dürfte das dem Arzneimittel über die Jahre ein jähr­liches Wachstum von fast 10 Prozent einbringen.

Das sechstplatzierte Arzneimittel unter den künftigen Top Ten ist der IL-23-Antikörper Skyrizi (Risankizumab). Der Umsatz für das Produkt soll bis Ende dieses Jahrzehnts jährlich um durchschnittlich 14 Prozent wachsen und bis 2030 für den Hersteller AbbVie einen Umsatz von 19,5 Milliarden Dollar erzielen. Das Arzneimittel, das bereits für Plaque-Psoriasis, psoriatische Arthritis und Morbus Crohn zugelassen ist, könnte zudem grünes Licht für die Behandlung der entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa erhalten.

Allerdings dürfte es laut Evaluate aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs und der Segmentierung der Krankheiten schwierig werden, den großen Erfolg von Produkten wie Dupixent und Skyrizi künftig zu wiederholen. Autoimmunkrankheiten wie Psoriasis sind nach Ansicht der Analysten zunehmend umkämpft und erfordern hohe Marketingausgaben. Mittlerweile versuchten die Entwickler vielmehr, den Markt durch Biomarker-gestützte Patientenstratifizierung zu differenzieren und in kleinere Teile zu zerlegen.

Die Top-Onkologie-Präparate

Darzalex (Daratumumab) von Johnson & Johnson ist in der Evaluate-Analyse der größte der beiden Onkologie-Top-Ten-Kandidaten. Der Anti-CD38-Antikörper dürfte mit seinen über ein halbes Dutzend Zulassungen für das multiple Myelom fast 16 Milliarden Dollar umsetzen und damit nur knapp den Umsatz des zweitplatzierten generischen Checkpoint-Inhibitors Keytruda übertreffen. Dessen Jahresumsatz wird bis zum Ende dieses Jahrzehnts wohl um über 40 Prozent auf 14,6 Milliarden Dollar geschrumpft sein.

Aussichtsreiche Pipeline-Kandidaten

Beim Blick in die Entwicklungspipelines der Pharmakonzerne zeigt sich, dass die zehn wertvollsten Kandidaten im Jahr 2030 den Schätzungen zufolge wohl einen Umsatz von fast 65 Milliarden US-Dollar erzielen werden. Auch hier befassen sich drei der vier Spitzenreiter mit Fettleibigkeit und deren Folgen: Novo Nordisks Chartstürmer Cagrisema, der den Wirkstoff von Wegovy mit einem Amylin-Analogon kombiniert, Lillys Hoffnungsträger, der orale GLP-1-Rezeptoragonist Orforglipron, und das „Triple-G“-Medikament Retatrutid, das auf GLP-1, GIP und den Glucagon-Rezeptor wirke. Drei ZNS-Arzneimittel sind ebenfalls in den Top Ten vertreten, was laut der Studie den wissenschaftlichen Fortschritt und das Interesse der Anleger an dieser Kategorie widerspiegelt. Darunter ist das Anti­psychotikum Xanomelin-Trospiumchlorid (KarXT) von BMS, das 2023 durch die 14 Milliarden Dollar teure Übernahme von Karuna erworben wurde.

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Unternehmensranking: Novo und Lilly an der Spitze

Der Erfolg der GLP-1-Agonisten wird Novo Nordisk und Eli Lilly nach Einschätzung von Evaluate an die Spitze der weltweit umsatzstärksten Pharmakonzerne katapultieren. Die Umsätze beider Unternehmen dürften in den kommenden Jahren im Jahresdurchschnitt um mehr als zwölf Prozent wachsen. Damit legen die Konzerne eine bemerkenswerte Aufholjagd hin: Im vergangenen Jahr rangierten sie noch auf dem neunten beziehungsweise zehnten Platz. 

Davor wurde Novo Nordisk lediglich als mittelgroßes Unternehmen eingestuft, die Marktkapitalisierung von Eli Lilly war Ende 2020 nicht einmal halb so groß wie die von Johnson & Johnson. AbbVie wiederum dürfte durch hohe Umsätze von Skyrizi im Unternehmensranking auf den dritten Platz vorrücken.

*Der Artikel wurde am 02.08.2024 redaktionell bearbeitet: Im Abschnitt "Die Top-Onkologie-Präparate" hatte sich ein Zahlenfehler eingeschlichen. jr


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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