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Schwindende Muskelmasse
Erhöhen Semaglutid und Tirzepatid das Risiko für Sarkopenie?
Semaglutid und Tirzepatid führen zu deutlichen Gewichtsverlusten. Dabei schmilzt mehr als nur Körperfett: Die Behandlung mit den Agonisten am Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1)-Rezeptor vermindert auch die Muskelmasse. Werden die Präparate deshalb zum Sarkopenie-Risikofaktor? Experten geben Entwarnung, während die Pharmaindustrie bereits nach passenden Wirkstoffen sucht.
In den Phase-III-Studien zur Gewichtsreduktion mit den GLP-1-Agonisten Semaglutid (Wegovy®) und Tirzepatid (Mounjaro®) wurde in Subgruppen die Körperzusammensetzung einiger Probanden mit Dual-Röntgen-Absorptiometrie vor und nach der Intervention untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Wirkstoffe nicht nur das Körperfett reduzierten, sondern auch Muskeln.
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Zum Beispiel erwies sich für Semaglutid in der STEP1-Studie: Mit der einmal wöchentlichen Injektion verloren 95 Probanden nach 68 Wochen mehr als 5,3 kg fettfreie Körpermasse – die circa zur Hälfte aus Muskeln besteht. Mit Placebo waren es nur 1,8 kg (45 Probanden) [1]. Diese Zahlen gaben in der Vergangenheit immer wieder Anlass zu Meldungen über den Muskelverlust unter den GLP-1-Agonisten.
Übergewichtige besitzen mehr Muskelmasse als der Durchschnitt
Zwei amerikanische Wissenschaftler und eine italienische Wissenschaftlerin klärten in einem Viewpoint im Journal of the American Medical Association, JAMA, auf [2]. Sie stellen klar: Mit jeder beabsichtigten Gewichtsreduktion geht immer auch eine Abnahme der Muskelmasse einher. Es sind schlicht weniger Muskeln nötig, um den leichteren Körper zu stabilisieren und zu bewegen. Menschen mit Übergewicht und Adipositas besitzen deshalb meist mehr Muskelmasse als der Durchschnitt [3]. Die abnehmende Muskelmasse ist auch der Hauptgrund, warum mit jeder Diät der Grundumsatz sinkt. Zahlenmäßig geht ungefähr ein Viertel eines Gewichtsverlusts bei einem adipösen Ausgangszustand auf das Konto der fettfreien Körpermasse [2]. Das ist bei den GLP-1-Agonisten kaum anders. Eine behandlungsinduzierte Gebrechlichkeit oder Sarkopenie sei den Wissenschaftlern zufolge deshalb wenig wahrscheinlich.
Verlust an Fettgewebe überwiegt Muskelverlust
Selbst wenn Muskelkraft verloren ginge, bedeute das keine Einschränkung im täglichen Leben, denn der Verlust an Fettgewebe überwiege den Verlust an fettfreier Körpermasse: Zum Beispiel verloren die Teilnehmer der STEP1-Subgruppe mit Semaglutid zusätzlich zu den 5,3 kg fettfreier Masse noch 8,3 kg Körperfett [1]. Somit stieg sogar das Verhältnis zwischen fettfreier Masse und Körperfett, was sich letztendlich günstig auf die Beweglichkeit und physische Funktion auswirken dürfte. Nicht nur das, die verbleibenden Muskeln funktionieren womöglich auch besser, da die Fettablagerungen sinken und die Insulin-Sensitivität steigt [2].
Vorsicht bei sarkopener Adipositas
Trotzdem sind die Langzeitfolgen des Muskelverlusts für Risikopatienten unklar, zum Beispiel für Ältere mit sarkopener Adipositas: Nicht immer gehen mit steigendem Körpergewicht mehr Muskeln einher. Bewegen sich adipöse Patienten aufgrund der Körpermasse immer weniger, lässt das die Muskeln verkümmern. Diesen Zustand beschreibt die sarkopene Adipositas.
Forschung für Risikopatienten
Deshalb wird auch nach pharmakologischen Auswegen gesucht, wie die Online-Medizinplattform Medscape berichtet [4]. Einige Wirkstoffe befinden sich bereits in der klinischen Prüfung,
- beispielsweise der anti-Activin-Rezeptor-Typ-2B-Antikörper Bimgramumab in einer Phase-IIb-Studie, allein oder zusammen mit Semaglutid [5]. Eine vorangegangene Studie zeigte, dass der Antikörper die Fettmasse reduzierte und die fettfreie Körpermasse erhöhte [6].
- Das amerikanische Unternehmen Veru rekrutiert derzeit Probanden unter einer GLP-1-Therpaie für seine Phase-II-Studie mit dem selektiven Androgen-Rezeptor-Modulator (SARM) Enobosarm, das die fettfreie Körpermasse erhöhen soll [7].
Doch bevor eine Nebenwirkung therapiert werden kann, muss sichergestellt werden, dass die Wirkstoffe sicher sind. Bimgramumab kann Pankreatitiden hervorrufen und SARMs wie Enobosarm sind mit vermehrten kardiovaskulären Ereignissen verbunden [4].
Literatur
[1] Wilding JPH et al. Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. NEJM 2021;384:989-1002
[2] Conte C et al. Is Weight Loss–Induced Muscle Mass Loss Clinically Relevant? JAMA 2024. Online-Vorabveröffentlichung. doi: 10.1001/jama.2024.6586
[3] Janssen I et al. Skeletal muscle mass and distribution in 468 men and women aged 18–88 yr. J Appl Physiol (1985). 2000;89:81-88
[4] Tucker ME. Losing Muscle With GLP-1 RAs? There May Be a Drug for That. 24.5.2024. https://www.medscape.com/viewarticle/losing-muscle-glp-1-ras-there-may-be-drug-2024a10009v1?ecd=WNL_trdalrt_pos1_ous_240529_etid6553163&uac=511223SK&impID=6553163 (Zugriff am 17.6.2024)
[5] Safety and Efficacy of Bimagrumab and Semaglutide in Adults Who Are Overweight or Obese. Study Overview, www.clinicaltrials.gov/study/NCT05616013?intr=Bimagrumab&rank=1
[6] Heymsfield SB et al. Effect of Bimagrumab vs Placebo on Body Fat Mass Among Adults With Type 2 Diabetes and Obesity. JAMA Netw Open 2021;4:e2033457
[7] Dose-Finding Study Evaluating Effect on Body Composition of Enobosarm in Patients Taking a GLP-1 for Chronic Weight Mgmt (QUALITY). Study Overview, www.clinicaltrials.gov/study/NCT06282458?intr=Enobosarm&rank=3
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