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Vom Gamechanger bei Adipositas über Lieferengpässe zum Fälschungsskandal
Ein Jahr im Zeichen von Ozempic und Co.
Als 2009 mit Liraglutid in Victoza® in Deutschland erstmals ein Glucagon-like-Peptid-1(GLP-1)-Rezeptoragonist gegen Typ-2-Diabetes zugelassen wurde, ahnte noch niemand, welchen Siegeszug die GLP-1-Rezeptoragonisten rund zehn Jahre später in einer ganz anderen Indikation antreten würden. 2016 wurde Liraglutid unter dem Handelsnamen Saxenda® auch zur Behandlung von Adipositas auf den Markt gebracht – und gab einen Vorgeschmack darauf, was 2023 mit Semaglutid passieren sollte.
2018 wurde Semaglutid in Ozempic® in der EU als Antidiabetikum zugelassen und bereits als Blockbuster in den Startlöchern gehandelt. 2019 zeichnete sich ab, dass sich die Arzneimittelklasse der GLP-1-Rezeptoragonisten ganz generell „im Aufwind“ befindet. Doch erst 2020 folgte auf die Anerkennung des Zusatznutzens auch die Markteinführung von Ozempic®. Und erst 2021 kamen Semaglutid und Tirzepatid, ein dualer GIP- und GLP-1-Agonist, auch zur Gewichtsabnahme bei Menschen ohne Diabetes öffentlich ins Gespräch. Doch es dauerte nochmal bis Ende 2023, bis Tirzepatid in Mounjaro® auch tatsächlich als Antidiabetikum (!) auf dem deutschen Markt eingeführt wurde (DAZ 48, S. 42), während Semaglutid mit der Indikation Gewichtsverlust unter dem Handelsnamen Wegovy® im Juli 2023 auf den deutschen Markt kam (DAZ 27, S. 32).
Es erscheint auf den ersten Blick also gar nicht unbedingt plausibel, dass ausgerechnet 2023 ganz im Zeichen von Ozempic® stehen sollte. Indizien dafür gab es aber bereits Ende 2022, als sich Lieferengpässe bei Ozempic® abzeichneten und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) unter dem Titel „Mit Diabetesmedikament zum Traumgewicht?“ mahnte, „GLP-1-Rezeptoragonisten nicht als Lifestyle-Therapie im Eigengebrauch“ einzunehmen. Hintergrund war die Bewerbung des Präparates durch Prominente in den sozialen Medien, die damit (im Off-Label-Use) schnell und viel an Gewicht verloren hatten. Doch auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erklärte, dass Semaglutid neben der Zulassung gegen Diabetes auch beim Abnehmen helfen kann – und zwar mit einer Gewichtsreduktion von etwa 15 %. Immer wieder wurden die Inkretin-Mimetika öffentlich als „Gamechanger“ in der Therapie der Adipositas bezeichnet (DAZ 7, S. 22).
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Diese Botschaften konnten den Off-Label-Use von Semaglutid und Co. und die daraus folgenden Lieferengpässe 2023 offensichtlich nicht eingrenzen. Das zeigte sich vor allem, als der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe des BfArM im April 2023 auf die indikationsgerechte Anwendung der GLP-1-Agonisten Dulaglutid (Trulicity®) und Semaglutid (Ozempic®) hinwies und Maßnahmen empfahl, welche die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes sicherstellen sollten: So soll bei der Verordnung die Indikation mit angegeben werden und eine Abgabe nur gegen Vorlage eines Arztausweises nicht mehr erfolgen.
All diese Vorgänge warfen kein gutes Licht auf den Einsatz dieser Wirkstoffe bei Adipositas – auch nicht auf Novo Nordisk als Zulassungsinhaber von Liraglutid und Semaglutid, und das nicht nur in Deutschland. So wurde Novo Nordisk z. B. wegen schwerwiegender Verstöße im Zusammenhang mit Saxenda® aus dem britischen Industrieverband ausgeschlossen, manche Medien warfen Novo Nordisk eine orchestrierte PR-Kampagne für GLP-1-Agonisten vor. Zudem wurde immer wieder auch über die Risiken von Semaglutid berichtet: Im Gespräch war das Risiko für eine diabetische Retinopathie (DAZ 10, S. 29), die Europäische Arzneimittelbehörde EMA begann eine (noch nicht abgeschlossene) Untersuchung, ob Inkretin-Mimetika zu suizidalem Verhalten führen könnten (DAZ 29, S. 28), und vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen wie Gallenblasenerkrankungen, Pankreatitis, Darmverschluss und Gastroparese rückten in den Fokus (DAZ 42, S. 26). Auch das Risiko für Schilddrüsenkrebs wurde untersucht, gilt bislang aber als unwahrscheinlich (DAZ 45, S. 37).
Lebensgefährliche Fälschungen
Doch all das tat der Beliebtheit und damit der Nachfrage nach Semaglutid keinen Abbruch. Vielmehr stieg die Nachfrage so stark, dass die Menschen (weltweit) sogar für Produktfälschungen empfänglich wurden. Im Oktober 2023 warnte das Regierungspräsidium Freiburg erstmals in Deutschland, dass „Fälschungen des Diabetesmedikaments Ozempic® des Herstellers Novo Nordisk im Umlauf“ seien (DAZ 41, S. 14). Die Mitarbeiter in Apotheken wurden gebeten, bis auf Weiteres vor der Abgabe von Ozempic® den Umkarton der Pens zu öffnen und auf eine potenzielle Fälschung zu überprüfen. Dabei handelte es sich keineswegs um eine Formalie: Noch im Oktober wurden in der Folge der Fälschungen mehrere Krankenhauseinweisungen in Österreich bekannt. Dabei gab es bereits Hinweise auf den später offiziell bestätigten Inhalt der gefälschten Pens: Insulin glulisin. Offenbar waren Apidra®-Pens zu Ozempic®-Pens umetikettiert worden.
Während Novo Nordisk Ende Oktober offiziell bekannt gab, dass in mehreren Ländern – auch in Europa – Fälschungen von Ozempic® und Saxenda® auch über legale Wege an die Patientinnen und Patienten gelangt sind, wurden zur Herkunft der Fälschungen nur nach und nach Details bekannt. Die Ermittlungen laufen noch. Ende November berichtete ein Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, dass noch mehrere Hundert gefälschte Ozempic®-Pens im Umlauf seien, deren Verbleib unklar ist. Im Zentrum stand dabei die Charge MP5E511, deren Spuren von Großbritannien nach Deutschland, Österreich und schließlich bis in die Türkei führten. Dass an der Aufklärung weiterhin großes Interesse besteht, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die britische Arzneimittelbehörde MHRA Ende November über fünf bestätigte Krankenhauseinweisungen berichtete – nach der Anwendung von gefälschten Pens, die Liraglutid oder Semaglutid enthalten sollten (DAZ 48, S. 18).
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Eines scheint jetzt schon sicher: Auserzählt ist die Geschichte der GLP-1-Rezeptoragonisten noch lange nicht. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Markteinführung von Tirzepatid in Mounjaro® auf die Nachfrage der anderen GLP-1-Rezeptoragonisten auswirken wird – vor allem, wenn es auch zum Gewichtsmanagement zugelassen wird. Zudem ist die Wirkstoffpipeline noch mit anderen Wirkstoffkandidaten gut gefüllt, und der Einsatz von Semaglutid wird in weiteren kardiovaskulären Indikationen untersucht (DAZ 46, S. 42 und DAZ 37, S. 22). Ob es allerdings eine reine Erfolgsgeschichte wird, ist weniger sicher. Es steht noch die Frage nach einem Rebound-Effekt im Raum, und für das gesamte Jahr 2024 wird mit zeitweiligen Engpässen bei Semaglutid und Liraglutid gerechnet.
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