Beschluss des GKV-Spitzenverbandes

Ab Februar für drei Monate keine Festbeträge für Antibiotika und Fiebersäfte

Stuttgart - 10.01.2023, 10:55 Uhr

Leere Schubladen, wo man hinsieht:  Mit einer temporären Aussetzung der Festbeträge bei Kinderarzneimitteln soll gegengesteuert werden. (Foto: Schelbert)

Leere Schubladen, wo man hinsieht:  Mit einer temporären Aussetzung der Festbeträge bei Kinderarzneimitteln soll gegengesteuert werden. (Foto: Schelbert)


Bereits im Dezember hatte das BMG Eckpunkte vorgestellt, wie es den massiven Engpässen vor allem bei pädiatrischen Arzneimitteln begegnen will. Die unter anderem vorgeschlagene Anhebung der Festbeträge auf den 1,5-fachen Betrag war allerdings bei den Kassen auf wenig Gegenliebe gestoßen. Nun ist man sich aber über eine kurzfristige Maßnahme einig geworden, wie der GKV-Spitzenverband mitteilt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat den Lieferengpässen den Kampf angesagt. Besonderen Fokus legt er dabei auf die Kinderarzneimittel, bei denen die Not derzeit besonders groß ist. Fiebersäfte und -zäpfchen sowie Antibiotika sind absolute Mangelware in den Apotheken. Bereits im Dezember hatte Lauterbachs Ministerium daher ein Eckpunktepapier veröffentlicht, in dem verschiedene Maßnahmen vorgestellt wurden, die kurzfristig für eine Entspannung der Lage sorgen sollen. Unter anderem soll die GKV demnach für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr die Mehrkosten von ärztlich verordneten Arzneimitteln bis zum 1,5-fachen Festbetrag übernehmen müssen, wenn ein Arzneimittel über Festbetrag abgegeben wird. Zudem sollen die Festbeträge und Rabattverträge für wichtige Kinderarzneimittel abgeschafft werden. Die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, kritisierte dies als „Weihnachtsgeschenke für die Pharmaindustrie“.

Doch nun verteilen die Kassen selbst Geschenke. Laut einer Mitteilung des GKV- Spitzenverbandes hat der Vorstand am 9. Januar 2023 beschlossen, dass die Festbeträge für bestimmte Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika, die als Zäpfchen oder in flüssiger Anwendungsform vorliegen, ab dem 1. Februar 2023 für drei Monate ausgesetzt werden. „Damit schaffen wir die Voraussetzungen, dass einer weiteren Verschärfung der angespannten Versorgungslage mit Kinder-Arzneimitteln kurzfristig entgegengewirkt werden kann“, heißt es. Die Aussetzung der Festbeträge soll insgesamt 180 Fertigarzneimittel aus zehn Festbetragsgruppen, darunter unter anderem Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpfchen und Antibiotika-Suspensionen, betreffen. Eine Umsetzung sei erst ab Februar möglich, damit die datentechnische Umsetzung in den Apotheken abgestimmt und gewährleistet werden könne.

Zuerst hatte die „Tagesschau“ darüber berichtet. Für die Pharmaindustrie, die dann höhere Preise erzielen würde, könnte das ein Anreiz sein, mehr zu liefern und Eltern blieben etwaige Mehrkosten erspart, heißt es dort. Die GKV macht aber in ihrer Mitteilung auch gleich klar, dass kurzfristige Preiserhöhungen keine nachhaltige Lösung sind. Die Aussetzung der Festbeträge sei „kein Freifahrtschein für Gewinnmaximierung“, sondern solle der Pharmaindustrie Zeit verschaffen, die bestehenden Produktions- und Lieferprobleme in den Griff zu bekommen. Man werde genau hinschauen, wie die Aussetzung der Festbeträge wirke, so der GKV-Spitzenverband.

Die Kassen erwarten von der Politik nun aber gesetzliche Vorgaben, um die bestehenden Lieferprobleme bei der Arzneimittelversorgung anzugehen. Wie schnell dies geht, muss sich zeigen. Morgen tagt das Bundeskabinett das erste Mal in diesem Jahr. 

Viele Kassen haben Festbeträge schon ausgesetzt

Eine ganze Reihe von Kassen hatte dem nun vom GKV-Spitzenverband gefassten Beschluss bereits vorgegriffen und erklärt, zumindest bei Fiebersäften für Kinder auch die Kosten, die über dem Festbetrag liegen, zu übernehmen. Die Ersatzkassen gehen noch etwas weiter und tragen sogar die Mehrkosten für Arzneimittel für Kinder, die auf der Liste versorgungskritischer Arzneimittel des BfArM stehen, sowie für paracetamol- und ibuprofenhaltige Fiebersäfte, wenn in Ermangelung von Fertigarzneimitteln Importe oder Rezepturen abgegeben werden. Und das ohne weitere Rücksprache mit dem verordnenden Arzt, wenn das verschriebene Fertigarzneimittel nicht verfügbar ist. Auch die bayerischen Kassen tragen die Mehrkosten für Rezepturen, hier muss allerdings eine Wirkstoffverordnung vorliegen.

Die Insellösungen der Ersatzkassen und der bayerischen Kassen, die mit der Übernahme der Rezepturkosten noch deutlich weiter gehen als die Pläne des BMG, laufen allerdings am 25. Januar 2023 aus.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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2 Kommentare

Populistische Maßnahme, ohne Verständnis der Lieferketten und der Markt-Mechanismen

von Dr. Uwe Weidenauer am 15.01.2023 um 10:20 Uhr

Die Festbeträge habe ich schon (literarisch) seit über drei Jahren als das Hauptproblem benannt.
Wie in „Nicht lieferbar!“ beschrieben, gibt es zwei Marktcluster der pharmazeutischen Industrie: eine know how-/ high tech-Industrie (=Originatoren) und eine von den Konsumgütern abgeleitete junge, generische Pharmaindustrie. Die generische Industrie arbeitet wie der deutsche Discounthandel und feilscht um die letzten Cents bei den Verhandlungen der Wirkstofflose. Eine Kostenexplosion bei Energie, Logistik, Rohstoffen und Löhnen (Stichwort: Aushebelung der Tarifautonomie durch unsere sozialistische Regierung) hatten die Discountanbieter nicht auf der Rechnung. Jetzt ist das passiert, was ein unendlich weiser Politiker uns erklärt hat: „Die hören einfach auf zu produzieren.“ Natürlich da, wo die Euro-Scheine schneller als LN-Gas durch den Schornstein gehen.
Beispielsweise Paracetamol-Fiebersäfte: hier produziert nur ratiopharm in Ulm, alle anderen haben aufgehört. Die Herstellerabgabepreise erreichen kaum die 2-EUR Marke, was kaum noch ausreicht um die Primärpackmittel im Einkauf zu bezahlen.
Beliebt abzuwarten, ob die anderen Hersteller jetzt ihre Kampagnenplanung spontan umwerfen und wieder Paracetamol-Saft zuzsammenrühren und abfüllen, um angeblich ihren Gewinn zu maximieren.

Fazit: Ich vergleiche diese Maßnahme mit einer (im übrigen nicht-gesetzeskonformen) Mitpreisbremse in Berlin. Trotz Mitpreisbremse waren am nächsten Tag keine 500.000 neue Wohnungen da. Warum nur?
Ausblick: Drei Monate aussetzen der Festbeträge, komisch ein Monat später ist der Markt nicht voll mit den benötigten Arzneimitteln.

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kurzfristige Maßnahme

von Karl Friedrich Müller am 10.01.2023 um 12:04 Uhr

die nichts bringt. Nur deswegen haben die Kassen zugestimmt.
Es gibt nichts bis wenig und das ändert sich kurzfristig nicht. Vorgeschobener Aktionismus, die Enttäuschung wird um so größer sein.
Hoffentlich kostet das mal ein paar Hardlinern den Kopf. Also den Job. Wäre schön, wenn die dann auch mal vom Bürgergeld leben müssten. Zum Erden.

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