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Quartäre Ammoniumverbindungen in hessischen Böden
Desinfektionsmittel in der Umwelt könnten Antibiotika-Resistenzen fördern
Laut einer Mitteilung des hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie von Anfang Dezember 2022 sind nicht nur Arzneimittel (wie beispielsweise Antibiotika) in der Umwelt ein Problem, sondern auch Desinfektionsmittel. Gerade in Pandemiezeiten sind Desinfektionsmittel vermehrt zum Einsatz gekommen, was sich offenbar im (hessischen) Boden niederschlägt. Konkret geht es um quartäre Ammoniumverbindungen, die auch in Produkten aus der Apotheke enthalten sind – einige Beispiele dazu finden Sie hier.
Ein gemeinsames Forscherteam der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen und des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) hat in einer breit angelegten Studie das Vorkommen Quartärer Alkylammoniumverbindungen (kurz QAAV), in hessischen Böden untersucht. In 97 Prozent der 65 untersuchten Bodenproben konnten laut einer entsprechenden Pressemitteilung QAAV nachgewiesen werden. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob es sich um Acker-, Grünland-, Wald- oder Weinbaustandorte handelt. „Die Gehalte der Desinfektionsmittel überschritten teilweise Werte von 1 mg/kg – und liegen damit zwei bis drei Größenordnungen oberhalb von Gehalten, wie sie für Arzneimittel und Antibiotika in Böden nachgewiesen wurden“, heißt es.
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Für Apotheker:innen dürfte Benzalkoniumchlorid die bekannteste quartäre Ammoniumverbindung sein – wird es doch breit als Konservierungsmittel eingesetzt. In der Lauer-Taxe werden (Stand 1. Januar 2023) 1.468 Artikel gelistet, die Benzalkoniumchlorid enthalten. Darunter befinden sich auch Flächendesinfektionsmittel auf Basis von Benzalkoniumchlorid, aber auch beispielsweise Gurgellösungen, in denen Benzalkoniumchlorid als Wirkstoff fungiert und bekannte OTC-Präparate wie Dorithricin Halstabletten. Im Fertigarzneimitteltext zu Dorithricin Halstabletten heißt es zu den Eigenschaften: Benzalkoniumchlorid ist „ein Gemisch quartärer Ammoniumverbindungen mit hoher Oberflächenaktivität und breitem antimikrobiellem Spektrum, das sowohl grampositive als auch gramnegative Keime erfasst“.
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Eine weitere quartäre Amoniumverbindung ist zum Beispiel Cetylpyridiniumchlorid, die in Wäschedesinfektionsmitteln zum Einsatz kommt, aber auch in den Halsschmerztabletten „Anginetten“ und „Dolo-Dobendan“. Laut Fertigarzneimitteltext wirkt Cetylpyridiniumchlorid „bakterizid auf hauptsächlich grampositive Bakterien und besitzt nur geringe viruzide und fungizide Wirksamkeit“. Zudem enthält beispielsweise das „Tyrosur Care Expert Wundgel“ Cetylpyridiniumchlorid sowie das „Wick Sulagil Halsspray“ und einige bekannte Mundspüllösungen.
Cetyltrimethylammoniumbromid (Cetrimoniumbromid) ist zum Beispiel auch in Apothekenkosmetik enthalten. In Lemocin Lutschtabletten gegen Halsschmerzen soll es „gegen grampositive, in höherer Konzentration auch gegen gramnegative Mikroorganismen bakterizid“ wirken.
Solche quaternären Ammoniumverbindung sind also (auch in der Apotheke) gängig, und das ist laut Hessischem Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie ein Problem:
Problematisch an QAAV und ihrem Vorkommen in der Umwelt ist, dass sie Antibiotikaresistenzen verursachen können. Eine Verbreitung dieser Desinfektionsmittelgruppe in Böden ist deshalb kritisch zu sehen und könnte – wie der missbräuchliche Einsatz von Antibiotika – das Problem der Antibiotikaresistenzen zusätzlich verschärfen. Aktuelle Vorhersagen gehen davon aus, dass bereits im Jahr 2050 jährlich 10 Millionen Menschen weltweit durch antibiotikaresistente Keime sterben werden.“
Dabei soll die Forschung zur Verbreitung von QAAV noch ganz am Anfang stehen, denn die Stoffgruppe soll analytisch nur schwer zugänglich sein. In einer an der JLU betreuten Doktorarbeit sei jedoch gezeigt worden, „dass vor allem Böden, die regelmäßig durch Hochwasser der Flüsse Rhein und Main überschwemmt werden, stark mit QAAV kontaminiert sind“. Allerdings konnten QAAV auch in Waldböden nachgewiesen werden, „obwohl ein unmittelbarer Eintrag durch Überschwemmungen oder beispielsweise über Gülle-, Klärschlamm- oder Pestizidausbringung wie auf landwirtschaftlichen Flächen in Wäldern allgemein nicht gegeben ist“. Ob und in welcher Weise die teils sehr hohen QAAV-Gehalte in hessischen Böden zu Resistenzen in Mikroorganismen und Pathogenen beitragen, sei noch nicht bekannt, heißt es.
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Bereits im April 2021 hat der Berufsverband der Deutschen Chirurgie jedoch ebenfalls einen Artikel zur „Resistenzentwicklung von Bakterien gegen Desinfektionsmittel und Antiseptika“ veröffentlicht. Demnach hat die bakterielle Resistenz gegen quaternäre Ammoniumverbindungen durchaus „praktische Relevanz“: Zahlreiche Stämme gramnegativer Bakterien würden durch diese Desinfektionslösungen nicht mehr abgetötet, was beim Einsatz QAAV-basierter Desinfektionslösungen in Risikobereichen von Krankenhäusern zu berücksichtigen sei. Noch wichtiger scheint in diesem Zusammenhang aber, dass Veränderungen von Porinen oder Effluxpumpen zu Resistenzen gegen QAAV führen, die mit Kreuzresistenzen gegen Antibiotika assoziiert seien:
G. Fleming konnte 2010 zeigen, dass die durch veränderte qac A/B Gene mutierte Efflux-Pumpe, mit der Benzalkoniumchlorid aus den Zellen von Pseudomonas aeruginosa transportiert wird, auch das Antibiotikum Ciprofloxacin ‚entsorgt‘. Eine 12-fach verminderte Sensitivität auf Benzalkoniumchlorid korrelierte mit einer Resistenzerhöhung gegenüber Ciprofloxacin um den Faktor 256 (Microbiology, 2010; 156: 30). Analoges trifft auf die Resistenz gegen Colistin zu.“
Laut einer Mitteilung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit von 2012 können quartäre Ammoniumverbindungen auch im Pflanzenschutz und beispielsweise als Biozid in der Lebensmittelerzeugung zum Einsatz kommen. Ein Bericht von 2021 zeigt zudem, dass es dadurch zu problematischen Rückständen in Lebensmitteln wie Schlagsahne kommen kann.
Weitere Forschung in diesem Bereich erscheint also wichtig.
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