Expertenrunde zur Weltantibiotikawoche

Warum wir mit Antibiotika-Resistenzen leben, aber gegen sie kämpfen müssen

Stuttgart - 18.11.2022, 17:50 Uhr

Screenshot eines Videos von der Havard Medical School, das zeigt, wie schnell sich Antibiotika-Resistenzen neu bilden und ausbreiten können. (Screenshot: Harvard Medical School / DAZ)

Screenshot eines Videos von der Havard Medical School, das zeigt, wie schnell sich Antibiotika-Resistenzen neu bilden und ausbreiten können. (Screenshot: Harvard Medical School / DAZ)


Das Problem der Antibiotika-Resistenzen ist ähnlich komplex wie die Klimakrise. In einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag haben drei Experten anlässlich des heutigen europäischen Antibiotika-Tags einige Schichten des Problems durchleuchtet: Welche Resistenzen sind für Deutschland grundsätzlich relevant, welche auf klinischer Ebene und warum darf der globale Blick nie fehlen? Eines ist klar: Wo Antibiotika eingesetzt werden, entstehen Resistenzen.  

Am heutigen 18. November beginnt mit dem europäischen Antibiotika-Tag auch die Welt-Antibiotika-Woche. Das europäische Zentrum für Krankheitsprävention und Kontrolle (ECDC = European Centre for Disease Prevention and Control) hat dazu zahlreiche Publikationen veröffentlicht – etwa dazu, wie sich die Einnahme von Antibiotika entwickelt hat, wie viele Menschen an Antibiotika-Resistenzen jährlich schätzungsweise sterben, wie sich die Resistenzentwicklung in Europa darstellt und was all das für unsere Gesundheit bedeutet. 

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Apotheker:innen wissen mittlerweile, dass die Zahlen bedrohlich sind. Worauf aber wohl noch nicht jeder eine Antwort gefunden hat, ist, wie mit diesem Szenario umzugehen ist. Dr. Tim Eckmanns (Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin), Professor Mathias Pletz (Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena) und Professor Dirk Bumann (Leiter der Forschungsgruppe „Der Stoffwechsel von Krankheitserregern als Angriffspunkt“ am Biozentrum, Universität Basel, und stellvertretender Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Neue Ansätze zur Bekämpfung Antibiotika-resistenter Bakterien“ (NFS AntiResist), Schweiz) haben am vergangenen Donnerstag genau das in einem Pressegespräch aus Expertensicht erläutert.

Situation der Antibiotika-Resistenzen kann sich jederzeit sprunghaft ändern

Eckmanns und Pletz machten sowohl aus epidemiologischer als auch aus klinischer Sicht deutlich, dass die Resistenz-Situation in Deutschland zwar noch relativ gut sei und sich in einigen Bereichen sogar verbessert habe – allerdings seien die Entwicklungen weltweit, auf EU- und Länder-Ebene, aber auch regional auf Ebene der Kliniken sehr divers und komplex. Pletz gab zu bedenken, dass sich die Situation in jeder Region mit einem Ausbruch jederzeit sprunghaft ändern könne.

Eckmanns machte anhand der Daten des European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net) beispielhaft deutlich, wie sich die Situationen nach Region, Keim und Antibiotikum unterscheiden können. Er stellte dazu die Entwicklungen in Österreich (blau) und Deutschland (gelb) einander gegenüber – anhand der für Krankenhausinfektionen sechs relevantesten bakteriellen Erreger und deren „Marker-Resistenzen“.

Screenshot von Press-Briefing des SMC
Dr. Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut erklärt die Resistenzlage in Deutschland und Österreich. 
  • Für Klebsiella pneumoniae lässt sich im Schaubild zwar erkennen, dass die Resistenzen gegen Carbapeneme in beiden Ländern seit 2009 angestiegen sind. In Deutschland (gelb) liege die Resistenzrate aber sogar unter 1 Prozent, was sehr gut sei.
  • Bei Escherichia coli betrachtete Eckmanns die Resistenzlage gesammelt gegen drei Antibiotikaklassen: Cephalosporine der dritten Generation, Fluorchinolone und Aminoglykoside. Während hier (auch in einem niedrigen Prozentbereich) die Resistenzen bis ungefähr zum Jahr 2017 in Österreich (blau) und Deutschland (gelb) angestiegen sind, ist seitdem eine fallende Tendenz zu beobachten.
  • In einem höheren Bereich, um die 15 Prozent, liegen die Resistenzen von Pseudomonas aeruginosa gegen Carbapeneme. Dort erkennt Eckmanns einen diskreten Anstieg, den er jedoch als nicht besorgniserregend betrachtet.
  • Am Beispiel von Acinetobacter spp. (eine ganze Gruppe von Bakterien) wird schließlich deutlich, dass die Entwicklungen in zwei benachbarten Ländern nicht zwangsläufig parallel verlaufen müssen. So zeichnet sich in Österreich gegenüber der Entwicklung in Deutschland deutlich ein Anstieg in der kombinierten Resistenzrate gegen Fluorchinolone, Aminoglykoside und Carbapeneme auf 10 Prozent ab.
  • Als in der Öffentlichkeit vermutlich bekanntestes Beispiel präsentierte Eckmanns schließlich den multresistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Anhand der Methicillin-Resistenz ergebe sich ein schönes Bild, nämlich dass in beiden Ländern eine Reduktion der Resistenzrate zu beobachten ist. Von fast 20 Prozent habe man eine Resistenzrate von deutlich unter 10 Prozent erreicht.
  • Doch so ermutigend diese Entwicklung bei MRSA ist, zeichnet sich für Deutschland bezüglich Enterococcus faecium eine stark steigende Resistenzrate ab, die nicht nur von Österreich abweiche, sondern auch über dem EU-Durchschnitt liege. Im Bereich von 20 bis 25 Prozent liegt die Resistenzrate gegen Vancomycin. (Diesem Problem widmete sich bereits die DAZ 3/2020.)

Resistente Enterokokken bereiten Probleme

Wenn Vancomycin versagt

Dann warf Eckmanns allerdings einen Blick auf Europa aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation – das heißt, zu der Betrachtung zählt beispielsweise auch Russland. Dabei wurde deutlich, dass Resistenzen von Klebsiella pneumoniae gegen Carbapeneme, die in Deutschland nur eine geringe Rolle spielen, über die Nachbarländer hinweg betrachtet durchaus ein Problem sind. Beispielsweise in Griechenland ist eine Resistenzrate über 50 Prozent zu verzeichnen, aber auch in Italien sind es schon mehr als 25 Prozent.

Wo Antibiotika-Resistenzen das größte Leid verursachen

Global zeige sich letztlich, dass Todesfälle aufgrund von Antibiotika-Resistenzen vor allem in Gebieten der Subsahara zu verzeichnen seien. Wie bei der Klimakrise hätten also auch bei der Resistenzentwicklung die Länder die größte Last zu tragen, die am wenigsten als Verursacher dazu beigetragen hätten. Denn dort würden bislang noch die wenigsten Antibiotika eingesetzt. 

Die Todesfall-Zahlen hätten auch die Forscher:innen überrascht. Sie seien aber wohl darauf zurückzuführen, dass die Resistenz-Situation in Afrika noch gar nicht so katastrophal sei, die Krankheitslast jedoch sehr hoch. Es gebe keine guten regional adaptierten Leitlinien und die Antibiotika würden ohne Diagnostik nur empirisch mit einem breiten Wirkspektrum eingesetzt, ergänzte Pletz. Der globale Blick sei also absolut notwendig, wenn man über Antibiotika-Resistenz spreche.

Warum vor allem Darmbakterien im Krankenhaus Probleme machen

Pletz bestätigte schließlich auf Klinikebene die Schilderungen von Eckmanns. MRSA sei schon lange Zeit bekannt und heute klinisch kein großes Problem mehr. Das sei neben neuen und weiterhin wirksamen alten Antibiotika vor allem einer verbesserten Hygiene zu verdanken. Weil MRSA auf der Haut getragen wird, könne man die Patient:innen mit antiseptischen Waschungen sanieren. 

Genau an dieser Stelle liege jedoch das Problem bei den gramnegativen Bakterien, die derzeit Resistenzprobleme bereiten. Diese sitzen laut Pletz nämlich nicht auf der Haut, sondern im Darm. Und diesen könne man nicht sanieren. Zudem seien bei den gramnegativen Keimen anders als bei MRSA zahlreiche Resistenzmechanismen zu umgehen. Selbst wenn also neue Antibiotika entwickelt werden, funktionieren sie immer nur gegen einen Teil dieser Problemkeime.

Warum Enterococcus faecium ausgerechnet in Deutschland ein Problem ist, wisse man nicht genau. Aus klinischer Sicht sei er für Patient:innen ohne Immunschwäche jedoch wenig relevant, auch weil er keine Lungenentzündungen auslöse, sondern Blutstrominfektionen. Diese sind zwar gefährlich, aber vergleichsweise selten.

Krankenhäuser führen „Rückzugsgefecht“ gegen gramnegative Darmkeime

ESBL steht für Extended-Spektrum β-Laktamase, eine Antibiotika-Resistenz-Eigenschaft gram-negativer Infektionserreger. Wie Pletz erläuterte, führe man in der Krankenhaushygiene gegen solche Resistenzen immer ein „Rückzugsgefecht“: Patient:innen, die Träger von ESBL-Keimen sind, seien vor knapp zehn Jahren im Krankenhaus noch isoliert worden. Doch man wisse, dass solche Keime auch außerhalb des Krankenhauses auftreten, sodass man solche Patient:innen heute gar nicht mehr isoliere, weil man nicht jeden zehnten Patienten isolieren könne. 

Beispielsweise bei Rucksackreisenden habe man zeigen können, dass diese allein durch Nahrungsaufnahme neue Resistenzen mit nach Deutschland bringen können. Und auch am Beispiel des Ukrainekriegs zeige sich die globale Herausforderung: Ukrainische Kriegsverletzte seien eine echte therapeutische Herausforderung, bei deren Behandlung Pletz dankbar für die neuen Substanzen ist. Damit die neuen Antibiotika aber zielgerichtet eingesetzt werden, brauche es den Facharzt für Infektiologie

Es braucht finanzielle Sicherheit für die Industrie

Bumann machte schließlich deutlich, dass es bei der Entwicklung solcher neuen Substanzen noch viel zu tun gebe. In der finanzstarken Pharmaindustrie investiere kaum noch jemand in die Entwicklung solcher Antibiotika. Denn wie auch Pletz zu bedenken gab: Die Industrie investiert an dieser Stelle in etwas, das so gut wie nicht eingesetzt werden soll, eben weil es sich um Reserve-Antibiotika handelt. Wie solche Neuentwicklungen für die Industrie dennoch finanziell lohnend werden können, daran werde gerade gearbeitet. 

Bumann erläuterte neben der finanziellen Situation, dass es zwar extrem viele Forschungsansätze gebe, die großen Erfolge bislang aber ausgeblieben sind. Es sei seit 60 Jahren nicht gelungen, eine neue Antibiotikaklasse zu finden.

PhagoFlow und Phage4Cure gegen Antibiotikaresistenzen

Phagen-Therapie in Deutschland – zwei Projekte behandeln erstmals Patienten

Auch neue Ansätze wie beispielsweise die Phagen-Therapie würden in Deutschland intensiv erforscht, allerdings fehlten bislang Nachweise für die klinische Wirksamkeit. Zudem seien Phagen immer nur bei einem kleinen Teil von Patient:innen wirksam. In der Forschung gibt es also noch viel zu tun. Doch kann man das Übel überhaupt an der Wurzel packen?

Wo kommen die Antibiotika-Resistenzen her?

Wie Eckmanns erläuterte, würden zwar 85 Prozent der Antibiotika im ambulanten Bereich angewendet. Auf den Intensivstationen bestehe aber der größte Selektionsdruck. Auf die Frage, inwiefern der Antibiotika-Einsatz bei Tieren eine Rolle spiele, meinte er: „Wo Antibiotika eingesetzt werden, entstehen immer Resistenzen.“ Der Tierbereich spiele also eine Rolle, aber eine begrenzte. Und es gibt eine Erfolgsmeldung: Wie die europäische Arzneimittelbehörde EMA mitteilt, hat sich der Verkauf von Antibiotika für Tiere zwischen 2011 und 2021 EU-weit fast halbiert. Damit sei ein historischer Tiefstwert erreicht. 

Pletz ergänzte jedoch, dass gerade Fluorchinolone in der Tierzucht (zur Metaphylaxe) nichts zu suchen hätten. Diese erzeugten Resistenzen, die in der Umwelt lange stabil blieben.

Abschließend brachte Eckmanns all die vorhergehenden Schilderungen auf den Punkt: „Das Thema Antibiotika-Resistenzen werden wir nicht los.“ Die Situation sei nicht mit einer Pandemie zu vergleichen, die irgendwann vorbei sei. Deshalb brauche es eine dauerhafte Anstrengung auf allen (Fach-)Ebenen, um dagegen anzukämpfen – sowie Unterstützung für den globalen Süden. Denn Resistenzen können plötzlich auftreten und sich sehr schnell ausbreiten. Wem sich das aus den vorausgegangenen Schilderungen noch nicht ganz erschließt, dem ist ein YouTube-Video von der „Harvard Medical School“ ans Herz zu legen. Dieses empfiehlt Pletz, um sich zu verdeutlichen, wie sprunghaft sich die Resistenzlage in einer Region ändern kann. Das Video finden Sie hier. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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