EU-Tierarzneimittelrecht

Kontroverse um Antibiotika für Tiere

Süsel - 04.08.2021, 13:45 Uhr

Das Thema hatte bereits im Jahr 2016 den Deutschen Apothekertag beschäftigt. Die Delegierten hatten sich für einen Antrag der Apothekerkammer Bremen ausgesprochen, den Antibiotikaeinsatz bei Tieren weiter deutlich zu reduzieren. (Foto: Budimir Jevtic / AdobeStock)

Das Thema hatte bereits im Jahr 2016 den Deutschen Apothekertag beschäftigt. Die Delegierten hatten sich für einen Antrag der Apothekerkammer Bremen ausgesprochen, den Antibiotikaeinsatz bei Tieren weiter deutlich zu reduzieren. (Foto: Budimir Jevtic / AdobeStock)


Welche Antibiotika sollen künftig noch bei Tieren eingesetzt werden dürfen? Zu dieser Frage hatten Fachgesellschaften jahrelang einen Kompromiss zwischen Resistenzbekämpfung und Tierwohl erarbeitet, aber die Mitglieder des zuständigen EU-Ausschusses votierten unerwartet für noch stärkere Einschränkungen. Die Entscheidung liegt allerdings beim Plenum des EU-Parlaments. Möglicherweise müssen die Verhandlungen wieder von vorn beginnen.

Um die Entwicklung von Resistenzen gegen Antibiotika in der Humanmedizin zu reduzieren, soll der Einsatz von Antibiotika bei Tieren vermindert werden – in der Menge und in der Auswahl. Durch die Verordnung (EU) 2019/6 soll diese Entwicklung intensiviert werden. Die Verordnung, die am 28. Januar 2022 EU-weit in Kraft tritt, ist die Grundlage des künftigen europäischen Tierarzneimittelrechts. Sie ist auch der Grund, weshalb in Deutschland ein neues Tierarzneimittelgesetz verabschiedet wurde.

Die EU-Verordnung enthält neue Vorschriften zur Einschränkung des Antibiotikagebrauchs und zur Datenerhebung. Artikel 37 Absatz 4 der Verordnung sieht vor, „Kriterien für die Festlegung antimikrobieller Wirkstoffe, die der Humanmedizin vorbehalten sind“ zu erarbeiten. Dazu ist ein delegierter Rechtsakt der EU erforderlich, der rechtzeitig zum Inkrafttreten der Verordnung erlassen werden soll.

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Dazu hatte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) in Abstimmung mit der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem jahrelangen Prozess einen Vorschlag erarbeitet. Bei der Abstimmung im EU-Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) am 13. Juli votierten die Ausschussmitglieder jedoch mit 38 gegen 18 Stimmen bei 22 Enthaltungen für eine Resolution, die einige Abgeordnete des EU-Parlaments eingebracht hatten, und damit gegen den Vorschlag für den delegierten Rechtsakt.

Viele Fragen zu Behandlungsmöglichkeiten

Demnach sollen alle von der WHO als „highly critical“ eingestuften Antibiotika nur noch in der Humanmedizin eingesetzt werden dürfen und auch für weitere Antibiotika setzt die Resolution extrem hohe Hürden. In der Zeitschrift „VetImpulse“ vom 1. August folgerte Redakteurin Dagmar Steele, dies könnte „ein totales Verbot für Polymyxin, Makrolide, Fluorchinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation in der Tiermedizin bedeuten, im schlimmsten Fall kämen Aminoglykoside, Aminopenicilline und Penicilline mit Beta-Lactamase-Inhibitoren hinzu“.

Schon am 9. Juli, als sich die Entwicklung im ENVI abzeichnete, hatte der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) gewarnt, die noch strengeren Kriterien würden zu einem weitreichenden Verbot des Antibiotikaeinsatzes bei Tieren führen. Bpt-Präsident Siegfried Moder erklärte dazu: „Die Abgeordneten verkennen dabei, dass Antibiotikaklassen, die auf die Reserveliste gesetzt werden, nicht nur für lebensmittelerzeugende Tiere verboten werden, sondern für alle Tierarten, also auch für Hunde, Katzen, kleine Heimtiere, Exoten, Pferde und Zootiere, und keine Ausnahmen zulässig sind.“

Viele Haustier-Krankheiten kaum noch behandelbar

Die Zahl der für Tiere verfügbaren Antibiotikaklassen sei ohnehin beschränkt. Zusätzliche Einschränkungen würden zu einem erheblichen Therapienotstand führen und damit schwerwiegende Auswirkungen auf die Tiergesundheit und potenziell auch auf die öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit haben, fürchtet Moder. Es wäre nahezu unmöglich, Erkrankungen durch multiresistente Bakterien zu behandeln, die jedoch ein besonderes Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellten. Nach Einschätzung von Moder wären bei Haustieren häufige und lebensbedrohliche Erkrankungen wie beispielsweise Lungenentzündung, Pyometra, Peritonitis und Hautinfektionen nicht mehr behandelbar.

Moder befürchtet zudem, dass die Beschränkung auf wenige Antibiotikaklassen den Selektionsdruck weiter erhöht und Resistenzen fördert. Außerdem betont der bpt, „der Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen“ sei „eine Gemeinschaftsaufgabe der Human- und Tiermedizin, die nicht nur zulasten der Tiere gehen kann“. Dazu verweist der bpt auf den One-Health-Ansatz. Damit wird der wechselseitige Zusammenhang der Gesundheit von Menschen und Tieren bezeichnet. Ein zentraler Gedanke dabei ist, dass gesunde Tiere auch zur Gesundheit von Menschen beitragen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin

von Thomas Peters am 05.08.2021 um 9:45 Uhr

Ich vermisse im Artikel 2 Hinweise: 1) Fluorchinolone sind die einzige zur Verfügung stehende Antibiotikaklasse, mit denen man Kaninchen, Meerschweinchen, Exoten und sehr viele Zootiere überhaupt (!) bei bakteriellen Infektionen behandeln kann. Alle anderen Antibiotika bringen diese Tierarten wegen deren spezieller Verdauungsphysiologie schlicht um! Die Tiermedizin braucht sie deshalb für die Behandlung zumindestens der so genannten "minor species".
2) Der Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin ist seit 2011 um über 60% gesunken! Gibt es vergleichbare Erfolge in der Humanmedizin? Und: Der Anteil der Fuorchinolone am Gesamtverbrauch beträgt 2%, mehr nicht! Das ist dort also tatsächlich eine "Reserve"!

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