Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 2): Die Industrie

„Inflationsausgleich bei Festbeträgen einpreisen“

Hamburg - 14.12.2022, 07:00 Uhr

Für Phillip Zöller, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Infectopharm, ist das deutsche Arzneimittelpreissystem Schuld an der derzeitigen Misere bei den Kinderarzneimitteln. (Foto: Infectopharm)

Für Phillip Zöller, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Infectopharm, ist das deutsche Arzneimittelpreissystem Schuld an der derzeitigen Misere bei den Kinderarzneimitteln. (Foto: Infectopharm)


Engpässe bei Kinderarzneimitteln sind aktuell in den Apotheken das Thema. Nach Fiebersäften werden nun auch Antibiotika knapp. Das frustet nicht nur das Apothekenpersonal, sondern auch die Industrie. Was sind die Ursachen der Misere und wie könnte man sie lösen? 

Das auf Kinderarzneimittel spezialisierte Pharmaunternehmen Infectopharm hat vor kurzem in einem offenen Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärt, es sehe sich gezwungen, die Preise über den Festpreis hinaus zu erhöhen, um weiterhin den Markt für Kinder-Antibiotikasäften bedienen zu können, ohne unwirtschaftlich zu werden. Seit Dezember fallen für alle seine Antibiotikasäfte Mehrkosten an. Zudem hatte die Firma vor „erheblichen Versorgungsengpässen bei Penicillin und Amoxicillin-Säften“, in diesem Winter gewarnt. 

Phillip Zöller ist Vorsitzender der Geschäftsführung bei Infectopharm. Die Anhebung der Preise sei eine schwierige Entscheidung gewesen, sagt er: „Wir haben es uns nicht leicht gemacht.“ Letztendlich habe das Unternehmen aber nur zwei Möglichkeiten gesehen: Entweder aus dem Vertrieb auszusteigen, der immer unwirtschaftlicher werde, oder eben mit einer Preiserhöhung zu reagieren.

In der Vergangenheit habe Infectopharm die Lieferengpässe anderer Hersteller schon mehrfach auffangen können, so der Geschäftsführer. Nun ist das Unternehmen aber auch selbst von Lieferschwierigkeiten betroffen.

Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 1): Der Apotheker

Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 1): Der Apotheker

„Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Pharmazeuten sein dürfen”

„Normalerweise versuchen wir, wo es möglich ist, einen Jahresvorrat an wichtigen Medikamenten vorrätig zu haben“, sagt Zöller. „Wenn aber andere Hersteller plötzlich nicht mehr liefern können, ist die Bevorratung ganz schnell aufgebraucht. Wir haben momentan massive Probleme bei Kinder-Antibiotika, Penicillin- und Amoxicillinsäfte sind nur sehr sporadisch verfügbar.“ An das BfArM hat Infectopharm derzeit (Stand 13.12.) Lieferschwierigkeiten für voraussichtlich mehrere Wochen bei Infectobicillin Saft 750, Infectocillin 400 Saft und Infectomox 750 Saft gemeldet. Als Ursache werden „Erhöhte Absätze durch Ausfall der Mitbewerber“ angegeben.

„Das deutsche Preissystem ist für den Mangel verantwortlich“

Gründe für die Lieferengpässe bei Arzneimitteln und Kinder-Antibiotika im Besonderen gebe es mehrere, sagt Zöller. Es liege jedenfalls nicht daran, dass diese in Billiglohnländern hergestellt würden: „Betalaktam-Antibiotika werden überwiegend in Österreich hergestellt“, sagt Zöller. „Wir produzieren alle unsere Antibiotikasäfte in Europa“.

Aber auch als Spätfolge der Wirtschaftseinbrüche durch Corona-Lockdowns und Beschränkungen seien Rohstoffe immer wieder knapp. Auch bei den Hilfsstoffen gebe es ein riesiges Problem. „Die chemische Industrie hat ihre Produktion um 18 Prozent zurückgefahren und Personal abgebaut. All das hat natürlich Auswirkungen“, sagt Zöller. 

Gleichzeitig sei die Nachfrage wegen der großen Krankheitswellen bei Kindern gestiegen. Zu einem erheblichen Teil macht er aber das deutsche Preissystem bei Arzneimitteln für den Mangel verantwortlich, daher auch der Brief an Lauterbach. So gebe es für fast alle Kinder-Antibiotika Festpreise: „Während die Festbeträge seit vielen Jahren sinken, steigen aber bei der Produktion seit vielen Jahren die Kosten.“

 „Hersteller haben keinen Anreiz, nach Deutschland zu liefern“

Den Herstellern fehle der Anreiz, Deutschland mit größeren Mengen Kinder-Antibiotika zu beliefern, glaubt Zöller: „Wir sind bei diesen Präparaten der einzige deutsche Hersteller auf dem Markt. Die anderen sind multinationale Konzerne. Da der Bedarf weltweit gestiegen ist, gehe ich davon aus, dass solche Konzerne die Produkte momentan lieber dort verkaufen, wo sie mehr Geld verdienen können.“ Das sei auch deshalb problematisch, weil die Marktanteile sehr ungleich verteilt sind. Über Rabattverträge hätten sich die internationalen Konzerne den Hauptanteil des deutschen Marktes gesichert. Während Infectopharm gar nicht an den Ausschreibungen teilnehme, weil es zu klein dafür sei. Lieferschwierigkeiten schon einzelner Hersteller könnten bei so einer Marktkonzentration schnell gravierende Auswirkungen haben, selbst wenn es mehrere gibt.

Risiko Preiserhöhung

Die Preiserhöhung um drei Euro bei den Kinder-Antibiotikasäften erscheine zunächst als enormer Sprung, gibt Zöller zu. Beim Endpreis einiger Produkte bedeute das aber nur eine Preissteigerung von etwas mehr als 10 Prozent. Bei keinem Produkt werden Mehrkosten von mehr als vier Euro fällig.

Zudem gehe Infectopharm mit der Preisanhebung über den Festpreis auch ein gewisses Risiko ein, das bei den angepeilten Margen berücksichtigt werden müsse. Sobald die Konkurrenz wieder größere Mengen liefern kann, würde Infectopharm auf seinen nun teureren Produkten sitzen bleiben. „Dann verkaufen wir keine Packung mehr“, sagt Zöller. Infectopharm wäre dann gezwungen, die Preise entweder wieder zu senken, befürchtet aber, in diesem Fall Verluste zu machen, oder die Präparate spätestens dann vom Markt nehmen zu müssen.

Infectopharm habe in den 1990er Jahren mit Antibiotika-Säften viel Geld verdient, sagt Zöller. Das habe sich aber schon lange geändert: „Auch wenn wir immer noch ein hochprofitables Unternehmen sind, für unseren Gewinn spielen sie praktisch keine Rolle mehr. Aber es ist uns ein Anliegen, diese wichtigen Medikamente auf dem Markt zu halten. Mit der Preissteigerung verschaffe sich Infectopharm Luft, nicht nur langfristig den Markt mit den gleichen Mengen wie bisher zu bedienen, sondern vielleicht auch die Produktion etwas hochzufahren. „Und letztendlich werden viele Eltern lieber eine Zuzahlung leisten, als eine Apotheke nach der anderen abzufahren, um ein Arzneimittel zu bekommen, wie es im Moment der Fall ist“, sagt Zöller.

Ideen für fairere Festbeträge

Aus seiner Sicht ist der Markt für niedrigpreisige Arzneimittel überreguliert: „Ich verstehe es einfach nicht, warum bei so etwas wichtigem wie Betalaktam-Antibiotika im System gespart wird, während für manche Orphan drugs riesige Summen gezahlt werden.”

Zöller hätte einige Ideen dafür, wie man den Festbetrag fairer gestalten könnte, ohne diesen ganz abzuschaffen. So fehlten momentan Möglichkeiten, dass sich dieser bei steigenden Produktionskosten auch nach oben entwickeln kann.

Zöller schlägt daher vor, den Inflationsausgleich auch bei solchen Arzneimitteln einzupreisen, für die ein Festbetrag gilt. Und nicht noch zusätzliche Anreize zu setzen, wenn Hersteller deutlich unter dem Festpreis bleiben wie zum Beispiel durch das Erlassen der Rezeptgebühr.


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

„Hohe Nachfrage trifft auf ein begrenztes Angebot“

Antibiotikasäfte: Kurzfristig wohl keine Besserung in Sicht

Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 1): Der Apotheker

„Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Pharmazeuten sein dürfen”

Was hilft gegen Lieferengpässe aus Sicht der Arzneimittelhersteller?

Ursachen und Auswege

Hersteller machen wenig Hoffnung, dass sich die Lage bald bessert

Antibiotikasäfte fehlen nach wie vor

Aktuelles Beispiel aus der Praxis

Wie Lieferengpässe Patienten gefährden

Was Einkaufsgemeinschaften, BfArM und die EMA sagen

Wie schlimm ist der Antibiotika-Engpass wirklich?

Hessens Apotheker-Verband schreibt an Lauterbach / BfArM gibt Entwarnung bei Kinder-Antibiotika

Lieferengpässe: HAV schlägt Alarm

2 Kommentare

im vorigen Jahrtausend

von Thomas B am 14.12.2022 um 15:32 Uhr

Leider leben unsere Kassenoberen und die ihnen hörigen Stellen wie GBA, BMG usw. noch im letzten Jahrtausend. Festbeträge, Margen der Lieferkette usw. gelten bei ihnen als üppig bzw. entbehrlich. Sie müssen dem allgemeinen Lebenshaltungsindex nicht angepasst werden, weil sonst die Überschüsse und Boni sinken oder der Wähler hellhörig werden könnte. Viel geschickter ist es da, auf den offensichtlichen Mangel mit der Peitsche draufzugehen und der großkapitalistischen Pharmaindustrie oder den geldgeilen Apotheken den vermuteten 3. Porsche zu verhindern.
Leider wird das nur sehr begrenzt funktionieren, Eltern nach Austria zu lotsen und dort ihren Nurofensaft selbst zu kaufen und so der prämienfreien Familienversicherung für Kids die Antibiotikasäfte UND die Fiebersäfte einzusparen.
Die großspurige Ankündigung der kranken Kassen, die Mehrkosten bei Paracetamolsäften ausnahmsweise zu übernehmen, sollte keiner zum Festbetrag lieferbar sein, ist zynisch und menschenverachtend. Selbst das so geduldige Papier hat Stand heute keinen einzigen Paracetamolsaft zum Festbetrag geführt! Warum haut auf diesen Fehler keiner drauf?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

shareholder value

von Holger am 14.12.2022 um 10:58 Uhr

Mit der Pharmaindustrie würde ich solche Gespräche erst anfangen, wenn die Umsatzrendite nachweislich(!) unter 5% gerutscht ist! Leider ist das Kapital aber bekanntlich ein scheues Reh und flieht bei Bedrohung schnell ins Ausland. Deswegen kann es hier nur eine internationale Lösung geben.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.