Deutlich erhöhte Nachfrage

Wie Apotheken mit dem Ibuprofen- und Paracetamol-Engpass umgehen sollen

Stuttgart - 12.12.2022, 13:45 Uhr

Ab neun Jahren sollte Ibuprofen- oder Paracetamol-Saft ausschließlich auf Rezept abgegeben werden. Teilbare Ibuprofen-Tabletten können Kinder ab sechs Jahren einnehmen. (b/Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock)

Ab neun Jahren sollte Ibuprofen- oder Paracetamol-Saft ausschließlich auf Rezept abgegeben werden. Teilbare Ibuprofen-Tabletten können Kinder ab sechs Jahren einnehmen. (b/Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock)


Die aktuellen Arzneimittellieferengpässe sind zahlreich, besonders präsent im Apothekenalltag ist aber der Mangel an Fiebersäften für Kinder mit Ibuprofen oder Paracetamol. Das neueste Ergebnisprotokoll des BfArM-Beirats zu Lieferengpässen bestätigt nun, dass eine kontinuierliche und bedarfsgerechte Versorgung derzeit nicht möglich ist. Apotheken sollen deshalb maximal nur noch einen Wochenbedarf an Ibuprofen und Paracetamol an Lager legen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass auch Kinder (ab vier Jahren) schon geteilte Tabletten schlucken können.

Am 30. November 2022 hat der Beirat zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einer Sondersitzung getagt. Das Ergebnisprotokoll wurde vergangenen Freitag veröffentlicht. Im Zentrum stehen darin die Engpässe bei folinsäurehaltigen Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung – und vor allem die Engpässe bei Arzneimitteln zur Fiebersenkung bei Kindern mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen. Denn trotz der Implementierung von Maßnahmen und der Erhöhung von Produktionsmengen komme es nicht zu einer kontinuierlichen bedarfsgerechten Verfügbarkeit der Arzneimittel.

Durchschnittlicher Monatsbedarf an Ibuprofen und Paracetamol auf dem Markt vorhanden

Anhand von Marktdaten wurde den Mitgliedern des Beirats verdeutlicht, dass der Engpass nicht aus einem Mangel an Ibuprofen- und Paracetamol-Präparaten entstanden ist – sondern aufgrund der aktuell erhöhten Nachfrage. Die Daten sollen darauf schließen lassen, „dass dem Markt rechnerisch für alle Produkte etwa ein durchschnittlicher Monatsbedarf zur Verfügung steht“. Die in den letzten Monaten in den Markt abgegebenen Produktionsmengen sollen sogar die Mengen von 2019 (vor der Pandemie) deutlich übersteigen. Doch aufgrund der steigenden Erkrankungszahlen könne die bestehende Nachfrage nicht flächendeckend durch die verfügbaren Bestände gedeckt werden kann. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verteilproblematik die mindestens regionale Unterversorgung verstärkt“, heißt es außerdem. 

Als Maßnahme zur Abmilderung der Lieferengpässe bei pädiatrischen Darreichungsformen sei schließlich die Anordnung einer Kontingentierung vorgeschlagen worden. Aufgrund des OTC-Status der Präparate soll sich die Einhaltung einer Kontingentierung jedoch nur schwer überprüfen lassen, zudem spreche der zwischen verschiedenen Apotheken stark variierende Bedarf gegen eine Kontingentierung. Von der Anordnung der Kontingentierung wurde deshalb abgesehen, allerdings wurden folgende Empfehlungen festgehalten:

Apotheken und Großhandel sollen maximal Wochenbedarf an Lager nehmen

Eine Bevorratung, die über das Maß eines wöchentlichen Bedarfs hinausgeht, soll sowohl in öffentlichen Apotheken als auch in vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen unterbleiben. Eine Bevorratung im üblichen Umfang sei mit den aktuellen Beständen nicht realisierbar und führe zu einer Unterversorgung an anderer Stelle.

Paracetamol-Tabletten für Kinder ab vier Jahren

Wie bereits die Arzneimittelbehörden in Frankreich und Großbritannien bezüglich des Amoxicilin-Engpasses erklärt haben, können auch bei Kindern häufig feste orale Darreichungsformen zum Einsatz kommen. Der BfArM-Beirat empfiehlt nun für Paracetamol und Ibuprofen „unter Berücksichtigung des Alters der Patientin oder des Patienten“ die Abgabe einer festen oralen Darreichungsform zu prüfen. Bei teilbaren Tabletten würde in den Fachinformationen die Einnahme 

  • für Kinder ab vier Jahren (Paracetamol) bzw.
  • ab sechs Jahren (Ibuprofen) angeführt.

Außerdem wird betont, dass ab neun Jahren Ibuprofen- und Paracetamol-Säfte nur noch auf Rezept abgegeben werden sollen:


Die Darreichungsform Saft sollte an Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren ausschließlich auf Rezept abgegeben werden, wenn die Einnahme fester Darreichungsformen nicht möglich ist.

Ergebnisprotokoll der Sondersitzung am 30. November 2022 des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind


Zusätzlich verweist der Beirat erneut auf die Empfehlungen vom 2. August 2022, „nach denen in Abstimmung mit dem GKV Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) die Rezeptur bzw. Defekturherstellung der in Rede stehenden Produkte befürwortet wird“.

Verschärfung der Engpässe bei Cotrimoxazol und Kontingentierung von folinsäurehaltigen Arzneimitteln

Auch Antibiotika-Präparate mit der Wirkstoffkombination Sulfamethoxazol und Trimethoprim werden immer knapper. Bereits im Oktober ebnete das BfArM deshalb den Weg für den Einzelimport entsprechender Präparate. Jetzt heißt es: „Eine Verschärfung der Engpässe bei sulfamethoxazol/trimethoprimhaltigen Arzneimitteln in der Darreichungsform Tabletten wird beobachtet.“ Das BfArM werde eine aktuelle Sachverhaltsermittlung durchführen und den Beirat darüber informieren, heißt es im Ergebnisprotokoll. Es könnten also bald weitere Empfehlungen zur „Minderung der Lieferengpasssituation“ folgen. 

Es ist nicht das erste Mal, dass Cotrimoxazol in Deutschland knapp wird. Im März 2020 veröffentlichte deshalb die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) Empfehlungen zur Prophylaxe und Therapie von Infektionen in der Hämatologie und Onkologie, die online weiterhin eingesehen werden können.

Um gegen den Engpass bei folinsäurehaltigen Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung vorzugehen, wurde vom Beirat jetzt – anders als bei den Fiebersäften für Kinder – eine Kontingentierung beschlossen. „Diese soll eine Einschränkung des Distributionsweges auf Direktbelieferungen sowie eine Einschränkung der Belieferung auf den Bedarf einer Woche beinhalten.“ In Klinikapotheken verfügbare Warenmengen sollen aber uneingeschränkt zur Anwendung kommen können. 

Die ambulante Versorgung ist offenbar von dem Engpass stärker betroffen als die stationäre Versorgung. Das soll an der Möglichkeit der Bevorratung gemäß § 73 Abs. 3 AMG liegen, die, anders als im stationären Bereich, im ambulanten nicht vergleichbar erfolgen kann. Kliniken wird der Bezug von 10er-Gebinden empfohlen, um mehr 1er-Gebinde für die ambulante Versorgung verfügbar zu machen. Eine Befristung ist bis Ende Februar 2023 vorgesehen.


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

BfArM / Fiebersäfte

von Gregor Nelles am 16.12.2022 um 19:58 Uhr

Ich hätte nie gedacht, dass das BfArM so oberflächlich und unrealistisch die Lage in den Apotheken beurteilt. Es hätte ja genügt, einmal 20 Apotheken anzurufen und nachzufragen, welcher Fiebersaft vorrätig ist und mit welchem Bestand. Stattdessen verlässt man sich auf Aussagen der Industrie, die die Situation schönreden wollen. Herr Doktor Feske hat mit vollem Recht die Situation in den Apotheken dargestellt und es ist ehrenwert, dass er die Säfte hergestellt hat, um die notwendigste Versorgung sicherzustellen. Es ist sehr schade, dass das BfArM nicht aus unabhängigen Wissenschaftlern ersetzt wird, sondern aus Parteigängern der jeweiligen Regierenden Partei. Vielleicht wird ja eines der Kinder an Weihnachten mal krank, und einer der verantwortlichen Politikern muss dann für sein Kind einen Fiebersaft in einer Notdienst Apotheke einkaufen. Dann möchte ich gerne sehen, ob er dieses Problem wirklich noch so herunter spielt und von einer Verteilungsproblematik sprechen kann. Mit freundlichen Grüßen Gregor Nelles

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Kapitulation von Politik und BfArM vor der Lage?

von Dr. Christian Fehske am 13.12.2022 um 9:02 Uhr

Nachdem auf die Probleme des Fiebersaft-Engpasses wochenlang von ApothekerInnen hingewiesen wurde, kreißt das BfArM nun also - und gebirt satt einer Lösung... eine Analyse? "Wir haben noch mal nachgerechnet, und es müsste eigentlich genug da sein?" - Ernsthaft? Ob man das wohl übersetzen darf in: "Stellt Euch nicht so an, irgendwo gibt es mystische Apothekenkeller voller Fiebersaft, die jammernden Eltern müssen ihre fiebernden Kinder nur geduldig von Apotheke zu Apotheke tragen durch die Kälte, um sie zu finden". Liebes BfArM - Eure Analyse von schlechtem Wetter würde wahrscheinlich auch lauten: "Wir haben noch mal nachgerechnet - die Sonne strahlt weiterhin genug Licht und Wärme aus, da sind eben nur diese... Wolken - aber wenn die nur aufreißen oder sich verteilen würden, wäre alles OK." - Nichts ist OK, erst recht nicht, wenn die oberste Arzneimittelbehörde lieber die Realität verweigert statt sich um eine Lösung des Problems zu kümmern. Zu uns kommen verzweifelte Eltern aus einem Umkreis von 20 km, die z. T. bis zu einem Duzend Apotheken abgeklappert haben, weil wir Fiebersäfte an der Grenze der Belastbarkeit selbst herstellen, weil es sie von der Industrie in ausreichenden Mengen einfach nicht gibt! Wochenbedarf?? Seit Monaten hatten wir kaum je einen Tagesbedarf an Industriesäften gehabt - sondern inzwischen über 1000 (!) Flaschen Ibuprofensaft, dazu Paracetamolsaft und Zäpfchen von beiden Wirkstoffen hergestellt. Alles Dinge, die aus Sicht des BfArM gar nicht gebraucht werden dürften, weil es ja genug von allem gibt?? Und zwar als Rezepturen, die sich wohlhabende Eltern kaufen, während weniger wohlhabende weiter verzweifelt durch die Kälte laufen, weil Rezepturen auf GKV-Rezept vielleicht "befürwortet" werden (s.o.) - von Kinderärzten aber aus Sorge vor Regressen bei fehlender Dokumentation der Notwendigkeit im Einzelfall nicht verordnet werden?
Eine Mitarbeiterin stammt aus Albanien, und berichtete vor 2 Wochen nach einem Heimaturlaub: "In Albanien haben wir genug Fiebersäfte - was ist in Deutschland los?" - Wenn man das BfArM fragen würde, lautet die Antwort also: "Nichts - alles in Ordnung."

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AW: Kapitulation von Politik und BfArM vor

von Yvonne Hesse am 13.12.2022 um 13:36 Uhr

Besser hätte man es nicht formulieren können!
Dank an Dr. Fehske!

AW: Kapitulation von Politik und BfArM vor

von Thomas B am 13.12.2022 um 17:39 Uhr

Wunderbare Zusammenfassung!
Und das dicke Ende wird erst noch kommen, wenn uns allen - bei uns schätzungsweise rechtzeitig zum Heiligabend-Notdienst - die Antibiotikasäfte ausgehen. Die können wir nicht so einfach notfallmässig selber machen..... Frohes Fest!

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